Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 08.02.1990) |
SG Mannheim (Urteil vom 24.08.1989) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Februar 1990 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 24. August 1989 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungs- und das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Berücksichtigung einer sowjetischen Militärdienstzeit als Beitragszeit nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bei der Berechnung des Altersruhegeldes des verstorbenen Ehemannes der Klägerin (Versicherter).
Der 1928 in Litauen geborene Versicherte arbeitete dort zunächst in der Landwirtschaft seiner Eltern. Vom 3. Mai 1950 bis 12. Oktober 1953 leistete er bei der sowjetischen Armee Wehrdienst in Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht. Ab 4. Dezember 1953 fuhr er als Matrose zur See. Seit Oktober 1959 lebte er im Bundesgebiet; er war Inhaber des Vertriebenenausweises A.
Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden stellte im Kontenklärungsverfahren mit Bescheid vom 27. November 1972 fest, die sowjetische Wehrdienstzeit könne nicht als Ersatzzeit iS des § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anerkannt werden.
Mit Bescheid vom 9. November 1988 gewährte die Beklagte dem Versicherten Altersruhegeld ab 1. November 1988. Dabei berücksichtigte sie die Wehrdienstzeit in der Sowjetarmee nicht. Zur Begründung führte sie an, es handele sich dabei nicht um eine Beitragszeit im Sinne des § 15 FRG, weil Wehrdienst in der UdSSR erst seit dem 1. Oktober 1956 einer Beitragszeit gleichstehe. Auf die von dem Versicherten erhobene Klage hat das Sozialgericht Mannheim (SG) die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die Zeit vom 3. Mai 1950 bis zum 12. Oktober 1953 als Beitragszeit zu berücksichtigen und dem Versicherten höheres Altersruhegeld zu gewähren (Urteil vom 24. August 1989).
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die Klage unter Aufhebung dieses Urteils abgewiesen. Das Berufungsurteil vom 8. Februar 1990 ist auf folgende Erwägungen gestützt: Voraussetzung für die Anerkennung einer Fremdrentenzeit als Beitragszeit iS des § 15 FRG sei deren Vergleichbarkeit mit einer bundesdeutschen Beitragszeit in den wesentlichen Kriterien, so daß eine Gleichstellung gerechtfertigt sei. Der Versicherte müsse im Herkunftsland insoweit eine Rechtsposition erlangt haben, die einer durch Beitragsentrichtung vermittelten Rechtsposition entspreche. Die Gleichstellung der beitragslosen Zeit mit einer echten Beitragszeit müsse sowohl nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung als auch dem während der streitigen Zeit geltenden Recht vorgesehen sein. Dies entspreche der vom Großen Senat (GrS) des Bundessozialgerichts (BSG) im Beschluß vom 25. November 1987 – GS 2/85 – (BSGE 62, 255ff = SozR 5050 § 15 Nr 35) vertretenen Auffassung, der sich der Senat anschließe. Zwar stünden innerhalb des sowjetischen Sozialversicherungssystems Arbeitszeiten und Militärdienstzeiten gleich, jedoch zähle der Dienst in den bewaffneten Streitkräften erst aufgrund der am 1. Oktober 1956 in Kraft getretenen Ausführungsverordnung Nr 1044 zum Staatsrentengesetz der UdSSR zur anrechnungsfähigen Arbeitszeitdauer. Daher habe im Zeitpunkt der Wehrdienstleistung noch kein zu entschädigender Tatbestand iS des § 15 FRG vorgelegen. Die Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 17. November 1987 – 4a RJ 41/86 –, die diese Zeitgleichheit nicht berücksichtige, und auf die das SG seine zusprechende Entscheidung gestützt habe, sei insoweit überholt.
Hiergegen hat die Klägerin nach dem Tode des Versicherten die vom erkennenden Senat zugelassenen Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 15 FRG. Für die Anrechnung sowjetischer Militärdienstzeiten als Beitragszeiten komme es nicht auf den Zeitpunkt der Inkraftsetzung der Vorschriften an, die eine Gleichstellung von Militärdienstzeiten mit Arbeitszeiten vorsähen. Entscheidend sei vielmehr, daß diese Gleichstellung bereits zu dem Zeitpunkt, als der Versicherte die UdSSR verlassen habe, erfolgt gewesen sei. Der Beschluß des GrS vom 25. November 1987 könne der Rechtsprechung des 4a Senats des BSG nicht entgegengehalten werden, weil dort eine andere Rechtsfrage entschieden worden sei und es sich bei den Ausführungen zur Anrechnung ausländischer Militärdienstzeiten um Nebenerwägungen handele.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 8. Februar 1990 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 24. August 1989 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat eine gutachtliche Stellungnahme des Instituts für Ostrecht M … eV (IfO) über die Fragen eingeholt, ob es in der ehemaligen UdSSR vor dem Staatsrentengesetz von 1956 ein System der sozialen Sicherheit iS des § 15 Abs 2 FRG gab, welche Personen davon erfaßt wurden und ob darin der militärische Dienst für den Rentenanspruch wie eine Versicherungszeit behandelt wurde. Das IfO hat ausgeführt, vor der Verabschiedung des Staatsrentengesetzes von 1956 sei das sowjetische Versicherungsrecht in Art 175ff des Arbeitsgesetzbuches geregelt gewesen. Nach den am 4. Juli 1928 zu Art 187 des Arbeitsgesetzbuches verabschiedeten „Vorschriften über die Versorgung im Wege der Sozialversicherung bei Invalidität und bei Verlust des Ernährers” hätten Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung alle mit Lohnarbeit beschäftigten Personen gehabt. Für Wehrdienstleistende habe dies nur dann gegolten, wenn sie vor und nach dem Wehrdienst bzw – ab 24. August 1944 – binnen drei Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst mit Lohnarbeit beschäftigt gewesen seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig. Als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes (§ 56 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil -≪SGB I≫) ist die Klägerin gemäß § 202 SGG iVm §§ 239, 250 der Zivilprozeßordnung (ZPO) in das Verfahren eingetreten.
Die Revision ist auch begründet. Der Versicherte hatte einen Anspruch gegen die Beklagte auf Anrechnung der Zeit seines Wehrdienstes in der sowjetischen Armee als Beitragszeit gemäß § 15 FRG bei der Berechnung seines Altersruhegeldes, der auf die Klägerin übergegangen ist.
Der Anspruch des Versicherten auf Altersruhegeld und dessen Berechnung richten sich noch nach den bis zum Inkrafttreten des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) geltenden Vorschriften, denn der Rentenantrag war bereits am 18. Mai 1988 – also bis zum 31. März 1992 -gestellt worden und bezog sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 SGB VI, vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Soweit dabei nach dem FRG Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind, bestimmt die durch Art 16 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261; Rentenreformgesetz ≪RRG≫ 1992) neu gefaßte Übergangsvorschrift des Art 6 § 4 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG), die am 1. Juli 1990 in Kraft getreten ist (Art 85 Abs 6 RRG 1992), welche Vorschriften des FRG jeweils mit welcher Maßgabe anzuwenden sind.
Bestand bereits vor dem 1. Juli 1990 ein Anspruch auf Zahlung einer Rente, so ist das FRG in seiner bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung weiter anzuwenden (Art 6 § 4 Abs 2 Satz 1 FANG idF des Art 16 Nr 1 RRG 1992). Diese Voraussetzungen lagen bei dem Versicherten vor; er hatte bereits 1959 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen und ab 1. November 1988 Anspruch auf Zahlung von Altersruhegeld.
Als anerkannter Vertriebener iS des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) gehörte der Versicherte gemäß § 1 Buchst a FRG aF zum berechtigten Personenkreis nach dem FRG. Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, stehen gemäß § 15 Abs 1 Satz 1 FRG aF den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich.
Unter gesetzlicher Rentenversicherung ist hier gemäß § 15 Abs 2 Satz 1 FRG aF jedes System der sozialen Sicherheit zu verstehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch die Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern. Diese Voraussetzungen erfüllte das sowjetische Rentenversicherungssystem auch bereits vor dem Inkrafttreten des Staatsrentengesetzes im Jahre 1956. Es war auf einer Pflichtzugehörigkeit für einen bestimmten Personenkreis mit einem als Sondervermögen verwalteten Beitragsaufkommen aufgebaut; die Höhe der bei Invalidität, im Alter und beim Tode gewährten Renten stand zu den Beiträgen in Beziehung (vgl BSGE 6, 263, 266 zum früheren Recht; BSG Urteil vom 17. November 1987 – 4a RJ 41/86 – ≪Amtl Mitt LVA Rheinprovinz 1989, 81≫). Die vom erkennenden Senat eingeholte Auskunft des IfO bestätigt dies.
Bei dem vom Versicherten von 1950 bis 1953 geleisteten Wehrdienst in der sowjetischen Armee handelt es sich auch um eine Beitragszeit gemäß § 15 Abs 1 Satz 1 FRG aF. Der Begriff der „Beitragszeit” iS dieser Vorschrift, die insoweit keine eigene Definition enthält, ist durch die Beschlüsse des GrS des BSG vom 4. Juni 1986 – GS 1/85 – (BSGE 60, 100ff = SozR 5050 § 15 Nr 32) und vom 25. November 1987 – GS 2/85 – (BSGE 62, 255ff = SozR 5050 § 15 Nr 35) näher bestimmt worden. Nach der Entscheidung vom 4. Juni 1986 (BSGE 60, 100, 105) ist von der Definition in § 1250 Abs 1 Buchst a RVO aF auszugehen. Danach sind Beitragszeiten sowohl Zeiten, für die Beiträge wirksam entrichtet sind (§ 1250 Abs 1 Buchst a Alternative 1 RVO aF – „echte Beitragszeiten”), als auch solche, für die Beiträge als entrichtet gelten (§ 1250 Abs 1 Buchst a Alternative 2 RVO aF – „Beitragszeiten ohne Beitragsleistung”). Der noch vom Entschädigungsgedanken geprägte § 15 Abs 1 Satz 1 FRG aF verlangt für die Anrechnungsfähigkeit einer außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nach nichtdeutschem Recht zurückgelegten Zeit als „Beitragszeit ohne Beitragsleistung” nicht, daß sie präzise den in § 1250 Abs 1 Buchst a RVO aF gestellten Anforderungen entspricht. Es muß vielmehr genügen, daß sie einer bundesdeutschen Beitragszeit iS dieser Vorschrift in den wesentlichen Kriterien so weit vergleichbar ist, daß eine Entschädigung im Wege der Gleichstellung mit ihr gerechtfertigt erscheint. „Entschädigt” werden kann der in die Bundesrepublik Deutschland zugewanderte Versicherte demnach nur, soweit durch die Zurücklegung der fremden Zeit beim Träger des Herkunftslands trotz fehlender Beitragsleistung eine Rechtsposition entstanden ist, die derjenigen entspricht, die dort durch Zeiten vermittelt wird, für die Beiträge entrichtet worden sind. Maßgebend ist daher zum einen, welchen Charakter das Rentenrecht des Herkunftslandes der streitigen beitragslosen Zeit beimißt; zum anderen kommt es darauf an, ob die Rechtsposition einer nach Bundesrecht zurückgelegten Zeit gleichgestellt werden kann. Der Entschädigung ist durch das der Gesamtregelung zugrundeliegende Prinzip der Eingliederung eine rechtliche Grenze dort gesetzt, wo die Anrechnung der fremden Zeit mit der Struktur des innerstaatlichen Rentenrechts schlechthin und offenkundig unvereinbar wäre (BSGE 60, 100, 107).
In seinem Beschluß vom 25. November 1987 (BSGE 62, 255ff) hat der GrS diese Grundsätze weiter konkretisiert und ergänzt: Nicht zu den (beitragslosen) Beitragszeiten gehören Zeiten, deren Anrechnung nach dem Recht des Herkunftslandes an bestimmte Voraussetzungen im Versicherungsverlauf geknüpft ist, wie zB Ausfall-und Ersatzzeiten sowie solche Beitragszeiten, die für die Rente geringer bewertet werden als echte Beitragszeiten (aaO S 260). Aber auch die Gleichstellung beitragsloser Zeiten mit echten Beitragszeiten im Herkunftsland führt dann nicht zur Anerkennung einer Beitragszeit iS des § 15 FRG, wenn der staatliche Gesetzgeber einen Versichertenstatus erst nachträglich gewährt hat. Zu entschädigen sei nur der Versicherungsschutz, der unmittelbar durch die ausgeübte Tätigkeit erarbeitet worden sei. Sowohl nach dem jeweils im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Recht, als auch nach dem Recht, das in der streitigen Zeit gegolten habe, müsse eine Gleichstellung der beitragslosen Zeit mit „echten Beitragszeiten” gesetzlich vorgesehen sein (aaO S 261).
Im Lichte der vom GrS hierzu zitierten früheren Entscheidungen des BSG (SozR 5050 § 15 Nrn 1 und 11; Urteil vom 27. September 1979 – 4 RJ 17/78), im Hinblick auf die vorangegangene Entscheidung des GrS vom 4. Juni 1986 (aaO) sowie die damit übereinstimmenden Entscheidungen des 5. Senats des BSG (BSGE 61, 267) und des 4. Senats (Urteil vom 17. November 1987 – 4a RJ 41/86 – Amtl Mitt LVA Rheinprovinz 1989, 81) und schließlich auch nach Sinn und Zweck des § 15 FRG aF ist dies so zu verstehen, daß lediglich Vertriebene, die zum Zeitpunkt der Zurücklegung der fraglichen Zeit nach dem Recht des Herkunftslandes schlechthin nicht in den Kreis der versicherten Personen einbezogen waren, auch für eine nachträglich durch den Gesetzgeber des Herkunftslandes gewährte beitragszeitähnliche Rechtsposition keine Entschädigung nach dem FRG erhalten sollen. War die Zeit dagegen bereits bei ihrer Zurücklegung unter bestimmten Voraussetzungen als Versicherungszeit anderer Qualifikation – etwa ähnlich einer Ausfall- oder Ersatzzeit – in den Rentenversicherungsschutz einbezogen, so reicht dies jedenfalls dann für die Begründung eines Entschädigungstatbestandes aus, wenn diese Zeit beim Verlassen des Herkunftslandes einer Beitragszeit ohne weitere Vorbedingungen oder Einschränkungen gleichgestellt war. Auch dann ist der Versicherungsschutz unmittelbar durch die ausgeübte Tätigkeit erworben worden und hat lediglich durch Änderung der Rechtsvorschriften eine andere Qualität bekommen.
Der GrS hatte in seinem Beschluß vom 4. Juni 1986 (BSGE 60, 100) darüber zu entscheiden, ob die Zeit des in der DDR abgeleisteten Grundwehrdienstes als Beitragszeit nach § 15 FRG anzusehen ist. Der Kläger hatte vom 1. November 1966 bis 30. April 1968 Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee geleistet und 1978 die DDR verlassen. Bei der Beurteilung, ob es sich um eine Beitragszeit handelt, ist der GrS von der DDR-Rentenverordnung vom 4. April 1974 ausgegangen (aaO S 108), die bei Verlassen der DDR galt, nicht jedoch von den gesetzlichen Grundlagen, die in der Zeit maßgeblich waren, als der Grundwehrdienst geleistet wurde.
Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Beschluß des GrS vom 4. Juni 1986 (aaO) haben der 5a Senat und der 4a Senat des BSG den § 15 FRG aF vor Verkündung der Entscheidung des GrS vom 25. November 1987 im oben dargelegten Sinne angewandt. Mit Urteil vom 8. April 1987 – 5a RKn 4/86 – (BSGE 61, 267ff = SozR 5050 § 15 Nr 33) hat der 5a Senat einem Vertriebenen einen Anspruch auf Vormerkung des von 1954 bis 1956 in der Tschechoslowakei geleisteten Wehrdienstes als Beitragszeit iS des § 15 FRG aF zugesprochen. Er ist dabei davon ausgegangen, daß diese Zeit nach dem während des Wehrdienstes geltenden tschechoslowakischen Rentenversicherungsrecht wie eine Ersatz- oder Ausfallzeit nach innerstaatlichem Recht behandelt und erst durch das nach Beendigung, aber vor Verlassen des Herkunftslandes (1967) in Kraft getretene tschechoslowakische Gesetz Nr 101 (vom 4. Juni 1964) einer Beitragszeit nach innerstaatlichem Recht gleichgestellt wurde.
Der 4a Senat hat mit Urteil vom 17. November 1987 – 4a RJ 41/86 – (Amtl Mitt LVA Rheinprovinz 1989, 81), auf das das SG seine zusprechende Entscheidung gestützt hat, einem Vertriebenen, der 1976 in die Bundesrepublik gekommen war, die Zeit des Militärdienstes in der Sowjetarmee von 1951 bis 1954 als Beitragszeit iS des § 15 FRG zuerkannt. Er ist dabei aufgrund der Regelung in § 108 der – erst nach Beendigung des Wehrdienstes in Kraft getretenen – Ausführungsverordnung Nr 1044 vom 4. August 1956 zum Staatsrentengesetz davon ausgegangen, daß innerhalb des sowjetischen Sozialversicherungssystems „Arbeitszeiten” und Militärdienstzeiten gleichstehen.
Folgt man dem reinen Wortlaut der späteren Entscheidung des GrS vom 25. November 1987 (BSGE 62, 255), so könnte zunächst der Eindruck entstehen, als sei von dieser Rechtsprechung abgewichen worden. Hiervon kann aber nicht ausgegangen werden. Der GrS hat nämlich keine Notwendigkeit gesehen, sich mit der vorangegangenen Entscheidung des GrS und den folgenden Urteilen des 5a Senats und des 4a Senats auseinanderzusetzen, was erforderlich gewesen wäre, wenn er darin eine Divergenz zu der von ihm vertretenen Auffassung gesehen hätte. Dies gilt um so mehr, als der hier angesprochene Teil der Gründe des Beschlusses für die getroffene Entscheidung nicht unmittelbar tragend war, so daß es schon von daher fernliegend ist anzunehmen, der GrS habe hier beiläufig ohne nähere Auseinandersetzung eine tiefgreifende Änderung der Rechtsprechung einleiten wollen. Daß dies nicht der Fall ist, macht er selbst dadurch deutlich, daß er lediglich auf die ältere Rechtsprechung Bezug nimmt, die allein Fälle betraf, in denen der Vertriebene zur Zeit der Ausübung der Tätigkeit im Vertreibungsgebiet überhaupt nicht in ein Versicherungssystem einbezogen war, nicht einmal im Sinne einer Ausfallzeit oder Ersatzzeit.
Im Urteil des BSG vom 25. Juni 1975 – 4 RJ 237/74 – (SozR 5050 § 15 Nr 1) wird die Anrechnung von Zeiten (1946 bis 1965), in denen ein Uhrmacher in Oberschlesien sein Handwerk selbständig ausgeübt hatte, als Beitragszeiten nach § 15 FRG abgelehnt. Nach den Vorschriften des polnischen Sozialversicherungsrechts gehörte er während dieser Zeit in keiner Weise einem System der sozialen Sicherheit iS des § 15 Abs 2 FRG aF an; die Zeit der selbständigen Erwerbstätigkeit wurde erst nachträglich durch ein 1965 in Kraft getretenes Gesetz auf die für Ansprüche auf Renten aus der (damit eingeführten) Pflichtversicherung für Handwerker erforderliche Gesamtversicherungsdauer angerechnet. Während der fraglichen Zeit hatte er also keinen irgendwie gearteten Versichertenstatus, so daß eine Entschädigung hierfür nicht in Betracht kam.
Das Urteil vom 15. März 1979 – 11 RA 46/78 – (SozR 5050 § 15 Nr 11) betrifft die Anrechnung einer Zeit als Beschäftigungs- oder Beitragszeit nach dem FRG, die eine Vertriebene in Ungarn als Angehörige einer Schwesternkongregation von 1926 bis 1948 zurückgelegt hatte. Das BSG ist hier aufgrund der Feststellungen des LSG davon ausgegangen, daß Beitragszeiten nicht vorliegen. Durch die Behandlung dieser Zeit bei der Feststellung der in Ungarn gewährten Rente wie eine Beitragszeit oder zumindest die Gleichstellung mit einer Beitragszeit hätten diese Zeiten nachträglich allenfalls den Charakter von Ersatzzeiten, nicht jedoch von Beitragszeiten der Rentenversicherung erhalten. Ob die Vertriebene hier bereits während der Zurücklegung der streitigen Zeiten durch einen irgendwie gearteten Versichertenstatus in ein auf Beitragsleistung aufgebautes Rentenversicherungssystem einbezogen war, die Zeit also bereits damals ähnlich einer Ausfall- oder Ersatzzeit angerechnet worden wäre, ist den Ausführungen nicht zu entnehmen.
Das Urteil vom 27. September 1979 – 4 RJ 17/78 – (Mitt LVA Oberfr 1980, 166) schließlich befaßt sich mit der Anrechnung einer von einem heimatlosen Ausländer von 1932 bis 1941 in seinem Herkunftsland Jugoslawien zurückgelegten Zeit als technischer Beamter. Diese Tätigkeit war damals versicherungsfrei und wurde – wenn überhaupt – frühestens durch Gesetz vom 26. Juli 1946 einer Versicherungszeit gleichgestellt; zu diesem Zeitpunkt hielt sich der Kläger bereits ständig im Gebiet der Bundesrepublik auf. Das BSG hat dieser Zeit die Eigenschaft als Beitragszeit iS des § 15 FRG aF nicht zuerkannt, weil der Versicherte nicht spätestens mit dem Ende dieser Zeit (ex tunc) in ein auf Beitragsleistung beruhendes Sicherungssystem einbezogen war. Auch hier bestand vor der nachträglichen Gleichstellung dieser Zeit mit einer Beitragszeit keinerlei Versichertenstatus.
Auch in der Folgezeit sind keine Entscheidungen des BSG ergangen, die auf dem Rechtssatz beruhen, daß bereits bei Ausübung der Tätigkeit über die Einbeziehung in das Versicherungssystem hinaus eine Beitragszeit gesichert gewesen sein muß. Allerdings haben im Anschluß an diesen Beschluß des GrS der 1. und der 8. Senat des BSG die Formel, sowohl nach dem jeweils im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Recht, als auch nach dem Recht, das in der streitigen Zeit gegolten habe, müsse eine Gleichstellung der beitragslosen Zeit mit „echten Beitragszeiten” gesetzlich vorgesehen sein, übernommen und ohne weitere Begründung in dem Sinn angewandt, wie sie das LSG verstanden hat.
Der 1. Senat hat in seinen Urteilen vom 8. Dezember 1988 – 1 RA 11/88 – (SozR 5050 § 15 Nr 37), 8. November 1989 – 1 RA 113/88 – (SozR 5050 § 15 Nr 39) und – 1 RA 115/88 – (SozR 5050 § 15 Nr 40) zwar durchweg die Ansicht vertreten, wenn die fremde Zeit nicht bereits während ihrer Zurücklegung – spätestens aber mit ihrem Ende (ex tunc) – nach dem Recht des Herkunftslandes einer Beitragszeit nach innerstaatlichem Recht gleichgestellt sei, könne sie nicht als (beitragslose) Beitragszeit nach § 15 FRG anerkannt werden. Dabei hat er es erkennbar nicht ausreichen lassen, daß der Versicherte während der Zurücklegung der Zeit in das allgemeine Rentenversicherungssystem aufgrund eines Versichertenstatus, der nicht so abgesichert war wie eine durch Beitragsentrichtung vermittelte Rechtsposition, einbezogen war und diese Zeit erst beim Verlassen des Herkunftslandes einer Beitragszeit gleichgestellt war. Jedoch war diese Abweichung von den vom GrS herausgearbeiteten Grundsätzen, die oben dargelegt worden sind, in keinem der entschiedenen Fälle entscheidungserheblich.
Im Urteil vom 8. Dezember 1988 (aaO) wird der von einem Berufssoldaten in Polen von 1945 bis 1955 zurückgelegte Militärdienst, der erst 1954 durch Dekret einer „Beschäftigungszeit” (Beitragszeiten gibt es dort nicht) im allgemeinen polnischen Rentenversicherungssystem gleichgestellt worden war, als Beitragszeit anerkannt, weil die Gleichstellung dieser bis dahin nicht in das allgemeine Rentenversicherungssystem einbezogenen Zeit mit einer Beitragszeit jedenfalls mit ihrem Ende ex tunc erfolgt war. Das Urteil vom 8. November 1989 – 1 RA 113/88 -(aaO) betrifft die Nichtanerkennung einer von 1951 bis 1953 in der Tschechoslowakei zurückgelegten Wehrdienstzeit, die weder zur Zeit der Zurücklegung noch zur Zeit der Entscheidung einer Beitragszeit gleichgestellt war. Im Urteil vom 8. November 1989 – 1 RA 115/88 – (aaO) hat der 1. Senat die Anrechnung einer von 1966 bis 1967 in Rumänien zurückgelegten Wehrdienstzeit daran scheitern lassen, daß jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung eine Gleichstellung mit einer Beitragszeit im rumänischen Rentenversicherungsrecht nicht gegeben war. Einer Divergenzvorlage gemäß § 41 Abs 2 SGG bedarf es daher nicht, zumal der 1. Senat nicht mehr für Rechtsstreitigkeiten aus dem Gebiet der Rentenversicherung zuständig ist.
Der 8. Senat hat in seinem Urteil vom 30. Oktober 1990 – 8 RKn 10/89 – als Voraussetzung für die Anerkennung eines von 1951 bis 1953 in der Tschechoslowakei abgeleisteten Wehrdienstes als Beitragszeit nach § 15 FRG genannt, diese Zeit müsse sowohl im Zeitpunkt der Entscheidung durch den deutschen Versicherungsträger als auch zur Zeit der Zurücklegung in ihrer Wertigkeit oder Qualität den echten Beitragszeiten iS des § 1250 RVO gleichwertig sein. Er hat diese Voraussetzungen aber deshalb nicht als gegeben angesehen, weil der Militärdienst nach tschechoslowakischem Recht weder zur Zeit der Zurücklegung noch zum Zeitpunkt der Entscheidung einer Beitragszeit nach innerstaatlichem Recht gleichstand. Mangels Abweichung von tragenden Gründen dieser Entscheidung ist daher auch hier eine Divergenzvorlage nicht erforderlich.
Nach den dargelegten Grundsätzen des GrS, denen sich der erkennende Senat anschließt, ist die Zeit des Wehrdienstes des Versicherten in der sowjetischen Armee eine „beitragslose Beitragszeit” iS des § 15 FRG aF.
Entgegen den Ausführungen des LSG wurde der Wehrdienst nicht erst seit dem 1. Oktober 1956, sondern auch schon zu der Zeit, als der Kläger ihn ableistete (1950 bis 1953), in der allgemeinen Invalidenversicherung auf die Beschäftigungsdauer angerechnet. Zwar besteht grundsätzlich gemäß §§ 162, 163 SGG, § 202 SGG iVm § 562 ZPO eine Bindung des erkennenden Senats an die Feststellungen des LSG zum sowjetischen Recht, weil ausländisches Recht irrevisibel ist (vgl BSGE 44, 221, 222; BSG SozR 5050 § 15 Nrn 37, 38). Das Revisionsgericht kann aber dann selbst Feststellungen zu ausländischem Recht treffen, wenn das Tatsachengericht an sich irrevisible (ausländische) Vorschriften überhaupt nicht erörtert hat, etwa weil es eine ihm unbekannte Rechtsnorm übersehen und infolgedessen in seiner Entscheidung nicht gewürdigt hat (vgl BSGE 7, 122, 125; 60, 100, 108 = SozR 5050 § 15 Nr 32 mwN; BSG SozR 3-5050 § 15 Nr 4 mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.
Das LSG hat festgestellt, zwar stünden innerhalb des sowjetischen Sozialversicherungssystems Arbeitszeiten und Militärdienstzeiten gleich, jedoch zähle der Dienst in den bewaffneten Streitkräften erst aufgrund der §§ 108, 109 der am 1. Oktober 1956 in Kraft getretenen Ausführungsverordnung Nr 1044 zum Staatsrentengesetz der UdSSR zur anrechnungsfähigen Arbeitszeitdauer. Zur Zeit des Wehrdienstes des Versicherten habe noch nicht dieses Recht, sondern eine spezielle Staatsversorgung für Militärpersonen gegolten. Dabei hat es die in der vom erkennenden Senat eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des IfO genannte Regelung in Art 175ff des sowjetischen Arbeitsgesetzbuchs und die am 4. Juli 1928 zu Art 187 des sowjetischen Arbeitsgesetzbuchs verabschiedeten „Vorschriften über die Versorgung im Wege der Sozialversicherung bei Invalidität und bei Verlust des Ernährers”, insbesondere deren Ziff 17 nicht beachtet. Danach galt die Invalidenversicherung auch für den Dienst im Heer. Voraussetzung war zunächst, daß der Wehrdienstleistende sowohl vor als auch nach dem Wehrdienst mit Lohnarbeit beschäftigt war. Ab 24. August 1944 wurde der Dienst in der Roten Armee bereits in die Beschäftigungsdauer eingerechnet, wenn kein Beschäftigungsverhältnis vorausgegangen war, sondern es reichte aus, daß binnen drei Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst ein solches Verhältnis begründet wurde. Der Kläger hat nach den bindenden Feststellungen des LSG nach diesem Zeitpunkt bis zum 12. Oktober 1953 in der Roten Armee gedient und ist binnen drei Monaten danach (4. Dezember 1953) als Matrose zur See gefahren. Damit lagen die Voraussetzungen für die Anrechnung der Wehrdienstzeit auf die Beschäftigungsdauer in der allgemeinen Invalidenversicherung nach dem damaligem sowjetischen Rentenversicherungsrecht vor.
Zwar war der Kläger zur Zeit der Ableistung des Wehrdienstes nicht rechtlich wie durch eine Beitragszeit abgesichert. Da die Anrechnung dieser Zeit auf die Beschäftigungsdauer nur bei Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses binnen drei Monaten nach Beendigung des Wehrdienstes erfolgte, war sie an bestimmte Voraussetzungen im Versicherungsverlauf geknüpft und damit nicht einer echten Beitragszeit gleichwertig. Der Wehrdienst stand daher nicht einer bundesdeutschen Beitragszeit ohne Beitragsleistung iS von § 1250 Abs 1 Buchst a RVO aF, sondern eher einer sonstigen „Zeit ohne Beitragsleistung” iS von § 1250 Abs 1 Buchst b RVO aF, also einer Ersatzzeit gleich. Das aber reichte aus, um einen Versichertenstatus zu verschaffen.
Arbeitszeiten und Militärdienstzeiten standen nach den Feststellungen des LSG dann aber aufgrund der §§ 108, 109 der am 1. Oktober 1956 in Kraft getretenen Ausführungsverordnung Nr. 1044 zum Staatsrentengesetz der UdSSR gleich. Die nachträgliche Gleichstellung dieser Zeit mit einer Beitragszeit durch den sowjetischen Gesetzgeber verschaffte dem Versicherten vor dem Verlassen seines Herkunftslandes im Jahre 1959 eine Rechtsposition, die einer Beitragszeit nach innerstaatlichem Recht gleichstand. Der Versicherte hatte diesen Versicherungsschutz auch unmittelbar durch die ausgeübte Tätigkeit erworben, denn bereits bei Zurücklegung der streitigen Zeit war ihm hierdurch ein Versichertenstatus eingeräumt worden.
Die Anrechnung der sowjetischen Wehrdienstzeit als Beitragszeit ist mit den Grundzügen des innerstaatlichen Rechts der Bundesrepublik vereinbar. Zwar gab es in den Jahren 1951 bis 1953, als der Versicherte seinen Wehrdienst leistete, in der Bundesrepublik Deutschland noch keine in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversicherten Wehrpflichtigen, weil deren Versicherungspflicht nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 6 RVO aF erst mit Wirkung vom 1. Januar 1957 in die Rentenversicherung der Bundesrepublik eingeführt wurde. Erforderlich ist aber nur die prinzipielle Vereinbarkeit mit dem innerstaatlichen Rentensystem, nicht eine Übereinstimmung in zeitlicher Hinsicht (vgl BSGE 61, 267, 270 = SozR 5050 § 15 Nr 33). Wie die Ausgestaltung des Wehrdienstes in der Bundesrepublik als Beitragszeit zeigt, ist diese Betätigungsform aber generell rentenversicherungsrechtlich geschützt.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1173129 |
BSGE, 1 |