Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei der Besorgung von Genußmitteln
Leitsatz (amtlich)
Zum Unfallversicherungsschutz beim Besorgen von Zigaretten während einer Arbeitspause (vergleiche BSG 1960-06-30 2 RU 207/59 = BSGE 12, 254 = SozR Nr 27 zu § 543 RVO aF).
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Prüfung, ob der Weg von der Arbeitsstätte zum Einkauf von Genußmitteln (zB Zigaretten) nach RVO § 550 S 1 unfallversichert ist, sind alle besonderen betrieblichen Umstände und ihre Auswirkungen auf die Person des Versicherten individuell zu werten; dabei kann die Art der Tätigkeit des Versicherten, die Dauer der vorausgegangenen und der noch ausstehenden Arbeitszeit, das individuelle Bedürfnis nach Nikotingenuß usw bedeutsam sein.
Normenkette
RVO § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. April 1968 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 11. Mai 1966 wird als unzulässig verworfen, soweit sie das Sterbegeld und die Überbrückungshilfe betrifft.
Im übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des am 1. Dezember 1937 geborenen Bauhilfsarbeiters O Sch, der am 22. Mai 1964 an den Folgen eines an demselben Tage erlittenen Verkehrsunfalles verstorben ist. Sie begehrt von der Beklagten Hinterbliebenenentschädigung, weil ihr Ehemann einem tödlichen Arbeitsunfall erlegen sei.
Der Ehemann der Klägerin war am Freitag, dem 22. Mai 1964, mit fünf weiteren Arbeitskollegen beim Bau einer Behelfsbrücke am G Bach beschäftigt. Die Baustelle befand sich etwa 300 m ostwärts der Bundesstraße (B) 51 an der Strecke von G nach I. Mit der Arbeit wurde früh um 6 Uhr begonnen; sie sollte bis 15.30 Uhr dauern. Wegen des bevorstehenden Wochenendes arbeiteten der Kläger und seine Arbeitskollegen zwei Stunden länger als vorgesehen. Etwa gegen 17.30 Uhr entließ der Vorarbeiter zwei Arbeitskollegen, die den weitesten Heimweg hatten. Zurück blieben der Ehemann der Klägerin, der Vorarbeiter und ein weiterer Arbeiter. Zu dieser Zeit sollten das Gerät weggebracht und die Absperrung hergerichtet werden. Der Ehemann der Klägerin äußerte jedoch gegenüber dem Vorarbeiter, er wolle sich Zigaretten holen. Er erhielt dazu die Genehmigung vom Vorarbeiter, der ihn gleichzeitig bat, ihm ebenfalls Zigaretten mitzubringen. Auf Befragen wurde dem Ehemann der Klägerin erklärt, er könne sich Zigaretten in der Gastwirtschaft holen, er müsse zu diesem Zweck zur B 51 fahren und sich dann links halten, um zum ersten Haus rechts zu gelangen. Der Ehemann der Klägerin begab sich mit seinem Fahrrad bis zur Einmündung des Feldweges in die B 51, fuhr jedoch nicht, wie ihm angegeben, nach links, sondern nach rechts auf der B 51 in Richtung Iburg. Nach einer Fahrt von 300 m und in Höhe eines an der B 51 stehenden Bauerngehöftes bog er gegen 17.55 Uhr, ohne die Fahrtrichtungsänderung vorher anzuzeigen, plötzlich nach links zu dem Bauerngehöft ab. Hierbei wurde er von einem aus Richtung I kommenden Volkswagen erfaßt und tödlich verletzt. Die von der Leiche entnommene Blutprobe ergab nach dem Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität G vom 25. Mai 1964 eine Blutalkoholkonzentration von 1,26 0/00.
Nach Beiziehung der Akten der Staatsanwaltschaft Osnabrück lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 14. April 1965 die Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung ab, weil der Versicherte den Unfall eindeutig bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit erlitten habe, um sich Genußmittel (Zigaretten) zu beschaffen, und er darüber hinaus auch auf dem im übrigen irrtümlich eingeschlagenen Weg nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe.
Die Klägerin hat Klage erhoben und vorgetragen: Ihr Ehemann habe bei Beginn der Arbeit am Unfalltage nicht wissen können, daß Überstunden zu leisten seien. Er habe sich daher nicht ausreichend mit Essen, Getränken und Zigaretten versorgen können.
Durch Urteil vom 11. Mai 1966 hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid vom 14. April 1965 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin "die Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Arbeitsunfalles ihres Ehemannes O Sch vom 22. 5. 1964 zu gewähren". In den Entscheidungsgründen hat es u.a. ausgeführt: Der Ehemann der Klägerin habe zwar keinen betrieblichen Auftrag erhalten, Zigaretten zu besorgen; auch bestehe auf Fahrten zur Besorgung von Speisen, Getränken und Genußmitteln grundsätzlich kein Versicherungsschutz. Im vorliegenden Falle liege jedoch ein Ausnahmefall insofern vor, als der Versicherte habe Überstunden leisten müssen und außer seinem üblichen Mundvorrat für den Tagesverzehr weitere Vorräte an Essen und Trinken nicht bei sich gehabt habe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 9. April 1968 (Breithaupt 1968, 917) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Berufung sei hinsichtlich der Gewährung von Sterbegeld und Überbrückungshilfe zwar grundsätzlich unzulässig, weil es sich hierbei um einmalige Leistungen handele. Die Zulässigkeit der Berufung ergebe sich hier jedoch aus § 150 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil die Entscheidung des SG keinen bestimmten Urteilsausspruch enthalte und damit ein in jedem Verfahrensabschnitt von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel gegeben sei. Das Rechtsmittel sei auch begründet. Im allgemeinen sei ein Beschäftigter auf Wegen versichert, die er während einer Arbeitspause unternehme, um sich die zur Weiterarbeit erforderliche Erholung und Stärkung außerhalb der Arbeitsstätte zu verschaffen. Das SG habe nicht verkannt, daß die vorerwähnten Grundsätze nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur ausnahmsweise auch für Raucher in Betracht kommen könnten. Das SG habe jedoch zu Unrecht hier eine solche Ausnahme für gegeben erachtet. Entgegen der Auffassung des BSG sei das LSG der Ansicht, daß ein Beschäftigter auf Wegen zur Besorgung von Tabakwaren nur beim Vorliegen ganz außergewöhnlicher betrieblicher Umstände unter Unfallversicherung stehe, weil andernfalls den jeweiligen persönlichen Verhältnissen des Versicherten, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen, eine erhebliche Bedeutung für die Bejahung des Versicherungsschutzes zukäme. In diesem Zusammenhang komme dem Umstand besondere Bedeutung zu, daß Gefühle wie Hunger und Durst und der Drang nach Nikotingenuß individuell verschieden ausgeprägt seien und sich das Bedürfnis nach dem Rauchen, wenn die Notwendigkeit hierzu allein aus der Person des Versicherten gefolgert werden solle, sich weitgehend einer objektiven Beurteilung durch den Tatsachenrichter entziehe. Objektiv zuverlässige Maßstäbe ließen sich allein aus den besonderen, im Einzelfall nachprüfbaren außergewöhnlichen betrieblichen Belastungen und Einwirkungen gewinnen. Hier lägen aber keine solchen Umstände vor. Es bestehe auch kein objektiver Anhalt dafür, daß der 26 Jahre alte Ehemann der Klägerin sich infolge der bis 17.30 Uhr geleisteten Arbeit, auch wenn sie nach den Bekundungen des Vorarbeiters anstrengend gewesen sei, in einem Zustand wesentlich verminderter Leistungsfähigkeit befunden habe und er für die Ableistung der Aufräumungsarbeiten einen sogenannten toten Punkt durch Nikotingenuß habe überwinden wollen. Der Vorarbeiter habe vielmehr die zu diesem Zeitpunkt allgemein herrschende Stimmung unter den zurückgebliebenen drei Arbeitern zutreffend mit der Bemerkung gekennzeichnet, es hätten wohl alle Arbeiter gegen Feierabend Appetit gehabt, eine gute Zigarette zu rauchen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und zur Begründung u.a. ausgeführt: Das LSG habe den angetretenen Beweis nicht erhoben, daß ihr Ehemann ein starker Raucher gewesen sei. Nachdem er bereits zwei nicht vorhergesehene Überstunden geleistet hätte, sei er als starker Raucher zweifellos an einem toten Punkt angelangt und ohne die fehlende Zigarette nicht mehr in der Lage gewesen, noch weitere Überstunden zu leisten. Wenn der Vorarbeiter hierzu bemerkt habe, alle Arbeiter hätten gegen Feierabend "Appetit" auf eine gute Zigarette gehabt, dann sei damit noch nichts über das unterschiedliche individuelle Bedürfnis des einzelnen ausgesagt. Das LSG habe auch zu Unrecht den Versicherungsschutz davon abhängig gemacht, daß ganz außergewöhnliche betriebliche Umstände vorlägen.
Die Revision beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie meint, es habe weder in der Person des Verunglückten noch sonst ein objektiver Anhalt dafür bestanden, daß sich der Ehemann der Klägerin in einem Zustand wesentlich verminderter Leistungsfähigkeit befunden habe und er für die Ableistung der Aufräumungsarbeiten diesen durch Nikotingenuß hätte überwinden müssen.
II
Die zulässige Revision ist begründet.
Bei einer zugelassenen Revision ist von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung zulässig war (vgl. BSG 2, 225, 226 und 245, 246; 3, 234, 235; 15, 65, 67). Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die Berufung hinsichtlich des Sterbegeldes und der Überbrückungshilfe gemäß § 144 Abs. 1 SGG ausgeschlossen ist. Das LSG hat die Berufung jedoch zu Unrecht insoweit nach § 150 Nr. 2 SGG als statthaft angesehen. Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor dem SG liegt nicht darin, daß das SG im Urteilstenor nicht die bei Tod durch Unfall nach § 589 Abs. 1 RVO vorgesehenen Leistungen einzeln aufgeführt, sondern die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin "Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Arbeitsunfalles ihres Ehemannes O Sch vom 22. 5. 1964" zu gewähren. Dieser Urteilsausspruch ist im Hinblick auf die sich aus dem Gesetz ergebenden möglichen Leistungen ausreichend bestimmt, zumindest hinreichend bestimmbar. Es entspricht auch der weitaus überwiegenden Praxis der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit einschließlich der des Bundessozialgerichts, in diesen Fällen die Beklagte allgemein zur Entschädigungsleistung zu verurteilen, ohne die Leistungen des § 589 Abs. 1 RVO einzeln im Urteilstenor aufzuführen. Die Bezugnahme des Berufungsgerichts auf sein Urteil vom 10. Mai 1967 (Breithaupt 1967, 979, 980) vermag dessen gegenteilige Auffassung ebenfalls nicht zu stützen. Das LSG ist in dieser Entscheidung davon ausgegangen, das SG habe ein Grundurteil nicht erlassen dürfen, weil ein Anspruch nicht in einer Mindesthöhe wahrscheinlich sei. Diese Voraussetzung für den Erlaß eines Grundurteils ist hier jedoch erfüllt. Das LSG hat in seinem Urteil vom 10. Mai 1967 (aaO) außerdem gefordert, dem Urteilstenor müsse zu entnehmen sein, ob der Versicherungsträger zur Zahlung einer vorläufigen Rente oder einer Dauerrente verurteilt worden sei. Die Unterscheidung zwischen einer vorläufigen Rente und einer Dauerrente ist hier nicht einschlägig.
Die Berufung der Beklagten war deshalb, soweit sie das Sterbegeld und die Überbrückungshilfe betrifft, als unzulässig zu verwerfen. Hinsichtlich der Witwenrente der Klägerin ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Ehemann der Klägerin wollte mit dem Zigarettenkauf keine unmittelbare betriebliche Angelegenheit besorgen. Insbesondere ist er nicht auf Ersuchen seines Vorarbeiters tätig geworden (vgl. BSG SozR Nr. 71 zu § 542 RVO aF), sondern hat sich lediglich bereit erklärt, aus Anlaß des von ihm beabsichtigten Zigarettenkaufes diesem und dem anderen Arbeiter Zigaretten mitzubringen. § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO findet deshalb, wie das LSG zutreffend entschieden hat, hier keine Anwendung. Vielmehr kommt nur in Betracht, ob der Versicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO auf einem Weg von der Arbeitsstelle bestanden hat. Unter diese Vorschrift fallen nach der Rechtsprechung auch solche Wege, die der Beschäftigte während einer Arbeitspause unternimmt, um sich die zur Weiterarbeit erforderliche Erholung und Stärkung außerhalb der Arbeitsstätte zu verschaffen. Die Besorgung von Nahrungsmitteln oder Erfrischungsgetränken zum alsbaldigen Verzehr wird hierbei als ein den Versicherungsschutz bewirkender Zweck des Weges anerkannt, weil sie dem Beschäftigten dazu dienen, ein die Weiterarbeit erschwerendes oder gar verhinderndes Hunger- oder Durstgefühl zu überwinden (BSG 12, 254, 255; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 7. Aufl., S. 486 o II, Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 550 Anm. 8, jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Ehemann der Klägerin ist jedoch nicht auf einem Weg zum Besorgen von Nahrungsmitteln oder Erfrischungsgetränken, sondern beim beabsichtigten Kauf von Zigaretten verunglückt. Dies allein schließt den Versicherungsschutz allerdings nicht aus. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. BSG aaO S. 255) bei der zur Bestimmung der wesentlichen Mitursachen erforderlichen Wertung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 550 Satz 1 RVO (vgl. auch Brackmann aaO S. 480 k ff) aber mit Recht davon ausgegangen, daß der Genußmittelkonsum, insbesondere der Nikotingenuß, weit mehr als die Befriedigung eines natürlichen und unabweisbaren Hunger- und Durstgefühls persönlichen Liebhabereien und Angewohnheiten entspringt. Ein zum Besorgen von Tabakwaren unternommener Weg von der Arbeitsstätte kann deshalb zwar nicht unterschiedslos und von vornherein, wohl aber je nach Lage des Einzelfalles beim Nachweis besonderer Umstände mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängen (BSG aaO S. 256). Als solche Umstände kommen - wie der Senat in seiner Entscheidung vom 30. Juni 1960 (aaO) ebenfalls bereits dargelegt hat - alle Momente in Betracht, die erkennen lassen, daß der Beschäftigte mit dem Nikotingenuß nicht nur einfach einer lieben Gewohnheit huldigen wollte, sondern daß das Rauchen für ihn in der jeweiligen Situation zur Weiterarbeit notwendig war. Das LSG weist zutreffend darauf hin, daß Gefühle wie Hunger und Durst sowie der Drang zum Nikotingenuß individuell verschieden ausgeprägt sind. Das rechtfertigt es jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht, es ausschließlich auf die Mitwirkung der besonderen betrieblichen Umstände abzustellen. Im Rahmen der bei der Bestimmung der wesentlichen Mitursachen stets vorzunehmenden Wertung ist vielmehr auch hier davon auszugehen (vgl. Brackmann aaO S. 480 k), daß nicht das als wesentlich anzusehen ist, was erfahrungsgemäß im allgemeinen unter gleichen Umständen bei anderen Versicherten den Kauf von Tabakwaren notwendig erscheinen läßt. Vielmehr ist zu prüfen, ob gerade für den betroffenen Versicherten aufgrund der besonderen Umstände das Rauchen zur Weiterarbeit notwendig war. Für diese Grundlage der Wertung der einzelnen Ursachen bei der Kausalitätsprüfung fehlt es hier an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen. Das LSG stützt seine Entscheidung insoweit vornehmlich darauf, der Vorarbeiter habe die im Zeitpunkt, in dem der Ehemann der Klägerin sich entschloß, Zigaretten zu holen, "herrschende allgemeine Stimmung" unter den zurückgebliebenen drei Arbeitern mit der Bemerkung gekennzeichnet, es hätten wohl alle Arbeiter gegen Feierabend Appetit gehabt, eine gute Zigarette zu rauchen. Es kommt jedoch, wie oben ausgeführt, nicht auf die "allgemeine Stimmung", sondern auf die in der Person des Ehemannes der Klägerin eingetretene Situation an. Der Senat verkennt dabei nicht die Schwierigkeiten, die - ähnlich wie z.B. bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfall und einer Neurose - mit einer Beweisaufnahme über Merkmale verbunden sind, die in der Person des jeweiligen Versicherten wurzeln. Diese durch die erforderliche Feststellung der wesentlichen Mitursachen bedingten Schwierigkeiten gestatten es jedoch nicht, von vornherein notwendige und mögliche Ermittlungen nicht aufzunehmen.
Bei der Entscheidung darüber, ob der Weg zum Besorgen von Tabakwaren mit der versicherten Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin zusammenhängen kann, sind die betrieblichen Umstände und ihre Auswirkungen auf die Person des Ehemannes der Klägerin zu werten. Der Senat hat insoweit schon in seinem Urteil vom 30. Juni 1960 (aaO) bei der für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Einkauf von Genußmitteln erforderlichen Wertung nur "besondere" betriebliche Umstände als beachtlich angesehen. Das LSG hält auch diese erhebliche Einschränkung nicht für ausreichend und nur "ganz außergewöhnliche" betriebliche Umstände für geeignet, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Einkauf von Genußmitteln zu begründen. Die Prüfung des Einflusses besonderer betrieblicher Umstände dient jedoch ebenfalls der Bestimmung der wesentlichen Mitursachen. Auch sie richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalles, und zwar - wie bereits dargelegt - im Zusammenhang mit ihren Einwirkungen auf die Persönlichkeit des betreffenden einzelnen Versicherten. Um der auf den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles beruhenden Gesamtwertung ausreichenden Raum zu belassen, hält es der Senat weiterhin für erforderlich, alle besonderen betrieblichen Umstände in die Wertung der einzelnen Ursachen einzubeziehen. Das schließt einerseits nicht aus, daß im Einzelfall nur besonders erhebliche Umstände einen Kausalzusammenhang zwischen dem Weg von der Arbeitsstätte zum Einkauf von Genußmitteln und der versicherten Tätigkeit zu begründen vermögen, gestattet jedoch in anderen Fällen, wiederum deren Besonderheiten entsprechende Wertungen zu treffen.
Die Ausführungen des LSG zum Einfluß besonderer betrieblicher Umstände beruhen vor allem nicht auf einer Würdigung aller für den Einzelfall wesentlichen Umstände. Das LSG ist insbesondere - wie bereits dargelegt - nicht von der Person des Ehemannes der Klägerin und den Auswirkungen der besonderen betrieblichen Umstände auf sie ausgegangen. Bei der Wertung der besonderen betrieblichen Umstände selbst hat das LSG zwar die Art der Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin und die voraussichtliche Dauer der noch ausstehenden Arbeiten (vgl. auch BSG BG 1965, 4912; Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften VB 65/55 vom 6. 6. 1955), nicht aber ausreichend gewürdigt, daß die vorausgegangene normale Arbeitszeit schon 9 1/2 Stunden betragen hat, an die sich die beiden bereits geleisteten Überstunden angeschlossen haben, und noch weitere 1 bis 1 1/2 Überstunden geleistet werden sollten.
Die Revision ist somit begründet. Da die vom LSG getroffenen Feststellungen eine Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Weg zum Besorgen der Zigaretten und der versicherten Tätigkeit nicht ermöglichen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG) und außerdem das LSG - im Hinblick auf seine Rechtsauffassung - weitere Feststellungen hinsichtlich des Einflusses von Alkoholgenuß beim Ehemann der Klägerin nicht getroffen hat, mußte die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden können (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen