Leitsatz (amtlich)
Eine nach AnVNG Art 2 § 1 ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung gilt nicht für eine spätere arbeiterrentenversicherungspflichtige Beschäftigung.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Auf die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt H werden die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. August 1969 und des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 1968 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine von der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 ausgesprochene Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung sich auf eine spätere arbeiterrentenversicherungspflichtige Beschäftigung erstreckt.
Der Kläger ist vom 1. Juli 1965 an gemäß der genannten Vorschrift von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung befreit worden. Er nahm vom 1. Januar 1967 an bei der Firma K-H Sch in H eine arbeiterrentenversicherungspflichtige Tätigkeit auf. Gegenüber der Beitragsanforderung der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse berief er sich auf die erteilte Befreiung. Mit Bescheid vom 26. Januar 1967 stellte die Beklagte seine Versicherungs- und Beitragspflicht zur Arbeiterrentenversicherung fest und wies seinen Widerspruch durch Bescheid vom 3. April 1968 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 30. Oktober 1968), da sich die dem Kläger zur Angestelltenversicherung erteilte Befreiung auch auf seine Versicherungspflicht zur Arbeiterrentenversicherung erstrecke.
Das Landessozialgericht (LSG) hat diese Entscheidung bestätigt (Urteil vom 5. August 1969): Zwar könne ein Versicherungsträger unmittelbar nur für den Versicherungszweig, für den er zuständig sei, eine Befreiung erteilen. Es laufe jedoch der allgemeinen Entwicklung auf dem Gebiet der Rentenversicherung und der Interessenlage der Beteiligten zuwider, wenn bei einem Wechsel des Versicherungszweiges ein Versicherter, der bisher von der Versicherungspflicht befreit worden sei, weil er auf andere, vom Gesetzgeber gebilligte Weise für seine Alterssicherung vorgesorgt habe, gezwungen wäre, nochmals Pflichtbeiträge zu leisten. Die Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten seien im Laufe der Zeit einander weitgehend angeglichen worden. Eine nach Art. 2 § 1 AnVNG ausgesprochene Befreiung sei zudem nicht nur für das zur Zeit bestehende Beschäftigungsverhältnis bedeutsam, sondern erfasse ungeachtet späterer Änderungen des privaten Versicherungsschutzes das gesamte fernere Berufsleben des Versicherten. Gehe der Gesetzgeber aber von einer endgültigen Befreiung des Versicherten von der Versicherungspflicht aus, so bestehe kein Grund für ein Wiederaufleben der Versicherungspflicht bei einem Wechsel des Versicherungszweiges.
Gegen dieses Urteil hat die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, es sei aus keiner Vorschrift auch nur mittelbar herzuleiten, daß die nach Art. 2 § 1 AnVNG ausgesprochene Befreiung auch für den Fall eines Wechsels zur Arbeiterrentenversicherung gelten solle. Hierbei handele es sich nicht um eine ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke; vielmehr habe der Gesetzgeber aus der Verschiedenheit der jeweils erfaßten sozialen Schichten heraus, für deren Zugehörigkeit die ausgeübte Beschäftigung maßgebend sei, eine ungleiche Behandlung gewollt. Eine erweiternde Auslegung, wie sie das LSG vorgenommen habe, greife der Gesetzgebung vor.
Die beigeladene LVA beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg vom 5. August 1969 sowie das Urteil des SG Hamburg vom 30. Oktober 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten. Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.
Sämtliche Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Die Revision der beigeladenen LVA ist begründet, weil das LSG zu Unrecht für die Zeit ab Januar 1967 eine Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers zur Arbeiterrentenversicherung verneint hat.
Unstreitig gehörte der Kläger während dieser Zeit aufgrund seiner Beschäftigung bei der Firma Sch in H zu dem in § 1227 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bezeichneten Arbeitnehmerkreis. Er unterlag hiernach der Versicherungs- und damit zugleich der Beitragspflicht zur Rentenversicherung der Arbeiter. Der Befreiungsbescheid der beigeladenen BfA hat daran nichts geändert.
Dieser Bescheid ist von der genannten Beigeladenen im Bereich ihrer Zuständigkeit für die Angestelltenversicherung und mit Wirkung für diese auf der Rechtsgrundlage des Art. 2 § 1 AnVNG erlassen worden und kann über dieses Gebiet hinaus daher Auswirkungen nur haben, wenn er sich ausnahmsweise nach gesetzlichem Willen auf andere Versicherungszweige beziehen würde.
Für das Gebiet der Arbeiterrentenversicherung ist eine solche Ausdehnung nicht vorgesehen. Eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift über eine Fortgeltung der Befreiung auch für ein arbeiterrentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis fehlt. Art. 2 § 1 AnVNG idF des RVÄndG legt nach seinem Wortlaut die Voraussetzungen fest, unter denen eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht der Angestellten zu erteilen ist, ohne Ausmaß und Dauer der Befreiung ausdrücklich zu bestimmen und insbesondere für den Fall eines späteren Wechsels des Beschäftigungsverhältnisses, der zugleich einen Wechsel des Versicherungszweiges bedingt, eine besondere Regelung zu treffen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine solche Bestimmung auch einer ergänzenden Auslegung der Gesetzesvorschriften nicht entnommen werden.
Die abweichende Regelung der Versicherungspflicht der Arbeiterrentenversicherung gegenüber der Angestelltenversicherung läßt eine Auswirkung von Befreiungsregelungen der Angestelltenversicherung auf die Arbeiterrentenversicherung nicht zu. Trotz weitgehender Annäherung beider Versicherungszweige ist auch bei Erlaß des RVÄndG - dessen Vorschriften hier in Betracht kommen - die unterschiedliche Behandlung der Versicherten gerade hinsichtlich der Versicherungspflicht in der Angestellten- und in der Arbeiterrentenversicherung bestehen geblieben. Während die Angestelltenversicherung den Angestellten von einer bestimmten Einkommenshöhe an von der Versicherungspflicht freistellt und damit den Altersschutz seiner Eigeninitiative und seinem Risiko überließ, kannte und kennt die Arbeiterrentenversicherung keine solche Ausnahme. Sie sieht den Versicherten ohne Rücksicht auf die Höhe seines Einkommens als schutzbedürftig an. Die Einführung einer Versicherungspflichtgrenze für Arbeiter wurde vom Bundestagsausschuß für Sozialpolitik bei Erlaß des RVÄndG ausdrücklich abgelehnt (vgl. Bundestagsdrucks. IV/3233, 4. Wahlperiode, zu §§ 1228, 1228a RVO; v. Gellhorn, Die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze, BABl 1965, S. 587, 588). Die Ausdehnung einer Befreiung von der Versicherungspflicht der Angestelltenversicherung auf die Arbeiterrentenversicherungspflicht würde daher zu einer Ausnahmeregelung innerhalb dieses Versicherungszweiges führen, die gesetzlich nicht vorgesehen ist, zu seinem System und seinen Grundsätzen in Widerspruch steht und deshalb auch vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann. Sie hätte außerdem zur Folge, daß Versicherte eines Versicherungszweiges ungleich behandelt würden. Nur der als Angestellter befreite Versicherte könnte auch in der Arbeiterrentenversicherung Versicherungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen, nicht aber der hochbezahlte Facharbeiter, der in gleicher Weise für seine Alterssicherung aufkommen könnte.
Eine Ausnahmeregelung für die Arbeiterrentenversicherung kann auch nicht aufgrund der Vorschriften der Wanderversicherung angenommen werden. Zwar hat der Gesetzgeber für das Beitrags- und Leistungsrecht Wanderversicherter Sonderbestimmungen geschaffen, die zugunsten dieser Versicherten eine Art Funktionseinheit der verschiedenen Versicherungsträger bewirken und ihre in einem Versicherungszweig erworbenen Rechte auch in anderen Sparten wirksam werden lassen. Sinn und Zweck dieser Regelungen ist es aber allein, im Interesse der sozialen Sicherung der Wanderversicherten einen Rechtsverlust zu vermeiden, der durch den Wechsel des Versicherungszweiges eintreten könnte. Sie sind somit auf die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes gerichtet. Für eine Befreiung von der Versicherungspflicht, die hier in Rede steht, können diese Grundsätze aber keine Anwendung finden.
Die Tatsache, daß eine nach Art. 2 § 1 AnVNG ausgesprochene Befreiung nicht auf das Beschäftigungsverhältnis beschränkt ist, für das sie erteilt worden ist, sondern den Versicherten endgültig aus der Angestelltenversicherung ausschließt ohne Rücksicht auf spätere Änderungen der Einkommenshöhe oder der bestehenden privaten Sicherung (vgl. BSG 17, 124; 23, 241, 244; Jantz-Zweng, Art. 2 § 1 AnVNG III; Schimanski, B V/7, Art. 2 § 1 KnVNG), läßt ebenfalls nicht auf eine Befreiung auch in anderen Zweigen der Rentenversicherung schließen, wie das LSG meint. Die Vorstellung des Gesetzgebers, daß der betreffende Angestellte für sein gesamtes weiteres Berufsleben befreit sein solle, trifft nur für den Normalfall des Berufslebens eines Angestellten zu, für den mit einem Wechsel von einer hochbezahlten und deswegen versicherungsfreien Angestelltentätigkeit zu einer Arbeitertätigkeit im allgemeinen nicht zu rechnen ist. Nur für diesen schien es berechtigt, ihn - in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Angestelltenversicherung - auf eigenes Risiko aus der Versicherungspflicht zu entlassen.
Auch die Interessenlage des Versicherten, dem an einer Weiterführung seiner bisherigen privaten Sicherung und der Vermeidung einer Doppelbelastung gelegen ist, rechtfertigt nicht die Erstreckung des Befreiungsbescheids auf ein arbeiterrentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Nach der bestehenden gesetzlichen Regelung konnte er nur darauf vertrauen, daß ihm die bisherige Versicherungsfreiheit ungeachtet späterer gesetzlicher Regelungen erhalten bleiben und ohne sein eigenes Zutun nicht mehr entzogen würde. Hingegen wäre er lediglich einem Irrtum erlegen, wenn er im Widerspruch zur Rechtslage dem Befreiungsbescheid eine Wirkung auf die Arbeiterrentenversicherung beigemessen hätte. Ein solcher Irrtum bedarf aber keines Vertrauensschutzes.
Das Urteil des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 1. Juli 1966 in SozR Nr. 1 zu Art. 2 § 1 KnVNG), das vom LSG zur Unterstützung seiner Auffassung herangezogen wird, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Der 5. Senat hat für den Übergang von der Angestelltenversicherung zur Knappschaftsversicherung die nach Art. 2 § 1 AnVNG erteilte Befreiung als fortbestehend anerkannt. Er hat diesen Fall demjenigen eines Wechsels innerhalb der einzelnen Knappschaften gleichgestellt, für den gleichfalls eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt. Seiner Auffassung nach beruht diese Lücke auf einem Versehen des Gesetzgebers, der für die Knappschaftsversicherung offensichtlich eine Weitergeltung der Befreiung von der Versicherungspflicht nicht habe ausschließen wollen und auch für den Fall eines Wechsels des Versicherungszweiges nur Bedenken wegen der unterschiedlichen Höhe der anderweitigen Alterssicherung und wegen der Gefahr einer Ausdehnung auf einen weiteren Personenkreis geäußert habe.
Die Erwägungen treffen aber nur für die ähnlichen Bereiche der Knappschaften untereinander sowie auch im Verhältnis der Angestellten- zur Knappschaftsversicherung zu. Die knappschaftliche Rentenversicherung umfaßt Arbeiter und Angestellte. Versichert sind in ihr ua die in einem knappschaftlichen Betrieb gegen Entgelt beschäftigten Arbeitnehmer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes idF des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 21. Mai 1957 - BGBl I, 533 -). Ein Betriebswechsel unter Beibehaltung einer Angestelltentätigkeit hat somit u.U. zur Folge, daß die Versicherungspflicht nicht mehr nach den für die Zugehörigkeit zur Angestelltenversicherung maßgebenden Merkmalen, sondern nach den Vorschriften der knappschaftlichen Rentenversicherung geprüft werden muß. Hier legt es schon allein die Fortdauer der Beschäftigung als Angestellter nahe, den für diese Beschäftigung erteilten Befreiungsbescheid ohne Rücksicht auf den Wechsel des Versicherungszweiges auf die gleichartige Beschäftigung in einem anderen Betrieb zu erstrecken. Dieser wesentliche Unterschied der Rechtslage läßt es nicht zu, die genannte Entscheidung des 5. Senats des BSG auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden.
Die Klage muß daher unter Aufhebung der erstinstanzlichen Urteile abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen