Leitsatz (amtlich)

1. "Nachgewiesene Beschäftigungszeiten" im Sinne von FRG § 19 Abs 2 - im Gegensatz zu nur glaubhaft gemachten Beschäftigungszeiten (FRG § 4 Abs 1) - sind Beschäftigungszeiten, für die voller Beweis erbracht ist. "Nachweis" im Recht der Sozialversicherung ist grundsätzlich nichts anderes als "Beweis". Sofern im Recht der Sozialversicherung nicht ausdrücklich zum "Nachweis" nur bestimmte Beweismittel zugelassen sind, kann der "Nachweis" mit allen zulässigen Beweismitteln geführt werden, also nicht nur durch Urkunden, sondern auch durch Zeugen.

2. FRG § 19 Abs 2 enthält nicht eine gesetzliche Vermutung dahin, daß nachgewiesene Beschäftigungszeiten durch Zeiten einer mehr als sechs Wochen dauernden Krankheit oder Arbeitslosigkeit unterbrochen worden sind.

 

Normenkette

FRG § 19 Abs. 2 Fassung: 1960-02-25, § 4 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Mai 1962 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin, geb. 16. April 1879, lebte bis 1939 mit ihrem Ehemann in Estland, wurde 1939 nach Posen umgesiedelt und lebt seit Dezember 1944 in der Bundesrepublik. Sie ist die Witwe des Hugo von H (v.H.), geb. 30. April 1875 in Estland, gestorben am 17. Oktober 1943 in Posen. Der Ehemann der Klägerin war bis Ende 1923 auf verschiedenen Gütern in Estland, teils als Verwalter, teils als Pächter tätig, von 1924 an war er bis 30. November 1939 im Angestelltenverhältnis bei zwei größeren Holzverarbeitungs- und Holzhandelsbetrieben beschäftigt; Beiträge zu einer sozialen Rentenversicherung entrichtete er nie.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 1958 gewährte die Beklagte der Klägerin vom 1. Januar 1957 an Witwenrente nach den §§ 40, 41 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und Art. 2 § 42 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) i.V.m. den Vorschriften des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 in Höhe von 155,70 DM monatlich. Die Klage, mit der die Klägerin die Abänderung dieses Bescheides bezüglich des Beginns und der Höhe der Rente begehrte, wies das Sozialgericht (SG) Hannover durch Urteil vom 19. Februar 1960 ab; es entschied in diesem Urteil jedoch nur über den Beginn der Witwenrente. Die Klägerin legte Berufung ein. Während des Berufungsverfahrens stellte die Beklagte die Witwenrente nach Art. 6 § 6 Abs. 2 des Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) durch mehrere Bescheide nach dem neuen Recht um, zuletzt - unter Aufhebung der früheren Bescheide - mit Bescheid vom 16. Oktober 1961, in dem sie die Witwenrente seit 1. Januar 1957 auf monatlich 124,93 DM festsetzte, jedoch zur Besitzstandswahrung nach Art. 6 § 11 FANG der Klägerin den bisherigen Betrag von 155,70 DM beließ. Mit der Berufung begehrte die Klägerin die Rente schon vom 1. April 1952 an, außerdem Erhöhung der Rente durch Berücksichtigung der nachgewiesenen Beschäftigungszeiten ohne Kürzung und die Feststellung höherer Leistungsgruppen für die Tätigkeit ihres Ehemannes. Das Landessozialgericht (LSG) verwarf die Berufung als unzulässig, soweit es sich um den Beginn der Rente handelte; es verurteilte die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. Oktober 1961, der Klägerin eine höhere Rente zu gewähren, wobei die Beklagte die Beschäftigungszeiten vom 1. April 1902 bis zum 31. März 1905, vom 1. April 1906 bis zum 31. März 1911, vom 1. Januar 1921 bis zum 31. Juli 1921, vom 1. Januar 1924 bis zum 31. Dezember 1927 und vom 1. Januar 1928 bis zum 30. November 1939 als nachgewiesen und die Beschäftigungszeiten vom 1. April 1905 bis zum 31. März 1906 und vom 1. April 1911 bis zum 31. März 1912 als glaubhaft gemacht sowie für die Beschäftigungszeiten vom 1. Januar 1921 bis zum 31. Juli 1921, vom 1. Januar 1924 bis zum 31. Dezember 1927 und vom 1. Januar 1928 bis zum 30. November 1939 die Leistungsgruppe M 1 in der Rentenversicherung der Angestellten zu berücksichtigen habe; im übrigen wies das LSG die Berufung zurück: Hinsichtlich des Beginns der Rente sei die Berufung nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässig und auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft, da zu Unrecht Mängel des Verfahrens des SG gerügt seien. Soweit die Berufung die Höhe der Rente betreffe, sei sie zulässig und teilweise begründet. Zwar sei der Bescheid vom 8. Dezember 1958 rechtmäßig, dagegen entspreche der "Neuumstellungsbescheid" vom 16. Oktober 1961 nicht dem Gesamtergebnis des Verfahrens. Die Beklagte habe zu Unrecht einen Teil der Beschäftigungszeiten des Ehemannes der Klägerin als "nicht nachgewiesene Zeiten" im Sinne von Art. 1 § 19 Abs. 2 FANG = § 19 Abs. 2 des Fremdrentengesetzes (FRG) angesehen und deshalb für das einzelne Jahr nur mit fünf Sechstel der Beschäftigungszeit angerechnet. "Nach gewiesen" seien Beschäftigungszeiten, die mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zurückgelegt worden seien; dieser Beweis könne durch jedes Beweismittel erbracht werden, also nicht etwa nur durch Urkunden, insbesondere nicht nur durch Versicherungsunterlagen oder Arbeitsbescheinigungen, sondern auch durch Zeugenaussagen; die eingehende Beweisaufnahme habe zur vollen Überzeugung des LSG ergeben, daß v.H. ohne Unterbrechung durch Ausfallzeiten vom 1. April 1902 bis 31. März 1905 (Verwalter auf Gut P.), vom 1. April 1906 bis 31. März 1911 (Verwalter auf Gut N.), vom 1. Januar 1921 bis 31. Dezember 1923 (leitender Angestellter auf Gut S.), vom 1. Januar 1924 bis 31. Dezember 1927 (Leiter der Holzabteilung der Firma C. & Son in Reval) und vom 1. Januar 1928 bis 30. November 1939 (leitender Angestellter der Firma Luther A.G. in Reval) beschäftigt gewesen sei; eine Unterbrechung dieser Beschäftigungszeiten durch mehr als sechs Wochen dauernde Zeiten der Arbeitsunfähigkeit sei nach der Beweisaufnahme auszuschließen. Die Beklagte habe daher diese Beschäftigungszeiten voll anzurechnen. Die Beschäftigungszeiten vom 1. April 1905 bis 31. März 1906 und vom 1. April 1911 bis 31. März 1912 habe die Klägerin dagegen nur glaubhaft gemacht, nach den Zeugenaussagen sei die Möglichkeit einer selbständigen Tätigkeit ihres Ehemannes als Gutspächter in dieser Zeit nicht völlig auszuschließen, diese Zeiten seien daher nur mit fünf Sechstel anzurechnen. Beschäftigungszeiten seien nicht deshalb insgesamt nur "glaubhaft gemachte" Beschäftigungszeiten, weil es im Lebenslauf eines Beschäftigten neben "nachgewiesenen Zeiten" auch noch andere nur glaubhaft gemachte Beschäftigungszeiten gebe. Auf Grund der Beweisaufnahme habe sich auch ergeben, daß die Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin - wie das LSG für die einzelnen Beschäftigungszeiten darlegte - nach höheren als den von der Beklagten berücksichtigten Leistungsgruppen zu bewerten sei. Die Revision ließ das LSG zu. Das Urteil wurde der Beklagten am 13. Juni 1962 zugestellt.

Am 7. Juli 1963 legte die Beklagte Revision ein.

Sie beantragte,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Hannover vom 19. Februar 1960 insoweit als unbegründet zurückzuweisen, als sie nicht schon durch das angefochtene Urteil als unzulässig verworfen worden ist und als mit ihr die Anrechnung der Beschäftigungszeiten aus nachgewiesenen statt aus glaubhaft gemachten Beschäftigungszeiten erstrebt wird.

Zur Begründung trug sie am 13. August 1962 im wesentlichen vor: Der Begriff des "Nachweises" von Versicherungszeiten beziehe sich als ein "stehender Begriff" des Sozialversicherungsrechts stets nur auf "Urkunden und Dokumente" der Versicherungsträger, allenfalls noch auf sonstige amtliche Bescheinigungen der Versicherungsträger oder der am Beitragseinzug beteiligten Stellen. Alle anderen Beweismittel, besonders Zeugenaussagen, dienten dagegen stets nur zur Glaubhaftmachung; dies gelte auch für den Nachweis "beitragsloser Beschäftigungszeiten" nach § 16 FRG. Es könne sich insoweit nur um "Nachweismittel" handeln, die den für den Nachweis von Beitragszeiten benötigten Belegen "equivalent" seien, wie Auszüge aus Geschäftsbüchern, Lohn- und Gehaltsbescheinigungen, Arbeitsbücher, Zeugnisse, sofern sie ein lückenloses Bild der Beschäftigungszeiten samt Unterbrechungen, Ausfallzeiten usw. vermitteln. Daß auch durch Zeugenaussagen Tatsachen aus weit zurückliegenden Zeiträumen und hinsichtlich verschiedenartiger Einzelheiten noch mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bekundet werden könnten, widerspreche jeglicher Lebenserfahrung. Bei der Beweiswürdigung müsse diese materiell-rechtliche Begrenzung der "Nachweismittel" beachtet werden, "sonstige allgemeine Beweismittel" dürften insoweit nicht in die Beweiswürdigung einbezogen werden. Das LSG habe demnach im vorliegenden Fall alle Beschäftigungszeiten des Ehemannes der Klägerin der durch § 19 Abs. 2 FRG gebotenen Kürzung unterwerfen müssen.

Während des Revisionsverfahrens erließ die Beklagte am 26. August 1963 einen neuen Bescheid, in dem sie in Abänderung des Bescheides vom 16. Oktober 1961 der Berechnung der Witwenrente nach dem FANG nunmehr entsprechend dem Urteil des LSG die höheren Leistungsgruppen bzw. Gehaltsklassen zugrunde legte und die Rente auf monatlich 154,04 DM (statt bisher 124,93 DM) feststellte; da auch der neue Betrag unter der Leistung nach dem alten Fremdrentenrecht (155,70 DM) blieb, wurde der Klägerin wie bisher die Rente nach altem Recht zur Besitzstandswahrung belassen.

Die Klägerin beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) einverstanden.

II.

Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 Abs. 2 SGG); sie ist jedoch nicht begründet.

Soweit das LSG Feststellungen über Beginn und Ende der einzelnen Beschäftigungen des Ehemannes der Klägerin und über die für die Art der Tätigkeit maßgebenden Leistungsgruppen getroffen hat, hat die Beklagte Revisionsrügen nicht geltend gemacht. Diese Feststellungen sind daher für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG). Streitig ist allein, ob das LSG zu Recht den größeren Teil der Beschäftigungen des Ehemannes der Klägerin auf Grund der Zeugenaussagen als "nachgewiesene Beschäftigungszeiten" angesehen und deshalb nicht der für "nicht nachgewiesene Zeiten" vorgeschriebenen Kürzung auf fünf Sechstel unterworfen hat (§ 19 Abs. 2 FRG). Das LSG hat diese Frage richtig beurteilt.

Der Ehemann der Klägerin ist ausschließlich in Estland beschäftigt gewesen; eine gesetzliche Rentenversicherung im Sinne von § 15 FRG hat in Estland vor dem 1. Mai 1943 nicht bestanden (vgl. Koch/Hartmann, AVG-Kommentar Bd. I Anm. B 6 f zu § 31 AVG S. 378). Nach § 16 Abs. 1 FRG stehen die nach dem vollendeten 16. Lebensjahr u.a. in Estland verrichteten Beschäftigungen von Vertriebenen einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung gleich. Diese Personen sollen, sofern es sich um nach deutschem Recht versicherungspflichtige Beschäftigungen gehandelt hat, durch die Anrechnung dieser Beschäftigungszeiten so gestellt werden, als ob sie im Geltungsbereich der deutschen Versicherungsgesetze beschäftigt und auf Grund dieser Beschäftigung versichert gewesen wären. Diese "beitragslosen Beschäftigungszeiten" sind jedoch nach § 19 Abs. 2 FRG, sofern sie "nicht nachgewiesen" sind, nur mit fünf Sechstel anzurechnen; "nicht nachgewiesen" sind Zeiten, die nur glaubhaft gemacht sind (§ 4 Abs. 1 FRG). Nachgewiesene Zeiten sind dagegen ohne Kürzung anzurechnen; "nachgewiesen" sind Zeiten, bei denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, daß sie zurückgelegt sind, für die also voller Beweis erbracht ist (vgl. Jantz/Zweng/Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl. Anm. 2 und 8 zu § 19 FRG). "Nachweis" ist nichts anderes als "Beweis", es gibt keinen "stehenden Begriff" des "Nachweises" im Sozialversicherungsrecht, der von dem Begriff des Beweises in anderen Rechtsgebieten abweicht. Beweis kann mit allen zulässigen Beweismitteln erbracht werden (ebenso RVO Gesamt-Komm. Bd. II, Anm. 3 zu § 19 FRG, mit Einschränkungen auch Jantz/Zweng/Eicher a.a.O.). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, daß der Kreis der "Nachweismittel" insoweit materiell-rechtlich auf "einschlägige Urkunden" beschränkt ist. Soweit das Gesetz eine Beschränkung der Beweismittel im Recht der Sozialversicherung für erforderlich gehalten hat, ist dies ausdrücklich gesagt, so z.B. für den Nachweis von Ausfallzeiten in § 1259 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO = § 36 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AVG, während z.B. § 1259 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 RVO = § 36 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 AVG eine solche Beschränkung nicht enthält (vgl. hierzu Beschluß des BSG vom 2. November 1963 - 12 RJ 394/63, Sozialrecht Nr. 11 zu § 1259 RVO). Eine Beschränkung der "Nachweismittel" auf den "Urkundenbeweis" ergibt sich für die Fälle des § 19 Abs. 2 FRG insbesondere weder aus § 26 der Beitragsordnung vom 21. November 1924 (RGBl I S. 745) noch aus den §§ 1 ff. der Verordnung (VO) über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen vom 3. März 1960 (BGBl I S. 137). Sowohl die Beitragsordnung vom 21. November 1924 als auch die VO vom 3. März 1960 betreffen den Nachweis von Beitragszeiten. Ob der Nachweis von Beitragszeiten stets nur durch "einschlägige Urkunden" (z.B. Versicherungskarten, Quittungskarten, Aufrechnungsbescheinigungen, Bescheinigungen der Versicherungsträger oder Einzugsstellen) geführt werden kann, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden; denn § 16 FRG i.V.m. § 19 Abs. 2 FRG regelt gerade auch solche Fälle, in denen Beitragszeiten nicht nachgewiesen werden können, weil ein den Voraussetzungen einer gesetzlichen Rentenversicherung entsprechendes System der soziale Sicherheit in den in Betracht kommenden Gebieten - hier in Estland - nicht bestanden hat. Für diesen Personenkreis ist allein maßgebend, ob Beschäftigungszeiten entweder nachgewiesen oder glaubhaft gemacht sind; dieser Personenkreis des § 16 FRG befindet sich erfahrungsgemäß aber häufig hinsichtlich des Nachweises von Beschäftigungszeiten ebenso in einem Beweisnotstand wie die Personen, die Beitragszeiten bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt haben (§ 15 FRG). Auch bei dem Personenkreis des § 16 FRG handelt es sich meist um weit zurückliegende Zeiträume und um Beschäftigungen, die - ebenso wie möglicherweise Versicherungszeiten - urkundlich nicht belegt werden können. Der Beweisnotstand kann für den Personenkreis des § 16 FRG sogar größer sein als für den Kreis des § 15 FRG, für den noch Urkunden im Herkunftsland vorliegen, die dem nunmehr zuständigen deutschen Versicherungsträger übersandt werden können (so zutreffend Verbands-Komm. Anm. 5 zu § 19 FRG). Würde - wie die Beklagte will - der "Nachweis" von Beschäftigungszeiten auf den Nachweis durch "einschlägige Urkunden", insbesondere etwa Arbeitsbescheinigungen beschränkt, so bedeutete dies in aller Regel, daß ein "Nachweis" überhaupt nicht erbracht werden könnte, daß also die Beschäftigungszeiten höchstens glaubhaft gemacht werden könnten. Damit wäre aber die Regelung des § 19 Abs. 2 FRG, die nur für "nicht nachgewiesene" Beitrags- oder Beschäftigungszeiten eine Kürzung vorsieht, für die Beschäftigungszeiten überflüssig, weil die "Rechtswohltat", die in der Gleichstellung von Beschäftigungszeiten mit Beitragszeiten besteht, sich dann gerade für die Mehrheit der Fälle des § 16 FRG nicht auswirken würde. Es hätte dann eine gesetzliche Regelung nahegelegen, durch die von vornherein Beschäftigungszeiten allgemein nur mit fünf Sechstel zur Anrechnung gebracht worden wären, dies sollte aber durch § 19 Abs. 2 FRG gerade nicht geschehen. Zwar sind Urkunden, insbesondere Arbeitsbescheinigungen, die an Hand von Geschäftsbüchern, Gehaltsabrechnungen usw. ausgestellt sind, allgemein besonders geeignete Beweismittel; es ist aber nicht ausgeschlossen, daß ein Gericht und ein Versicherungsträger sich die Überzeugung davon, daß Beschäftigungszeiten von bestimmter Dauer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zurückgelegt worden sind, auch aus Zeugenaussagen bilden kann. Dieselbe Beweiskraft wie Aussagen des Arbeitgebers über Art und Dauer einer Beschäftigung können auch Aussagen anderer Personen haben, z.B. von nahen Angehörigen oder von Mitarbeitern des Beschäftigten. Dabei wird die Beweiskraft solcher Zeugenaussagen dann besonders groß sein, wenn es sich überhaupt nur um eine Beschäftigung oder um wenige länger dauernde Beschäftigungen gehandelt hat (vgl. insoweit zustimmend: Verbands-Komm. aaO). Ob eine Zeugenaussage vollen Beweis zu erbringen geeignet ist, ist allein im Rahmen der Beweiswürdigung zu prüfen; zwar ist bei der Wertung jedes Zeugenbeweises mit Rücksicht auf die zahlreichen Fehlerquellen, die eine Zeugenaussage beeinflussen können, Vorsicht am Platze (vgl. Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 8. Aufl., § 119 V S. 585 mit weiteren Hinweisen). Es gibt aber weder für das Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit noch für andere Verfahrensordnungen eine Beweisregel oder auch nur einen Erfahrungssatz, daß durch Aussagen von Zeugen über Tatsachen, die in weit zurückliegende Zeiträume fallen und die bestimmte Einzelheiten betreffen, niemals der volle Beweis erbracht werden kann. Eine Beschränkung der zum "Nachweis" geeigneten Beweismittel ist auch nicht mit Rücksicht darauf erforderlich, daß Beschäftigungszeiten durch Ausfallzeiten, vor allem durch Zeiten einer mehr als sechs Wochen dauernden Krankheit oder durch Arbeitslosigkeit unterbrochen sein können; es mag zwar der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen, daß Unterbrechungen infolge Krankheit oder Unfall in jedem Arbeitsleben vorkommen; es trifft auch zu, daß der Regelung in § 19 Abs. 2 FRG für die nicht nachgewiesenen Beschäftigungszeiten ebenso wie der Regelung in § 3 Abs. 1 der VO vom 3. März 1960 und in § 15 FRG für nicht nachgewiesene Beitragszeiten die Tatsache zugrunde liegt, daß die durchschnittliche Beitragsdichte in den deutschen gesetzlichen Rentenversicherungen bei zehn Monaten liegt. Im Gesetz selbst hat aber dieses Motiv keinen Ausdruck gefunden; das Gesetz selbst enthält keine Vermutung, daß nachgewiesene Beschäftigungszeiten durch Zeiten einer mehr als sechs Wochen dauernden Krankheit oder Arbeitslosigkeit unterbrochen sind und daß deshalb Beschäftigungszeiten nur als "glaubhaft gemachte" Beschäftigungszeiten gelten, wenn nicht auch der negative Beweis erbracht ist, daß solche Unterbrechungen nicht vorgelegen haben. Die Gerichte haben zwar, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, im Rahmen ihrer Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, auch zu prüfen, ob nach Lage des Falles nicht Tatsachen festzustellen sind, die auf eine derartige Unterbrechung der Beschäftigungszeit schließen lassen; liegen solche Tatsachen vor, so können sie im Rahmen der Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu der Feststellung führen, daß das Bestehen einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit nicht bewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht ist; liegen solche Tatsachen aber nicht vor, so ist das Gericht nicht gehindert festzustellen, daß die nachgewiesene Beschäftigungszeit nicht unterbrochen ist. Das LSG hat auch zutreffend ausgeführt, daß Beschäftigungszeiten nicht deshalb insgesamt nur glaubhaft gemachte Beschäftigungszeiten sind, weil neben nachgewiesenen Beschäftigungszeiten auch nur glaubhaft gemachte Beschäftigungszeiten vorliegen; der Kürzung nach § 19 Abs. 2 FRG unterliegen vielmehr auch in diesen Fällen nur die glaubhaft gemachten Beschäftigungszeiten.

Gegen die Auffassung des Senats, daß zum Nachweis von Beschäftigungszeiten im Sinne der §§ 16, 19 Abs. 2 FRG und zum Nachweis des Fehlens von Ausfallzeiten jedes zulässige Beweismittel geeignet ist und daß, wenn dieser Nachweis erbracht ist, die Beschäftigungszeit voll anzurechnen ist, spricht schließlich auch nicht, daß Personen, die zwar im In- oder Ausland Beiträge zu einer gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet haben, Beitragszeiten jedoch nicht nachweisen, sondern nur glaubhaft machen können, diese Beitragszeiten nach den §§ 15, 19 Abs. 2 FRG oder nach den Vorschriften der VO vom 3. März 1960 lediglich mit fünf Sechstel angerechnet erhalten und deswegen schlechter gestellt sein können als Personen, die aus Herkunftsländern kommen, in denen es eine Rentenversicherung überhaupt nicht gegeben hat und es deshalb allein auf den Nachweis von Beschäftigungszeiten ankommt. Dieses unterschiedliche Ergebnis folgt allein daraus, daß in den Fällen, die nach § 15 FRG oder nach der VO vom 3. März 1960 zu beurteilen sind, die Rentenberechnung grundsätzlich an den Nachweis der Beitragszeit geknüpft ist, daß der Nachweis von Beitragszeiten, sofern die Versicherungsunterlagen fehlen, in der Regel schwierig ist und daß es deshalb häufig nur zu einer Glaubhaftmachung der Beitragszeiten kommen kann. Dieses Ergebnis läßt sich jedenfalls nicht dadurch beseitigen, daß an den Nachweis von Beschäftigungszeiten im Sinne von § 16 FRG Anforderungen gestellt werden, die im Gesetz nicht enthalten sind.

Das LSG hat nach diesen Grundsätzen die Beweise, die ihm vorgelegen haben, zutreffend dahin gewürdigt, daß die strittigen Beschäftigungszeiten als nachgewiesene Beschäftigungszeiten anzusehen und deshalb ohne Kürzung nach § 19 Abs. 2 FRG anzurechnen sind. Das LSG hat insbesondere, wie die Niederschrift über die Beweisaufnahme ergibt, die Zeugen ausdrücklich darüber befragt, ob sich ihr Wissen auch auf Fehlzeiten von mehr als sechswöchentlicher Dauer erstreckt; die Zeugen haben dies bejaht und Fehlzeiten für den Ehemann der Klägerin verneint; sie haben überdies auch bestätigt, daß für den Fall kürzerer Krankheitszeiten jedenfalls das Gehalt des Ehemannes der Klägerin fortbezahlt worden und damit eine "Unterbrechung" des Beschäftigungsverhältnisses nicht eingetreten wäre. Das LSG hat bei der Würdigung der Zeugenaussagen zutreffend insbesondere auf die Quelle des Wissens - persönlicher Kenntnis des Ehemannes der Klägerin und von der Art und Dauer seiner Beschäftigungen auf die Urteilsfähigkeit der Zeugen und die Bestimmtheit ihrer Angaben, auf das erkennbar gute Erinnerungsvermögen der Zeugen und auf ihre Fähigkeit, in den fraglichen Zeiten die in den Aussagen wiedergegebenen Beobachtungen zu machen, abgehoben, es hat die Aussagen der Zeugen miteinander verglichen und im einzelnen dargelegt, warum es diese Aussagen teils als zum vollen Beweis geeignet, teils als nur zur Glaubhaftmachung ausreichend angesehen hat. Die Beklagte hat mit der Revision nicht dargelegt, diese Zeugenaussagen seien widerspruchsvoll oder unbestimmt oder die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Die Grenzen seines Rechts, das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu würdigen, hat das LSG nicht überschritten. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG sind deshalb für das BSG bindend, die rechtlichen Schlußfolgerungen, die das LSG aus dem festgestellten Sachverhalt gezogen hat, sind nicht zu beanstanden. Die Revision der Beklagten ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 255

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