Leitsatz (amtlich)

"Längere Ausfallzeiten" iS des AnVNG Art 2 § 14 Halbs 2 können nur Ausfallzeiten sein, die anrechnungsfähige Ausfallzeiten iS von AVG § 36 sind (Anschluß BSG 1962-06-20 1 RA 123/60 = BSGE 17, 129).

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 14 Hs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 36 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 14 Hs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 1961 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind den Klägerinnen nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Klägerin zu 2) die Tochter des H N (N.). N. starb am 8. Oktober 1957, er bezog bei seinem Tode von der Beklagten Rente wegen Berufsunfähigkeit. Mit zwei Bescheiden vom 5. März 1958 gewährte die Beklagte den Klägerinnen Witwen- bzw. Waisenrente vom 1. November 1957 an; sie berücksichtigte dabei nicht die nachgewiesene Ausfallzeit von 34 Monaten, sondern gemäß Art. 2 § 14 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) nur ein Zehntel der mit Pflichtbeiträgen belegten Zeit, nämlich 6 Monate. Mit der Klage beantragten die Klägerinnen, die Ausfallzeit in vollem Umfange zu berücksichtigen; die Klägerin zu 1) machte außerdem geltend, die Beklagte habe ihr die Witwenrente für die Zeit vom 1. November 1957 bis 31. Januar 1958 (Sterbevierteljahr) nicht gewährt. Das Sozialgericht (SG) Köln verurteilte am 13. Mai 1959 die Beklagte, der Klägerin zu 1) "die Versichertenrente für 3 Monate nach dem Tode des Versicherten an Stelle der gezahlten Witwenrente zu zahlen", im übrigen wies es die Klage ab.

Die Beklagte legte Berufung ein, sie trug vor, das SG habe verkannt, daß der Klägerin zu 1) die Witwenrente für das Sterbevierteljahr in Höhe der Versichertenrente mit dem angefochtenen Bescheid bewilligt worden sei; auch die Klägerinnen legten Berufung ein, sie begehrten weiterhin die Berücksichtigung der vollen nachgewiesenen Ausfallzeit. Durch Urteil vom 17. Mai 1961 wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerinnen zurück, auf die Berufung der Beklagten wies es die Klage auch insoweit ab, als die Klägerin zu 1) die Rente für das Sterbevierteljahr in Höhe der Versichertenrente begehrte: Die Berufung der Beklagten sei zulässig und begründet; das SG habe unter Verstoß gegen § 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu Unrecht festgestellt, daß die Beklagte der Klägerin zu 1) für das Sterbevierteljahr die Witwenrente nicht in Höhe der Versichertenrente gezahlt habe. Die Berufung der Klägerinnen sei nicht begründet; schon aus dem Wortlaut des Art. 2 § 14 AnVNG ergebe sich, daß der zweite Satzteil dieser Vorschrift (Bedingungssatz) nur die tatbestandliche Voraussetzung enthalte, an die die Rechtsfolge des ersten Satzteils geknüpft sei; die Rechtsfolgen für den Fall, daß die Voraussetzungen des zweiten Satzteiles vorliegen, seien nicht in Art. 2 § 14 AnVNG, sondern allein in § 36 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) geregelt; "längere Ausfallzeiten" im Sinne des zweiten Satzteiles des Art. 2 § 14 AnVNG seien deshalb nur die Ausfallzeiten im Sinne von § 36 Abs. 1 AVG, die auch die Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 AVG erfüllen. Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck des Art. 2 § 14 AnVNG. Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde den Klägerinnen am 20. Juni 1961 zugestellt.

Am 3. Juli 1961 legten die Klägerinnen Revision ein. Sie beantragten,

unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 1961 und des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 13. Mai 1959 sowie der Bescheide der Beklagten vom 5. März 1958 die Beklagte zu verurteilen, den Klägerinnen einen neuen Bescheid unter Anrechnung der nachgewiesenen Ausfallzeit von 34 Monaten zu erteilen.

Zur Begründung trugen sie vor, für die Anrechnung längerer Ausfallzeiten im Sinne von Art. 2 § 14 AnVNG sei es nicht erforderlich, daß diese Ausfallzeiten die Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 AVG erfüllen.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist jedoch nicht begründet.

Die Revision der Klägerin zu 1) betrifft nur die Höhe der Witwenrente für die Zeit nach Ablauf des "Sterbevierteljahres" (§ 45 Abs. 5 AVG), also vom 1. Februar 1958 an. Beide Klägerinnen haben mit der Revision nur begehrt, die Beklagte zu verurteilen, den Klägerinnen einen neuen Bescheid "unter Anrechnung der nachgewiesenen Ausfallzeit von 34 Monaten" zu erteilen; der Rentenanspruch der Klägerin zu 1) für das "Sterbevierteljahr" richtet sich aber stets nach dem Bescheid, mit dem die Höhe der Rente des Versicherten bindend festgestellt worden ist, es kommt nicht darauf an, ob dieser Bescheid rechtmäßig ist (vgl. Urteil des BSG vom 20. Dezember 1963 - 12 RJ 534/61 - zu § 1268 Abs. 5 RVO = § 45 Abs. 5 AVG). Die Klägerin zu 1) hat hierzu mit der Revision auch nichts vorgetragen, sie hält erkennbar ihr Klagebegehren insoweit nicht mehr aufrecht; das Urteil des LSG ist deshalb rechtskräftig geworden, soweit es den Rentenanspruch der Klägerin zu 1) für die Zeit vom 1. November 1957 bis 31. Januar 1958 betrifft.

Im Revisionsverfahren streitig ist also nur noch, ob die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Witwenrente vom 1. Februar 1958 an und der Waisenrente vom 1. November 1957 an die nachgewiesenen Ausfallzeiten des N. in vollem Umfange und nicht nur nach Art. 2 § 14 AnVNG (erster Satzteil) mit einem Zehntel der bis zum Inkrafttreten des AnVNG mit Pflichtbeiträgen belegten Zeit ("pauschale Ausfallzeit") zu berücksichtigen. Das LSG hat zu Recht die Voraussetzungen, unter denen nach Art. 2 § 14 AnVNG "längere Ausfallzeiten" als die "pauschale Ausfallzeit" anzurechnen sind, nicht als gegeben angesehen. Art. 2 § 14 AnVNG regelt ebenso wie die gleichlautende Vorschrift des Art. 2 § 14 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) die Anrechnung von Ausfallzeiten für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze bei der Berechnung der Renten nach dem Inkrafttreten dieser Gesetze. Nach dieser Vorschrift ist entweder (erster Satzteil) die "pauschale Ausfallzeit" oder (zweiter Satzteil, Bedingungssatz) die nachgewiesene (längere) Ausfallzeit anzurechnen (vgl. Urteil des BSG vom 25. Oktober 1963 - 1 RA 48/62 - = SozR Nr. 7 zu Art. 2 § 14 ArVNG); die Vorschrift erschöpft sich darin, diese Alternative zu normieren, sie besagt - ebenso wie § 35 Abs. 1 AVG - nichts über den Begriff der "Ausfallzeiten". Ebenso wie § 35 Abs. 1 AVG durch den Klammerzusatz für den Begriff der "Ausfallzeiten" auf § 36 AVG verweist, ist auch der Begriff der "Ausfallzeiten" in Art. 2 § 14 (Bedingungssatz) aus § 36 AVG zu entnehmen. § 36 AVG bestimmt in Abs. 1 und in Abs. 2 Satz 2 den Begriff der "Ausfallzeiten", in § 36 Abs. 2 Satz 1 und in Abs. 3 ist die Anrechnungsfähigkeit der "Ausfallzeiten" geregelt. Auf die "Anrechnungsfähigkeit" der Ausfallzeiten kommt es aber auch in Art. 2 § 14 AnVNG (Bedingungssatz) an. Diese Vorschrift ist eine Überleitungsvorschrift. Sie soll einerseits Beweisschwierigkeiten vorbeugen, die sich bei den nach neuem Recht zu berechnenden Renten daraus ergeben können, daß bei der Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nach den §§ 35, 36 AVG teilweise lange in der Vergangenheit zurückliegende Ausfallzeiten zu berücksichtigen sind, sie soll andererseits auch der Angleichung der "Zugangsrenten" an die umgestellten Bestandsrenten dienen (vgl. Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode zu Drucks. 3080, Seite 23 zu § 13; Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Anm. zu Art. 2 § 14). Dagegen hat Art. 2 § 14 AnVNG nicht den Zweck, für die Berücksichtigung von Ausfallzeiten vor dem 1. Januar 1957 günstigere Voraussetzungen zu schaffen als die, die für die Berücksichtigung von Ausfallzeiten nach dem 1. Januar 1957 gelten. "Längere Ausfallzeiten" im Sinne des Bedingungssatzes des Art. 2 § 14 AnVNG sind daher nur solche Ausfallzeiten, die "anrechnungsfähige" Ausfallzeiten im Sinne des § 36 AVG sind (vgl. ebenso BSG aaO, ferner BSG 17, 129 ff; 11, 274 ff). Daran aber fehlt es hier. Nach den Feststellungen des LSG, an die das BSG gebunden ist (§ 163 SGG), sind für N. als Ausfallzeiten zwar 34 Monate nachgewiesen, für die Zeit vom Eintritt des N. in die Versicherung bis zum Eintreten des Versicherungsfalles jedoch nur 57 Monate - also eine Zeit von "unter 60 Monaten" (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AVG) - mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AVG sind die nachgewiesenen 34 Monate Ausfallzeit sonach nicht anrechnungsfähig, sie sind damit auch nicht "längere Ausfallzeiten" im Sinne von Art. 2 § 14 AnVNG. Die Beklagte hat demnach zu Recht als Ausfallzeit nach Art. 2 § 14 AnVNG nur ein Zehntel der bis 31. Dezember 1956 mit Pflichtbeiträgen nachgewiesenen Zeit, nämlich 6 Monate, in dem angefochtenen Bescheid als "pauschale Ausfallzeit" berücksichtigt. Das LSG hat sonach zu Recht die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des SG zurückgewiesen; die Revision der Klägerinnen ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2325486

BSGE, 251

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge