Entscheidungsstichwort (Thema)

Dienst als Wehrmachthelferin als Ersatzzeit. Beamten-Ehefrau. Ersatzzeit. militärähnlicher Dienst. Wehrmachtshelferin. Versicherungspflicht. Versicherungsfreiheit. Vermutung bei Vorliegen eines Ersatzzeittatbestandes

 

Orientierungssatz

1. Der Dienst der Wehrmachthelferin im 2. Weltkrieg stellte ab August 1942 in aller Regel militärähnlichen Dienst iS von BVG § 3 Abs 1 Buchst e sowie von Buchst k dar.

2. Die für den Dienst der Wehrmachthelferinnen ab August 1942 erfolgte Begründung eines einem Arbeitsvertrag entsprechenden Beschäftigungsverhältnisses mit allgemeiner Versicherungspflicht schließt für die als Ehefrauen von versicherungsfreien Personen nach damaligem Recht versicherungsfreien Wehrmachthelferinnen die Anrechnung der Dienstzeit als Ersatzzeit nicht aus.

 

Normenkette

AVG § 28 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 28 Abs 2 S 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs 2 S 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 3 Abs 1 Buchst e; BVG § 3 Abs 1 Buchst k

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 05.02.1981; Aktenzeichen L 4 An 78/80)

SG Duisburg (Entscheidung vom 29.02.1980; Aktenzeichen S 13 An 5/77)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist - nur noch - streitig, ob der Klägerin die Zeit von August 1942 bis Juni 1944 als Ersatzzeit anzurechnen ist.

Die 1914 geborene Klägerin heiratete im Dezember 1940 einen beamteten Angehörigen der Berufsfeuerwehr. Von Juli 1940 bis Juni 1944 war sie im Kriegseinsatz als Wehrmachthelferin bei der Luftwaffe; zuvor war sie rentenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

Bei der Berechnung ihrer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte es ab, für den Luftwaffendienst Beitragsunterlagen wiederherzustellen, weil die Klägerin als Ehefrau eines Beamten seinerzeit versicherungsfrei gewesen sei (Bescheid vom 26. November 1976). Im Klageverfahren begehrte die Klägerin, die Zeit von Juli 1940 bis Juni 1944 als Beitragszeit, hilfsweise als Ersatzzeit zu berücksichtigen; letzterem gab das Sozialgericht (SG) unter Abweisung der Klage im übrigen statt.

Auf die nur von der Beklagten eingelegte und von ihr auf die Zeit ab August 1942 beschränkte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage insgesamt abgewiesen. Nach seiner Ansicht sind die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zwar erfüllt, da unbeschadet der staatlich verfügten Umwandlung des Einsatzes der Wehrmachthelferinnen in einen langfristigen Notdienst in der Form eines arbeitsvertragsähnlichen Beschäftigungsverhältnisses die Klägerin auch ab August 1942 militärähnlichen Dienst iS von § 3 Abs 2 Buchst e des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) geleistet habe. Gleichwohl sei die Zeit nicht als Ersatzzeit anzurechnen. Während nämlich bis Juli 1942 die Klägerin wegen der Dienstverpflichtung an einer Beitragsentrichtung gehindert gewesen sei, habe sie ab August in einer grundsätzlich rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden; ihre an sich gegebene Versicherungspflicht sei aufgrund von § 8 der Durchführungsverordnung (DVO) vom 13. September 1941 zur Kriegsmaßnahmen-VO nur deswegen entfallen, weil sie mit einem versorgungsberechtigten und darum nach § 1234 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF versicherungsfreien Beamten verheiratet gewesen sei. Dieser für die Verdrängung aus der Versicherungspflicht ursächliche Tatbestand begründe keine Ersatzzeit. Der rentenversicherungsrechtliche Nachteil könne auch mit einer fiktiven Nachversicherung in entsprechender Anwendung von § 99 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes vom 5. November 1957 nicht ausgeglichen werden.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält § 28 Abs 1 Nr 1 AVG für verletzt. Weder dort noch in § 27 AVG sei ein Hinweis auf das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Fehlen einer Beitragsleistung und dem Ersatzzeittatbestand zu finden. Nach BSGE 49, 236, 238 sei es vertretbar, die Merkmale des § 28 Abs 1 Nr 1 für eine Ersatzzeit genügen zu lassen, ohne aus dem Begriff ''Ersatzzeit'' eine Beschränkung auf die Fälle abzuleiten, in denen eine Beitragsentrichtung rechtlich möglich war; dem sei zu folgen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet; zu Unrecht hat das LSG die strittige Zeit nicht als Ersatzzeit angesehen.

Nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG werden als Ersatzzeiten ua Zeiten des militärähnlichen Dienstes iS des § 3 BVG, der während eines Krieges geleistet wurde, angerechnet. Von den dort in Absatz 1 unter den Buchstaben a bis o als militärähnliche Dienste qualifizierten Tatbeständen hat das LSG nur den in Buchst e angeführten "Dienst der Wehrmachthelferin" als gegeben angenommen. Dazu hat es festgestellt, die Klägerin sei ab Juli 1940 bei einem Luftgaukommando im Fernschreiben und Nachrichtenverschlüsseln ausgebildet und danach bei einer Luftwaffendienststelle auf einem Flughafen als Wehrmachthelferin (Fernschreiberin und Nachrichtenhelferin) eingesetzt worden; diesen Dienst habe sie bis Juni 1944 verrichtet. Hiernach kann auch der Senat davon ausgehen, daß der Tatbestand des § 3 Abs 1 Buchst e BVG erfüllt ist.

Darüber hinaus hat nach seiner Ansicht die Klägerin ab August 1942 aber auch militärähnlichen Dienst iS von Buchst k des § 3 Abs 1 BVG geleistet, den das LSG unerwähnt gelassen hat, denn nach dem festgestellten Sachverhalt ist die Annahme gerechtfertigt, daß sie a dieser Zeit aufgrund der Notdienst-VO vom 15. Oktober 1938 dienstverpflichtet war. Insofern nimmt er erkennende Senat auf die von ihm ebenfalls am 16. Dezember 1981 entschiedene (und zur Veröffentlichung bestimmte) gleichgelagerte Streitsache 11 RA 84/80 Bezug. Darin hat er zu diesem Punkt auf den Runderlaß des Reichsministers des Inneren vom 10. Juli 1942 (Mitt S 42; abgedruckt bei Koch/Hartmann, Das Angestelltenversicherungsgesetz, Teil III, Nr 234) hingewiesen. Danach galten die im Flugmeldedienst eingesetzten weiblichen Hilfskräfte (Luftnachrichten - Flugmeldehelferin; Helferin im Luftschutzwarndienst) mit Ablauf des 31. Juli 1942 vom bisherigen Notdienst anderer Prägung als entpflichtet und vom 1. August 1942 ab als aufgrund der Notdienst-VO verpflichtet.

Der Umstand, daß eine langfristige Weiterverpflichtung aufgrund der Notdienst-VO ab August 1942 kraft Gesetzes ein einem Arbeitsvertrag entsprechendes Beschäftigungsverhältnis begründete, auf das die allgemeinen Vorschriften der Sozialversicherung sinngemäße Anwendung fanden (§ 3 Notdienst-VO; § 3 Abs 1 der 2. DVO vom 10. Oktober 1939, BGBl I 2018), vermag entgegen dem LSG und der Beklagten nicht dazu zu führen, eine Ersatzzeit für die strittige Zeit zu verneinen. Eine dergestalt einschränkende Auslegung des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG in den Fällen der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses mit allgemeiner Versicherungspflicht ist nicht gerechtfertigt. Wie der Senat in der Sache 11 RA 84/80 bereits betont hat, bedarf es für den Regelfall der meist dann auch gegebenen konkreten Versicherungspflicht einer einschränkenden Auslegung schon deshalb nicht, weil § 28 Abs 2 S 1 AVG ausdrücklich bestimmt, daß die in Absatz 1 angeführten Zeiten als Ersatzzeiten nur angerechnet werden, wenn während der Ersatzzeit Versicherungspflicht nicht bestanden hat. Für eine einschränkende Auslegung des Abs 1 Nr 1 kämen daher nur die Fälle in Betracht, in denen in dem durch die Notdienst-VO begründeten Beschäftigungsverhältnis eine Versicherungsfreiheit bestand. Das traf auf die Klägerin zu: Nach § 8 Abs 1 der DVO vom 13. September 1941 zur Kriegsmaßnahmen-VO (RGBl I 568) waren Ehefrauen der nach den §§ 1234, 1237, 1242 RVO (§§ 11, 14, 17 AVG) damaliger Fassung versicherungsfreien Personen für die Dauer einer während des Krieges übernommenen Beschäftigung versicherungsfrei.

Dieser, wie das LSG ihn nennt, für die Verdrängung der Klägerin aus der Versicherungspflicht ursächliche Tatbestand steht der Berücksichtigung der streitigen Zeit als Ersatzzeit indessen nicht entgegen. Daß die Versicherungspflicht der Klägerin entfiel, weil sie mit einem nach § 1254 RVO aF versicherungsfreien Beamten verheiratet war, vermag nicht zu widerlegen, daß es letztlich der Ersatzzeittatbestand (des militärähnlichen Dienstes) gewesen ist, der zu einem Beitragsausfall führte; wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt ausgeführt hat (SozR Nrn 8, 44, 69 zu § 1251 RVO), wird ein solcher Zusammenhang bei Vorliegen eines Ersatzzeittatbestandes des § 28 Abs 1 und der Voraussetzungen des Absatz 2 vom Gesetzgeber nämlich unterstellt. Deshalb sind auch Ersatzzeiten anzurechnen, deren Kausalität für fehlende Beiträge höchst unwahrscheinlich ist. Die Rechtsprechung (vgl SozR Nrn 21 und 22 zu § 1251 RVO; BSGE 25, 284; 37, 121; SozR 2200 § 1251 Nrn 6, 34, 74, 80) hat aus dem Sinn und Zweck von Ersatzzeiten als Ausnahme nur abgeleitet, daß Zeiten, in denen auch ohne Rücksicht auf den Ersatzzeittatbestand die Entrichtung von Beiträgen aus rechtlichen Gründen schlechthin unmöglich war, keine Ersatzzeiten sein können, weil dann für die unterstellte Kausalität die Grundlage entfällt (SozR Nr 8 zu § 1251 RVO). Die Klägerin war jedoch während der in Rede stehenden Zeit nach damaligem Recht (§ 1243 RVO in der ab 1938 geltenden Fassung) zur Selbstversicherung berechtigt.

Nach § 28 Abs 2 Satz 1 AVG ist die Anrechnung nicht ausgeschlossen, da eine Versicherung vorher bestanden und während der Ersatzzeit Versicherungspflicht nicht bestanden hat. Mit "Versicherungspflicht" ist hier nur die konkrete Versicherungspflicht gemeint, der die Klägerin nicht unterlag. Wird eine Ersatzzeit iS des § 28 Abs 1 AVG aber erst bei gleichzeitig gegebener - konkreter - Versicherungspflicht nicht angerechnet, dann kann eine Versicherungsfreiheit bei nur an sich gegebener Versicherungspflicht der Anrechnung nicht entgegenstehen.

Auch im vorliegenden Fall weicht der erkennende Senat mit dem gefundenen Ergebnis nicht iS von § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 27. Januar 1972 (SozR Nr 58 zu § 1251 RVO) ab; von seiner Rechtsansicht aus (s. die hierauf bezüglichen Ausführungen in 11 RA 84/80) hätte der vom 4. Senat entschiedene Fall nicht anders entschieden werden müssen. Bei der Klägerin kann anders als dort indessen keine Analogie zu § 28 Abs 2 Satz 1 AVG in Betracht kommen. Bei ihr ist eine Versorgungslücke entstanden, deren Schließung durch Zubilligung einer Ersatzzeit mit dem Grundgedanken der Ersatzzeitenregelung noch vereinbar ist. Der Senat verkennt nicht, daß die Klägerin damit besser steht, als sie aufgrund eines sonstigen damaligen Beschäftigungsverhältnisses gestanden hätte; andererseits steht sie im Ergebnis jedoch gleich mit den übrigen Notdienstverpflichteten, die - wenn auch unter Abzug von Arbeitnehmeranteilen - infolge des Notdienstes Beitragszeiten erworben haben, die sie ohne diesen möglicherweise nicht erlangt hätten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659449

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