Orientierungssatz
Bewertung beitragsloser Ausbildungsausfallzeiten:
Ausbildungsausfallzeiten sind bei der Berechnung des Altersruhegeldes nur mit einem Wert von 8,33 zu berücksichtigen.
Normenkette
AVG § 32a S. 1 Nr. 1 S. 3 Fassung: 1977-06-27; RVO § 1255a S. 1 Nr. 1 S. 3 Fassung: 1977-06-27
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung eines höheren Altersruhegeldes durch eine ihm günstigere Bewertung der bei der Berechnung der Leistung berücksichtigten Ausfallzeiten.
Die Beklagte bewilligte dem am 27. Januar 1916 geborenen Kläger mit Bescheid vom 20. August 1976 für die Zeit ab 1. Mai 1976 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Bei deren Berechnung berücksichtigte sie die Zeiten der Schulausbildung des Klägers nach Vollendung seines 16. Lebensjahres und seines Hochschulstudiums als Ausfallzeit von insgesamt 94 Monaten. Gemäß § 32a Satz 1 Nr 1 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der damals geltenden Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I S 476) legte sie jedem Monat der Ausfallzeit den aus dem Durchschnitt der vor dem 1. Januar 1965 zurückgelegten Beitragszeiten errechneten Wert von 13,71 zugrunde; insgesamt entfielen damit auf die Ausfallzeiten 1.288,74 Werteinheiten.
Durch Bescheid vom 28. März 1978 wandelte die Beklagte mit Wirkung ab 1. Februar 1978 die Rente des Klägers in ein flexibles Altersruhegeld wegen Vollendung des 62. Lebensjahres um. Hierbei ebenso wie bei der Neuberechnung des Altersruhegeldes in dem während des Klageverfahrens erlassenen Bescheid vom 7. November 1978 begrenzte sie gemäß § 32a Satz 1 Nr 1 Satz 3 AVG idF des Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes (20. RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1040) - im folgenden: § 32a Satz 1 Nr 1 Satz 3 AVG nF - den Wert für jeden Monat der Ausfallzeiten auf 8,33. Insgesamt ergaben die 94 Monate Ausfallzeit somit nur noch 783,02 Werteinheiten. Der Widerspruch, mit welchem der Kläger die Bewertung der Ausfallzeiten mit monatlich 13,71 wie bisher begehrte, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 5. September 1978).
Das Sozialgericht (SG) Mainz hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3. Mai 1979). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 13. September 1979) und zur Begründung ausgeführt, die Berechnung des Altersruhegeldes entspreche den gesetzlichen Vorschriften. § 32a Nr 1 AVG nF verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG). Zu Recht habe das SG eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG verneint. Art 14 GG sei ebenfalls nicht verletzt, weil die beeinträchtigte Rechtsposition auf staatlicher Gewährung beruhe und kein Eigentum darstelle. Die maßgebende gesetzliche Regelung stehe auch nicht im Widerspruch zum Grundsatz der Rechts- und Sozialstaatlichkeit.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, § 32a Satz 1 Nr 1 Satz 3 AVG nF hätte bei der Neuberechnung seines Altersruhegeldes nicht angewendet werden dürfen. Die Vorschrift verletze, zumindest soweit sie sich auf vor ihrem Inkrafttreten bereits bestehende Versicherungsverhältnisse beziehe, Art 14 GG sowie ferner den aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Grundsatz des Vertrauensschutzes und den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG).
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz
vom 13. September 1979 und des Sozialgerichts Mainz
vom 3. Mai 1979 aufzuheben und die Beklagte unter
Abänderung der Bescheide vom 28. März 1978 (in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September
1978) und vom 7. November 1978 zu verurteilen, das
Altersruhegeld unter Berücksichtigung eines Wertes von 13,71
für die Ausbildungs-Ausfallzeiten und
einer sich daraus ergebenden entsprechend höheren
Rentenbemessungsgrundlage neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die ab 1. Januar 1978 geltende Neuregelung, über die Minderbewertung der Ausbildungs-Ausfallzeiten für verfassungsgemäß.
Ua auf die Vorlage des erkennenden Senats in dem vorliegenden Verfahren (Beschluß vom 23. April 1981) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluß vom 1. Juli 1981 - 1 BvR 874/77 ua, 1 BvL 33/80 ua - (bisher veröffentlicht ua in EuGRZ 1981, 532 = DB 1981, 2433 = ZfSH 1981, 267) entschieden, Satz 3 des § 32a Satz 1 Nr 1 AVG idF des Art 2 § 2 Nr 11 Buchst a) des 20. RAG sei mit dem GG vereinbar, soweit für jeden Kalendermonat an Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Nr 4 AVG höchstens der Wert von 8,33 zugrundegelegt werde.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berechnung seines Altersruhegeldes unter Berücksichtigung eines höheren als des in den angefochtenen Bescheiden zugrundegelegten Wertes für die Ausbildungs-Ausfallzeiten.
Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vorgenommene Bewertung ist § 32a Satz 1 Nr 1 AVG in der am 1. Januar 1978 in Kraft getretenen (vgl Art 3 § 6 des 20. RAG) Fassung des Art 2 § 2 Nr 11 Buchst a) des 20. RAG. Hiernach sind bei der Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nach § 32 AVG ua Ausfallzeiten in der Weise zu berücksichtigen, daß für die vor dem 1. Januar 1965 liegenden Zeiten für jeden Kalendermonat der Monatsdurchschnitt zugrunde zu legen ist, der sich aus den vor dem 1. Januar 1965 zurückgelegten Beitragszeiten nach § 32 Abs 3 bis 7 AVG ergibt, höchstens jedoch der Wert 16,66 (§ 32a Satz 1 Nr 1 Satz 1 AVG). Für jeden Kalendermonat an Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG wird höchstens der Wert 8,33 zugrundegelegt (§ 32a Satz 1 Nr 1 Satz 3 AVG nF). Ausfallzeiten in diesem Sinne sind ua Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung oder einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung bis zu einer bestimmten Höchstdauer (§ 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG).
Die in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten vorgenommene Bewertung der Ausbildungs-Ausfallzeiten entspricht dem § 32a Satz 1 Nr 1 Satz 3 AVG nF. Die Vorschrift ist auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Sie ist am 1. Januar 1978 in Kraft getreten. Der für die Bewilligung des Altersruhegeldes maßgebende Versicherungsfall ist am 26. Januar 1978 und somit nach Inkrafttreten des § 32a Satz 1 Nr 1 Satz 3 AVG nF eingetreten. Nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit des zur Zeit des Versicherungsfalles geltenden Rechts beurteilen sich - sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist - Inhalt und Wirkung sozialrechtlicher Ansprüche nach dem zur Zeit des anspruchsbegründenden Ereignisses oder Umstandes geltenden Recht (BSGE 44, 231, 232 = SozR 2200 § 1236 Nr 3 S 3; BSG SozR 2200 § 182b Nr 10 S 28; 4100 § 39 Nr 16 S 14). § 32a Satz 1 Nr 1 Satz 3 AVG nF hat bei Eintritt des Versicherungsfalles (Vollendung des 62. Lebensjahres des Klägers) bereits gegolten. Der Anwendung der Vorschrift steht nicht entgegen, daß nach dem Bescheid der Beklagten vom 20. August 1976 bei der Berechnung der dem Kläger bewilligten Rente wegen Berufsunfähigkeit die Ausbildungs-Ausfallzeiten mit einem Wert von 13,71 berücksichtigt worden sind. Dadurch wird ein Anspruch des Klägers auf eine gleichartige Bewertung der Ausfallzeiten auch bei der Berechnung des Altersruhegeldes nicht begründet. Dies hat der Senat in seinem den Beteiligten bekannten Beschluß vom 23. April 1981 im einzelnen dargelegt. Insofern sind auch von der Revision Einwendungen nicht erhoben worden.
Die Beklagte hat bei der Berechnung des Altersruhegeldes in den Bescheiden vom 28. März und 7. November 1978 eine Bewertung der Ausbildungs-Ausfallzeiten gemäß § 32a Satz 1 Nr 1 Satz 3 AVG nF vornehmen dürfen. Die Vorschrift ist mit dem GG vereinbar. Dies hat das BVerfG durch seinen Beschluß vom 1. Juli 1981 entschieden. Damit sind die vom erkennenden Senat in seinem Vorlagebeschluß vom 23. April 1981 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegenstandslos geworden. Die Entscheidung des BVerfG vom 1. Juli 1981 hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs 2 Satz 1 iVm § 13 Nr 11 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht -BVerfG-); sie ist für die Gerichte und damit auch für den erkennenden Senat bindend (§ 31 Abs 1 BVerfGG).
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind somit rechtmäßig. Dies führt zur Zurückweisung der Revision des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen