Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachlicher Anwendungsbereich des FRG auf Beitragszeiten in Ostoberschlesien
Leitsatz (amtlich)
Eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs von Bestimmungen des Fremdrentengesetzes auf Beitragszeiten, die unter der Geltung von Reichsversicherungsrecht in Ostoberschlesien zurückgelegt wurden, ist weder einfachgesetzlich möglich noch verfassungsrechtlich geboten.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
VuVO § 11 Abs. 2; FRG §§ 15, 17 Abs. 1 Buchst. b; GG Art. 19 Abs. 4; FANG Art. 2 Nr. 1, Art. 3 Nr. 1; WGSVG § 21 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Juli 1996 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, für die Zeit vom 1. September 1940 bis zum 28. Februar 1942 eine Versicherungsunterlage nach § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) über den Tatbestand einer glaubhaft gemachten gleichgestellten Beitragszeit nach § 17 Abs 1 Buchst b iVm § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 92) zu erstellen.
Die am 4. Februar 1926 in K …, Kreis Z … /P … (O …) geborene Klägerin besuchte dort bis zum September 1939 die Volksschule und war von September 1940 bis September 1941 bei der Gemeindeverwaltung in K … als Arbeiterin sowie von Oktober 1941 bis Februar 1942 in einer Brauerei in K … als Bürogehilfin beschäftigt. 1948 wanderte sie nach Palästina aus. Sie besitzt die israelische Staatsangehörigkeit und ist als rassisch Verfolgte iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt.
Am 29. März 1990 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung von Beitragszeiten nach dem FRG, die Nachentrichtung von Beiträgen nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) sowie die Zulassung zur freiwilligen Versicherung und die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (RV).
Mit Bescheid vom 8. Februar 1991 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Zeit vom 1. September 1940 bis 28. Februar 1942 als Beitrags- oder Beschäftigungszeit nach den Vorschriften des FRG ab, weil diese Zeit weder nachgewiesen noch ausreichend glaubhaft gemacht sei. Mit weiterem Bescheid vom 11. Februar 1991 lehnte die Beklagte den Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach § 21 Abs 1 Satz 1 und 3 WGSVG idF des RRG 92 ab, da keine bzw keine erstmalige Anerkennung von FRG-Zeiten aufgrund des § 17 Abs 1 Buchst b FRG (RRG 92) vorliege. Auch die Voraussetzungen für eine Nachentrichtung nach § 22 WGSVG und § 10 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) seien nicht erfüllt. Gegen diese Bescheide erhob die Klägerin am 25. Februar 1991 Widerspruch. Die Beklagte wies den Widerspruch bezüglich des Bescheides vom 8. Februar 1991 mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1992 zurück.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) die Beklagte mit Urteil vom 10. Februar 1995 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 8. Februar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1992 verurteilt, eine Versicherungsunterlage nach § 11 Abs 1 VuVO für die Zeit vom 1. September 1940 bis 28. Februar 1942 als glaubhaft gemachte (reichsgesetzliche) Beitragszeit herzustellen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, es sei statt dessen eine Versicherungsunterlage nach § 11 Abs 2 VuVO über eine glaubhaft gemachte (gleichgestellte) Beitragszeit nach §§ 15, 17 Abs 1 Buchst b FRG herzustellen.
Das Landessozialgericht Berlin (LSG) hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 25. Juli 1996 zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 17 Abs 1 Buchst b FRG seien nicht erfüllt. Nach der Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den der Provinz Schlesien eingegliederten, ehemals polnischen Gebieten (Schlesien-VO) vom 16. Januar 1940 (RGBl 1940 I, 196) und der sie ersetzenden Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten (Ostgebiete-VO) vom 22. Dezember 1941 (RGBl 1941 I, 777) hätten in Ostoberschlesien ab 1. Januar 1940 die reichsrechtlichen Vorschriften über die Sozialversicherung Anwendung gefunden. Die polnischen Versicherungsträger seien mit Wirkung zum 31. Dezember 1939 aufgelöst worden. Ab diesem Zeitpunkt komme die vom SG festgestellte Beitragsentrichtung nur zur deutschen RV in Betracht.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung der §§ 27 AVG, 15, 17 Abs 1 Buchst b FRG, des deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommens und des Art 3 Grundgesetz (GG). Die Ergänzung des § 17 Abs 1 Buchst b FRG durch den mit dem RRG 92 eingefügten Halbsatz 2 solle die durch den Ausschluß der Schutzangehörigen und Staatenlosen polnischen Volkstums aus der gesetzlichen RV verbundene Benachteiligung dieses Personenkreises beseitigen. § 17 Abs 1 Buchst b FRG (RRG 92) erfasse daher auch die nach dem 1. Januar 1940 in Ostoberschlesien entrichteten RV-Beiträge. Diese könnten schon deshalb nicht als nach Reichsversicherungsrecht entrichtete Beiträge angesehen werden, weil die Eingliederung Ostoberschlesiens in das damalige Deutsche Reich und die damit verbundenen Rechtssetzungsakte völkerrechtswidrig gewesen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Juli 1996 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 1995 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die ab 1. September 1940 bis zum 28. Februar 1942 glaubhaft gemachte Beitragszeit, die gemäß § 11 Abs 1 VuVO als deutsche Beitragszeit anerkannt wurde, als Fremdbeitragszeit nach §§ 15, 17 FRG idF des RRG 92 anzuerkennen und hierüber eine Versicherungsunterlage nach § 11 Abs 2 VuVO herzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die aufgrund der Zulassung durch das LSG statthafte Revision der Klägerin erweist sich auch im übrigen als zulässig, sachlich jedoch in vollem Umfang unbegründet.
I) Ausschlaggebend hierfür ist allerdings nicht bereits der Umstand, daß dem Klagebegehren schon durch den Tenor des sozialgerichtlichen Urteils Rechnung getragen wurde und es demgemäß mit der Folge der Verwerfung dieses Rechtsmittels an der erforderlichen Beschwer für die Berufung gefehlt hätte (vgl zur entsprechenden Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts BSGE 2, 225 ff). Im Sinne einer verfassungsrechtlich durch Art 19 Abs 4 GG gebotenen umfassenden Rechtsschutzgewährung geht der Senat vielmehr davon aus, daß eine für die zulässige Berufungseinlegung ausreichende Benachteiligung durch die erstinstanzliche Entscheidung auch dann vorliegt, wenn diese den geltend gemachten Anspruch in den Gründen aus einer Rechtsvorschrift ableitet, die sich für die weitere Rechtsverfolgung der betroffenen Partei als voraussichtlich „schwächer” erweist (vgl Thomas/Putzo, Komm zur Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫, RdNr 26 vor § 511 ZPO; Baumbach/Lauterbach, Komm zur ZPO, RdNr 15 „Grundzüge” vor § 511 ZPO; OLG Frankfurt in MDR 1987, 62 f = NJW RR 1987, 191). Eine derartige Möglichkeit ergibt sich für den vorliegenden Sachverhalt insbesondere aus der an die Anerkennung von Beitragszeiten nach dem FRG (RRG 92) geknüpften Befugnis zur (hier nicht streitigen und unverändert im Widerspruchsverfahren bei der Beklagten anhängigen) Beitragsentrichtung nach §§ 21, 22 WGSVG.
II) Die Klägerin hat jedoch der Sache nach keinen Anspruch auf die begehrte Herstellung einer Versicherungsunterlage gemäß § 11 Abs 2 VuVO, der hier trotz Aufhebung der VuVO zum 1. Januar 1992 (Art 41 Nr 1, 42 Abs 1 des Renten-Überleitungsgesetzes ≪RÜG≫ vom 25. Juli 1991 ≪BGBl I S 1605≫) und ihrer Ersetzung durch § 286a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) grundsätzlich noch anzuwenden ist (§ 300 Abs 2 SGB VI). Die Vorschrift eröffnet nämlich die Möglichkeit, Tatbestandsmerkmale auf Antrag des Versicherten ausnahmsweise im voraus verbindlich (vgl BSGE 32, 110, 112 = SozR Nr 1 zu § 11 VuVO; BSG in SozR 5745 § 11 Nr 2) und außerhalb des Verfahrens über die Leistungsfestsetzung feststellen zu lassen, nur insoweit, als nach dem FRG anrechenbare Zeiten betroffen sind. Demgegenüber richtete sich die – nach den bindenden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) Feststellungen des LSG glaubhafte – Beitragsentrichtung der Klägerin in den Zeiten ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung vom 1. September 1940 bis zum 28. Februar 1942 nach früheren reichsrechtlichen Vorschriften, so daß der sachliche Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht eröffnet ist. Zutreffend haben demgemäß die Vorinstanzen das in § 11 Abs 1 VuVO geregelte Verfahren über die Wiederherstellung von Versicherungsunterlagen in der allgemeinen RV für einschlägig erachtet und die Beklagte zur Erteilung eines entsprechenden Bescheides verurteilt (zu dessen Bindungswirkung vgl BSGE 32, aaO, sowie Urteil des Senats vom 29. April 1997, 4 RA 25/96, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies ergibt sich im einzelnen aus folgendem:
1. In der Bundesrepublik waren nach Reichsrecht zurückgelegte Beitragszeiten grundsätzlich bereits durch das allgemeine Rentenrecht ohne weiteres den nach Bundesrecht zurückgelegten gleichgestellt. Sondervorschriften galten lediglich bis zum 31. Dezember 1959 nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 7. August 1953 (BGBl S 848) ua hinsichtlich derjenigen Personen, die – wie die Klägerin – jeweils aufgrund reichsrechtlicher Vorschriften bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schlesien mit Sitz in Breslau und der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) als nicht mehr bestehenden bzw stillgelegten Trägern der gesetzlichen RV versichert waren (vgl hierzu BT-Drucks III/1109, S 37, 46); für diese erfolgte die erforderliche Neubegründung von Anwartschaften bei bundesdeutschen Versicherungsträgern, die grundsätzlich nur ihren eigenen Versicherten zur Leistung verpflichtet sind (BSGE 9, 67, 72) und sich anderweitig entrichtete Beiträge weder originär noch etwa aufgrund einer generellen „Gesamtrechtsnachfolge” zurechnen lassen müssen (vgl zum Verhältnis RfA/BfA BSGE 4, 91 ff, 93, 95 = SozR Nr 1 zu § 1 FAG), ausgehend von der dem FAG noch zugrundeliegenden „institutionellen Betrachtungsweise” rechtssystematisch zutreffend zunächst im Rahmen des Fremdrentenrechts (§ 1 Abs 2 Nr 1 Satz 1 FAG). Demgegenüber hat das FRG idF von Art 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts und zur Anpassung der Berliner Rentenversicherung an die Vorschriften des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes und des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) im Hinblick auf die hiermit beabsichtigte Änderung der grundsätzlichen Zielsetzung und des systematischen Aufbaus des Fremdrentenrechts (BT-Drucks III/1109, S 35) ua eine Neubestimmung des hiervon begünstigten Personenkreises vorgenommen. Dem Unverständnis, dem die bisherige Behandlung als „Fremdrentner” bei den Betroffenen begegnet war (BT-Drucks III/1109, S 39), wurde dabei durch das Außerkrafttreten des FAG für den Bereich der gesetzlichen RV zum 1. Januar 1959 (Art 7 § 3 FANG) und die – zur Klarstellung ausdrückliche (BT-Drucks III/1109, S 47) – Gleichstellung aller nach Reichsrecht zurückgelegten Beitragszeiten im Rahmen der allgemeinen Vorschriften der §§ 1250 Abs 1 Buchst a Reichsversicherungsordnung (RVO), 27 Abs 1 Buchst a AVG durch Art 2 Nr 1, 3 Nr 1 FANG Rechnung getragen. Sie sind seither schon dem Grunde nach nicht mehr Gegenstand von Vorschriften des – nunmehr auf Beitragszeiten bei einem nichtdeutschen Träger der Sozialversicherung beschränkten – Fremdrentenrechts.
Bereits durch Gleichstellungsregelungen des allgemeinen Rentenversicherungsrechts begünstigte Versicherte bedürfen der Anwendung fremdrentenrechtlicher Regelungen zudem ersichtlich auch nicht hinsichtlich des Umfangs von Ansprüchen und Anwartschaften. Werden beitragspflichtige Arbeitsentgelte, die ohnehin unter denjenigen sozialen und ökonomischen Gegebenheiten erzielt wurden, auf die sich das System der gesetzlichen RV originär gründet (vgl BT-Drucks III/1109, S 35), nach den leistungsrechtlichen Bestimmungen desselben Systems auch für die Wertbestimmung herangezogen, ist mangels eines auszugleichenden Schadens Raum weder für die vom FAG vorgesehene Kompensation erlittener Verluste noch eine – mit dem FRG schwerpunktmäßig (vgl BSGE 60, 100, 106) erstrebte – Gleichstellung mit bundesdeutschen Versicherten.
2. Die glaubhaft gemachten Beitragszeiten der Klägerin sind – wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist – iS der §§ 1250 Abs 1 Buchst a RVO, 27 Abs 1 Buchst a AVG (jeweils idF des FANG) nach früheren Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze zurückgelegte Beitragszeiten, auf die das FRG nach den vorstehenden Ausführungen keine Anwendung findet. Dies beurteilt sich nach dem damals in Ostoberschlesien geltenden Recht:
a) Nach dem Ersten Weltkrieg hatte eine vom Völkerbundsrat eingesetzte Botschafterkonferenz am 20. Oktober 1921 die Abtretung ua einer Fläche von 3.213 qkm ostoberschlesischen Gebiets an Polen beschlossen; der Umsetzung dieser Entscheidung im einzelnen diente das deutsch-polnische Abkommen über Oberschlesien vom 15. Mai 1922 (RGBl II, 237). Ua diese Gebiete wurden nach dem deutsch-polnischen Krieg 1939 wieder der Provinz Schlesien zugeordnet. Mit den Regierungsbezirken Oppeln und Kattowitz (gebildet mit § 4 des Erlasses vom 8. Oktober 1939, RGBl I, 2042) wurde Oberschlesien daraufhin abermals eigenständige Provinz (vgl zur historischen Entwicklung exemplarisch Staatslexikon Recht-Wirtschaft-Gesellschaft, herausgegeben von der Görres-Gesellschaft, Fünfter Band, Stichwort: „Oberschlesien” und Sechster Band, Stichwort: „Schlesien” sowie Ernst Birke, Schlesien, in: Die Deutschen Ostgebiete zur Zeit der Weimarer Republik, Köln/Graz 1966, S 150, 176 ff). In den ihr zugeordneten ehemals polnischen Gebieten galten vom 1. Januar 1940 an zunächst aufgrund der Schlesien-VO vom 16. Januar 1940 (RGBl I, 196) bzw nach deren Aufhebung zum 1. Januar 1942 aufgrund von § 1 Abs 1 Satz 1, Abs 3 Ostgebiete-VO vom 23. Dezember 1941 (RGBl I, 77) die RVO und das AVG. Die bisherigen Versicherungsträger mit Sitz in den neuen Gebieten wurden – mit hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen – mit dem 31. Dezember 1939 aufgelöst (§§ 37 Satz 1 Schlesien-VO, 45 Abs 1 Satz 1 Ostgebiete-VO). Leistungen waren ab dem 1. Januar 1940 unabhängig vom Zeitpunkt des Versicherungsfalls nach Reichsrecht zu erbringen, soweit am 31. Dezember 1939 ein entsprechender Bescheid des ehemaligen polnischen Versicherungsträgers noch nicht ergangen war (§§ 21 Satz 1, 27 Satz 1 Schlesien-VO, 20 Abs 1, 24 Abs 1, 32 Satz 1 Ostgebiete-VO); bereits festgestellte Renten wurden grundsätzlich in bisheriger Höhe als fiktive Leistungen der (reichsrechtlichen) RV weitergewährt (§§ 26 Abs 7, 35 Abs 5 Ostgebiete-VO). Ebenso waren vom 1. Januar 1940 an Beiträge auch für die Vergangenheit allein nach Reichsrecht zu entrichten (§§ 31, 26 Abs 1 Schlesien-VO, 35, 30 Abs 1 Ostgebiete-VO).
b) Unter diesen Umständen ist ausgeschlossen, daß der fragliche Zeitraum dem FRG unterfällt. Weder bestand faktisch eine polnische Staatsgewalt fort noch gab es für die Durchführung nichtdeutschen Rentenversicherungsrechts auch nur denkbar in Betracht kommende Institutionen noch konnten über den 31. Dezember 1939 hinaus einschlägige Rechtsvorschriften des polnischen Rechts weiter zur Anwendung gelangen. Gleichermaßen die Schlesien-VO wie die Ostgebiete-VO haben nämlich für ihren persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich jeweils alleinige Geltung beansprucht und „widersprechendes” Recht ausdrücklich außer Kraft gesetzt (§§ 43 Schlesien-VO, 51 Ostgebiete-VO). Die damit nach Einführung von RVO und AVG zum 1. Januar 1940 allein in Betracht kommende originäre Beitragsentrichtung nach Reichsrecht zu Trägern, die für dessen Durchführung zuständig waren, steht zudem der Annahme durchgreifend entgegen, daß zu berücksichtigende Anwartschaften ihren Rechtsgrund in der Überleitung von bei polnischen Trägern erworbenen Anwartschaften gemäß §§ 20 ff Ostgebiete-VO (§ 17 Abs 1 Buchst b FRG) oder dem Gesichtspunkt der Rechts- und Vermögensnachfolge (§ 45 Abs 1 Satz 2 Ostgebiete-VO) haben könnten (vgl BSG in SozR 5050 § 17 Nr 11, BSGE 10, 118, 121 und 27, 223). Auch eine evtl „fehlerhafte” Beurteilung der damaligen Rechtslage ergibt sich schließlich allein vor dem Hintergrund der reichsrechtlichen Bestimmungen als einzig in Betracht kommendem Maßstab; nachdem die Beitragsentrichtung im streitigen Zeitraum heute einer Beanstandung durch die Rentenversicherungsträger ohnehin nicht mehr zugänglich ist, kann im übrigen dahingestellt bleiben, ob sie nach damaligem Verständnis ggf wegen Verstoßes gegen § 1 Abs 1 Satz 2 Ostgebiete-VO „rechtswidrig” war.
c) Die hiergegen von der Klägerin geltend gemachten Bedenken greifen nach Ansicht des Senats nichts durch:
– Hoheitsakte des Reichs nach der erneuten Inbesitznahme Ostoberschlesiens waren grundsätzlich wirksam. Weder die vollständige und – nach dem Willen des Okkupanten – endgültige Inbesitznahme eines Gebietes unter Ausschaltung der vormals dort herrschenden Staatsgewalt „Annexion”; vgl Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl, § 23 RdNr 37) noch erst recht seine lediglich vorübergehende Besetzung mit kriegerischer Gewalt „occupatio bellica”; vgl exemplarisch Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Erster Band, Stichwort: „Besetzung, Kriegerische”, Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl, Wien 1964, S 462 ff) begründen nämlich im Falle ihrer Völkerrechtswidrigkeit gleichzeitig automatisch auch die Nichtigkeit nachfolgender Hoheitsakte der Besatzungsmacht (so für den Fall der Annexion ausdrücklich BVerfGE 1, 322 ff). Diese setzt vielmehr jeweils in Ausübung originärer eigener Hoheitsgewalt die Behörden und Bewohner bindendes Recht; hierzu ist sie – auch bei nur suspendierter Gebietshoheit der ursprünglichen Staatsmacht – schon faktisch allein in der Lage (vgl Schlochauer, aaO, S 196). Die innerstaatliche Wirksamkeit von ihr erlassener Normen bestimmt sich dabei im Hinblick darauf, daß das Völkerrecht seinem Regelungsbereich entsprechend allein die (Außen-)Beziehungen zwischen Völkerrechtssubjekten betrifft, nach nationalem Recht einschließlich des dorthin übernommenen Völkerrechts (vgl zum Staatsangehörigkeitsrecht BVerfG, aaO, S 329). Anhaltspunkte dafür, daß hieran gemessen die mit der Vorgehensweise bei allen anderen vergleichbar Beschäftigten übereinstimmende Einbeziehung der Klägerin in den Kreis der nach Reichsrecht (Renten-)Versicherungspflichtigen zur ehemaligen LVA Schlesien bzw der RfA ursprünglich nichtig gewesen sein könnte, fehlen indessen.
– Als für die Durchführung von Reichsrecht zuständige Versicherungsträger (§§ 31 Abs 1 Buchst a Ostgebiete-VO, 93 AVG) sind die LVA Schlesien und die RfA nach dem hier allein maßgeblichen Verständnis des FRG unabhängig von der Verfassungs- oder Völkerrechtsmäßigkeit der von ihnen anzuwendenden Bestimmungen in jedem Falle „deutsche Versicherungsträger” iS des FRG (§ 3 FRG in der bis 31. Dezember 1991 geltenden Fassung, § 3 Abs 1 FRG idF des RÜG). Entfiele dieser Status – der Auffassung der Klägerin insofern folgend – allein wegen der nach Maßgabe des § 1 Abs 1 Satz 2 Ostgebiete-VO beschränkten Zuständigkeit, könnte hieraus folgerichtig nur der Schluß gezogen werden, daß es dann ordnungsgemäß mit der Durchführung der reichsrechtlichen RV betraute Träger überhaupt nicht gegeben habe; unter keinem denkbaren Gesichtspunkt könnte indessen die fehlerhafte Betätigung deutscher Staatsgewalt automatisch in den wirksamen Akt einer fremden Macht umgedeutet werden.
3. Für eine – gleichermaßen den Wortlaut wie Sinn und Zweck der dort getroffenen Regelungen überschreitenden – Anwendung des FRG auf nach früheren reichsgesetzlichen Bestimmungen zurückgelegte Beitragszeiten fehlt es, ohne daß hiergegen nach Auffassung des Senats durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, an der erforderlichen Grundlage.
a) Eine derartige Grundlage wurde insbesondere nicht mit der Erweiterung von § 17 Abs 1 Buchst b FRG durch Art 15 Nr 3 Buchst a, aa RRG 92 um den Halbsatz „dies gilt auch für Beiträge von Personen, deren Ansprüche nach der Verordnung vom 22. Dezember 1941 (RGBl I, 777) ausgeschlossen waren” geschaffen. Die Vorschrift betraf bereits in ihrer bis zum Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Januar 1990 (Art 85 Abs 5 RRG) gültigen Fassung eine Ausdehnung (nur) des persönlichen Anwendungsbereichs des FRG (vgl BT-Drucks III/1109, S 41) in der Weise, daß – ua nach §§ 20 ff Ostgebiete-VO übergeleitete Fremdbeiträge – auch den nicht von § 1 FRG Erfaßten zugute kommen konnten; nichts anderes kann demgemäß für ihre Erstreckung auf den durch § 1 Abs 1 Satz 2 Ostgebiete-VO von ihrer Anwendung ursprünglich ausgeschlossenen Personenkreis der „Schutzangehörigen und Staatenlosen polnischen Volkstums” (vgl hierzu den Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 29. Juni 1942, AN II, S 408 f, insbesondere Abschnitt C und BSG SozR 5050 § 17 Nr 11) mit der Folge gelten, daß auch bei ihm allein durch Entrichtung von Beiträgen an einen fremden Träger der RV begründete und in die reichsdeutsche Versicherung überführte Anwartschaften als berücksichtigungsfähig in Betracht kommen. Die begrenzte Zielsetzung dieses vorweg in Kraft gesetzten Teils des RRG (vgl BT-Drucks 11/4124, S 218), die Auswirkungen evidenten nationalsozialistischen Unrechts entgegen der bis zum 31. Dezember 1989 maßgeblichen Rechtsauffassung insofern nachträglich und zukunftsgerichtet durch Gleichstellung der begünstigten Personen mit sonstigen Vertriebenen (und vertriebenen Verfolgten) zu kompensieren (vgl Urteil des Senats vom 29. April 1997 – 4 RA 35/96 in AmtlMittLVA Rheinpr 1997, 440 ff), erfaßt ersichtlich nicht auch die sinnwidrige Gleichstellung nach Reichsrecht zurückgelegter mit vor dessen Inkrafttreten nach polnischem Recht zurückgelegten Beitragszeiten.
b) Ebenso ergeben sich aus den deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen vom 9. Oktober 1975 (DPSVA 1975) und 8. Dezember 1990 (DPSVA 1990), die auf die in Israel wohnhafte Klägerin ohnehin weder direkt noch entsprechend Anwendung finden, keine Anhaltspunkte für eine etwa hierdurch erfolgte Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs des FRG in dem von ihr begehrten Umfang. Die Vertragsstaaten gingen bei der Schaffung des DPSVA 1975 übereinstimmend davon aus, daß für in der Bundesrepublik wohnende Berechtigte, denen die Klägerin allenfalls vergleichbar sein könnte, Beschäftigungszeiten in den von der Ostgebiete-VO erfaßten Gebieten unter der Geltung des Reichsrechts zurückgelegt worden sind und demgemäß auch nicht in der polnischen, sondern gegebenenfalls nur in der deutschen RV und nach deutschen Rechtsvorschriften berücksichtigt werden können (BSG SozR 6710 Art 4 Nr 8). Dem DPSVA 1990 sind Anhaltspunkte für eine diesbezüglich geänderte Auffassung der Vertragsparteien nicht zu entnehmen.
c) Bei der gegebenen Sachlage ist schließlich nicht erkennbar, daß die Nichtanwendbarkeit des FRG auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt Ergebnis einer durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließenden Lücke wäre. Hinweise darauf, daß das Gesetz mit der Beschränkung auf bei nichtdeutschen Trägern zurückgelegte Beitragszeiten hinter seiner eigenen Regelungsintention zurückgeblieben und der Sache nach zugehörige Bereiche unbeachtet geblieben wären, fehlen vollständig. Die Frage, ob es im Hinblick auf § 3 Abs 1 GG geboten sein könnte ggf auch denjenigen einen Ausgleich zu gewähren, die in Zeiträumen ab dem 1. Januar 1940 aufgrund der Ostgebiete-VO von der Anwendung der Reichsversicherungsgesetze und damit der Entrichtung von Beiträgen ausgeschlossen waren, bedarf jedenfalls für die Klägerin, die infolge des – sie insoweit nicht beschwerenden – erstinstanzlichen Urteils gegen die Beklagte einen Anspruch auf (Wieder-)Herstellung einer Versicherungsunterlage über den Tatbestand einer (originären) reichsgesetzlichen Beitragszeit hat, keiner Beantwortung.
4) Die Nichtanwendbarkeit des FRG stellt für sich auch keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG dar.
Ein solcher Verstoß liegt insbesondere nicht darin, daß der Klägerin durch die Nichtanwendbarkeit des § 17 Abs 1 Buchst b FRG (RRG 92) mittelbar auch die Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen auf der Grundlage von § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG genommen wird. § 17 Abs 1 Buchst b FRG hat – wie dargestellt – innerhalb des FRG die Funktion, die Berücksichtigungsfähigkeit auf deutsche Versicherungsträger übergegangener Fremdbeiträge unabhängig von der Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 1 FRG sicherzustellen; demgegenüber gehört die Einräumung von Nachentrichtungsrechten nicht zu den von der Norm vorgesehenen Rechtsfolgen und kann demgemäß auch nicht Ausgangspunkt einer entsprechenden Differenzierung und ihrer Rechtfertigung unter den potentiell Begünstigten sein. Die Frage, ob sich § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG auf die von § 17 Abs 1 Buchst b FRG Erfaßten beschränken durfte, stellt sich folglich erst dann, wenn es um die – hier nicht streitgegenständliche – Anwendung dieser Bestimmung geht, nicht aber vorweg bereits im Hinblick auf die Fassung der Anknüpfungsnorm.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1173880 |
SozR 3-5050 § 17, Nr.3 |
SozSi 1999, 118 |