Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnungszeit. unvermeidbare Zwischenzeit. Zeiten zwischen Ende der Schulausbildung und Beginn des freiwilligen sozialen Jahres sowie Ende des freiwilligen sozialen Jahres und Beginn des Hochschulausbildung
Leitsatz (amtlich)
Zeiten zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des freiwilligen sozialen Jahres sowie zwischen dem Ende des freiwilligen sozialen Jahres und dem Beginn des Fachhochschulstudiums sind keine Anrechnungszeiten im Sinne von unvermeidbaren Zwischenzeiten.
Orientierungssatz
Eine über die bisherige Rechtsprechung zu § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 6 hinausgehende weitere Rechtsfortbildung mit dem Ziel, die Unterbrechung der Ausbildung auf Grund eines freiwilligen sozialen Jahres mit der Unterbrechung durch den Wehr- oder Zivildienst gleichzustellen, ist nicht geboten.
Normenkette
SGB 6 § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 2002-02-19; SGB 6 § 48 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b, c; SozDiG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 4 Nr. 12, § 5 Abs. 2; BKGG § 2; BKGG 1996 § 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung von weiteren Anrechnungszeiten im Sinne von so genannten unvermeidbaren Zwischenzeiten.
Die am 1962 geborene Klägerin erhielt am 26.6.1982 das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife. Vom 1.9.1982 bis 31.8.1983 absolvierte sie ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Am 1.10.1983 nahm sie das Fachhochschulstudium an der Katholischen Fachhochschule N. auf, welches sie am 29.5.1987 mit dem Abschluss einer Diplom-Religionspädagogin beendete.
Mit Bescheid vom 26.1.2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Rentenberechnung legte sie ua den Zeitraum vom 28.12.1979 bis zum 26.6.1982 als Anrechnungszeit wegen Schulausbildung und die Zeit ab 1.10.1983 bis zum 29.5.1987 wegen Hochschulausbildung zu Grunde. Die Zeit des FSJ vom 1.9.1982 bis 31.8.1983 wurde als Pflichtbeitragszeit berücksichtigt. Die Zeiträume zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des FSJ (27.6.1982 bis 31.8.1982) sowie nach Beendigung des FSJ bis zum Beginn des Studiums (1.9.1983 bis 30.9.1983) wurden nicht als rentenrechtliche Zeiten gewertet.
Mit dem gegen den Rentenbescheid erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die og nicht berücksichtigten Zeiten seien als Anrechnungszeiten im Sinne von so genannten unvermeidbaren Zwischenzeiten anzuerkennen. Mit Widerspruchsbescheid vom 7.8.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Auf die von der Klägerin erhobene Klage hat das Sozialgericht Aachen (SG) die Beklagte verurteilt, die Zeiten vom 27.6.1982 bis zum 31.8.1982 sowie vom 1.9.1983 bis zum 30.9.1983 als Anrechnungszeit bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die streitigen Zeiträume lägen zwar nicht zwischen Zeiten einer schulischen Ausbildung iS von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), auch wenn das FSJ sicherlich eine wertvolle Vorbereitung auf das spätere Berufsziel der Klägerin dargestellt habe. Dennoch seien diese Zeiten im Hinblick auf die gesellschaftliche Bedeutung und die gesetzgeberische Wertung des vom Staat geförderten FSJ als Ausbildungsanrechnungszwischenzeit rentenrechtlich zu berücksichtigen. Hierfür spreche insbesondere die in § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI idF des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21.7.2004 (BGBl I 1791) getroffene Regelung, wonach der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres ua auch bestehe, wenn die Waise sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befinde, die zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines freiwilligen Dienstes iS des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst c SGB VI liege. Nach dieser letzteren Vorschrift bestehe Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente im Rahmen der Altersgrenzen auch während der Ableistung eines FSJ. Für die Frage, in welchem Umfang berücksichtigungsfähige Übergangs- und Unterbrechungszeiten vorlägen, gälten für die Waisenrente und für die Anrechnungszeiten wegen Ausbildung die entsprechenden Grundsätze. Der Gesetzgeber habe in der Begründung zur Änderung des § 48 Abs 4 Satz 2 SGB VI durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz klargestellt, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Anrechnungszeiten für die Bestimmung der Voraussetzungen über das Vorliegen von Ausbildung herangezogen worden sei. Die Tatsache, dass auf eine entsprechende unmittelbare Aufnahme in den Gesetzestext bei den Anrechnungszeiten verzichtet worden sei, stehe einer analogen Bewertung des FSJ nicht entgegen. Die Berücksichtigungsfähigkeit von Ausbildungszwischenzeiten sei ohne ausdrückliche Normierung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt worden. Diese Bewertung der Zwischenzeiten, die insgesamt nicht mehr als vier Monate umfassten, sei auch sachgerecht. Hätte sich die Klägerin nicht sozial engagiert, sondern nach dem Abitur direkt ihr Studium begonnen, wäre der Zeitraum von Juli bis Mitte Oktober 1982 ohne Weiteres als Ausbildungszeit anerkannt worden. Es solle sich nicht als rentenschädlich erweisen, dass die Klägerin seinerzeit im Interesse der Allgemeinheit soziale Dienste erbracht habe. Während des FSJ seien Pflichtbeiträge entrichtet worden, sodass der Versichertengemeinschaft die Berücksichtigung von Ausbildungszwischenzeiten bei derartigen Fallkonstellationen zuzumuten sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Weder aus dem Wortlaut dieser Vorschrift noch nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über die Berücksichtigung von so genannten Zwischenzeiten ergebe sich ein Anspruch auf Anerkennung der streitigen Zeiträume als Anrechnungszeiten. Das FSJ sei dem Grunde nach keine Ausbildung iS von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI und auch keine Pflichtbeitragszeit wegen Ausbildung, weshalb die erste Übergangszeit vor dem FSJ und die zweite Übergangszeit nach dem FSJ keine unvermeidbaren Zeiten zwischen zwei rentenrechtlich erheblichen anrechenbaren Ausbildungszeiten seien. Darüber hinaus seien nicht sämtliche, individuell "unverschuldet" im Lebensbereich des Ausbildungswilligen liegenden, sondern nur die generell unvermeidbaren Zwangspausen als Anrechnungszeit wegen Ausbildung zu berücksichtigen. Es komme entscheidend darauf an, dass der Versicherte durch staatliche Anordnung ("von hoher Hand") bzw auf Grund abstrakter ausbildungsorganisatorischer Maßnahmen der Ausbildungsträger gehindert gewesen sei, im Anschluss an die Schulausbildung eine weitere Ausbildung zu einem früheren Zeitpunkt aufzunehmen. Das FSJ werde hingegen freiwillig geleistet, weshalb die dadurch entstandenen Pausen nicht unvermeidbar seien. Die nicht zügige Fortsetzung der Ausbildung habe sich allein aus der freiwilligen Entscheidung der Klägerin ergeben, zunächst ein FSJ abzuleisten.
Die vom LSG herausgestellte gesellschaftliche Bedeutung des FSJ sei für die rechtliche Beurteilung der Zwischenzeiten unerheblich, denn ansonsten müsste jegliche berufliche Tätigkeit, die als sozialer Dienst im Interesse der Allgemeinheit anzusehen sei und für die Pflichtbeiträge entrichtet worden seien, zur Berücksichtigung von Übergangsanrechnungszeiten iS des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI führen.
Das LSG ignoriere die Verschiedenartigkeit des Waisenrentenrechts im Vergleich zum Recht der Anrechnungszeiten, wenn es die Berücksichtigung der streitigen Zwischenzeiten als Anrechnungszeiten unter Hinweis auf § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI auf eine analoge Anwendung ("Bewertung") stütze. Die Waisenrente sei eine Unterhaltsersatzleistung, die Anrechnungszeiten dienten dagegen dem Ausgleich rentenversicherungsrechtlicher Nachteile. Da vom Gesetzgeber im Rahmen des Anrechnungszeitenrechts bezüglich der Übergangszeiten keine gesetzliche (Neu-)Regelung erfolgt sei, seien weiterhin allein die von der Rechtsprechung aufgestellten Rechtsgrundsätze für die Berücksichtigungsfähigkeit dieser Zeiten maßgebend. Diese seien hier nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23.6.2006 sowie das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.1.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist nicht durch einen beim BSG zugelassenen Bevollmächtigten vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des SG zu Unrecht zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung der streitigen Zeiten als Anrechnungszeiten bei der Berechnung ihrer Erwerbsminderungsrente, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind.
Als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommt nur § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI in der ab 1.1.2002 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht. Danach sind Anrechnungszeiten ua Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, eine Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt aber höchstens bis zu acht Jahren. Entsprechend dieser Bestimmung hat die Beklagte zwar die Zeit der Schulausbildung selbst ab 28.12.1979 bis zum 26.6.1982 und die Zeit des Fachhochschulstudiums vom 1.10.1983 bis zum 29.5.1987 als Anrechnungszeit bei der Berechnung der Rente berücksichtigt, die Anerkennung der dazwischen liegenden Zeiten jedoch zu Recht abgelehnt, weil es sich bei diesen Zeiten um keine Zeiten der Ausbildung im Sinne der Vorschrift handelt.
Das gilt zunächst für das FSJ vom 1.9.1982 bis zum 31.8.1983, das weder der am 26.6.1982 abgeschlossenen Schulausbildung der Klägerin noch der am 1.10.1983 aufgenommenen Hochschulausbildung zugeordnet werden kann, weil es einen eigenen Abschnitt mit eigenen Regeln und eigener Zielsetzung darstellt. Die einschlägige Vorschrift des § 2 Abs 1 Nr 1 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJG) spricht von einem "freiwilligen Dienst ohne Gewinnerzielungsabsicht außerhalb einer Berufsausbildung und vergleichbar einer Vollzeitbeschäftigung"; damit stimmt überein, dass während des FSJ für die Klägerin auf der Grundlage von § 4 Nr 12 FSJG, § 5 Abs 2 Satz 3, § 168 Abs 1 Nr 1 SGB VI Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind. Deshalb und mit Rücksicht auf das in § 2 Abs 3 Satz 2 FSJG festgelegte pädagogische Ziel, das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu stärken sowie soziale und interkulturelle Erfahrungen zu vermitteln, kommt das FSJ als berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme von vornherein nicht in Betracht. Die Klägerin hat in der fraglichen Zeit auch keine Schule oder Hochschule besucht; als eine Art "Vorpraktikum" zum späteren Fachhochschulstudium kann das FSJ abgesehen vom fehlenden beruflichen Bezug schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil kein gleichzeitiger Unterricht stattfand (vgl BSG vom 21.3.1991 - 4/1 RA 33/89 - Juris RdNr 18 f mwN; ähnlich auch BSG vom 30.3.1994 - 4 RA 11/93 - Juris RdNr 24 f) . Daher kommt es vorliegend weder darauf an, ob das FSJ beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend für das anschließende Studium der Religionspädagogik besonders nützlich und hilfreich war, noch ob sich aus der Entrichtung von Pflichtbeiträgen ein weiterer Ausschlussgrund ergeben würde (vgl nochmals BSG vom 21.3.1991 - 4/1 RA 33/89 - Juris RdNr 20 mwN).
Die Zeiten zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des Fachhochschulstudiums erfüllen auch nicht den von der Rechtsprechung entwickelten Tatbestand der so genannten unvermeidbaren Zwischenzeit, die rentenrechtlich als Anrechnungszeit zu behandeln ist. Eine solche unvermeidbare Zwischenzeit erfasst in erweiternder Auslegung des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI auch bestimmte ausbildungsfreie Zeiten während und nach der Schulausbildung oder einer anderen Ausbildung. Solche unvermeidbaren Zwischenzeiten waren zunächst anerkannt für die Schul- und Semesterferien. Obwohl in diesen Zeiten keine Ausbildung stattfindet, stellen sie sich als notwendig zur Ausbildung gehörend dar. Voraussetzung für ihre Anrechnung ist, dass sie generell unvermeidbar, (schul-)organisatorisch bedingt typisch sowie von vornherein auf maximal vier Monate begrenzt sind und dass die Ausbildung nach den Ferien fortgeführt wird ( BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 11 S 64 mwN; zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl auch BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 3; SozR 3-2600 § 252 Nr 1 ). Diese Voraussetzung ist vorliegend schon deshalb nicht erfüllt, weil die Schulausbildung am 26.6.1982 abgeschlossen war und die anschließenden Monate bis zum Beginn des FSJ nicht mehr als Schulferien anzusehen sind.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Schul- und Semesterferien sind auf ausbildungsfreie Zeiten zwischen zwei verschiedenen Ausbildungsabschnitten übertragen worden. Da § 2 Bundeskindergeldgesetz den Anspruch auf Kindergeld bei vergleichbaren Übergangsphasen von höchstens vier Monaten unberührt lässt, wird dem Schulabgänger auch im Rentenversicherungsrecht nicht zugemutet, für eine derart kurze Zeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, um Lücken in der Versicherungsbiografie zu vermeiden ( BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 11 S 64 mwN ). Die Ausdehnung des Anrechnungszeittatbestandes Ausbildung auf eine derartige höchstens viermonatige Zwischenzeit setzt voraus, dass diese in zwei Ausbildungsabschnitte eingebettet sowie unvermeidbar und organisationsbedingt typisch ist ( BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 11 ).
Auch unter diesem Aspekt scheidet die Berücksichtigung der zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des Fachhochschulstudiums "eingebetteten" Zeit als Anrechnungszeit aus, denn mit deutlich über einem Jahr ist die Vier-Monats-Grenze bei weitem überschritten. Zwar ist im Einzelfall wegen besonderer Umstände ein Überschreiten der Vier-Monats-Frist noch als unschädlich betrachtet und auf die Dauer der üblichen Schul- und Semesterferien bzw auf einen "üblichen und zeitlich überschaubaren Zeitraum zwischen Abitur und nächstmöglichem Semester an der Hochschule" abgestellt worden ( vgl BSG SozR 4-2600 § 58 Nr 4 RdNr 15 f ). Daraus ist jedoch im Fall der Klägerin kein günstigeres Ergebnis abzuleiten. Dabei bedarf es keiner näheren zeitlichen Festlegung des "üblichen und überschaubaren" Zeitraums, denn jedenfalls hat die Klägerin ihr Studium der Religionspädagogik nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Erlangung der Hochschulreife aufgenommen. Maßgebend hierfür ist ausschließlich der Beginn der nächsten Lehrveranstaltung; auf die "besonderen Gestaltungen individueller Verhältnisse" darf nicht abgestellt werden, sodass Verzögerungen beispielsweise durch den Mangel an Ausbildungsplätzen oder durch ein Anerkennungsverfahren als Kriegsdienstverweigerer außer Betracht bleiben (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 81 S 223 mwN; BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 3). Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass sie ohne FSJ oder bei dessen Verschiebung die dann dreimonatige Unterbrechung von Juli bis September 1982 als Anrechnungszeit anerkannt bekommen hätte. Das tatsächlich geleistete FSJ kann nicht einfach hinweggedacht werden, um die Anerkennung von Anrechnungszeiten zu rechtfertigen, zumal es sich seinerseits um eine Pflichtversicherungszeit handelt.
Die Unterbrechung im Ausbildungsgang der Klägerin durch das FSJ ist auch im Lichte der Rechtsprechung zu dem zwischen zwei Ausbildungsabschnitten liegenden Wehr- oder Zivildienst nicht als unvermeidbare Zwischenzeit anzusehen. Danach ist zwar eine längere, weit über vier Monate dauernde Unterbrechung der Ausbildung zwischen zwei Ausbildungsabschnitten für die Anerkennung einer Anrechnungszeit unschädlich, wenn der Ausbildungswillige durch staatliche Anordnung ("von hoher Hand") an der Ausbildung gehindert worden ist. Dies ist für diejenigen Fälle anerkannt, in denen ein Abiturient zum gesetzlichen Wehr- oder Zivildienst herangezogen wird, bevor er ein Studium aufnehmen kann, wenn er nach Beendigung eines solchen Dienstes das Studium zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufnimmt. Hierbei ist nicht der Dienst selbst, sondern die jeweils vier Monate nicht übersteigende Zeit zwischen Ablegung der Reifeprüfung und Aufnahme des Wehr- oder Zivildienstes und die entsprechende Zeit nach Beendigung des Dienstes bis zur Aufnahme des Studiums als unvermeidbare Zwischenzeit anzusehen. Kennzeichnend für diese Zwischenzeit ist ebenfalls, dass sie nicht nur kurz ist, sondern überdies häufig und in typischer Weise auftritt ( so die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 14 S 80 f mwN ).
Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin und auch der Vorinstanzen kann diese Rechtsprechung jedoch nicht auf das von der Klägerin abgeleistete FSJ übertragen werden. Wesentliches Kriterium für die Unschädlichkeit der durch den Wehr- oder Zivildienst verzögerten Ausbildung und damit für die Anerkennung der zwischen den Ausbildungsabschnitten und diesem Dienst liegenden Zwischenzeiten als Anrechnungszeiten ist nach der Rechtsprechung, dass es sich insoweit um einen staatlichen Eingriff ("von hoher Hand") in den Ausbildungsgang des Versicherten handelt, dem sich der Versicherte nicht entziehen kann ( so BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 14 zum praktischen Jahr in der DDR in der Zeit von 1957 bis 1963 ). Auch müssen die Zwischenzeiten durch die generelle Organisation der Ausbildungsstätten bzw des Wehr- oder Zivildienstes oder eines vergleichbaren Dienstes auf Grund hoheitlicher Anordnung typischerweise unvermeidbar sein. Schließlich ist - wenn auch unausgesprochen - weitere Voraussetzung, dass der Versicherte während der unvermeidbaren Zwischenzeit ausbildungswillig und die "von hoher Hand" angeordnete Unterbrechung kausal für den Eintritt der ausbildungsfreien Zeit war, weil ansonsten das Merkmal "unvermeidbar" nicht vorläge.
Nach diesem Maßstab kann das von der Klägerin absolvierte FSJ nicht dem Wehr- bzw Zivildienst gleichgestellt und als für die Anerkennung einer Anrechnungszeit unschädlicher Unterbrechungstatbestand gewertet werden. Wer sich für die Ableistung des FSJ entscheidet, wird nicht "von hoher Hand" an der Fortsetzung seiner Ausbildung gehindert, sondern entschließt sich hierzu aus freien Stücken, wie bereits die Bezeichnung dieses sozialen Dienstes besagt. Damit entscheidet sich der Versicherte jedenfalls zunächst gegen eine Fortsetzung seiner Ausbildung; obwohl er Anerkennung dafür verdient, dass er gegen Unterkunft, Verpflegung, Arbeitskleidung und Taschengeld (vgl § 2 Abs 1 Nr 3 FSJG) eine Leistung für die Allgemeinheit erbringt, wird er doch nicht "von hoher Hand" gehindert, seine Ausbildung schnellstmöglich fortzusetzen. Es unterliegt seiner eigenen Gestaltungsfreiheit, ob und wann er das FSJ in seinen Werde- bzw Ausbildungsgang einfügt, solange er das hierfür gesetzte Höchstalter von 27 Jahren (§ 2 Abs 1 Nr 4 FSJG) noch nicht erreicht hat.
Zudem war der Umstand, dass die Klägerin erst zum 1.9.1982 das FSJ beginnen konnte, nicht durch die generelle Organisation eines Ausbildungsgangs bedingt. Die Durchführung des FSJ liegt nicht in der Hand einer Ausbildungsstelle, sondern in der des gemäß § 5 FSJG zugelassenen Trägers. Dieser schließt vor Beginn des freiwilligen Dienstes mit dem Freiwilligen eine schriftliche Vereinbarung ua über den Zeitraum, für den sich der Freiwillige oder die Freiwillige zum freiwilligen Dienst verpflichtet, sowie über Regelungen zur vorzeitigen Beendigung des Dienstes ( § 6 Abs 6 Nr 3 FSJG ). Die vom SG eingeholte Auskunft des Bildungsreferenten der internationalen Jugendgemeinschaftsdienste mag dafür sprechen, dass die Träger Einstellungen zur Leistung des Dienstes nur zu bestimmten Zeitpunkten vornehmen. Diese Einstellungstermine sind jedoch nicht mit den auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Einberufungsterminen zum Wehr- oder Zivildienst vergleichbar. Insoweit ist der Versicherte, der sich zur Ableistung des FSJ statt zur Fortsetzung der Ausbildung entschließt, letztlich in der gleichen Situation wie der Versicherte, der nach Beendigung eines Ausbildungsabschnitts (zB der Schulausbildung) zunächst keine weitere Ausbildung, sondern eine Erwerbstätigkeit aufnimmt. Soweit der Arbeitgeber diesem Versicherten einen bestimmten Einstellungstermin vorgibt, der nicht den unmittelbaren Anschluss an die vorangegangene Ausbildung wahrt, ist auch in diesem Fall eine Berücksichtigung der zwischen Ausbildungsende und Arbeitsbeginn liegenden Zeit als unvermeidbare Zwischenzeit ausgeschlossen.
Eine über die bisherige Rechtsprechung zu § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI hinausgehende weitere Rechtsfortbildung mit dem Ziel, die Unterbrechung der Ausbildung auf Grund eines FSJ mit der Unterbrechung durch den Wehr- oder Zivildienst gleichzustellen, ist nicht geboten.
Soweit sich das LSG für die Gleichstellung des FSJ mit dem Wehr- oder Zivildienst auf die Neufassung des § 48 Abs 4 SGB VI durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.7.2004 ( BGBl I 1791 ) stützt, vermag der Senat diesen Überlegungen nicht beizutreten. Schon nach bisherigem Recht bestand nach § 48 Abs 4 Nr 2 Buchst b SGB VI (inzwischen Satz 1 Nr 2 Buchst c) ein Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente während des FSJ, jedoch nicht während des Wehr- oder Zivildienstes. Daran hat sich durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz nichts geändert, sodass auch die Möglichkeit, gemäß § 48 Abs 5 SGB VI "verlängerte" Waisenrente über das 27. Lebensjahr hinaus zu beziehen, auf Wehr- bzw Zivildienstleistende beschränkt blieb, wie die Neufassung des Abs 5 Satz 2 ausdrücklich klarstellt. In Bezug auf die Anspruchsberechtigung und den Verlängerungstatbestand sind FSJ und Wehr- bzw Zivildienst im Waisenrentenrecht also nach wie vor verschieden. Die Neuregelung betrifft ausschließlich die Lücken zwischen zwei Ausbildungsabschnitten bzw zwischen Ausbildungs- und Dienstzeiten. Insoweit begründet der neu eingefügte § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI einen Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente, wenn die Waise sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines freiwilligen Dienstes (ua eines FSJ) oder des Wehr- bzw Zivildienstes liegt. Mit dieser Änderung des § 48 Abs 4 SGB VI durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung kodifiziert, die in Anlehnung an die ausdrückliche Regelung beim Kindergeld einen höchstens viermonatigen Waisenrentenanspruch wegen Ausbildung auch für diejenigen Zeiten bejaht, in denen die Waise wegen der Heranziehung zum Wehr- oder Zivildienst unvermeidbare "Zwangspausen" einlegen muss (BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 1 mwN) . Gleichzeitig hat er diese Regelung auf Zwangspausen ausgedehnt, die bei der Ableistung eines freiwilligen Dienstes entstehen (vgl BT-Drucks 15/2149 S 21) . Auf die bei unvermeidbaren Zwischenzeiten von der Rechtsprechung ermöglichte Anerkennung von Anrechnungszeiten wird weder in der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 48 Abs 4 SGB VI noch in der zu dieser Änderung Anlass gebenden Rechtsprechung Bezug genommen. Infolgedessen können dem im Jahre 2004 geänderten Waisenrentenrecht keine Gründe für eine Gleichbehandlung des FSJ mit dem Wehr- und Zivildienst im Zusammenhang mit Anrechnungszeiten entnommen werden.
Der vom LSG befürworteten Anwendung der in § 48 SGB VI aufgenommenen Regelung auf Anrechnungszeiten stehen weitere Bedenken entgegen.
Zunächst fällt auf, dass der Gesetzgeber nicht gleichzeitig auch eine Änderung des § 58 Abs 1 SGB VI vorgenommen hat, obwohl ihm die langjährige Rechtsprechung zu den unvermeidbaren Anrechnungszwischenzeiten bekannt gewesen sein muss. Weder ist eine Gleichstellung des FSJ mit den Ausbildungszeiten erfolgt, noch hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die bisherige Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der Bedeutung des Wehr- oder Zivildienstes für die unvermeidbaren Zwischenzeiten auf das FSJ ausgedehnt werden soll. Aus der Untätigkeit bzw aus dem Schweigen des Gesetzgebers bezüglich des unverändert beibehaltenen § 58 SGB VI lässt sich somit nicht entnehmen, dass er eine Übertragung der in § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI enthaltenen Regelung befürwortet oder gar - implizit - angeordnet habe.
Zudem sprechen die unterschiedlichen Regelungszwecke gegen eine Übernahme der in § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI festgelegten Voraussetzungen für den Waisenrentenanspruch auf die von der Rechtsprechung entwickelten unvermeidbaren Zwischenzeiten iS des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI. Die Waisenrente hat Unterhaltsersatzfunktion, weil sie nach dem durch Tod bedingten Wegfall eines bis dahin unterhaltspflichtigen Versicherten eine finanzielle Unterstützung seitens der Versichertengemeinschaft sichern soll, bis die Waise - zumindest in dem durch die gesetzten zeitlichen Grenzen umschriebenen Regelfall - selbst in der Lage ist, für den eigenen Unterhalt aufzukommen. Die Waise wird durch Buchst b von § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB VI in der Übergangszeit vor und nach dem FSJ unter dem Blickwinkel der finanziellen Bedarfslage genauso behandelt wie während des FSJ durch Buchst c der Vorschrift. Daraus lassen sich Schlussfolgerungen für die Anerkennung von (Ausbildungs-) Anrechnungszeiten nicht ziehen. Denn Ausbildungszeiten werden im Rahmen von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI nicht mit Rücksicht auf die finanzielle Situation des Betroffenen um unvermeidbare Zwischenzeiten verlängert, sondern weil andernfalls Lücken im Versicherungsverlauf entstehen, die wegen ihrer Kürze durch Beschäftigungszeiten regelmäßig nicht zu überbrücken sind. Bezüglich der Anrechnung von Versicherungszeiten hat der Gesetzgeber das FSJ eigenen Regeln unterstellt, wonach für das FSJ Rentenversicherungsbeiträge entrichtet werden (§ 5 Abs 2 Satz 3, § 168 Abs 1 Nr 1 iVm § 4 Nr 12 FSJG) und damit Lücken im Versicherungsverlauf während dieses Dienstes verhindert werden. Es würde die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschreiten, entgegen der Bestimmung in § 2 Abs 1 Nr 1 FSJG das FSJ außerhalb des Waisenrentenrechts gleichwohl wie eine Ausbildungszeit zu behandeln, um die Lücken zwischen Ausbildungsabschnitt und Beginn bzw Ende des FSJ schließen zu können.
Infolgedessen muss es bei der Voraussetzung bleiben, dass die Unterbrechung der Ausbildung von mehr als vier Monaten nur dann als unschädlich anzusehen ist, wenn sie wie beim Wehr- oder Zivildienst auf Grund eines hoheitlichen Eingriffs ("von hoher Hand") erfolgt; die Einbeziehung von Unterbrechungen, die letztlich auf dem Willensentschluss des Versicherten beruhen, würde den Zusammenhang der Anrechnungszeiten wegen Ausbildung mit der tatsächlichen Ausbildung sprengen und die Grenzen zwischen anzuerkennenden - weil "sinnvollen", "förderungswürdigen" oder "nützlichen" - und anderen - etwa "überflüssigen" oder "schädlichen" - Unterbrechungen zerfließen lassen. Es spricht zwar für das soziale Engagement eines Versicherten, wenn er sich zu einem FSJ entschließt; doch andere Versicherte mögen aus denselben Motiven heraus zur Aufnahme einer (gering entlohnten) Beschäftigung oder zur Annahme eines Ehrenamts bereit sein, ohne dass daraus auf auszugleichende Lücken im Versicherungsverlauf im Sinne von unvermeidbaren Zwischenzeiten zu schließen wäre. Daran zeigt sich, dass das gesellschaftliche Interesse an der Gemeinnützigkeit einer Beschäftigung im hier diskutierten Zusammenhang kein geeignetes Abgrenzungskriterium ist. Das gesellschaftliche Interesse an der Absolvierung eines FSJ hat der Gesetzgeber bereits dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er es einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gleichgestellt hat und bereits damit eine Lücke in der Versicherungsbiografie während der Ableistung des FSJ vermeidet.
Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch die vorliegende Entscheidung in einem ihrer Grundrechte betroffen sein könnte. Der allein hier in Betracht kommende Art 3 Abs 1 Grundgesetz ist nicht verletzt, weil dem Gesetzgeber gerade hinsichtlich der Regelung von beitragsfreien rentenrechtlichen Zeiten ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht (vgl BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 10 S 41 mwN) . Er ist von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, alle - auch ungewollt auftretenden - Versicherungslücken durch deren Berücksichtigung als beitragsfreie Zeiten zu schließen. Die Differenzierung zwischen dem Wehr- oder Zivildienst und dem FSJ hinsichtlich der so genannten unvermeidbaren Ausbildungszwischenzeiten beruht auf den oben aufgezeigten sachlichen Gesichtspunkten.
Soweit das Ergebnis der Entscheidung hinsichtlich des Ziels einer noch stärkeren Förderung des FSJ sozialpolitisch unbefriedigend sein mag, ist es Sache des Gesetzgebers, im Interesse des betroffenen Personenkreises gesetzliche Änderungen herbeizuführen. Ob, in welchem Umfang und auf welche Art rentenversicherungsrechtliche Nachteile durch die Absolvierung des FSJ kompensiert werden sollen, obliegt allein dessen Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
NWB 2007, 1525 |
SGb 2007, 350 |
HzA aktuell 2008, 51 |