Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht. notwendige Beiladung. Verfahrensmangel
Orientierungssatz
1. Die Entscheidung darüber, ob die Klägerin gemäß § 173b RVO von der Versicherungspflicht zu befreien ist, betrifft ein Rechtsverhältnis, an dem nicht nur die Klägerin, sondern auch ihr Arbeitgeber - wegen der ihn im Falle der Versicherungspflicht der Klägerin treffenden Pflicht zur Beitragsentrichtung (§§ 380, 381, 393 RVO) - derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG).
2. Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (erkennender Senat in ständiger Rechtsprechung, vgl BSG 1980-01-30 12 RK 58/78 = SozR 1500 § 75 Nr 29 mwN).
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1 Fassung: 1953-09-03; RVO §§ 173b, 380-381, 393
Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 12.03.1980; Aktenzeichen S 15 Kr 190/78) |
Tatbestand
Im Zusammenhang mit einem Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht (§ 173b der Reichsversicherungsordnung -RVO-) streiten die Beteiligten darüber, ob das der Klägerin seit 1968 regelmäßig, jedoch ohne eine entsprechende schriftliche Vereinbarung anscheinend jeweils am 31. Dezember des laufenden Jahres gezahlte dreizehnte Monatsgehalt ("Weihnachtsgratifikation") als Bestandteil des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) zu berücksichtigen ist. Die Beklagte hat dies unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verneint. Sie ist deshalb zu dem - von der Klägerin in rechnerischer Hinsicht nicht beanstandeten - Ergebnis gelangt, das Einkommen der Klägerin habe bereits ab 1. Januar 1977 unter der Versicherungspflichtgrenze gelegen; die Beteiligten stimmen auch darin überein, daß das Jahreseinkommen der Klägerin erst ab 1. Januar 1978 unter die Versicherungspflichtgrenze gesunken wäre, wenn das Weihnachtsgeld in den JAV einzubeziehen wäre.
Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 14. Juni 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 1978 den am 10. Januar 1978 gemäß § 173b RVO gestellten Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin sei bereits ab 1. Januar 1977 versicherungspflichtig und daher im Januar 1978 nicht mehr antragsberechtigt gewesen (§ 173b Abs 1 Satz 2 RVO iVm § 173a Abs 2 RVO). Mit entsprechender Begründung hat das Sozialgericht (SG) die Klage durch Urteil vom 12. März 1980 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die - vom SG zugelassene und mit Zustimmung der Beklagten eingelegte - Sprungrevision der Klägerin. Sie hält die Berücksichtigung des ihr zwar ohne schriftliche Abrede, jedoch in ständiger Übung als Weihnachtsgeld gezahlten dreizehnten Monatsgehalts bei der Berechnung des JAV für geboten und beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom
12. März 1980 und den Bescheid der Beklagten
vom 14. Juni 1978 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 1978 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin
von der Krankenversicherungspflicht zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die materiell-rechtliche Beurteilung durch das SG für zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG. Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil das Verfahren vor dem SG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht behoben werden kann.
Das SG hat nicht beachtet, daß die Entscheidung darüber, ob die Klägerin gemäß § 173b RVO von der Versicherungspflicht zu befreien ist, ein Rechtsverhältnis betrifft, an dem nicht nur die Klägerin, sondern auch ihr Arbeitgeber - wegen der ihn im Falle der Versicherungspflicht der Klägerin treffenden Pflicht zur Beitragsentrichtung (§§ 380, 381, 393 RVO) - derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 SGG, 1. Fall).
Die Entscheidung darüber, ob ein Arbeitnehmer, der nach Erhöhung der JAV-Grenze aufgrund des § 165 Abs 1 Nr 2 RVO versicherungspflichtig wird, von der Versicherungspflicht zu befreien ist, hängt zwar - neben dem Vorliegen anderer materiell-rechtlicher Voraussetzungen - allein davon ab, daß der versicherungspflichtig gewordene Arbeitnehmer fristgerecht (§ 173b Abs 1 Satz 2 iVm § 173a Abs 2 RVO) einen Befreiungsantrag stellt; der Arbeitgeber hat mithin keine rechtliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Entschließung des Arbeitnehmers zur Antragstellung und auf das Antragsverfahren. Die auf einen solchen Antrag des Arbeitnehmers zu treffende Entscheidung wirkt aber auch gegenüber dem Arbeitgeber, weil die Befreiung nach § 173b RVO als ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt (erkennender Senat, Urteil vom 25. Oktober 1976 - 12/3 RK 50/75 - SozR 5486 Art 4 § 2 Nr 2) nicht nur den Versicherten, sondern - unbeschadet der Zuschußpflicht nach § 405 RVO - auch den Arbeitgeber begünstigt. Der Arbeitgeber ist mithin als notwendig Beizuladender iS des § 75 Abs 2 SGG an dem Verfahren zu beteiligen.
Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (erkennender Senat in ständiger Rechtsprechung, vgl Urteil vom 30. Januar 1980 - 12 RK 58/78 - SozR 1500 § 75 Nr 29 mwN).
Der Senat hat deshalb nicht in der Sache entscheiden können. Er weist die Beteiligten aber vorsorglich darauf hin, daß er sich in einem Urteil vom 17. März 1981 - 12 RK 37/80 - mit der Frage befaßt hat, ob Zahlungen, die am 31. Dezember eines jeden Jahres geleistet werden, überhaupt Weihnachtsgeld im Sinne des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 6. Januar 1943 (AN 1943 S 6) sind und ob deshalb die vom BSG (BSGE 6, 205, 212) entwickelte Grundsätze auf Zahlungen dieser Art anzuwenden sind.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen