Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch. Vorbereitungsschule für Universitätsaufnahmeprüfung
Orientierungssatz
Unter einer Schulausbildung ist in der Regel der Besuch öffentlicher oder privater allgemeinbildender oder weiterführender Schulen zu verstehen, wenn der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen für öffentliche Schulen gestaltet wird. Deshalb ist eine Ausbildung im Rahmen der herkömmlichen Organisationsform einer Schule zu verlangen, dh der Besuch einer allgemeinbildenden Schule, bei welcher eine allgemeine Stetigkeit und Regelmäßigkeit der Ausbildung vorgeschrieben und ihre Dauer nicht allein der Selbstverantwortung des Schülers überlassen ist. Die Zeit einer ausschließlich selbstbestimmten Vorbereitung auf eine Prüfung fällt nicht unter den Begriff der Schulausbildung (vgl BSG vom 7.9.1988 - 10 RKg 6/87). Der Schüler muß in eine schulische Mindestorganisation eingebunden sein, die eine gewisse dauernde Lernkontrolle ermöglicht.
Normenkette
BKGG § 2 Abs 2 S 1 Nr 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, bezieht seit November 1973 Kindergeld für drei eheliche Kinder. Im anhängigen Verfahren streiten die Beteiligten darüber, ob sein im Juli 1968 geborener Sohn Oktay bei der Kindergeldgewährung in der Zeit von Oktober 1986 bis einschließlich April 1987 berücksichtigt werden muß.
In der streitigen Zeit besuchte das Kind eine private Vorbereitungsschule für die Aufnahmeprüfung an einer türkischen Universität. Im Juni 1987 übersandte der Kläger eine entsprechende Schulbescheinigung.
Durch Bescheid vom 12. Mai 1987 teilte die zuständige Kindergeldkasse mit, daß dem Antrag auf Kindergeld für Oktay nicht entsprochen werden könne, weil er das 16. Lebensjahr vollendet habe und sich auf der Vorbereitungsschule nicht in Schul- oder Berufsausbildung befinde. Der hiergegen erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 6. Januar 1988 die beiden Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Berücksichtigung des Sohnes Oktay bei der Kindergeldzahlung verurteilt. Es hat die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Urteilsgründen ist ua ausgeführt, daß es aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit (BGBl II 1965 S 1170, BABl 1965, S 907) unerheblich sei, daß Oktay in der streitigen Zeit nicht im Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) gewohnt habe. Nach dem anzuwendenden deutschen Recht stehe der Anspruch auf Kindergeld für dieses Kind jedoch nicht zu. Der Vorbereitungskurs habe nicht zur Schulausbildung gehört, zumal er in einer privaten Einrichtung durchgeführt worden und in schul- bzw hochschulrechtlichen Vorschriften nicht vorgeschrieben sei. Auch in der Bundesrepublik Deutschland würden Kinder, welche sich an entsprechenden Vorbereitungslehrgängen beteiligten, bei der Kindergeldgewährung nicht berücksichtigt. Der von Oktay besuchte Kurs könne nicht mit Lehrgängen an Volkshochschulen oder solchen des Fernunterrichts verglichen werden, welche der Vorbereitung auf die Abiturprüfung dienten. Solche Lehrgänge in der Bundesrepublik Deutschland bezweckten die Erlangung eines Schulabschlusses, welchen Oktay besessen habe. Der Vorbereitungslehrgang sei ferner nicht mit einem Vorpraktikum zu vergleichen, für dessen Ableistung es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unter Umständen Kindergeld geben könne.
Im Revisionsverfahren vertritt der Kläger die Auffassung, daß die Zeit der Vorbereitung auf die Universitätsaufnahmeprüfung als Schulausbildung iS von § 2 Abs 2 BKGG angesehen werden müsse. Der Besuch solcher Kurse sei nahezu zwingend erforderlich, um die Aufnahmeprüfung zu bestehen. Ein Vergleich mit Vorbereitungen auf Studienfächer mit numerus clausus an deutschen Hochschulen könne nicht gezogen werden. In der Türkei werde für alle Universitätsstudiengänge eine Aufnahmeprüfung verlangt. Der Kläger weist auf die Rechtsprechung zur Teilnahme an Lehrgängen einer Heimvolkshochschule hin.
Er beantragt,
1. das Urteil der Berufungsinstanz und den Bescheid
der Beklagten vom 12. Mai 1987 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 1987 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
Kindergeld für den Sohn Oktay für den Zeitraum vom Oktober 1986 bis April 1987 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die nach ihrer Meinung zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG, weil dessen Tatsachenfeststellungen für eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits nicht ausreichen.
Nach Art 33 Abs 1 des deutsch-türkischen Abkommens vom 13. September 1965 scheitert der geltend gemachte Anspruch nicht daran, daß der Sohn des Klägers sich in der streitigen Zeit in seiner Heimat aufhielt. Bei dem Besuch des Vorbereitungskurses hat es sich nicht um eine Schul- oder Berufsausbildung gehandelt. Unter einer Schulausbildung ist in der Regel der Besuch öffentlicher oder privater allgemeinbildender oder weiterführender Schulen zu verstehen, wenn der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen für öffentliche Schulen gestaltet wird (BSG SozR 5870 § 2 Nr 32 mwN; zuletzt Urteil vom 7. September 1988 - 10 RKg 6/87 -). Deshalb ist eine Ausbildung im Rahmen der herkömmlichen Organisationsform einer Schule zu verlangen, dh der Besuch einer allgemeinbildenden Schule, bei welcher eine allgemeine Stetigkeit und Regelmäßigkeit der Ausbildung vorgeschrieben und ihre Dauer nicht allein der Selbstverantwortung des Schülers überlassen ist (BSGE 43, 44). Die Zeit einer ausschließlich selbstbestimmten Vorbereitung auf eine Prüfung fällt nicht unter den Begriff der Schulausbildung (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 25; SozR Nr 57 zu § 1259 RVO; Urteil vom 7. September 1988 aaO). Der Schüler muß in eine schulische Mindestorganisation eingebunden sein, die eine gewisse dauernde Lernkontrolle ermöglicht. Diese Voraussetzungen erfüllte der Besuch des Vorbereitungslehrganges nicht. Er war nach den unangegriffenen Feststellungen im Urteil des LSG nicht nur dem einzelnen Bewerber für einen Ausbildungsplatz an der Universität freigestellt, sondern er vollzog sich auch außerhalb einer herkömmlichen staatlich überwachten Organisationsform mit entsprechenden staatlich genehmigten Lehrplänen. Obwohl dem Kläger demnach das begehrte Kindergeld nicht zustand, kann nicht abschließend entschieden werden, ob die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind.
Die Beklagte gewährte das Kindergeld für Oktay ab November 1973. Den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, ob diese Leistung durchgehend bis einschließlich Oktober 1986 aufgrund der erstmaligen Bewilligung gezahlt wurde oder ob es nach Vollendung des 16. Lebensjahres des Kindes im Juli 1984 zunächst formlos eingestellt und danach nach Vorlage der Schulbescheinigung vom Oktober 1984 erneut bewilligt wurde. Dies kann jedoch offenbleiben. Denn unabhängig davon, ob die Kindergeldgewährung ohne zwischenzeitliche Entziehung oder aufgrund eines erneuten Antrages des Klägers aus dem Jahre 1984 gewährt wurde, handelt es sich bei dem Bescheid vom 12. Mai 1987 der Sache nach um einen Entziehungsbescheid. Zwar wird in ihm dem "Antrag auf Kindergeld ... nicht entsprochen". Jedoch war diese Regelung notwendig mit der Aufhebung der laufenden Gewährung verknüpft, welche entweder durch die erstmalige Bewilligung ab November 1973 oder eine etwa später erfolgte erneute Bewilligung erfolgt war. Die Leistung konnte in beiden Fällen nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) wegen einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse entzogen werden. Da es sich um die Entziehung von Kindergeld für die Zeit vom Oktober 1986 bis zum April 1987 handelte und der angefochtene Bescheid im Monat Mai 1987 erteilt wurde, ging es demgemäß um die Entziehung der Leistung für die Vergangenheit.
Nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB 10 soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn die in dieser Vorschrift genannten Gründe vorliegen. Dabei handelt es sich - die Alternative des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB 10 kann außer Betracht bleiben - um zusätzliche Voraussetzungen, welche neben dem Wegfall der materiellen Anspruchsvoraussetzungen gegeben sein müssen.
Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil nur geprüft, ob die Anspruchsberechtigung als solche vorlag. Dies ist jedoch nicht ausreichend. Bei der Entziehung der Leistung für die Vergangenheit kommt es, wie dargelegt, auf das Vorhandensein weiterer Voraussetzungen an. Diese sind in § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 bis 4 SGB 10 beschrieben. Der Senat war gehindert, selbst die noch fehlenden Tatsachenfeststellungen zu treffen (§ 163 SGG).
Die Sache mußte daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Dieses hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen