Leitsatz (amtlich)
Ist einem Versicherten von einem vor Beginn des Krankengeldes liegenden Zeitpunkt an Berufsunfähigkeitsrente gewährt worden, die auf seine Klage hin als vom gleichen Zeitpunkt an gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente richtiggestellt wurde, so geht der Anspruch des Versicherten auf die Erwerbsunfähigkeitsrente nur insoweit auf die KK über, als er nicht durch die bereits an den Versicherten gezahlte Berufsunfähigkeitsrente erloschen ist (Fortentwicklung von BSG 1963-12-18 3 RK 40/63 = BSGE 20, 140).
Normenkette
RVO § 183 Abs. 5 Fassung: 1961-07-12, Abs. 3 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. September 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die klagende Krankenkasse die dem Beigeladenen Sp (Sp.) von der beklagten Landesversicherungsanstalt bewilligte Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 1. November 1964 bis 29. Oktober 1965 nach § 183 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in vollem Umfange in Anspruch nehmen darf, nachdem die Beklagte dem Versicherten zunächst Berufsunfähigkeitsrente bewilligt und gezahlt hatte, später aber im Laufe eines sozialgerichtlichen Verfahrens Erwerbsunfähigkeitsrente zugebilligt und von dieser die bereits gezahlte Berufsunfähigkeitsrente abgezogen hatte.
Die Beklagte bewilligte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 8. September 1964 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. März 1964 in Höhe von 298,- DM monatlich. Sie zahlte ihm diese Rente laufend ab 1. November 1964. Die Nachzahlung für die Zeit vom 1. März 1964 bis 31. Oktober 1964 in Höhe von 2.384,- DM behielt sie mit Rücksicht auf einen von der Klägerin angemeldeten Erstattungsanspruch ein.
Der Beigeladene erhob gegen den Bescheid vom 8. September 1964 Klage und begehrte die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Diesen Anspruch erkannte die Beklagte im Laufe des Streitverfahrens an und bewilligte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 22. Oktober 1965 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. März 1964 in Höhe von 447,- DM monatlich. Diese Rente zahlte sie ab 1. Dezember 1965 laufend und errechnete eine Nachzahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente vom 1. März 1964 bis 30. November 1965 in Höhe von 9.387,- DM. Davon setzte sie die seit dem 1. November 1964 gezahlte Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 3.874,- DM ab, so daß eine Gesamtnachzahlung von 5.513,- DM verblieb. Diese Nachzahlung behielt sie zunächst ein.
Die Klägerin hatte dem Beigeladenen in der Zeit vom 3. August 1964 bis 29. Oktober 1965 Kranken- und Hausgeld gezahlt. Sowohl das Krankengeld als auch das Hausgeld waren während der gesamten Zeit höher als die auf dieselbe Zeit entfallende Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die Klägerin machte unter Hinweis auf § 183 Abs. 4 RVO gegenüber der Beklagten einen Gesamterstattungsanspruch für die Zeit vom 14. September 1964 bis 29. Oktober 1965, in der sie Barleistungen an den Beigeladenen erbracht hatte, in Höhe von 6.035,40 DM geltend, wobei sie den vollen Betrag der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 14. September 1964 bis 29, Oktober 1965 in Anspruch nahm. Die Beklagte befriedigte diesen Erstattungsanspruch nur in Höhe von 2.478,70 DM und zahlte den Restbetrag der Nachzahlung von 3.034,30 DM an den Beigeladenen aus. Dabei legte sie für die Zeit vom 14. September bis 31. Oktober 1964 den Gesamtbetrag der Erwerbsunfähigkeitsrente zugrunde, für die folgende Zeit jedoch nur die Differenz zwischen der Erwerbsunfähigkeitsrente und der Berufsunfähigkeitsrente.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 3.564,60 DM begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe nach § 183 Abs. 3 RVO bei Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit die gesamte Rentennachzahlung bis zur Höhe der von ihr erbrachten Leistungen zu. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Rente wegen Berufsunfähigkeit an den Beigeladenen auszuzahlen, nachdem dieser diesen Rentenbescheid angefochten habe.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Bescheid der Beklagten vom 8. September 1964 über die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente sei mit seinem Erlaß für die Beklagte nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend geworden. Die von dem Beigeladenen hiergegen erhobene Klage habe nur die Wirkung gehabt, daß der Bescheid ihm gegenüber nicht bindend geworden sei; auf die Bindung gegenüber der Beklagten habe diese Klage keinen Einfluß gehabt. Bei dieser Sachlage sei der Rentenversicherungsträger nicht berechtigt gewesen, Rentennachzahlungen zurückzubehalten, weil möglicherweise durch eine spätere Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitsrente ein Erstattungsanspruch nach § 183 Abs. 3 und 4 RVO entstehen könnte. Denn bis zur Entscheidung über einen Rentenantrag sei ungewiß, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Erstattungsanspruch entstehe. Dieser entstehe erst mit der endgültigen Entscheidung über den Rentenantrag. Da mit der Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente ein Forderungsübergang auf die Klägerin nicht verbunden gewesen sei, sei die Beklagte aufgrund des bindend gewordenen Bescheides verpflichtet gewesen, die Rente an den Beigeladenen zu zahlen. Damit sei der Anspruch nach § 362 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches erloschen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Der Beigeladene sei mit der zugebilligten Berufsunfähigkeitsrente nicht zufrieden gewesen, sondern habe diesen Bescheid mit dem Ziel einer Erwerbsunfähigkeitsrente angefochten. Nachdem dieses Begehren auch Erfolg gehabt habe, habe keine Umwandlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine solche auf Erwerbsunfähigkeit stattgefunden. Der Rentenbescheid über die Zubilligung der Berufsunfähigkeitsrente sei nicht bindend geworden. Vielmehr sei dieser Bescheid annulliert worden und gelte deshalb als nicht existent. Die Beklagte sei auch über die Kranken- bzw. Hausgeldzahlung schon vor Zubilligung einer Rente unterrichtet gewesen. Sie hätte deshalb dem Beigeladenen nicht die von ihm beanstandete und mit der Klage angefochtene Berufsunfähigkeitsrente mit der Rechtswirkung zahlen können, daß die Klägerin mit ihrem Erstattungsanspruch ausfalle.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. September 1969 und des Sozialgerichts Hamburg vom 18. Dezember 1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.556,70 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Der Beigeladene Sp. erhielt von der Klägerin Krankengeld vom 3. August 1964 bis 29. Oktober 1965. Die Erwerbsunfähigkeitsrente wurde ihm vom 1. März 1964 bis 29. Oktober 1965 zugebilligt. Es liegt also ein Fall des § 183 Abs. 4 RVO vor, wonach Anspruch auf Krankengeld für höchstens sechs Wochen besteht, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, wenn während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld Krankengeld gewährt wird. Ist aber das Krankengeld länger als sechs Wochen gezahlt worden, zB. wenn die Erwerbsunfähigkeitsrente erst später rückwirkend bewilligt wurde, so ist § 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO entsprechend anzuwenden, so daß der Rentenanspruch für die Zeit nach Ablauf der sechs Wochen auf die Krankenkasse übergeht (BSG vom 18. März 1966, BSG 24, 285 = SozR RVO § 183 Nr. 13). Nachdem die Beklagte für die Zeit vom 14. September bis 31. Oktober 1964 die volle Erwerbsunfähigkeitsrente, für die Folgezeit aber nur den Unterschiedsbetrag zwischen der Erwerbsunfähigkeits- und der Berufsunfähigkeitsrente an die Klägerin gezahlt hat, ist noch streitig, ob die Klägerin auch für diese Zeit die gesamte Rente fordern kann. Dieser Anspruch ist jedoch nicht begründet.
Die Beklagte hatte dem Beigeladenen zunächst nur Berufsunfähigkeitsrente vom 1. März 1964 an zugebilligt. Da aber die Rente vor Beginn des Krankengeldes begonnen hat, lag kein Fall des § 183 Abs. 5 RVO vor, der Beigeladene hatte also Anspruch auf diese Rente. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß Sp. den Bescheid über die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente mit dem Ziel angefochten hat, eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu erhalten, und daß die Beklagte im Laufe eines sozialgerichtlichen Verfahrens ihm die Erwerbsunfähigkeitsrente zugewilligt hat. Denn der Bescheid über die Zubilligung der Berufsunfähigkeitsrente ist nach § 77 SGG in dem Zeitpunkt für die Beklagte bindend geworden, in dem er dem begünstigten Beigeladenen zugegangen ist (vgl. BSG vom 12. Februar 1958, BSG 7, 8 = SozR SGG § 77 Nr. 3). Die Beklagte war an diese Rentenbewilligung gebunden, auch wenn der Beigeladene diesen Bescheid angefochten hat. Sie war deshalb auch verpflichtet, diese Rente zu zahlen. Sie hat sich also gesetzmäßig verhalten.
Wenn sie später eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugebilligt hat, so verblieb die bereits gezahlte Berufsunfähigkeitsrente dem Versicherten. Denn mit der Zahlung erlosch, wenn auch nur teilweise, wie sich später rückschauend herausgestellt hat, die Rentenschuld. Damit bestand insoweit kein Anspruch mehr auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die entsprechende Zeit, der nach § 183 Abs. 3 und 4 RVO auf die Klägerin hätte übergehen können. Der Übergang des Rentenanspruchs findet in diesem Falle - nach Ablauf der ersten sechs Wochen des Zusammentreffens von Erwerbsunfähigkeitsrente und Krankengeld (vgl. § 183 Abs. 4 RVO) - nur noch in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen Erwerbsunfähigkeitsrente und Berufsunfähigkeitsrente statt. Zu dieser Frage hat der Senat bereits in BSG 20, 140 ausgesprochen: Wenn der Zeitpunkt, von dem an eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in Altersruhegeld umgewandelt werde, in eine Zeit des Krankengeldbezuges falle, so gehe der Anspruch des Versicherten auf Altersruhegeld nach § 183 Abs. 3 RVO nur insoweit auf die Krankenkasse über, als er nicht durch die aufgrund des bisherigen Rentenbescheides an den Versicherten geleistete Zahlung erloschen ist. Diese Grundsätze müssen auch für den vorliegenden Fall gelten. Auch Peters (Handbuch der Krankenversicherung, § 183 Anm. 5e S. 17/351) ist der Auffassung, daß der Versicherte in derartigen Fällen grundsätzlich so zu behandeln sei, als habe er von vornherein die Erwerbsunfähigkeitsrente zugebilligt erhalten, jedoch mit der Maßgabe, daß für die zurückliegende Zeit, in der Berufsunfähigkeitsrente und nachträglich gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente sich zeitlich überschneiden, die Krankenkasse gegen den Träger der Rentenversicherung nur eine übergegangene Ersatzforderung hinsichtlich des Unterschiedsbetrages zwischen Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente geltend machen könne.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen