Leitsatz (amtlich)

1. Hat die Versorgungsverwaltung den Versorgungsanspruch eines in Polen wohnhaften deutschen Kriegsbeschädigten anerkannt und hat dieser lediglich das gleichzeitig angeordnete Ruhen der Versorgungsbezüge angefochten, so ist die Anerkennung des Versorgungsanspruchs bindend (SGG § 77, KOV-VfG § 24). Im gerichtlichen Verfahren kann daher nicht mehr geprüft werden, ob der Kläger gemäß BVG § 7 Abs 2 von der Versorgung überhaupt ausgeschlossen ist.

2. BVG § 65 ist auch auf ausländische Leistungen, die "auf derselben Ursache beruhen", anzuwenden.

3. Die entsprechende Anwendung des BVG § 65 beschränkt sich auf vergleichbare Leistungen, wie sie in BVG § 65 Abs 1 genannt sind. Eine (polnische) Sozialversicherungsrente kann daher nur insoweit zum Ruhen der (deutschen) Versorgungsbezüge führen, als in dieser Rente ein besonderer Zuschlag gerade wegen der Beschädigung enthalten ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Anspruch auf Teilversorgung eines in der Volksrepublik Polen lebenden Versorgungsberechtigten wird durch den Bezug einer polnischen Kriegsinvalidenrente nicht ausgeschlossen.

 

Normenkette

BVG § 7 Abs. 2 Fassung: 1964-02-21, § 64 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, § 65 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 24 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 1975 aufgehoben, soweit es den Versorgungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. September 1972 an betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der am 16. November 1896 geborene und in Polen wohnhafte Kläger war während des ersten Weltkrieges deutscher Soldat. Am 10. Oktober 1916 erlitt er eine Granatsplitterverletzung am linken Oberschenkel, wobei der Nervus ischiadicus beschädigt wurde; zurück blieb eine Peronäus-Lähmung.

Mit Entscheidung der Bezirks-Ärztekommission für Invaliditäts-und Beschäftigungssachen in P vom 22. März 1958 wurden nach dem polnischen Dekret vom 14. August 1954 über die Versorgung von Militärinvaliden und deren Familien bei dem Kläger

Zustand nach Verwundung des linken Oberschenkels mit Lähmung des Teilnervs sowie Muskelschwund

als Gesundheitsstörungen festgestellt, die ohne eigenes Verschulden während und infolge des Militärdienstes in der deutschen Armee (1914 bis 1918) entstanden seien. Der Kläger wurde in die dritte Invalidengruppe eingestuft. Er erhält eine polnische Invalidenrente, die auf den Postüberweisungsabschnitten mit dem Vermerk "Ziw" gekennzeichnet ist. Die Rente betrug im März/April 1971 810,- Zloty und im September 1973 1160,- Zloty.

Am 14. Dezember 1967 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt R die Gewährung einer Beschädigtenrente. Dieser Antrag wurde nach versorgungsärztlicher Prüfung durch Bescheid vom 21. Mai 1971 wie folgt beschieden:

"Es wurde festgestellt, daß bei Ihnen nachstehende Gesundheitsstörungen auf einer Schädigung im Sinne des BVG beruhen: Narbe am linken Oberschenkel und Lähmung des linken Wadenbeinnerven nach Granatsplitterverletzung. Wegen dieser Schädigungsfolgen ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 30 vom Hundert (v. H.) gegeben.

Der Anspruch auf Versorgungsbezüge ruht jedoch, weil Sie in Ihrem Aufenthaltsland Rente aus gleicher Ursache beziehen, die für Versorgungsbezüge nach dem BVG keinen Raum mehr läßt."

In einem Aktenvermerk vom 12. Mai 1971 heißt es, daß die polnische Rente höher sei als die Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 oder 40 v. H.

Der Kläger begründete seinen Widerspruch damit, daß seine Kriegsverletzung eine höhere MdE als 30 v. H. bedinge und daß er die Auszahlung der entsprechenden Versorgungsbezüge verlange. Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 24. November 1971 zurückgewiesen: Da die wegen der Schädigungsfolgen zu gewährende Grundrente nach einer MdE um 30 v. H. geringer sei als die aus derselben Ursache gewährte polnische Rente, ruhe der Anspruch nach § 65 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Das Sozialgericht (SG) wies die Klage durch Urteil vom 2. März 1973 ab. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 16. Mai 1975 zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Versorgung nach dem BVG nicht zu, weil er aus derselben Ursache einen Anspruch auf Versorgung gegen den polnischen Staat besitze und eine polnische Kriegsinvalidenrente erhalte (§ 7 Abs. 2 BVG). Nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift solle niemand aus gleicher Ursache zweimal aus öffentlichen Mitteln entschädigt werden. Ein Versorgungsanspruch nach dem BVG stehe ihm auch nicht aufgrund einer etwaigen Bindungswirkung des Bescheides vom 12. Mai 1971 idF des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1971 zu. Der entscheidende Verfügungssatz dieser Bescheide gehe letztlich dahin, daß ein Anspruch auf Rente nach dem BVG nicht zustehe.

Der Kläger hat seine Revision auf die Gewährung einer Beschädigtenrente für die Zeit ab 1. September 1972 beschränkt; er beantragt nunmehr,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 1975 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 2. März 1973 sowie die Bescheide des Versorgungsamtes R vom 12. Mai 1971 und des Landesversorgungsamtes B vom 24. November 1971 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit ab 1. September 1972 Beschädigtenrente nach einer MdE von wenigstens 40 v. H. zu gewähren.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe verkannt, daß die Bescheide des Beklagten insoweit bindend geworden seien, als mit ihnen der Anspruch auf Versorgung nach dem BVG festgestellt worden sei. Der Widerspruch und die Klage hätten sich lediglich dagegen gerichtet, daß der Versorgungsanspruch ruhe und daß die MdE zu niedrig eingestuft worden sei. Die Vorinstanzen seien daher gehindert gewesen, den Versorgungsanspruch im Hinblick auf § 7 Abs. 2 BVG zu verneinen. Darin liege ein Verstoß gegen § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie eine Verletzung des Grundsatzes der Selbstbindung der Verwaltung. Seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen komme ein Ruhen des Versorgungsanspruchs nicht mehr in Betracht. Lediglich die Höhe der MdE sei noch streitig.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 1975 zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich der Beklagte auf das nach seiner Auffassung im Ergebnis zutreffende Urteil des LSG. Dieses habe zwar im Gegensatz zu der Auffassung der Versorgungsverwaltung entschieden, daß dem Kläger nach § 7 Abs. 2 BVG ein Anspruch auf Versorgung nicht zustehe. Diese andere Rechtsauffassung habe aber keine Auswirkungen auf die angefochtene Entscheidung der Versorgungsverwaltung, weil der Kläger im Hinblick darauf, daß die Teilversorgung in voller Höhe ruhe, letztlich nicht benachteiligt werde.

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA), zum Rechtsstreit beigeladen.

Die Beigeladene beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 1975 als unbegründet zurückzuweisen.

Sie vertritt unter Hinweis auf das polnische Sozialversorgungssystem, in dem das Prinzip der sog. "einzigen Rente" gelte, die Auffassung, daß der Bezug einer polnischen Kriegsinvalidenrente einen Anspruch auf Versorgung nach dem BVG nicht ausschließe. Andererseits könne aber der Bezug einer polnischen Rente aus derselben Ursache nicht ohne Einfluß auf die deutschen Leistungen sein, weil sonst eine unzulässige Doppelversorgung vorliegen würde. Der in § 65 BVG enthaltene Rechtsgedanke sei deshalb auf den vorliegenden Fall anzuwenden, so daß der (deutsche) Versorgungsanspruch des Klägers in voller Höhe ruhe. Diese Rechtsfolge werde durch die dem BMA in § 64 Abs. 2 Satz 3 BVG erteilte Ermächtigung gedeckt. Im übrigen bestehe keine Bindungswirkung zugunsten des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die vom LSG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) ist vom Kläger frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Zu Recht rügt der Kläger die Verletzung von Vorschriften des Bundesrechts (§ 162 SGG), nämlich der §§ 7 Abs. 2, 65 BVG und des § 77 SGG.

Der Senat vermochte der Auffassung des LSG, der Anspruch des Klägers auf Teilversorgung nach dem BVG sei bereits nach § 7 Abs. 2 BVG ausgeschlossen, weil er eine polnische Kriegsinvalidenrente beziehe, nicht zu folgen. Das LSG hat insoweit den Inhalt und die Rechtswirkungen, insbesondere die Bindungswirkung des Bescheides vom 12. Mai 1971 idF des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1971 (§ 95 SGG) verkannt. Der Inhalt dieses Bescheides ist vom LSG dahin zusammengefaßt worden: "Ein Anspruch auf Rente nach dem BVG steht nicht zu" (vgl. S. 11 des Urteils). Entgegen der Auffassung des LSG wird jedoch nicht der Anspruch auf Rente, sondern lediglich die Auszahlung der Rente abgelehnt. Durch den Ausspruch des Ruhens der Versorgungsbezüge wird der weitere Inhalt dieses Bescheides nicht gegenstandslos (vgl. BSG SozR BVG § 65 Nrn. 6 und 7).

Die Versorgungsverwaltung - der Beklagte - hat in dem Bescheid vom 12. Mai 1971 mehrere, deutlich voneinander abgrenzbare Feststellungen getroffen. Mit der Feststellung, daß bestimmte Gesundheitsstörungen ("Narbe am linken Oberschenkel und Lähmung des linken Wadenbeinnervs nach Granatsplitterverletzung") auf einer Schädigung im Sinne des BVG beruhen, ist nicht lediglich eine Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses festgestellt, sondern gleichzeitig der ursächliche Zusammenhang dieser Gesundheitsstörungen mit der Schädigung anerkannt worden (vgl. BSGE 9, 80, 84; SozR SGG § 77 Nr. 59). In dem Bescheid ist ferner die aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen bestehende MdE auf "wenigstens 30 vom Hundert" festgestellt. Diese Feststellung ist in dem Widerspruchsbescheid vom 24. November 1971 noch dahin ergänzt, daß bei einer MdE um 30 v. H. nach dem BVG "eine Grundrente von 64,- DM monatlich" (jetzt 112,- DM, vgl. § 31 BVG idF des 8. Anpassungsgesetzes vom 14.6.1976, BGBl I S. 1481 - 8. AnpG-KOV) zusteht. Schließlich wird in dem Bescheid wegen des Bezuges der polnischen Rente das Ruhen der Rente nach dem BVG "in voller Höhe" festgestellt. Der Gesamtinhalt - "Verfügungssatz" (vgl. Urteil BSG vom 28.4.1976 - 2 RU 291/74 -) - dieses Bescheides kann nicht dahin ausgelegt werden, daß es sich bei den erstgenannten Feststellungen lediglich um "Begründungen" für den nachfolgenden Ruhensausspruch handelt (vgl. BSG SozR SGG § 77 Nr. 59). Vielmehr erstreckt sich die Bindungswirkung auf sämtliche Verfügungssätze, wobei der Ruhensausspruch einer gesonderten Feststellung und Bindungswirkung fähig ist (vgl. BSG SozR BVG § 65 Nr. 7; SozR 2200 RVO § 625 Nr. 1).

Jeder Zweifel an dem Inhalt und der Bedeutung dieses Bescheides wird dadurch ausgeräumt, daß die Versorgungsverwaltung in dem abschließenden Verfügungssatz lediglich ausgesprochen hat, daß der Anspruch auf "Versorgungsbezüge " ruht. Damit hat die Versorgungsverwaltung das Bestehen des Stammrechtes - den Versorgungsanspruch als solchen - anerkannt (vgl. BSGE 20, 161) und lediglich festgestellt, daß die sich aus dem Versorgungsanspruch ergebenden Leistungen unter den gegebenen Umständen und für den Zeitraum des Ruhens nicht zu erbringen sind (s. auch BSG SozR BVG § 65 Nr. 6). In diesem Zusammenhang ist auch auf die Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 1 zu § 65 BVG zu verweisen, wonach durch das Ruhen "der Anspruch auf Versorgung nicht erlischt". Die Anerkennung des Stammrechtes ist ein schutzwürdiges Rechtsgut, dessen Wert sich insbesondere dann zeigt, wenn der Ruhenstatbestand aus irgendwelchen Gründen endet.

Mit seinem Widerspruch hat der Kläger diesen Bescheid lediglich insoweit angefochten, als die schädigungsbedingte MdE auf (nur) 30 v. H. festgesetzt und die Rente nicht zur Auszahlung gebracht worden ist. Zu einer weitergehenden Anfechtung bestand für den Kläger auch kein Anlaß, da es keinesfalls in seinem Interesse liegen konnte, seinen Versorgungsanspruch als solchen zu gefährden. Eine Teilanfechtung eines begünstigenden Verwaltungsaktes ist ohne weiteres möglich, sofern der Verwaltungsakt - wie hier - mehrere abgrenzbare Verfügungssätze enthält und der Begünstigte nur durch einzelne der Verfügungssätze in seinen Rechten beeinträchtigt wird.

Nach § 77 SGG - der insoweit wörtlich mit § 24 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) übereinstimmt - wird, sofern der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird, der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Mit der Verbindlichkeit "in der Sache" ist die im Bescheid getroffene Regelung für den Einzelfall gemeint, die im "Verfügungssatz" zum Ausdruck kommt (vgl. BSGE 39, 17; Urteil BSG vom 7.10.1976 - 9 RV 224/75 - ). Nach dem Wortlaut des § 77 SGG kommt somit einem Verwaltungsakt in den der Sozialgerichtsbarkeit unterliegenden Angelegenheiten nicht nur formelle, sondern auch materielle Bindungswirkung zu; anderenfalls würden die Worte "in der Sache" jedes Sinnes entbehren (vgl. BSG SozR SGG § 77 Nrn. 35 und 59). Die Bindungswirkung wirkt nicht nur für und gegen den Berechtigten (Begünstigten), sondern auch für und gegen die Verwaltungsbehörde. Diese "Selbstbindung der Verwaltung" beruht nicht nur auf dem Gebot der Gleichbehandlung der Beteiligten oder auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen, sondern ist für das Gebiet der Kriegsopferversorgung ausdrücklich in § 24 Abs. 2 VerwVG ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift tritt die "Bindung der Verwaltungsbehörden" mit der Bekanntgabe oder dem Zugang des Bescheides ein (vgl. Schönleiter-Hennig, Kommentar zum VerwVG, 2. Aufl., § 24 Rdn. 6). Das war hier der Zeitpunkt, in dem der Bescheid des Versorgungsamtes dem Kläger an seinem Wohnort durch die Post zuging (vgl. Absendevermerk vom 26. Mai 1971, Bl. 49 der Vers. Akten). Von diesem Zeitpunkt an wurde der Bescheid existent und führte mit seiner Außenwirkung zugleich zur materiellen Bindung der Verwaltungsbehörde. Die materielle Bindungswirkung des Bescheides verhindert zunächst, daß die Verwaltungsbehörde unbeschränkt neue Verwaltungsakte mit einem anderen Inhalt oder einem anderen Ausspruch über die Rechtsfolgen erlassen darf (vgl. BSG SozR SGG § 77 Nr. 35; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zum SGG, § 77 Anm. 5 ). Die Bindungswirkung erstreckt sich aber gleichermaßen auch auf die Gerichte, denen es verwehrt ist, ohne besondere gesetzliche Grundlage zuungunsten des Berechtigten von den bindend getroffenen Regelungen abzuweichen oder diese zu beseitigen (vgl. BSGE 14, 154; Urteil BSG vom 23.4.1964, BVBl 1964, 140).

Das Gesetz kennt zwar - gerade auf dem Gebiet der KOV - vielfache Durchbrechungen der materiellen Bindungswirkung. Beispielsweise kann hier auf § 40 VerwVG, aber auch auf §§ 41 und 42 VerwVG bzw. § 62 BVG verwiesen werden. Daneben finden auch die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts Anwendung, wonach die Verwaltung befugt ist, trotz eines bindend gewordenen Verwaltungsaktes unter bestimmten Voraussetzungen einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen. Diese aus allgemeinen Erwägungen zugelassene Durchbrechung der Bindungswirkung findet aber ihre selbstverständliche Schranke an dem weiteren Grundsatz, daß der Betroffene (Begünstigte) durch den neuen Verwaltungsakt - die neue Entscheidung - nicht weiter belastet und seine Rechtsposition nicht zu seinem Nachteil beeinträchtigt werden darf (vgl. BSG SozR SGG § 77 Nr. 35). Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß die selbständigen, begünstigenden Verfügungssätze, durch die die Versorgungsberechtigung des Klägers und der ursächliche Zusammenhang sowie die darauf beruhende, schädigungsbedingte MdE um (wenigstens) 30 v. H. grundsätzlich anerkannt worden sind, nicht einseitig zuungunsten des Berechtigten beseitigt werden durften. Das vom LSG zitierte Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1972 (SozR BVG § 64 Nr. 6) betraf einen anders gelagerten Fall. Dort war die Anerkennung eines Rechtsanspruches auf Versorgung unter Feststellung der dafür erforderlichen Grundlagen gerade nicht erfolgt. Das LSG hat also im vorliegenden Fall lediglich prüfen dürfen, ob die schädigungsbedingte MdE - entsprechend dem Vorbringen des Klägers - mit mehr als 30 v. H. zu bewerten ist und ob die Versorgungsverwaltung zu Unrecht das Ruhen der Versorgungsbezüge - jedenfalls in voller Höhe - angeordnet hat.

Die Auffassung des LSG, daß der Kläger im Sinne des § 7 Abs. 2 BVG einen "Anspruch auf Versorgung" gegen den polnischen Staat habe, erscheint im übrigen nicht bedenkenfrei.

Darauf haben der Beklagte und die Beigeladene zu Recht hingewiesen. Das LSG hat zwar festgestellt, daß der Kläger eine "polnische Militärversorgungsrente" bezieht; jedoch ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Unterlagen das LSG zu dieser Feststellung gekommen ist. Abgesehen davon, daß die Volksrepublik Polen nur das Prinzip der "einzigen Rente" kennt - also nicht das (deutsche) Nebeneinander von Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung -, bezieht der Kläger wegen seines "allgemeinen Gesundheitszustandes" eine (Alters-) Invalidenrente aus der Sozialversicherung, die allenfalls einen Zuschlag wegen der Kriegsbeschädigung enthält. Auf die Entscheidung dieser Frage kommt es jedoch im Hinblick auf die (teilweise) Bindungswirkung des Bescheides vom 12. Mai 1971 nicht an. Das LSG war insoweit gehindert, den (bereits bindend anerkannten) Anspruch des Klägers auf Versorgung unter Anwendung des § 7 Abs. 2 BVG zu verneinen.

Für die weitere Beurteilung ist daher davon auszugehen, daß sich der Versorgungsanspruch des Klägers nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 iVm § 64 ff BVG bestimmt. Der Kläger hat seinen Anspruch im Revisionsverfahren auf die Gewährung - und Auszahlung - einer Beschädigtenrente nach einer MdE um 40 v. H. für die Zeit ab 1. September 1972, also auf die Zeit nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen (am 14. September 1972) beschränkt (vgl. Schriftsatz vom 8. Dezember 1975). Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen beruht die Teilversorgung der in der Volksrepublik Polen wohnhaften versorgungsberechtigten Kriegsopfer nicht mehr auf § 64 Abs. 2, sondern auf § 64 Abs. 1 iVm § 64 e Abs. 1 Satz 1 BVG, der seinerseits auf § 64 Abs. 2 Satz 2 bis 4 BVG verweist. - Die Regelung ist hier eine andere als nach der Reichsversicherungsordnung - RVO - (vgl. Urteil BSG vom 30.9.1976 - 4 RJ 127/75 - ). Dem Beklagten und der Beigeladenen ist darin zuzustimmen, daß durch diese besondere Rechtsgrundlage die entsprechende Anwendung von anderen Vorschriften des BVG - hier insbesondere des § 65 BVG - nicht berührt wird. Der Beigeladenen ist weiterhin darin zuzustimmen, daß die Anwendung des § 65 BVG nicht auf deutsche "Doppelleistungen" beschränkt ist, sondern daß der Grundgedanke des Ausschlusses einer Doppelversorgung aus derselben Ursache auch auf das Verhältnis ausländischer zu deutschen Leistungen anzuwenden ist (vgl. auch Urteile BSG vom 1.6.1970 - 9 RV 188/69 - ; vom 25.11.1976 - 9 RV 188/75 - ).

Die Folgerung, die der Beklagte und die Beigeladene aus der entsprechenden Anwendung des § 65 BVG ziehen wollen, treffen jedoch nicht zu; insoweit werden Sinn und Tragweite dieser Vorschrift verkannt. Ihr kann keinesfalls der Grundgedanke entnommen werden, daß alle Leistungen, die auf derselben Ursache beruhen, zu einer Anrechnung auf die Versorgungsbezüge und damit zu einem Ruhen dieser Bezüge führen. Vielmehr beschränkt § 65 BVG die Anrechnung auf einige im Gesetz genau geregelte Tatbestände, nämlich auf die Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung und auf den Unterschiedsbetrag zwischen einer (Beamten-)Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen und aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Bei dieser Vorschrift handelt es sich also nicht um eine allgemeine Regelung des Versorgungsrechts, die ihrem Sinne nach auch auf andere, auch nicht annähernd vergleichbare Tatbestände übertragbar ist, sondern um eine Sondervorschrift eigener Art (vgl. BSGE 20, 161). Die Fälle, in denen eine Doppelversorgung nicht stattfinden darf, sind in § 65 BVG erschöpfend geregelt (vgl. BSGE 12, 175, 178). Im übrigen aber findet eine Anrechnung von Bezügen, auch wenn sie auf derselben Ursache beruhen, gerade nicht statt. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen.

1.

Wird ein Angehöriger der Sozialversicherung durch eine Kriegsbeschädigung berufs- oder erwerbsunfähig, so erhält er die entsprechende Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und daneben - ungekürzt - die Versorgungsbezüge, soweit es sich um einkommensunabhängige Leistungen handelt (Grundrente, Pflegezulage, Schwerstbeschädigtenzulage). Diese Regelung gilt selbst dann, wenn der Versicherte vor Eintritt des schädigenden Ereignisses die Wartezeit in der Sozialversicherung noch nicht erfüllt hatte (vgl. § 1252 RVO). Die Auffassung der Beigeladenen müßte - auf deutsche Verhältnisse übertragen - dazu führen, daß wegen Kriegsbeschädigung gewährte Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu einem Ruhen der Versorgungsbezüge führen. Eine solche Auffassung ist bisher ernsthaft nicht vertreten worden.

2.

Wird ein Beamter infolge einer Kriegsbeschädigung dienstunfähig, so erhält er seine Beamtenversorgung und daneben - ungekürzt - die Versorgungsbezüge aus der Kriegsopferversorgung (KOV). Ein Ruhen dieser Bezüge tritt nur für den Fall und in der Höhe ein, in der der Beamte über die allgemeine beamtenrechtliche Versorgung (Pension) hinaus Bezüge aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge erhält (vgl. § 30 ff des Beamtenversorgungsgesetzes vom 24.8.1976, BGBl I S. 2485). Diese Regelung wird durch § 65 Abs. 2 BVG verdeutlicht. Danach ruht der Anspruch auf Grundrente in Höhe der neben Dienstbezügen gewährten Leistungen aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge.

3.

Die Anrechnung der Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung kann nur im Zusammenhang mit § 54 BVG verstanden werden. Auch in diesen Fällen wird aber eine etwaige Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht angerechnet, sofern nicht der Sonderfall des § 1278 RVO (Zusammentreffen von Sozialversicherungsrente und Unfallrente) gegeben ist. Über eine Unfallschädigung des Klägers ist im vorliegenden Falle nichts bekannt.

Die Gesamtkonzeption des § 65 BVG beruht also darauf, daß die allgemeinen Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der Beamtenversorgung grundsätzlich nicht auf die Versorgungsbezüge angerechnet werden, auch wenn diese auf derselben Ursache beruhen. Eine Regelung, wie sie die Beigeladene anstrebt, kann auch nicht der dem BMA in § 64 e Abs. 1 BVG erteilten Ermächtigung zu Sonderregelungen über die Teil-Versorgung entnommen werden. Dabei kann dahinstehen, welcher Rechtscharakter den "Richtlinien-Ost" (idF vom 1. Januar 1971, Beilage zum BVBl 1971 Heft 7/8; vgl. dort Ziff. 23) zukommt (vgl. Urteil BSG vom 25.5.1971 - 10 RV 579/69); jedenfalls sind diese nicht geeignet, eine klare und eindeutige gesetzliche Regelung abzuändern (vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht, 10. Aufl. Bd. I, § 7 Abschn. 3 aE, S. 141). Nach § 64 e Abs. 1 BVG kann, sofern einer Versorgung in dem in § 64 Abs. 1 bezeichneten Umfang besondere Gründe entgegenstehen, mit Zustimmung des BMA Teil-Versorgung nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 Satz 2 bis 4 BVG gewährt werden. Bei dieser Verweisung ist zu beachten, daß die Vorschrift des § 64 Abs. 2 Satz 1 ("Der Anspruch auf Versorgung von Kriegsopfern ... ruht") ausdrücklich nicht genannt ist. Weiterhin fällt auf, daß sowohl in § 64 e Abs. 1 als auch in § 64 Abs. 2 BVG auf den "angemessenen Umfang" der Versorgung abgestellt wird. Daß dem BMA eingeräumte Ermessen, Art, Höhe und Dauer der Versorgung festzulegen, umfaßt daher nicht die Befugnis, das Ruhen von Versorgungsbezügen über die entsprechende Anwendung des § 65 BVG hinaus anzuordnen bzw. wieder einzuführen. Die Auffassung der Beigeladenen, daß der BMA in vergleichbaren Fällen die (deutschen) Versorgungsbezüge in voller Höhe und ohne Rücksicht auf die allgemeinen versorgungsrechtlichen Vorschriften des BVG zum Ruhen bringen könne, findet im Gesetz keine Stütze. Die entsprechende Anwendung des § 65 BVG führt vielmehr dazu, daß bei den ausländischen Leistungen - hier der "Ziw"-Rente des Klägers - unterschieden werden muß zwischen der (allgemeinen) Sozialversicherungsrente - bei der es auf die Ursache der Leistungsminderung nicht ankommt (vgl. oben Beispiel 1) - und einem etwaigen besonderen Zuschlag, der ausschließlich und allein wegen der Kriegsbeschädigung gewährt wird.

Diese Unterscheidung wird nicht deshalb entbehrlich, weil das polnische Recht eine eigentliche Beamtenversorgung (vgl. § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG) nicht kennt, sondern sämtliche Leistungen in das System der Sozialversicherung eingebettet sind. Das Prinzip der einzigen Rente und der Mischcharakter dieses Systems nötigen dazu, die entsprechende Anwendung des § 65 BVG auf vergleichbare Leistungen auszudehnen; jedoch darf das nur in dem durch § 65 Abs. 1 BVG gezogenen engen Rahmen geschehen. Das LSG wird also zu prüfen haben, ob der Kläger anspruchsberechtigt aus der polnischen Sozialversicherung ist und ob ihm Leistungen in gleicher Höhe gewährt würden, wenn seine Leistungsminderung nicht - zum Teil-auf einer Kriegsbeschädigung, sondern auf allgemeinen (Alters- oder Krankheits-) Gründen beruhen würde, oder ob ihm gerade im Hinblick auf die Kriegsbeschädigung ein besonderer Zuschlag gewährt wird. Darauf könnte der im Revisionsverfahren beigebrachte Bescheid vom 3. Juli 1975 hindeuten. Eine volle Anrechnung der dem Kläger gewährten polnischen Rente kommt nur dann in Betracht, wenn dem Kläger ohne seine Kriegsbeschädigung keinerlei Rente aus dem polnischen Sozialversicherungssystem zustehen würde. Ferner wird das LSG zu prüfen haben, welche Änderungen der Zahlbeträge sich inzwischen auf deutscher und polnischer Seite ergeben haben. Klärungsbedürftig ist u. U. auch die Frage, ob die schädigungsbedingte MdE des Klägers 30 oder 40 vH beträgt.

Der Senat kann über das Klagebegehren nicht abschließend entscheiden, weil noch Tatsachenermittlungen und -feststellungen erforderlich sind. Die Sache muß daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649188

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