Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 14.05.1987) |
SG Würzburg (Urteil vom 25.03.1986) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten hin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 1987 abgeändert. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25. März 1986 wird zurückgewiesen.
Kosten sind in allen drei Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Im Prozeß geht es um die Rechtsfrage, ob das vorzeitige Altersgeld nach § 2 Abs 2 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) eine Leistung zur Bestreitung des Lebensunterhalts iS des § 134 Abs 3 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ist, die den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe begründen kann.
Der im Jahre 1925 geborene Kläger war Nebenerwerbslandwirt und übte seit 1978 keine mit Versicherungspflicht verbundene Beschäftigung mehr aus. Zum 1. Juni 1979 verpachtete er sein landwirtschaftliches Anwesen an seinen Sohn; dabei vereinbarte er einen Geldpachtzins von 1.200,– DM jährlich und einen Naturalpachtzins, dessen Umfang nicht bekannt ist. Darauf gewährte ihm die Landwirtschaftliche Alterskasse (LAK) Unterfranken für die Zeit vom 1. Juni 1980 an vorzeitiges Altersgeld. Zum 31. Januar 1984 entzog die LAK das Altersgeld, weil der Kläger nicht mehr erwerbsunfähig sei.
Im Dezember 1983 beantragte der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi). Das Arbeitsamt Sch. … lehnte mit Bescheid vom 26. Januar 1984 den Antrag ab und wies mit Bescheid vom 19. Juni 1984 den Widerspruch des Klägers zurück, da die Voraussetzungen des § 134 AFG nicht erfüllt seien und insbesondere der Bezug von vorzeitigem Altersgeld nach dem GAL, das lediglich einen Bargeldzuschuß zu einem anderweit gesicherten Lebensunterhalt darstelle, keinen Anspruch auf Alhi begründe.
Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat mit Urteil vom 25. März 1986 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil und die Bescheide des Arbeitsamtes aufgehoben, die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Februar 1984 bis 31. Juli 1985 Alhi zu gewähren, und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Voraussetzungen des § 134 AFG habe der Kläger mit Bezug des vorzeitigen Altersgeldes, das mit dem Altersruhegeld der gesetzlichen Rentenversicherung gleichzusetzen sei, erfüllt.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 134 Abs 3 AFG und trägt vor: Das vorzeitige Altersgeld sei zwar eine Leistung der Sozialversicherung, nicht aber zur Bestreitung des laufenden Lebensunterhalts bestimmt. Es werde nicht aufgrund einer Leistungsbeeinträchtigung anstelle von beitragspflichtigem Arbeitseinkommen bezogen, sondern sei eine Versicherungsleistung für selbständige Landwirte, denen infolge geminderter Leistungsfähigkeit die Ausübung der selbständigen landwirtschaftlichen Tätigkeit nicht mehr möglich sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Altersgeld für eine Grundsicherung des Lebensunterhalts.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht der Berufung des Klägers stattgegeben. Dieser hat keinen Anspruch auf Alhi für den streitigen Zeitraum.
Nach § 134 AFG hat Anspruch auf Alhi, wer die Voraussetzungen des Abs 1 Nr 1 bis 3 erfüllt und, wenn er nicht im Sinn des Abs 1 Nr 4 oder des Abs 2 beschäftigt war, innerhalb bestimmter Vorfristen wegen Erwerbsunfähigkeit Leistungen der Sozialversicherung zur Bestreitung seines Lebensunterhalts bezogen hat und solche Leistungen nicht mehr bezieht, weil die für ihre Gewährung maßgebliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit nicht mehr vorliegt (Abs 3 Satz 1 Nr 1 idF des am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz -AFKG-; die Nrn 2 und 3 des Satzes 1 kommen hier nicht in Betracht).
Die Regelung hat den Zweck, dem Arbeitslosen, der zB durch eine längere, ernsthafte Erkrankung an der Erfüllung der sog kleinen Anwartschaft nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b) AFG verhindert war, nach der Ausheilung den Schutz der Alhi zu geben (BSG SozR Nr 1 zu § 5 der 5. DVO zum AVAVG, S Ba 3, für das alte Recht), indem die fehlende entlohnte Beschäftigung durch Leistungen eines öffentlich-rechtlichen Trägers zur Bestreitung des Lebensunterhalts ersetzt wird (BSG SozR 4220 § 3 Nr 1 S 7, ebenfalls für das frühere Recht). Den Sachverhalten des § 134 Abs 3 AFG ist gemeinsam, daß wegen einer Beeinträchtigung des Leistungsvermögens die kleine Anwartschaft nicht erworben werden konnte, der Bezug von Lohnersatzleistungen zumindest bei pauschaler Betrachtungsweise die Annahme rechtfertigt, ohne die Behinderung wäre eine Arbeitnehmertätigkeit ausgeübt worden, und diese Lohnersatzleistungen wegen Fortfalls der Beeinträchtigung mit rückwirkender Kraft wieder aufgehoben wurde (Hennig/Kühl/Heuer, AFG, Anm 6 e zu § 134; nach Krebs, AFG, Rz 25 zu § 134, müssen die bezogenen Leistungen „eine Art Lohnersatz dargestellt haben”).
Gegen die Rechtsauffassung des LSG, das vorzeitige Altersgeld, das der Kläger von Juni 1980 bis Januar 1984 bezogen hat, sei als Leistung iS des § 134 Abs 3 Satz 1 Nr 1 AFG anzusehen, wendet sich die Revision zum einen deswegen, weil dieses Altersgeld nach der Gesetzessystematik nicht zur Erfüllung eines Ersatztatbestandes herangezogen werden dürfe, und zum anderen mit dem Argument, das vorzeitige Altersgeld diene nicht der Bestreitung des (laufenden) Lebensunterhalts. Die Auffassung der Revision trifft zu.
Der landwirtschaftliche Unternehmer erhält vorzeitiges Altersgeld, wenn er erwerbsunfähig iS des § 1247 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist, in einem bestimmten Umfang Beiträge an die LAK gezahlt und das Unternehmen abgegeben hat (§ 2 Abs 2 GAL). Das – vorzeitige wie endgültige – Altersgeld betrug in der hier maßgebenden Zeit vom 1. Januar 1983 (Ende der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit) bis zum 31. Januar 1984 (Ende des vorzeitigen Altersgeldes) für den verheirateten Berechtigten zunächst bis Ende Juni 1983 monatlich 476,10 DM und sodann monatlich 502,80 DM (§ 4 Abs 1 Satz 1 GAL idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983).
Der Senat hat schon im Jahr 1969 ausgeführt, das (vorzeitige) Altersgeld habe nicht – wie dies der grundsätzlichen „Lohnersatzfunktion” der Rente aus der Arbeiterrenten- und der Angestelltenversicherung entspreche – die „Funktion”, die bisherigen Einkünfte eines landwirtschaftlichen Unternehmers aus dem Betrieb zu „ersetzen”; es solle nicht den vollen Lebensunterhalt des alten und erwerbsunfähigen Landwirts decken (BSGE 30, 71, 73 = SozR Nr 3 zu § 2 GAL 1965). Daran ist festzuhalten. Da Voraussetzung für die Gewährung des vorzeitigen Altersgeldes die Abgabe des Unternehmens, also nach § 2 Abs 3 iVm Abs 8 GAL die Übergabe des landwirtschaftlichen Unternehmens oder ein sonstiger Verlust der Unternehmereigenschaft ist, muß berücksichtigt werden, daß der übergebende Landwirt üblicherweise (sozialtypisch) aufgrund des Übergabevertrages von dem Übernehmer den „Einsitz” (das Recht auf Wohnung) und den „Auszug” (das Recht auf Verpflegung am Tisch oder in Natur, die Sorge in kranken Tagen usw), also beachtliche geldwerte Leistungen erhält (Noell, Die Altershilfe für Landwirte, 10. Aufl, S 123), die vom (vorzeitigen) Altersgeld nicht „ersetzt” werden müssen, so daß im wesentlichen nur der Bargeldbedarf, der in vielen Fällen durch den Geldpachtzins oder eine ähnliche Zahlung des Übernehmers vermindert wird, durch das Altersgeld gedeckt werden muß.
Letztlich kann aber die Frage, ob das vorzeitige Altersgeld eine Lohnersatzleistung ist, unbeantwortet bleiben. Denn jedenfalls dient das Altersgeld nicht der Bestreitung des Lebensunterhalts. Da der Lebensunterhalt alle Bedürfnisse zur Existenzsicherung umfaßt (vgl § 12 Bundessozialhilfegesetz -BSHG- zum notwendigen Lebensunterhalt), wobei das Maß sich regelmäßig nach der Lebensstellung des Bedürftigen bestimmt (§ 1610 Abs 1 BGB), und da das Wort „bestreiten” nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens die vollständige oder doch nahezu vollständige Sorge für einen bestimmten Zustand bedeutet, kommt als Ersatztatbestand iS des § 134 Abs 3 AFG nur der Bezug einer Leistung in Frage, die die angemessene Existenzsicherung des Empfängers mindestens nahezu vollständig erbringt. Das ist bei dem vorzeitigen Altersgeld nicht der Fall. Auch insoweit wird auf das frühere Urteil des Senats (aaO) verwiesen.
Zwar meint Noell, die landwirtschaftliche Alterssicherung rücke bezüglich des Leistungsrechts immer mehr in die Nähe einer Grundsicherung der Landwirte und gehe über den Charakter eines bloßen Bargeldzuschusses hinaus (aaO, S 135, ähnlich S 137 und 293). Aber er kennzeichnet damit nur eine Entwicklung, die vielleicht eines Tages dazu führen wird, daß der angemessene Lebensunterhalt des auf dem Altenteil lebenden Landwirts durch das Altersgeld gedeckt wird. Heute kann davon noch nicht die Rede sein.
Die schon genannten Beträge (476,– bzw 503,– DM monatlich während der streitigen Zeit) reichten nicht aus, den Lebensunterhalt eines Landwirts-Ehepaares angemessen sicherzustellen. Damals (1983) betrug das durchschnittliche Bruttojahresarbeitsentgelt der Versicherten (Anlage 2 zu § 1255 RVO) monatlich 2.774,41 DM. Der Mindestbetrag für die Regelsätze nach dem BSHG war in Bayern ab 1. Juli 1984 auf 346,– DM für den Haushaltungsvorstand und auf 277,– DM für den Haushaltsangehörigen vom Beginn des 22. Lebensjahres an festgesetzt (Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1984, 135). Rechnet man dazu die Kosten für die Unterkunft sowie den Alterszuschlag von 20 vH (§ 23 BSHG), so ergibt sich als untere Grenze für die Existenzsicherung ein Betrag von mindestens 900,– DM monatlich; der angemessene Lebensbedarf liegt entsprechend höher.
Da die Revision der Beklagten begründet ist, mußte das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen