Leitsatz (amtlich)

Zum Unfallversicherungsschutz bei der Teilnahme an einer Haussammlung für gemeinnützige Zwecke.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Teilnahme einer Kreishinterbliebenenbetreuerin des VdK an einer Haussammlung für gemeinnützige Zwecke steht nicht unter Unfallversicherungsschutz. Dagegen kann das Aufsuchen der Verbandsmitglieder durch die Hinterbliebenenbetreuerin unfallversicherungsrechtlich geschützt sein.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. April 1970 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist Mitglied des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner Deutschlands e.V. (VdK), Landesverband Bayern. Sie ist ehrenamtliche Kreishinterbliebenenbetreuerin und als solche Mitglied des Vorstandes eines Kreisverbandes. Sie beteiligte sich an der im November 1965 vom VdK durchgeführten staatlich genehmigten Haussammlung "Helft Wunden heilen". Dafür erhielt sie eine Vergütung von 35,- DM. Um diese Zeit war die - damals verwitwete - Klägerin nicht berufstätig. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt von Witwenrenten.

Am 17. November 1965 stürzte die Klägerin eine Kellertreppe hinunter, als sie ein Haus verließ, dessen Bewohner sie um eine Spende gebeten hatte.

Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 24. November 1966 die begehrte Unfallentschädigung, weil weder die Voraussetzungen des § 539 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch des Absatzes 2 dieser Vorschrift gegeben seien.

Mit ihrer Klage beim Sozialgericht (SG) München hat die Klägerin geltend gemacht, daß im Zeitpunkt des Unfalls ihre Sammeltätigkeit bereits abgeschlossen gewesen sei; sie habe noch zwei Mitglieder des VdK aufsuchen wollen, sich also auf dem Weg zur Aufnahme ihrer Tätigkeit als ehrenamtliche Hinterbliebenenbetreuerin befunden.

Das SG hat durch Urteil vom 9. Oktober 1968 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, der Klägerin Unfallentschädigung zu gewähren. Es ist der Auffassung, daß Unfallversicherungs-(UV)-Schutz nach § 539 Abs. 2 RVO bestehe, weil der VdK, hätten ihm nicht freiwillige Helfer zur Verfügung gestanden, gezwungen gewesen wäre, für die Haussammlung eigenes Personal einzustellen oder dafür seine Bediensteten einzusetzen, soweit diese damit einverstanden gewesen wären.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 9. April 1970 die Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Klägerin habe sich an der Haussammlung nicht in ihrer Eigenschaft als Vorstandsmitglied des VdK beteiligt, sie habe sich vielmehr für diesen Zweck - wenn auch für ein geringes Entgelt - freiwillig und ehrenamtlich zur Verfügung gestellt. Die für die Begründung des UV-Schutzes sonach allein in Frage kommende Vorschrift des § 539 Abs. 2 RVO entfalle jedoch schon aus dem Grund, weil es praktisch den Beruf des Sammlers nicht gebe, obgleich - theoretisch - diese Tätigkeit beruflich ausgeübt werden könne, denn das Sammeln von Spenden von Haus zu Haus könne als Arbeit angesehen werden. Mithin handele es sich nicht um eine Tätigkeit, welche üblicherweise sonst im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde, was § 539 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO jedoch voraussetze. Es gelte insoweit nichts anderes als für das Mitglied eines Verbandes, welches die Verbandsangehörigen in ihren Wohnungen aufsuche, um die Verbandsbeiträge einzukassieren. Diese Aufgabe könne zwar auch von hauptamtlichen Kräften verrichtet werden. Es sei aber üblich, daß sie ehrenamtlich von Verbandsmitgliedern übernommen werde, sofern diese nicht sogar kraft Satzung des Verbandes dazu verpflichtet seien. Der gegenteiligen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), welches den UV-Schutz in einem solchen Fall bejahe (SozR Nr. 32 zu § 537 RVO aF), könne nicht gefolgt werden. Die Klägerin sei aber auch dann nicht unfallgeschützt gewesen, wenn - wie sie später behauptet habe - im Zeitpunkt des Unfalls ihre Sammeltätigkeit bereits beendet gewesen sei und sie sich ihren Aufgaben als Hinterbliebenenbetreuerin gewidmet habe. Insoweit habe sie als Repräsentantin des Kreisvorstandes gehandelt, so daß nach der Rechtsprechung des BSG Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO nicht gegeben sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:

Zutreffend habe sich das LSG auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob UV-Schutz nach § 539 Abs. 2 RVO vorliege. Als Sammlerin habe sie eine Tätigkeit ausgeübt, die auch von einem Beschäftigten im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift wahrgenommen werden könne. Es handele sich insoweit, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, nicht nur um einen theoretischen Beruf, sondern offensichtlich um eine Beschäftigung, welche es auch in der Praxis gebe und von besoldeten Kräften ausgeübt werde. Losverkäufer und Sammler seien in großer Zahl im Arbeitsverhältnis für Lotterien und ähnliche Organisationen tätig. Der VdK könne für seine jährliche Sammlung "Helft Wunden heilen" auch hauptamtlich tätige Sammler einstellen; dadurch werde bewiesen, daß die Tätigkeit eines Sammlers auch im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeführt werden könne. Dieses Ergebnis folge ferner zwingend daraus, daß sich während der Sammlungszeit auch viele Bedienstete des VdK im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses als Sammler betätigen. Es sei nicht erforderlich, daß es einen derartigen ständigen Berufsstand gebe, zumal da es nicht auf die Dauer und Häufigkeit der Tätigkeit ankomme. Der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO sei aber auch zu bejahen, wenn davon auszugehen sei, daß die Klägerin zur Zeit des Unfalls schon als Hinterbliebenenbetreuerin unterwegs gewesen sei. Diese Aufgabe werde nicht nur von ehrenamtlichen Mitgliedern des VdK, sondern auch von dessen besoldeten Angestellten ausgeübt.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist insofern begründet, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muß.

Mit Recht hat das LSG allerdings den UV-Schutz verneint, falls sich der Unfall der Klägerin ereignet haben sollte, als sie sich im Rahmen einer Haussammlung des VdK betätigte. Bei einer Haussammlung für gemeinnützige Zwecke handelt es sich auch nach ihrer Zweckbestimmung, ein möglichst hohes Sammlungsergebnis zu erzielen, um eine typische ehrenamtliche Tätigkeit. Dem steht nicht entgegen, daß - wie auch hier - der Sammler für sein Bemühen meist eine geringe Vergütung erhält. Diese ist, wie auch aus der Höhe des Betrages zu entnehmen ist, nicht als Entgelt für seine geleistete Tätigkeit, sondern als Abgeltung eines dem Sammler durch seine Betätigung entstehenden Aufwandes anzusehen. Im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ist eine solche Tätigkeit allgemein nicht üblich. Infolgedessen ist § 539 Abs. 2 RVO nicht anwendbar; diese Vorschrift setzt ua voraus, daß jemand wie eine nach der Nr. 1 des Absatzes 1 versicherte Person tätig geworden ist (BSG 5, 168, 174; 15, 292, 294; 16, 73, 76; 17, 73; 17, 143, 145; 31, 275, 277; SozR Nr. 16 zu § 537 RVO aF; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 1. 7. 71, Bd. II S. 476 e). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob der UV-Schutz nicht auch entfällt, weil - wie dies auch bei anderen Organisationen der Fall zu sein pflegt - die Teilnahme an einer Haussammlung vom Mitglied erwartet wird, die Mitglieder des VdK insoweit also einer auf einer allgemeinen Übung beruhenden Mitgliedspflicht nachkommen (Brackmann, aaO, S. 476 h, 470 q).

Der Hinweis der Revision auf die Tätigkeit eines Losverkäufers für Lotterien ist unzutreffend. Eine derartige - im allgemeinen Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO genießende - Beschäftigung ist der eines Sammlers, welcher von Haus zu Haus geht und für einen guten Zweck um eine Spende bittet nicht vergleichbar. Entgegen der Meinung der Revision ist auch nicht ein Vergleich damit zu ziehen, daß ein Mitglied eines ideellen Vereins ehrenamtlich Beiträge bei den Vereinsmitgliedern kassiert. In einem solchen Fall kann nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (SozR Nr. 32 zu § 537 RVO aF) UV-Schutz nach § 539 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO gegeben sein. Allein die zwar nicht völlig auszuschließende, aber auch von der Revision nur theoretisch dargestellte Möglichkeit, daß der VdK für seine einmal im Jahr stattfindende Sammlung "Helft Wunden heilen" eigene Arbeitskräfte einstellen könnte und diese nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO unter Versicherungsschutz stünden, reicht nicht aus, um bei Personen, welche dies - wie üblich - ehrenamtlich tun, den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO zu bejahen (BSG 31, 275, 277 ff.). Ebensowenig bedeutet die Tatsache, daß sich nicht wenige Bedienstete des VdK von sich aus für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen pflegen; daß eine solche Betätigung im allgemeinen Erwerbsleben vorkommt; dabei behauptet die Revision selbst nicht, daß ihre Bediensteten zur Tätigkeit als Sammler herangezogen würden (siehe dazu § 544 RVO aF sowie SozR Nr. 71 zu § 542 RVO aF).

Sollte die Klägerin, was das Berufungsgericht offen gelassen hat, den Unfall erlitten haben, als sie ihre Sammlungstätigkeit bereits abgeschlossen hatte und sich anschickte, in ihrer Eigenschaft als Kreishinterbliebenenbetreuerin Mitglieder des VdK aufzusuchen, konnte das LSG mit der von ihm gegebenen Begründung den UV-Schutz nicht ohne weiteres verneinen. Allein daß die Klägerin als Kreishinterbliebenenbetreuerin dem Vorstand eines VdK-Kreisverbandes angehört, bewirkt nicht zwangsläufig, daß sie diese Tätigkeit aufgrund mitgliedschaftlicher Verpflichtung ausgeübt hat. Wie der erkennende Senat in einer ähnlichen Streitsache (Urteil vom 29. Februar 1968 - 2 RU 64/66 -) im Anschluß an seine ständige Rechtsprechung (BSG 14, 1, 3; 17, 211, 216; s. ferner BSG 31, 275, 278 ff; Brackmann, aaO, S. 476 1 ff) ausgeführt hat, ist der UV-Schutz in einem solchen Fall allerdings selbst dann ausgeschlossen, wenn diese Tätigkeit ihrer Art nach auch im allgemeinen Erwerbsleben vorkommt. Das Berufungsgericht hat keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen, ob die von der Klägerin ehrenamtlich geleistete Tätigkeit einer Kreishinterbliebenenbetreuerin des VdK, Landesverband Bayern, allein einer verbandsrechtlich statuierten Mitgliedspflicht vorbehalten ist oder auch von hauptamtlichen Bediensteten ausgeübt wird. Es wird ferner in Sonderheit auch darüber, bei welcher Tätigkeit der Klägerin der Unfall zugestoßen ist und ob er nachteilige Folgen in einem eine Leistung begründendem Ausmaß hat oder hatte, noch weitere Ermittlungen anzustellen haben.

Deshalb war unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Urteil des Berufungsgerichts vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669990

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