Leitsatz (redaktionell)

Der Streit darüber, ob eine Korsakow'sche Krankheit als Berufskrankheit anzusehen ist, fällt nicht unter SGG § 150 Nr 3.

 

Normenkette

SGG § 150 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; RVO § 551 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Juni 1969 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der erste Ehemann der Kläger war von 1949 bis 1963 als Polierer in einer Reißzeugpolieranstalt in N beschäftigt. Im Betriebsraum dieser Anstalt wurden Metallteile mit Trichloräthylen gewaschen. Am 25. September 1963 kam der Ehemann der Klägerin wegen cerebraler Erscheinungen und Nierenstörungen in ambulante ärztliche Behandlung; am 11. Oktober 1963 wurde er in die Psychiatrische- und Nervenklinik der Städtischen Krankenanstalten N aufgenommen. Er starb am 24. Dezember 1963 an einer Lungenembolie bei Lungenentzündung und eitriger Prostatitis. Ursache dieser unmittelbar zum Tode führenden Lungenerkrankung war nach übereinstimmender ärztlicher Beurteilung eine Korsakowsche Erkrankung.

Mit Bescheid vom 26. Februar 1965 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Sterbegeld und Witwenrente ab, weil die Korsakowsche Erkrankung keine Berufskrankheit (BK) sei und nicht auf den Umgang des Verstorbenen mit Trichloräthylen zurückgeführt werden könne.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Nürnberg mit Urteil vom 13. November 1967 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Sterbegeld und Hinterbliebenenrente bis zum 30. September 1966 - dem Tage, an dem sich die Klägerin wieder verheiratet hat - sowie Witwenrentenabfindung zu gewähren. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) als unzulässig verworfen. Es hat dazu ausgeführt: Die Ansprüche der Klägerin auf Sterbegeld und Witwenrentenabfindung seien solche auf eine einmalige Leistung im Sinne des § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), so daß insoweit die Berufung nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sei. Der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente habe bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Urteils des SG am 13. November 1967 eine Rente für einen abgelaufenen Zeitraum betroffen, weil die Klägerin sich bereits am 30. September 1966 wieder verheiratet habe. Insoweit sei deshalb die Berufung nach § 145 Nr. 2 SGG unzulässig. Die Berufung sei entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht nach § 150 Nr. 3 oder Nr. 2 SGG zulässig. Es bestehe kein Streit über den ursächlichen Zusammenhang des Todes des Ehemannes der Klägerin mit dem Korsakowschen Syndrom, sondern nur darüber, ob die Korsakowsche Erkrankung eine BK sei. Dieser Streit mache jedoch eine an sich unzulässige Berufung nicht nach § 150 Nr. 3 SGG zulässig. Schließlich liege der von der Beklagten gerügte Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens nicht vor, so daß die Berufung auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig sei. Das vom SG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. V sei ordnungsgemäß erstattet worden. Das Gutachten sei von Prof. Dr. V und seinem wissenschaftlichen Assistenten Dr. W unterzeichnet. Dadurch, daß Prof. Dr. V das Gutachten mit seinem vollen Namen ohne Einschränkung unterzeichnet habe, habe er zu erkennen gegeben, daß es tatsächlich die von ihm geforderte Sachverständigenleistung darstelle. In der Verwertung des Gutachtens von Prof. Dr. V sei somit kein Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens zu erblicken.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie rügt, das Prozeßurteil des LSG sei zu Unrecht ergangen. Dazu sei zuerst zu klären, ob angesichts der Neufassung des 3. Buches der Reichsversicherungsordnung durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) der Streit darüber, ob die bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin festgestellte Korsakowsche Erkrankung eine aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigende BK darstelle, unter die in der Berufungszulassungsvorschrift des § 150 Nr. 3 SGG behandelte Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang tatsächlicher Art zwischen dem Tode des Versicherten und einer BK falle. Außerdem habe das SG entgegen der Ansicht des LSG gegen § 166 Abs. 3 Nr. 5 SGG verstoßen. Es habe nach seinem Beweisbeschluß vom 15. November 1966 ausdrücklich Prof. Dr. V von der Universitätsklinik E, und zwar als alleinigen Sachverständigen, mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt. Das Gutachten vom 5. Juni 1967 trage jedoch neben der Unterschrift von Prof. Dr. V noch die Unterschrift: "Dr. W - wiss. Assistent -". Daraus und aus dem sonstigen Inhalt des Gutachtens ergebe sich, daß Dr. W an dem Gutachten maßgebend mitgewirkt habe. Offenbar seien sich die beiden Verfasser gar nicht darüber klar gewesen, daß der Gutachterauftrag nur an Prof. Dr. V erteilt und allein von ihm auszuführen gewesen sei. Prof. Dr. V habe auch nicht einmal, wie das sonst üblich sei, seine Unterschrift mit dem Zusatz geleistet, er habe die Ausführungen seines wissenschaftlichen Assistenten geprüft, schließe sich ihnen an und mache sie auch zu seinen eigenen. Die Verwendung des Gutachtens vom 5. Juni 1967 durch das SG stelle danach einen die Berufung aus § 150 Nr. 2 SGG statthaft machenden Verfahrensfehler des SG dar. Zumindest hätte das Berufungsgericht gemäß § 103 SGG Prof. Dr. V und seinen Assistenten Dr. W darüber vernehmen müssen, wer von ihnen beiden nun wirklich das Gutachten erstattet habe.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie meint, die von der Beklagten angeführten Verfahrensmängel lägen nicht vor. Das LSG habe auch überzeugend dargelegt, daß der Streit über das Vorliegen einer BK nicht unter § 150 Nr. 3 SGG falle und insoweit auch keine Änderung durch das UVNG nicht eingetreten sei.

II

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Entgegen der Auffassung der Revision hat das LSG, indem es die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen hat, nicht gegen § 150 Nr. 3 SGG verstoßen. Nach dieser Vorschrift ist eine an sich unzulässige Berufung dann zulässig, wenn der Streit den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tode und einer - tatsächlich vorliegenden - BK betrifft. Die Beteiligten streiten nicht darüber, daß der erste Ehemann der Klägerin an einer Lungenentzündung und Lungenembolie gestorben ist, die ursächlich auf eine Korsakowsche Erkrankung zurückzuführen war. Der ursächliche Zusammenhang des Todes mit der Korsakowschen Erkrankung steht, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, fest. Der Streit betrifft allein die Frage, ob die Korsakowsche Erkrankung des Versicherten eine BK darstellt. Ein solcher Streit fällt nicht unter § 150 Nr. 3 SGG. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG 4, 215 und die zu § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ergangenen Entscheidungen des Großen Senats des BSG vom 21. November 1957 - BSG 6, 120 - sowie des 2. Senats des BSG vom 4. Dezember 1958, SozR Nr. 125 zu § 162 SGG). Von dieser feststehenden Rechtsprechung abzuweichen, gibt das UVNG von 1963 keinen Anlaß. Nach § 551 Abs. 1 RVO idF des UVNG sind die Berufskrankheiten den Arbeitsunfällen gleichgestellt. Das war aber auch schon nach § 545 RVO aF der Fall. Diese Gleichstellung bestand auch prozessual schon von jeher in § 150 Nr. 3 SGG. Der Änderung des Zweiten Buches der RVO durch das UVNG kommt somit hinsichtlich der Berufungszulässigkeitsvorschrift des § 150 Nr. 3 SGG keine Bedeutung zu.

Unbegründet ist auch die Rüge der Revision, das LSG hätte die Berufung wegen eines Verfahrensmangels des SG, und zwar einer Verletzung des § 128 Abs. 1 SGG, nach § 150 Nr. 2 SGG als statthaft ansehen müssen.

Ein solcher Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das SG durfte das Gutachten vom 5. Juni 1967 als Sachverständigenbeweis (§ 411 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; §§ 118, 106 SGG) verwenden, wenn es von einem Arzt erstattet war, den das Gericht zum Sachverständigen ernannt hatte (§ 404 ZPO). Nach dem Beweisbeschluß vom 15. November 1966 war Beweis zu erheben "durch Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. V, Universitätsklinik E". Prof. Dr. V, der Direktor des Instituts für Arbeitsmedizin - Universitätsklinik E - war der gerichtlich ernannte Sachverständige. Das Gutachten vom 5. Juni 1967 ist allerdings nicht allein von Prof. Dr. V unterzeichnet, sondern - rechts - auch von seinem wissenschaftlichen Assistenten Dr. W. Dieser ist auch im Vorsatzblatt als "Sachbearbeiter" bezeichnet. Durch die Unterschrift von Prof. Dr. V und durch die Formulierung "wir haben Stellung zu nehmen" und "wir beantworten die uns gestellten Fragen" ist jedoch dargetan, daß der gerichtlich bestellte Sachverständige, wie das LSG zutreffend angenommen hat, das erforderte Gutachten zumindest miterstattet hat. Er hat durch seine Unterschrift klar zum Ausdruck gebracht, daß er die Gesamtheit der gutachtlichen Ausführungen zu seinen eigenen macht und - worauf es allein ankommt - die volle Verantwortung für den Inhalt des Gutachtens trägt. Somit stellt das Gutachten die von ihm geforderte Sachverständigenleistung dar (BSG in SozR Nr. 73 zu § 128 SGG). Es ist unerheblich, daß Prof. Dr. V nicht, wie es zuweilen geschieht, seine Unterschrift mit dem Zusatz geleistet hat, er habe die Ausführungen seines wissenschaftlichen Assistenten geprüft, schließe sich ihnen an und mache sie auch zu seinen eigenen. Aus dem Fehlen eines solchen Vermerks ist vielmehr zu folgern, daß dann, wenn das Gutachten von Dr. W allein erstattet worden wäre, Prof. Dr. V als Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozial-Medizin der Universitätsklinik E - wie üblich - nur vermerkt hätte, er habe vom Inhalt des Gutachtens Kenntnis genommen und sei mit der Beurteilung einverstanden.

Das Berufungsgericht geht auch zu Recht davon aus, daß es dem gerichtlich bestellten Sachverständigen, insbesondere dem Chefarzt einer Klinik, nicht verwehrt ist, bei der Erstattung seines Gutachtens andere Ärzte mit heranzuziehen. Diese Auffassung hat bereits das Reichsgericht vertreten (JW 1916, 1587). Ihr entsprechen auch die Entscheidungen des 8. und des 9. Senats des BSG (SozR Nr. 7 zu § 109 SGG und BSG 8, 72). Hiernach kann daraus, daß Prof. Dr. V seinen wissenschaftlichen Assistenten Dr. W zur Erstattung des Gutachtens vom 5. Juni 1967 mit herangezogen hat, nichts gegen dessen Verwertbarkeit hergeleitet werden. Da das Gutachten erkennbar von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen zumindest miterstattet und ohne Einschränkung unterzeichnet worden ist, brauchte das LSG auch nicht die Ärzte Prof. Dr. V und Dr. W zu befragen, wer von ihnen das Gutachten erstattet habe.

Das LSG hat somit zu Recht eine Prozeßentscheidung getroffen. Die Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669563

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