Leitsatz (redaktionell)
Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels keine ausdrückliche Verwendung des Wortes "Klagerücknahme" teilweise Rücknahme (Verzicht) der Berufung.
Normenkette
SGG § 102 Fassung: 1953-09-03, § 156 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. April 1967 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28. Oktober 1963 wird als unzulässig verworfen, soweit es sich um die in dem Bescheid des Versorgungsamts Duisburg vom 2. Januar 1962 ausgesprochene Berichtigung der Bescheide vom 12. Januar 1951, 7. August 1951, 23. Juni 1953, 10. August 1953 und 3. April 1957 handelt. Im übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Dem Kläger waren durch die Bescheide vom 12. Januar 1951 und 7. August 1951 (Umanerkennung) "1. Reizlose Narben des Gesichts und der Unterlippe; 2. Deformierende Gelenksveränderungen beider Fußgelenke und des linken Kniegelenks" als Schädigungsfolgen anerkannt und eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. gewährt worden. Als Schädigungstatbestand hatte der Kläger in seinem Antrag vom 3. Dezember 1945 eine am 2. Mai 1945 erlittene 5-tägige Verschüttung angegeben; eine Lazarettbehandlung hatte nach seinen Angaben nicht stattgefunden. Im August/September 1961 gingen bei der Versorgungsverwaltung von den Krankenbuchlagern M und B mehrere Original-Krankenblätter des Klägers ein. Danach war er bereits vor dem Dienstantritt an Gelenkrheuma erkrankt und vom 10. Mai bis 15. November 1945 wegen Gelenkrheumatismus und Gonorrhoe ("spezifische Infektarthritis") in Lazarettbehandlung gewesen. Das Vorliegen einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) war bei der Lazarettentlassung verneint worden. Das Versorgungsamt (VersorgA) veranlaßte eine Überprüfung der Versorgungssache und erließ am 2. Januar 1962 einen auf § 42 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gestützten Anfechtungs- und Rückforderungsbescheid. Danach wurden die vorgängigen Bescheide gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG aufgehoben, die Zahlung der Versorgungsbezüge mit Ende Januar 1962 eingestellt und die ab 1. August 1947 zu Unrecht gezahlten Bezüge in Höhe von 8.605,30 DM gemäß § 47 Abs. 3 Nr. 1 VerwVG zurückgefordert. Als Schädigungsfolgen ohne rentenberechtigenden Grad der MdE blieben nur noch anerkannt: "Reizlose Narben des Gesichts und der Unterlippe". Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid des Landesversorgungsamtes vom 3. April 1962 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat den Kläger angehört, einen Zeugen vernommen und die Klage durch Urteil vom 28. Oktober 1963 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers durch Urteil vom 13. April 1967 das Urteil des SG Duisburg vom 28. Oktober 1963 abgeändert und den Bescheid des VersorgA Duisburg vom 2. Januar 1962 und den Widerspruchsbescheid vom 3. April 1962 aufgehoben. In den Gründen wird ausgeführt, der angefochtene Bescheid vom 2. Januar 1962 sei nicht hinsichtlich des "Berichtigungstatbestandes" bindend im Sinne des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geworden; der Kläger habe die Berufung insoweit nicht ausdrücklich zurückgenommen und auf den Rückforderungsanspruch beschränkt. In seinem Schriftsatz vom 29. Juni 1964 habe der Kläger lediglich zum Ausdruck gebracht, daß eine Berichtigung rechtens sei, soweit sie auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG gestützt werde, aber in längeren Ausführungen dargelegt, daß der Tatbestand des § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG nicht erfüllt sei. Der Kläger habe damit den "Berichtigungstatbestand im Sinne des § 42 Abs. 1 VerwVG schlechthin nicht aus dem Streit genommen". Der angefochtene Bescheid vom 2. Januar 1962 habe somit auch keine Teilverbindlichkeit erlangt. Die in diesem Bescheid ausgesprochene Rücknahme früherer rechtsverbindlicher Bescheide sei gemäß §§ 42, 43 VerwVG rechtsunwirksam. Die Aufhebung (Rücknahme) der Leistungsbescheide vom 12. Januar 1951 und 7. August 1951 - die übrigen zurückgenommenen Bescheide beinhalteten nur eine Neuberechnung der Versorgungsbezüge - sei offensichtlich nicht fristgerecht erfolgt, weil die 5-Jahresfrist des § 43 Abs. 2 VerwVG bereits im Jahre 1956 und somit vor dem Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453 - 1. NOG) im Juni 1960 abgelaufen gewesen sei.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 8. Mai 1967 zugestellt, der dagegen mit Schriftsatz vom 2. Juni 1967, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 6. Juni 1967, Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 8. August 1967 mit Schriftsatz vom 12. Juli 1967, beim BSG eingegangen am 17. Juli 1967, begründet hat.
Der Beklagte beantragt zu erkennen:
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. April 1967 geändert. Die Berufung des Klägers wird als unzulässig verworfen.
2. Außergerichtliche Kosten sind - auch hinsichtlich des zweiten Rechtszugs - nicht zu erstatten.
Hilfsweise:
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. April 1967 geändert. Die Berufung des Klägers wird hinsichtlich des Anfechtungstatbestands als unzulässig verworfen, im übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind - auch hinsichtlich des zweiten Rechtszugs - nicht zu erstatten.
Schließlich hilfsweise:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. April 1967 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Der Beklagte rügt in seiner Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, eine Verletzung der §§ 77, 99 Abs. 3, 102, 103, 123, 128, 136 Abs. 1 Nr. 6, 141 Abs. 1 und 156 SGG durch das Berufungsgericht und trägt dazu insbesondere vor, die Erklärung des Klägers in der Berufungsbegründungsschrift vom 29. Juni 1964 müsse als teilweise Klagerücknahme oder als Berufungseinschränkung aufgefaßt werden. Die Auslegung von Parteierklärungen sei keine Feststellung von "Tatsachen", sondern unterliege in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Der Kläger habe in seinem Schriftsatz vom 29. Juni 1964 ausdrücklich eingeräumt, daß der auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG gegründete Anfechtungsbescheid rechtmäßig sei. Die weiteren Ausführungen des Klägers zu § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG hätten sich offensichtlich nicht auf den Anfechtungstatbestand bezogen, der überhaupt nicht auf diese Vorschrift, sondern ausschließlich auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG gestützt gewesen sei; vielmehr habe der Kläger damit den auf § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG gestützten Rückforderungsanspruch angreifen wollen, der inhaltlich mit § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG völlig übereinstimme. Den Antrag des Klägers aus seinem Schriftsatz vom 29. Juni 1964 habe das LSG völlig unbeachtet gelassen und insoweit bei seiner Entscheidung gegen § 123 SGG verstoßen. In seinem Schriftsatz vom 6. Juli 1966 habe der Kläger überdies ausdrücklich bestätigt, daß er die Berufung auf den Rückforderungsanspruch beschränkt habe. Die Berufung sei insoweit auch rücknahmefähig gewesen, da es sich bei dem Anfechtungstatbestand um einen selbständigen Anspruch gehandelt habe. Die teilweise Berufungsrücknahme habe insoweit den Verlust des Rechtsmittels zur Folge gehabt, so daß die Sachentscheidung des LSG gegen §§ 141 Abs. 1, 156 SGG verstoßen habe. Die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG erklärte Erweiterung der Klage könne nicht als zulässige Klagänderung oder Erweiterung des Klagantrages im Sinne des § 99 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGG aufgefaßt werden; der angefochtene Bescheid sei insoweit rechtsverbindlich und nicht mehr angreifbar gewesen.
Der Kläger beantragt,
1. Die Revision als unzulässig zu verwerfen;
2. die außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen dem Beklagten aufzuerlegen;
3. hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Er sieht die gerügten Verfahrensmängel nicht als vorliegend an und trägt weiter vor, eine Einschränkung der Berufung sei nicht gewollt gewesen. Sollte gleichwohl eine Einschränkung anzunehmen sein, dann habe das LSG auf die Stellung eines sachdienlichen Antrags hinwirken müssen. Jedenfalls aber sei noch die Berechtigung des Rückforderungsanspruchs zu prüfen.
Die Revision des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden. Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, ist die Revision nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird und vorliegt (vgl. BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Der Beklagte leitet die Statthaftigkeit der Revision aus § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG her und rügt in seiner Revisionsbegründung zahlreiche Verfahrensmängel, darunter in mehrfacher Hinsicht Verletzungen des § 128 SGG. Werden mehrere Verfahrensmängel gerügt, so genügt es nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, wenn einer dieser Verfahrensmängel vorliegt und die Statthaftigkeit der Revision trägt. In einem solchen Fall kommt es für die Statthaftigkeit der Revision nicht mehr darauf an, ob auch die übrigen Rügen durchgreifen (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).
Der Beklagte rügt u. a. eine Verletzung des § 128 SGG, die er darin erblickt, daß das LSG die Schriftsätze des Klägers vom 29. Juni 1964 und 6. Juli 1966 und die darin enthaltenen Prozeßerklärungen nicht ausreichend gewürdigt habe. Dadurch sei das LSG zu einer fehlerhaften Beweiswürdigung und als Folge davon zu einem weiteren Verfahrensfehler gekommen, indem es - jedenfalls soweit es sich um den Anfechtungstatbestand handele - die Berufung des Klägers nicht als unzulässig verworfen, sondern ein Sachurteil erlassen habe (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 32 und 56). Diese Rüge des Beklagten greift auch durch. Nach § 128 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es hat in seinem Urteil die Gründe anzugeben, die für seine Überzeugung maßgebend gewesen sind. Ein Verfahrensfehler liegt dann vor, wenn das LSG wesentliche Unterlagen überhaupt unberücksichtigt gelassen oder unvollständig verwertet oder wenn es den darin enthaltenen schriftlichen Erklärungen Angaben entnommen hat, die nicht darin enthalten sind, und infolge seiner irrigen Auffassung über den Inhalt dieser Erklärungen zu verfahrensrechtlich unzulässigen Schlußfolgerungen gelangt ist (vgl. BSG in SozR SGG § 128 Nr. 12; Urteil des erkennenden Senats vom 12. August 1969 - 10 RV 393/68). Dabei unterliegt, wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 29. April 1969 (10 RV 12/68) ausgesprochen hat, die Auslegung von Erklärungen in ihrer prozeßrechtlichen Bedeutung durch die Vorinstanz der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht, weil nur auf diesem Wege die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Vorschriften, soweit sie von Prozeßerklärungen der Beteiligten abhängen, durch das Revisionsgericht überprüft werden kann (vgl. BVerwG in Buchholz, BVerwG 310, Nr. 5 zu § 86 Abs. 3 VerwGO; RGZ 86, 380; 107, 344; 134, 132; 136, 207).
Im vorliegenden Fall ist die Auslegung der Erklärungen des Klägers aus seiner Berufungsbegründungsschrift vom 29. Juni 1964 streitig, nämlich ob darin eine teilweise Berufungsrücknahme oder - was in der Wirkung gleichbedeutend ist - ein teilweiser Berufungsverzicht liegt (vgl. BSG in SozR SGG § 156 Nr. 5). Das LSG hat hierzu die Auffassung vertreten, daß der Kläger die Berufung nicht - sei es ausdrücklich oder stillschweigend - zurückgenommen und daß er "den Berichtigungstatbestand im Sinne des § 42 Abs. 1 VerwVG schlechthin nicht aus dem Streit genommen" habe. Mit Recht rügt der Beklagte in diesem Zusammenhang, daß das LSG den Schriftsatz des Klägers vom 29. Juni 1964 nur unvollständig gewürdigt, wesentliche Erklärungen übergangen und den Schriftsatz vom 6. Juli 1966 in seinem wesentlichen Inhalt überhaupt unberücksichtigt gelassen hat. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 27. Januar 1964 zunächst formell und unbeschränkt Berufung eingelegt mit dem Hinzufügen: "Antrag und Begründung werden nachgereicht". In seiner Berufungsbegründung vom 29. Juni 1964 hat der Kläger gleich am Anfang ausgeführt: "Es soll nicht bestritten werden, daß der angefochtene Bescheid, soweit er auf § 42 Abs. 1 Ziff. 9 VerwVG gestützt wird, rechtens ist". Alsdann hat er längere Ausführungen zu § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG gemacht und sich dagegen gewandt, daß ihm das SG "wissentlich falsche Angaben oder Verschweigen von Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, unterstellt hat". Wenn das LSG diese Ausführungen dahin ausgelegt hat, daß der Kläger "§ 42 Abs. 1 VerwVG schlechthin nicht aus dem Streit genommen" habe, so hat das LSG zunächst schon übersehen, daß der Anfechtungsbescheid überhaupt nicht auf § 42 Abs. 1 Nr. 3, sondern ausschließlich auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG gestützt war, und daß auch vor dem SG ausschließlich - soweit es den Anfechtungsbescheid betraf - darüber gestritten worden war, ob die Versorgungsverwaltung die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG zu Recht bejaht hat. Das LSG hat offenbar weiter übersehen, daß die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG - "Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen worden sind" - wörtlich mit § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG übereinstimmen. Auf diese Vorschrift aber war ausdrücklich der Rückforderungsanspruch gestützt und mit dieser Vorschrift hat sich das SG lediglich im Zusammenhang mit dem Rückforderungsanspruch auseinandergesetzt, daß nämlich der Kläger "wesentliche Tatsachen wissentlich verschwiegen hat". Auch der Kläger hat die Feststellungen des SG - wenn auch unter der falschen Bezeichnung des § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG - nur deshalb angegriffen, weil - wie er in seinem Schriftsatz vom 29. Juni 1969 wörtlich schreibt - "die Rückforderung der empfangenen Leistungen nicht gerechtfertigt" ist. Jeder Zweifel an dem Inhalt der schriftlichen Erklärungen des Klägers wird durch den in dem Schriftsatz vom 29. Juni 1964 enthaltenen Antrag beseitigt, den das LSG völlig übersehen hat und der wörtlich lautet: "Wir beantragen, das Urteil des SG vom 28. Oktober 1963 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, auf die Rückforderung zu verzichten".
Das LSG scheint auch - was der Beklagte gleichfalls zu Recht rügt - den Inhalt und die Bedeutung des Schriftsatzes des Klägers vom 6. Juli 1966 übersehen oder jedenfalls völlig verkannt zu haben. Dieser Schriftsatz beginnt mit den Worten: "Es trifft zwar zu, daß in der Berufungsbegründung vom 29. Juni 1964 die Berufung auf die Rückforderung beschränkt worden ist". Im zweiten Absatz dieses Schriftsatzes bestätigt der Kläger erneut, daß "die Beschränkung der Berufung auf die Rückforderung erfolgt" ist, wobei die Gründe, die auf Seiten des Klägers für diese Beschränkung maßgebend waren, den Inhalt und die Rechtswirkungen der von ihm abgegebenen Erklärungen nicht beeinträchtigen oder rückwirkend ungeschehen machen konnten.
Der Inhalt der Erklärungen des Klägers in der Berufungsbegründungsschrift ist somit eindeutig und stellt sich als - teilweise - Berufungsrücknahme oder - teilweiser - Berufungsverzicht dar. Dabei ist es unschädlich, daß der Kläger den Ausdruck "Rücknahme der Berufung" oder einen ähnlichen Ausdruck nicht ausdrücklich gebraucht hat. Die Rücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels muß zwar durch Erklärung gegenüber dem Gericht - sei es durch Schriftsatz oder durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung - erfolgen (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 127 Anm. II 1 c); sie braucht aber nicht ausdrücklich unter Verwendung des Wortes "Rücknahme" zu erfolgen, sofern sie nur eindeutig und unmißverständlich ist; dabei kann die Rücknahme der Klage oder des Rechtsmittels auch in einer Beschränkung des Klag- oder Berufungsantrages zum Ausdruck kommen (vgl. Rosenberg aaO mit weiteren Hinweisen). Die Erklärungen des Klägers in der Berufungsbegründung vom 29. Juni 1964 und der in diesem Schriftsatz gestellte Antrag bedeuten daher ohne Zweifel die Preisgabe des Rechts auf Nachprüfung und Abänderung des erstinstanzlichen Urteils hinsichtlich der in dem Bescheid vom 2. Januar 1962 ausgesprochenen Berichtigung, d. h. einen teilweisen Rechtsmittelverzicht oder eine teilweise Rechtsmittelzurücknahme und die Beschränkung der Berufung auf den Rückforderungsanspruch.
Die Berufung ist auch in dem eben erörterten beschränkten Umfang rücknahme- oder verzichtsfähig gewesen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist eine Berufung teilweise rücknahme- oder verzichtsfähig, soweit die Rücknahme oder der Verzicht entweder einen von mehreren Klagansprüchen oder einen abtrennbaren Teil eines Klaganspruchs betrifft (vgl. BSG 21, 13, 15). Unter dem Klaganspruch ist der prozessuale, nicht der materiell-rechtliche Anspruch zu verstehen; er deckt sich mit dem Streitgegenstand und hat zum Inhalt das Begehren auf rechtskräftigen Ausspruch bestimmter Rechtsfolgen, die sich nach Meinung des Klägers aus einem Sachverhalt ergeben (vgl. Beschluß des Großen Senats des BSG in Bd. 18, 266). Der prozessuale Anspruch des Klägers richtete sich zunächst gegen den Bescheid vom 2. Januar 1962 in seiner Gesamtheit. Dieser Bescheid traf jedoch zwei verschiedene "Ansprüche des Beklagten", nämlich den auf § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG gestützten Berichtigungsanspruch und den auf § 42 Abs. 3 Buchst. a VerwVG gestützten Rückforderungsanspruch. Letzterer hing zwar in seinem Bestand und seinen Voraussetzungen davon ab, daß die gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG ausgesprochene Berichtigung rechtmäßig war (vgl. § 47 Abs. 3 Satz 1 VerwVG); das schließt jedoch nicht aus, daß der Beklagte die Berichtigung und die Rückforderung in zwei getrennten Bescheiden geltend machen oder aber zwar die Berichtigung aussprechen, aber von der Rückforderung absehen (§ 47 Abs. 3 VerwVG) oder darauf verzichten (§ 47 Abs. 4 VerwVG) konnte. Entsprechend konnte der Kläger seinen prozessualen Anspruch auf Nachprüfung und gerichtliche Entscheidung gegen die Berichtigung und gegen die Rückforderung richten, er konnte diesen Anspruch aber auch auf die Rückforderung beschränken, wenn er der Auffassung war, daß die Berichtigung "rechtens" sei. Für die Abgrenzung und Beschränkung kommt es darauf an, welche Rechtsfolgen der Kläger im einzelnen festgestellt haben will und wieweit sich diese voneinander abgrenzen und für sich selbständig betreiben und feststellen lassen (vgl. BSG 21 aaO; s. auch BSG in BVBl 1965 S. 145). Ergibt das Klage- oder Berufungsvorbringen, daß der Kläger sich gegen zwei Verfügungssätze der Versorgungsverwaltung wendet, die an verschiedene Voraussetzungen geknüpft sind und zu verschiedenen Rechtsfolgen führen, so handelt es sich in der Regel um verschiedene prozessuale Ansprüche, die gegebenenfalls auch von den Beteiligten gesondert betrieben und von den Gerichten getrennt voneinander behandelt und entschieden werden können. In diesem Sinne sind auch im vorliegenden Fall die Klagebegehren zwei selbständige prozessuale Ansprüche gewesen, die einer getrennten Behandlung durch die Beteiligten - sowohl hinsichtlich der Klageerhebung als auch der Rechtsmitteleinlegung bzw. -beschränkung - und einer getrennten Entscheidung durch die Gerichte zugänglich gewesen sind. Der von dem Kläger erklärten teilweisen Rücknahme bzw. Beschränkung des Rechtsmittels standen somit rechtliche Hindernisse, die die Wirksamkeit seiner Erklärung beeinträchtigt hätten, nicht entgegen.
Das LSG hat somit seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, indem es wesentliche Teile der Erklärungen des Klägers überhaupt unberücksichtigt gelassen bzw. ihnen einen Sinn gegeben hat, der darin nicht enthalten war. Die Revision ist aus diesem Grunde statthaft. Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem gerügten Verfahrensmangel und war daher aufzuheben. Der Senat konnte auch in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG), soweit es sich um die Berichtigung (Anfechtung) der früheren Anerkennungsbescheide handelt. Nach den obigen Ausführungen sind die Erklärungen des Klägers, soweit sie prozeßgestaltende Wirkung haben, dahin auszulegen, daß der Kläger in seiner Berufungsbegründung vom 29. Juni 1964 die Berufung auf den Rückforderungsanspruch beschränkt und hinsichtlich des Berichtigungsanspruchs die Berufung zurückgenommen bzw. insoweit auf diese verzichtet hat. Das klagabweisende Urteil des SG war daher insoweit rechtskräftig und der Berichtigungsbescheid bindend geworden; für eine Sachentscheidung durch das LSG über den Berichtigungsanspruch war kein Raum mehr (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 32 und 56). Mit Recht rügt der Beklagte, daß die Berufung insoweit von dem LSG als unzulässig hätte verworfen werden müssen. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Berufung hinsichtlich des Berichtigungsanspruchs war nunmehr durch das Revisionsgericht zu treffen.
Eine Sachentscheidung durch das LSG war auch nicht etwa deshalb zulässig und geboten, weil der Kläger, wie er meint, sein Rechtsmittel wieder "erweitert" hat, womit er offenbar eine zulässige Klagänderung im Sinne des § 99 SGG geltend machen will. Abgesehen davon, daß der Beklagte der Klagänderung nicht zugestimmt, sondern ausdrücklich widersprochen hat (vgl. Schriftsatz vom 20. Dezember 1966), setzt die Zulässigkeit einer Klagänderung in der Berufungsinstanz die Zulässigkeit der Berufung voraus. Nur dann, wenn das Rechtsmittel zulässig ist, kann in eine sachliche Verhandlung eingetreten und über etwaige Änderungen entschieden werden (vgl. Krebs in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1959/75). Als ein Hindernis der Zulässigkeit ist auch ein Rechtsmittelverzicht oder eine Rechtsmittelrücknahme anzusehen (vgl. Stein/Jonas, ZPO, 18. Aufl., Einl. II vor § 511). Die Sachdienlichkeit einer Klagänderung ist daher regelmäßig zu verneinen, wenn die Prozeßvoraussetzungen der Klage oder der Berufung fehlen (vgl. Krebs aaO; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 99 Anm. 2, Seite II/61 - 31 -). Daß nur diese Auffassung richtig sein kann, ergibt sich im übrigen aus § 156 Abs. 2 SGG. Nach dieser Vorschrift bewirkt die Zurücknahme der Berufung - die nach Abs. 1 in jeder Lage des Verfahrens bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erfolgen kann - "den Verlust des Rechtsmittels". Wie das BSG hierzu mit eingehender Begründung und unter Hinweis auf die anderslautende Vorschrift des § 515 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung ("Verlust des eingelegten Rechtsmittels") entschieden hat, kann der Berufungskläger, der die Berufung zurückgenommen hat, diese auch innerhalb der noch laufenden Berufungsfrist nicht erneut wirksam einlegen (vgl. BSG 19, 120 mit zahlreichen Hinweisen). Ist aber bereits die erneute Einlegung des Rechtsmittels innerhalb der noch laufenden Berufungsfrist unzulässig, dann muß dies umso mehr gelten, wenn die Berufung erst nach Ablauf der Berufungsfrist erneut eingelegt bzw. um den zurückgenommenen Teil "erweitert" und damit der von der Rücknahme umfaßte Teil des Rechtsstreits der Nachprüfung durch das Berufungsgericht wieder unterbreitet werden soll. Eine derartige "Berufungsänderung" verstößt gegen zwingende prozeßrechtliche Vorschriften und ist daher unzulässig.
Auf die Revision des Beklagten war demnach die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen, soweit es sich um den berichtigenden Teil des Bescheides vom 2. Januar 1962 handelt. Damit ist jedoch über den Rückforderungsanspruch des Beklagten gemäß § 47 Abs. 3 VerwVG noch nicht entschieden. Bei diesem Anspruch handelt es sich zwar, wie oben dargelegt, um einen selbständigen prozessualen Anspruch; er ist jedoch in seinem Bestande zunächst von dem Bestehen und der Rechtswirksamkeit des Berichtigungsbescheides abhängig (vgl. BSG in BVBl 1965 S. 145) und insofern akzessorisch. War über den Berichtigungstatbestand entgegen der Auffassung des LSG bereits rechtskräftig durch das SG entschieden, dann hat der Kläger einen prozessualen Anspruch darauf, daß sachlich über den Rückforderungsanspruch entschieden wird, den er mit der Berufung weiterverfolgt hat und über den das LSG von seiner Rechtsauffassung aus - da es bereits den Berichtigungsbescheid als unrechtmäßig angesehen und in seinem Urteil aufgehoben hat - nicht besonders zu entscheiden brauchte. Der Kläger konnte aber insoweit kein Rechtsmittel einlegen, da er durch das Urteil des LSG nicht beschwert war.
Die Statthaftigkeit und Begründetheit der Revision bezieht sich demnach im vorliegenden Fall auch auf den Rückforderungsanspruch gemäß § 47 Abs. 3 VerwVG. Insoweit konnte der Senat jedoch nicht in der Sache selbst entscheiden, da das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob die besonderen Voraussetzungen für den Rückforderungsanspruch gemäß § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG - "Tatsachen ... wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen hat" - gegeben sind. Das Urteil des LSG war daher hinsichtlich des Rückforderungsanspruchs aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen