Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungszulassung in den Entscheidungsgründen. Vertrauensschutz bei fehlerhafter Zulassungsentscheidung
Orientierungssatz
1. Die dem Wortlaut des Gesetzes entsprechend "im Urteil" enthaltene Zulassungsentscheidung begründet, auch wenn sie nicht im Tenor enthalten und mit diesem oder bei der Mitteilung der Entscheidungsgründe verkündet worden ist, für den urteilsbeschwerten Beteiligten Rechtsposition, die des Vertrauensschutzes bedarf (vgl BSG 1977-03-23 7 RAr 32/76 = SozR 4461 Art 2 Nr 1).
2. Das Berufungsgericht ist auch bei einer fehlerhaften Form der Verlautbarung an die in den Entscheidungsgründen ausgesprochene Zulassungsentscheidung aus Gründen des Vertrauensschutzes gebunden.
Diese Bindungswirkung tritt nur für den Fall einer "qualifizierten Rechtswidrigkeit", insbesondere der Wirkungslosigkeit der Zulassungsentscheidung nicht ein (vgl BSG 1980-11-18 GS 3/79 = SozR 1500 § 161 Nr 27).
3. Eine Verlautbarung der Zulassungsentscheidung allein in den Entscheidungsgründen kann nicht als qualifizierter Verfahrensmangel mit der Folge der Nichtbeachtlichkeit angesehen werden, weil es sich nicht um einen offensichtlichen Gesetzesverstoß oder um eine Nicht- oder Scheinentscheidung handelt.
Normenkette
SGG § 150 Nr 1 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 20.03.1980; Aktenzeichen V ARBf 1/80) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 15.11.1979; Aktenzeichen 13 Ar 181/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die der Klägerin seit 1. Februar 1977 gewährte Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen der durch Art 1 Nr 11 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (4. ÄndG-AFG) vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557) mit Wirkung vom 1. Januar 1978 erfolgten Änderung des § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 9. Januar 1978 an herabsetzen durfte (Verminderung des bisher zugrunde gelegten Bemessungsentgelts nach § 112 Abs 7 um 25 vH).
Der ab 1. Februar 1977 arbeitslosen Klägerin, die bis 31. Januar 1977 als Studienreferendarin im Vorbereitungsdienst tätig war, wurde ab Februar 1977 Alhi bewilligt, der ein Bemessungsentgelt von wöchentlich 640,-- DM zugrunde lag. Mit Änderungsbescheid vom 19. Januar 1978 wurde die Alhi ab 9. Januar 1978 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von nur noch 75 % des bisherigen Bemessungsentgelts - wöchentlich 480,-- DM - neu berechnet und in Höhe von wöchentlich 185,40 DM (statt zuletzt 226,20 DM) festgestellt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 9. März 1978). Durch Urteil vom 15. November 1979 hat das Sozialgericht (SG) aufgrund mündlicher Verhandlung den Bescheid vom 19. Januar 1978 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. März 1978 aufgehoben. Im letzten Absatz der Entscheidungsgründe heißt es: "Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits hat die erkennende Kammer die Berufung gem § 150 Nr 1 SGG zugelassen. Der fehlende Ausspruch der Zulassung im Tenor des Urteils ist nach Auffassung der Kammer, die sich insoweit der hM in Literatur und Rechtsprechung anschließt, unschädlich (vgl Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 1977, § 150 Randnr 7 mwN)".
Mit Urteil vom 20. März 1980 hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.
Zur Begründung der Entscheidung ist im wesentlichen ausgeführt: Da der Rechtsstreit die Höhe der Alhi betreffe, greife der Berufungsausschließungsgrund des § 147 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein. Die Berufung sei auch nicht ungeachtet dieser Bestimmung nach § 150 Nr 1 SGG zulässig, weil das SG die Berufung nicht wirksam zugelassen habe. Die Zulassung nach dieser Bestimmung bedürfe einer ausdrücklichen Entscheidung durch das SG, an der es hier fehle. Eine derartige Entscheidung sei weder der Sitzungsniederschrift noch dem schriftlichen Vermerk über das Beratungsergebnis noch dem Tenor des angefochtenen Urteils zu entnehmen. Auch bei der Mitteilung der Entscheidungsgründe habe der Kammervorsitzende nach der vom Senat eingeholten dienstlichen Äußerung keine Entscheidung über die Zulassung der Berufung verlauten lassen. Die lediglich in den schriftlichen Entscheidungsgründen enthaltene Begründung für die Zulassung der Berufung sei keine wirksame Entscheidung iS von § 150 Nr 1 SGG. Eine Entscheidung nach dieser Bestimmung sei in den Urteilstenor aufzunehmen. Der Hinweis an anderer Stelle werde dem Formzwang des sozialgerichtlichen Verfahrensrechts nicht gerecht und verstoße gegen den Grundsatz der Klarheit und Eindeutigkeit gerichtlicher Entscheidungen. Gegenüber der früher einheitlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Wirksamkeit der Berufungszulassung auch nur in den Entscheidungsgründen seien wiederholt Bedenken erhoben worden, ua auch vom erkennenden Senat (LSG Hamburg, Urteil vom 31. Januar 1975, Breithaupt 1975, S 628), insbesondere aber auch vom 9. und 10. Senat des BSG (Urteile vom 11. November 1976, 10 RV 181/75, SozR 1500 § 150 Nr 3; 24. November 1976, 9 RV 104/75, SozR 1500 § 150 Nr 4 = SGb 77, 205; 29. März 1977, 9 RV 178/75). Allerdings hätten beide Senate des BSG aus Gründen des Vertrauensschutzes die Zulassung der Berufung in den Entscheidungsgründen noch als wirksam erachtet, wobei der 9. Senat darüber hinaus ausgeführt habe, daß er nicht umhin könne, in Zukunft ggf unter Beachtung des § 42 SGG, anders zu entscheiden. Demgegenüber hätten der 7. und 11. Senat des BSG (Urteile vom 23. März 1977, 7 RAr 32/76 - unveröffentlicht - und vom 29. Juni 1977, 11 RA 94/76, SozR 1500 § 161 Nr 16) an der bisherigen Rechtsprechung des BSG festgehalten. Nachdem die Entscheidung des 9. Senats, die zutreffend sei, bereits im März 1977 veröffentlicht worden sei, könnten Gründe des Vertrauensschutzes die Hinnahme einer unwirksamen Rechtsmittelzulassung in den Entscheidungsgründen nicht mehr rechtfertigen.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, das LSG habe zu Unrecht die Wirksamkeit der Zulassung der Berufung verneint und sei insoweit zu Unrecht von der Entscheidungspraxis des BSG abgewichen. Zwar sei die bisherige einhellig vertretene Auffassung des BSG zur Wirksamkeit der Zulassung der Berufung in den Entscheidungsgründen vom 10. Senat des BSG nicht mehr bestätigt und vom 9. Senat sogar aufgegeben worden. Beide Senate hätten jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes in den entschiedenen Fällen die Rechtsmittelzulassung in den Entscheidungsgründen für wirksam erachtet. Eine bedeutende Publizität habe die Auffassung des 9. Senats bisher nicht erlangt; andere Senate des BSG hätten an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten. Sie selbst habe im vorliegenden Falle darauf vertrauen dürfen, daß das SG die hilfsweise beantragte Zulassung der Berufung in wirksamer Weise aussprechen würde, zumal da sie auch keine Möglichkeit gehabt habe, auf diese Entscheidung bzw die Art ihrer Verlautbarung hinzuwirken. Aus Gründen des Vertrauensschutzes müsse die Berufung als zugelassen angesehen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg
vom 20. März 1980 aufzuheben und den Rechtsstreit
zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das
Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus: Im vorliegenden Falle liege die Vermutung nahe, daß die erkennende Kammer des SG eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung vergessen habe. Der fehlende Richterspruch könne nicht dadurch herbeigeführt werden, daß an die Zulassung der Berufung in den Entscheidungsgründen eine unwiderlegliche Vermutung geknüpft werde, daß ein Richterspruch vorliege. Die richterliche Kompetenz gehe nicht soweit, letztlich den Gesetzgeber zu korrigieren, der bei Berufungen eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht vorgesehen habe. Die schlichte Erwähnung der Berufungszulassung in den Entscheidungsgründen führe zu einer nicht haltbaren Beliebigkeit und sei daher gleichheitswidrig, weil das Schweigen der Kammer einmal zur Nichtzulassung der Berufung führe, das andere Mal zu deren Zulassung, wenn es dem Vorsitzenden der Kammer späterhin beliebe, aus seiner "privaten" Einsicht die Zulassung der Berufung doch noch für richtig zu halten.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Revision ist zulässig. Sie ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Das LSG hat die Zulässigkeit der Berufung, die das Revisionsgericht als eine von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvoraussetzung zu prüfen hat, wenn es sich - wie hier - um eine zugelassene Revision handelt (vgl für viele BSG SozR 1500 § 150 Nr 11 und Nr 18 mwN), zu Unrecht verneint. Die Berufung war zwar an sich nach § 147 SGG ausgeschlossen, denn sie betraf nur die Höhe der von der Beklagten bereits bewilligten Alhi ab 9. Januar 1978. Streit besteht nur über die Frage, ob § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2 AFG in der bis zum 31. Dezember 1977 geltenden Fassung oder in der geänderten Fassung durch Art 1 Nr 11 des 4. ÄndG-AFG vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557) anzuwenden ist, wonach bei Festsetzung der Höhe der Alhi eine geringere Bemessungsgrundlage als bisher zugrunde zu legen ist. Ein Höhenstreit iS von § 147 SGG liegt auch dann vor, wenn die Beteiligten darüber streiten, welches Bemessungsentgelt bei der Berechnung der Leistung zugrunde zu legen ist (vgl BSG SozR § 147 SGG Nr 8; BSG SozR 1500 § 147 Nr 3).
Die Berufung ist jedoch gem § 150 Nr 1 SGG statthaft gewesen. Nach dieser Bestimmung muß die Berufung "im Urteil" zugelassen werden. Dieser Voraussetzung ist jedenfalls nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, in der nicht vorgeschrieben ist, in welcher Form und an welcher Stelle des Urteils die Zulassung des an sich ausgeschlossenen Rechtsmittels auszusprechen ist, auch dann genügt, wenn sie nur in den Gründen der Entscheidung ausgesprochen ist und sich damit eindeutig aus dem Urteil ergibt. Dies entspricht sowohl der ständigen Rechtsprechung des BSG als auch der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes in der Verwaltungs-, der Finanz- und der Zivilgerichtsbarkeit und entspricht auch der herrschenden Meinung in der Literatur hinsichtlich der Rechtswirksamkeit der Zulassung eines Rechtsmittels in den Entscheidungsgründen (vgl BSGE 2, 67, 69; 2, 121, 125; 2, 245, 246 f = SozR Nr 11 zu § 150 SGG; 4, 206, 210; 4, 261, 263 = SozR Nr 16 zu § 150 SGG; 8, 135, 137; 8, 147, 148 f; 8, 154, 158; 11, 30, 31; BSG SozR Nrn 41 und 51 zu § 150 SGG; BSG SozR 1500 § 161 Nr 16; BSG Urteil vom 23. März 1977, 7 RAr 32/76; LSG Darmstadt, Urteil vom 28. August 1980, L 6 An 646/80; BSG KOV 66, 218; 75, 190; BVBl 75, 118, 119; BVerwG, Urteile vom 22. April 1970 und 14. Juni 1972, in: Buchholz, 310 Nr 13 und Nr 15 zu §134 VwGO; BFH 88, 361; RG in Warn 1933, Nr 73; BGH NJW 56, 830 = BGHZ 20, 188, 189; BGH NJW 56, 831; 70, 609, 610; Meyer-Ladewig, SGG, Komm, 1977, § 150 Anm 7, § 136 Anm 5; § 160 Anm 24; Peters/Sautter/Wolff, Komm zum SGb, 4. Aufl, Anm 2 zu § 150 SGG, S III/59-1/1 u 2; Schraft SGG, Komm 1961, Anm zu § 122 SGG, S 246; Rohwer-Kahlmann, Komm zum SGG, 4. Aufl, Stand: Mai 1979; Anm 2 zu § 150 SGG; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 1980, S 250 s; Dapprich, SGb 56, 177; Haueisen, SGb 55, 1; Grunsky in: Stein/Jonas, Komm zur ZPO, 20. Aufl 1977, RdNr 12 zu § 546; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1963, § 104 II 2a; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl, 1977, § 143 I 3a, S 812/13; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Komm, 39. Aufl, § 546 Anm 2 C b; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte 1971, RdNr 164 mwN; Eyermann/Fröhler, VwGO, Komm, 8. Aufl, 1980, RdNr 21 zu § 132; Redecker/von Oertzen, VwGO, Komm, 5. Aufl 1975, RdNr 19 zu § 132; Koehler, VwGO, Komm 1960, Anm B II zu § 132; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 7. Aufl 1978, § 62 III 2, S 274; Lange RdA 75, 106; Klinger, Komm zur VwGO, 2. Aufl 1964, Anm C zu §131 VwGO; aA Zeihe, SGG, Komm, Stand: 1. Januar 1981, RdNr 3a, b zu § 150 SGG; Mellwitz, SGG, Komm, 1956, Nr 3 zu § 150 SGG; Müller, NJW 1955, 1740; offenbar auch Miesbach/Ankenbrank/Hennig/Danckwerts, SGG, Komm, Stand September 1980, Anm 2 zu § 150 SGG). Die Rechtsprechung des BAG weicht hiervon nicht grundsätzlich ab, denn sie läßt ebenfalls die Rechtsmittelzulassung in den Gründen genügen (vgl BAG 1, 33; 2, 358; 9, 205, 209, AP Nr 14 zu § 319 ZPO; AP Nr 13 zu § 92 ArbGG 1972), verlangt aber wegen der Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ihre Verkündung (vgl §§ 61 Abs 3, 64 Abs 1 ArbGG, wonach erstinstanzliche Urteile der Arbeitsgerichte anders als diejenigen anderer Gerichte mit ihrer Verkündung rechtskräftig werden, sofern nicht die Berufung zugelassen worden ist; vgl dazu Lange RdA 1975, 106, 107; BVerfG, Beschluß vom 27. April 1976 - 2 BvR 342/74 - AP Nr 15 zu § 92 ArbGG 1953).
Die Frage, ob die Zulassung der Berufung jedenfalls bei Entscheidungen, die aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen, im Tenor erfolgen und mit diesem verkündet werden muß, brauchte der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Auch wenn der Senat insoweit der Auffassung des LSG folgt, wonach bei einem nur in den Entscheidungsgründen mitgeteilten Zulassungsanspruch keine prozeßordnungsgemäß verlautbarte Entscheidung vorliege, die die Beschlußfassung des SG sachgerecht belege und damit die notwendige Klarheit und Eindeutigkeit der Entscheidung über die Zulassung fehle, so folgt daraus noch nicht, daß man nur von der Berufungszulassung im Urteilstenor bzw deren Verkündung die Rechtswirkung der Eröffnung des Berufungsrechtszuges ausgehen kann; denn die dem Wortlaut des Gesetzes entsprechend "im Urteil" enthaltene Zulassungsentscheidung begründet, auch wenn sie nicht im Tenor enthalten und mit diesem oder bei der Mitteilung der Entscheidungsgründe verkündet worden ist, für den urteilsbeschwerten Beteiligten eine Rechtsposition, die des Vertrauensschutzes bedarf (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 25. März 1977, 7 RAr 32/76). Insoweit weicht der erkennende Senat nicht von den Entscheidungen anderer Senate des BSG ab. Der 10. Senat hat in seinem Urteil vom 11. November 1976 (SozR 1500 § 150 Nr 3) trotz Bedenken gegen die Zulassung der Berufung nur in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß dieser Zulassungsausspruch jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu beachten sei. Diese Auffassung teilt im Ergebnis auch der 9. Senat (Urteil vom 24. November 1976, SozR 1500 § 150 Nr 4 = SGb 1977, 205 f; Urteil vom 29. März 1977, VersorgB 1977, 131); allerdings hat der 9. Senat darüber hinaus ausgeführt, daß er in Zukunft nicht umhin könne, ggf unter Beachtung des § 42 SGG, anders zu entscheiden, falls in weiteren Fällen die Zulassung eines Rechtsmittels ausschließlich in der Urteilsbegründung bekanntgegeben werde. Diese Ausführungen tragen jedoch die Entscheidung nicht; sie enthalten nur eine Ankündigung, wie in solchen Fällen in Zukunft zu entscheiden sein wird. Die Voraussetzungen für eine Vorlage des zu entscheidenden Rechtsstreits an den Großen Senat des BSG gem § 42 SGG liegen daher nicht vor; denn der erkennende Senat weicht von den Urteilen des 9. und 10. Senats nicht ab, so daß er die Rechtsfrage, ob die nur mit den Entscheidungsgründen bekanntgegebene Zulassung der Berufung das Berufungsgericht bindet, selbst entscheiden kann (vgl den zur Veröffentlichung vorgesehenen Beschluß des Großen Senats (GS) des BSG vom 18. November 1980 - GS 3/79).
Selbst wenn die Form der Verlautbarung als fehlerhaft anzusehen wäre, ist das Berufungsgericht gleichwohl an die in den Entscheidungsgründen ausgesprochene Zulassungsentscheidung aus Gründen des Vertrauensschutzes - und zwar nicht nur für eine Übergangszeit - gebunden. Es ist anerkannt, daß die Schutzwürdigkeit des in die Tatsache der Zulassung gesetzten Vertrauens grundsätzlich deren Bindung erfordert, und daß diese Wirkung nur für den Fall einer "qualifizierten Rechtswidrigkeit", insbesondere der Wirkungslosigkeit der Zulassungsentscheidung nicht eintritt (vgl dazu den Beschluß des GS vom 18. November 1980 - GS 3/79 - mwN; ferner Weyreuther, aaO, RdNr 176 ff, 182, 185). Die Verlautbarung der Zulassungsentscheidung allein in den Entscheidungsgründen kann aber schon deshalb nicht als qualifizierter Verfahrensmangel mit der Folge der Nichtbeachtlichkeit angesehen werden, weil es sich nicht um einen offensichtlichen Gesetzesverstoß oder gar um eine Nicht- oder Scheinentscheidung handelt. Das Gesetz selbst läßt eine Entscheidung "im Urteil" genügen, ohne eine bestimmte Verlautbarungsform ausdrücklich vorzuschreiben. Wie der 10. Senat (BSG SozR 1500 § 150 Nr 3) zutreffend ausgeführt hat, kann auch aus dem Grundsatz erforderlicher Klarheit und Eindeutigkeit gerichtlicher Entscheidungen nicht die Rechtsunwirksamkeit einer Zulassungsentscheidung in den Urteilsgründen hergeleitet werden, da dieser Grundsatz eine Erscheinungsform des Prinzips der Rechtssicherheit ist, die gerade den Schutz des Vertrauens der Beteiligten auf die Rechtswirksamkeit der Berufungszulassung erfordert. Die Rechtssicherheit wäre mehr beeinträchtigt, wenn trotz eines ausdrücklichen Zulassungsausspruchs und der damit richterlich kundgetanen Prüfungswürdigkeit des Urteils den Beteiligten der Weg zu einer solchen Überprüfung verschlossen bliebe, als wenn im Einzelfall eine fehlerhafte Verlautbarung der Zulassungsentscheidung hingenommen würde. Dem Gebot der Rechtssicherheit als einem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 Grundgesetz -GG-) ergebenden verfassungsrechtlichen Grundsatz gebührt gegenüber den allein im einfachen Recht wurzelnden formellen Erwägungen, die gegen eine Wirksamkeit der Berufungszulassung allein in den Entscheidungsgründen sprechen mögen, der Vorrang (vgl auch BSG SozR 1500 § 150 Nr 3; Peters/Sautter/Wolff, aaO, Anm 2 zu § 150 SGG, S III/59-1/2-).
Im übrigen kommt es hinsichtlich des Vertrauensschutzes weniger darauf an, ob das SG sich darauf verlassen durfte, daß die Bekanntgabe in den Urteilsgründen nach der Rechtsprechung genügt (vgl BSG SozR 1500 § 150 Nr 4), sondern vielmehr darauf, daß der urteilsbeschwerte Beteiligte im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Zulassung die Berufung eingelegt hat. Er muß sich darauf verlassen dürfen, daß die von einem Berufsrichter in seinem Urteil mitgeteilte Zulassungsentscheidung in rechter Form und somit rechtswirksam getroffen worden ist, zumal da er hierauf keinen Einfluß hat (vgl auch BGH in NJW 1956, 831).
Da mithin das LSG zu Unrecht die Berufung als unzulässig verworfen und keine Sachentscheidung getroffen hat (§ 158 Abs 1 SGG), ist das angefochtene Urteil gem § 170 Abs 2 SGG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen