Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. England-Aufenthalt. Au-pair-Mädchen
Orientierungssatz
Der von der Universität Hamburg für das Studium der Philologie dringend empfohlene Auslandsaufenthalt, der auch dann berücksichtigt wird, wenn er vor der Immatrikulation liegt, ist Teil der Ausbildung iS des § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG.
Normenkette
BKGG § 2 Abs 2 S 1 Nr 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 11.09.1987; Aktenzeichen L 1 Kg 2/86) |
SG Schleswig (Entscheidung vom 04.02.1986; Aktenzeichen S 1 Kg 10/85) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Tochter Maike des Klägers auch für die Zeit ihres Aufenthaltes in England als Au-pair-Mädchen (September 1985 bis September 1986) bei der Zahlung von Kindergeld berücksichtigt werden muß.
Der Kläger bezog Kindergeld unter Berücksichtigung von drei Kindern. Im Mai 1985 beantragte er die Weiterzahlung der Leistung über den Monat Juli hinaus, weil seine Tochter Maike nach dem Abitur als Au-pair-Mädchen nach England gehen wolle; sie beabsichtige, im Wintersemester 1986/87 das Studium der Philologie mit dem Hauptfach Englisch möglichst an der Universität Hamburg aufzunehmen. Durch Bescheid des Beklagten vom 11. Juni 1985 wurde die Zahlung des Kindergeldes für Maike mit Ablauf des Monats Juli 1985 eingestellt, weil während des Aufenthaltes als Au-pair-Mädchen in England die Voraussetzungen für die Berücksichtigung dieses Kindes nach § 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) nicht vorlägen. Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 14. August 1985). Am 1. Oktober 1987 nahm Maike das beabsichtigte Studium in Hamburg auf.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 4. Februar 1986 abgewiesen, weil der beabsichtigte Auslandsaufenthalt nicht Voraussetzung für das Anglistik-Studium an einer Universität sei und damit nicht zur Ausbildung gehöre. Das LSG hat dieses Urteil sowie die Bescheide des Beklagten aufgehoben und ihn verurteilt, auch für die Monate August 1985 bis September 1986 Kindergeld unter Berücksichtigung der Tochter Maike des Klägers zu zahlen. In den Urteilsgründen ist ua ausgeführt, Maike habe nach ihrem Schulabschluß das Philologie-Studium mit dem Hauptfach Englisch beginnen wollen. Der von theoretischem Unterricht begleitete Aufenthalt des Kindes im englischen Sprachgebiet habe der Erlangung berufsspezifischer Kenntnisse gedient und sei in der für sie maßgeblichen Ausbildungsordnung festgelegt. Der für die Universität Hamburg geltende Studienplan lege den Studierenden dringend einen Aufenthalt von möglichst 12 Monaten in einem englischsprachigen Land nahe; für mindestens 3 Monate sei dieser Aufenthalt zwingend vorgeschrieben. In dem für die Universität Hamburg maßgebenden Studienverlaufsplan sei eine ähnliche Regelung enthalten. Die Empfehlung, daß die Auslandserfahrung zwischen Eingangs- und Hauptphase des Studiums eingeplant werden solle, ändere nichts daran, daß auch der dem Studium vorangehende Aufenthalt als Au-pair-Mädchen ihrem Studium zuzurechnen sei, weil er beim Studium entsprechend berücksichtigt werde. Sie sei von der Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen wegen ihrer beiden während des Englandaufenthalts erworbenen Prüfungszeugnisse befreit worden. Das Kind habe neben Unterkunft und Verpflegung lediglich ein Taschengeld in Höhe von umgerechnet ca 54,-- DM monatlich erhalten. Damit seien die Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Kindes bei der Kindergeldgewährung gegeben.
Der Beklagte meint, daß der Englandaufenthalt von Maike nicht als Berufsausbildung im Sinne von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG anzuerkennen sei. Er sei nämlich nicht in einer Ausbildungsordnung festgelegt worden. Insoweit habe das angefochtene Urteil die Anwendung und Auslegung der Rahmenstudienordnung für das Studium des Lehramts an der Universität Hamburg vom 3. November 1983 sowie die Verordnung über die 1. Staatsprüfung für Lehrämter vom 18. Mai 1982 und die zugehörige Anlage 3 unzutreffend ausgelegt. Allenfalls habe eine Zeit von drei Monaten berücksichtigt werden dürfen, weil diese in dem Hochschulrecht für Hamburg obligatorisch vorgesehen sei. Bezüglich der Höhe des für Maike gewährten Taschengeldes fehle es an Nachweisen. Das Beweisangebot aus dem Schriftsatz vom 30. Juni 1985 sei zu Unrecht unberücksichtigt geblieben.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das angefochtene Urteil entspreche dem in Hamburg geltenden Hochschulrecht und sei daher nicht zu beanstanden. Für Maike seien, wie das LSG zutreffend festgestellt habe, neben Unterkunft und Verpflegung nur ein Taschengeld in Höhe von umgerechnet ca 54,-- DM gewährt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Kläger hat für die Zeit, in welcher seine Tochter Maike sich als Au-pair-Mädchen in England aufhielt, einen Anspruch auf das Kindergeld nach § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG. Nach den für den erkennenden Senat verbindlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil war der Englandaufenthalt des Kindes eine dringend empfohlene Ausbildungsphase an der Universität und daher ein Teil seines Philologie-Studiums.
Dem angefochtenen Urteil ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, ob das Kindergeld für Maike durch die angefochtenen Bescheide entzogen wurde oder ob vielmehr eine Entscheidung über eine erneute Bewilligung dieser Leistung getroffen ist. Aus diesem Grunde steht nicht fest, ob die angefochtenen Bescheide nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) ergehen durften oder ob es sich um die Ablehnung eines Antrags auf Kindergeld für den streitigen Zeitraum handelt. Dies kann jedoch im Ergebnis offenbleiben; denn weder als Entziehungsbescheid noch als Verwaltungsakt mit dem Inhalt der Ablehnung einer beantragten Leistung können die angefochtenen Bescheide Bestand haben.
Zur Berufsausbildung im Sinne von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG gehört ua ein geregeltes Studium an einer Hochschule. Hiervon gehen die Verfahrensbeteiligten und die Vorinstanzen zutreffend aus. Das LSG ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Englandaufenthalt der Tochter Maike Teil ihres Studiums an der Universität Hamburg und in der maßgebenden Ausbildungsordnung als Studienabschlußvoraussetzung verlangt war (Seite 9). Es hat dies aus den Bestimmungen der Rahmenstudienordnung der Behörde für Wissenschaft und Forschung vom 22. April 1984 (Amtl Anzeiger S 773), dem Studienplan der Fachschaft der Universität Hamburg, Fachbereich Sprachwissenschaften, vom 30. Mai 1984 und der Anlage 3 der Verordnung über die 1. Staatsprüfung für Lehrämter an Hamburger Schulen vom 18. Mai 1982 hergeleitet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um Rechtsnormen handelt und ob diese revisibel sind. Selbst wenn sie anders auszulegen sein sollten, als das LSG das getan hat, ist von dem Ausbildungscharakter des Englandaufenthaltes der Tochter des Klägers auszugehen. Zwar wäre dieser Auslandsaufenthalt dann nicht in einer Rechtsnorm vorgeschrieben. Der Senat hat aber nach § 163 SGG von den Tatsachenfeststellungen des LSG auszugehen, die von der Revision nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind. Danach handhabt die Universität Hamburg die genannten Bestimmungen unabhängig von ihrem Rechtsnormcharakter so, wie das LSG sie ausgelegt hat.
Die Gründe, die in der Rechtsprechung des BSG zu den sogenannten Vorpraktika dazu geführt haben, ihren Ausbildungscharakter unter bestimmten Voraussetzungen auch dann anzuerkennen, wenn ein solches Vorpraktikum nach der Ausbildungsordnung nicht vorgeschrieben ist (BSGE 62, 239, 241f = SozR 5870 § 2 Nr 53), müssen für den von der Universität Hamburg vorgeschriebenen oder dringend empfohlenen Auslandsaufenthalt wegen der ähnlichen Interessenlage ebenfalls gelten. Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG diente der Aufenthalt der Tochter des Klägers im englischen Sprachgebiet der Erlangung berufsspezifischer Kenntnisse und war von theoretischem Unterricht begleitet, war also nicht in die freie Gestaltung der Tochter des Klägers gestellt. Nach der vom LSG festgestellten tatsächlichen Handhabung der Bestimmungen - mag diese rechtmäßig oder unrechtmäßig sein - wird diese Art der Vervollkommnung der Sprachkenntnisse zwar nur für die Dauer von drei Monaten verlangt, für die übrige Zeit bis zu einem Jahr aber dringend empfohlen. Wenn ein Student einer solchen dringenden Empfehlung folgt, so kann es den Ausbildungscharakter des Auslandsaufenthalts nicht beeinträchtigen, wenn er für die Vervollkommnung seiner Sprachkenntnisse mehr tut als unbedingt erforderlich. Das LSG ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß der Auslandsaufenthalt von 12 Monaten für das Studium der Tochter des Klägers nicht nur lediglich nützlich, sondern eine wichtige Phase war und die empfohlene Dauer von 12 Monaten nicht überschritt.
Zwar wird den Studierenden nach den Feststellungen des LSG geraten, die wichtige Phase der Auslandserfahrung zwischen Eingangs- und Hauptphase einzuplanen. Gleichwohl handelt es sich um einen Teil der Universitätsausbildung, wenn er der Eingangsphase vorausgeht, aber von der Universität so behandelt und anerkannt wird, als wenn er zwischen Eingangs- und Hauptphase durchgeführt worden wäre. Das ist nach den Feststellungen des LSG aber der Fall. Zwar steht vor der Immatrikulation noch nicht fest, ob es zu der angestrebten Universitätsausbildung kommt. Wird ein Kind aber immatrikuliert und erkennt die Universität den früheren Auslandsaufenthalt so an, als wäre er nach der Immatrikulation in der vorgeschriebenen oder dringend empfohlenen Art und Zeit durchgeführt worden, so kann er auch im Rahmen des § 2 BKGG nicht anders behandelt werden.
Die Rüge der Beklagten, das LSG hätte noch Beweis darüber erheben müssen, ob der Tochter des Klägers während ihres Englandaufenthaltes aus dem Ausbildungsverhältnis Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 750,- DM zugestanden hätten, ist nicht begründet. Insbesondere brauchte das LSG die vom Kläger in seinem Widerspruchsschreiben angebotene Bescheinigung der Gasteltern über freie Unterkunft und Verpflegung sowie über das gezahlte Taschengeld nicht beizuziehen. Das LSG konnte insoweit von den Angaben des Klägers ausgehen, denn weder aus dem Vortrag der Beklagten noch aus den Akten ergaben sich Anhaltspunkte dafür, daß diese unrichtig waren. Die gewährten Sachbezüge sind mit monatlich 510,- DM für das Jahr 1986 anzusetzen, weil insoweit die Sachbezugsverordnung vom 20. Dezember 1985 (BGBl I,2556) anzuwenden ist (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 7. September 1988 - 10 RKg 5/87 -). Unter Berücksichtigung des Taschengeldes, das monatlich nicht mehr als umgerechnet 54,- DM betrug, ergab sich eine Ausbildungsvergütung von nicht mehr als 750,- DM monatlich.
Die Revision der Beklagten konnte danach keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen