Leitsatz (amtlich)

Die Zeit des Medizinstudiums eines Angehörigen der Waffen-SS an einer SS-Ärztlichen Akademie ist keine Ersatzzeit.

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 07.12.1983; Aktenzeichen III AnBf 60/82)

SG Hamburg (Entscheidung vom 16.08.1982; Aktenzeichen 9 AN 377/81)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der der Klägerin zustehenden Witwenrente.

Die Klägerin war mit dem am 7. Januar 1924 geborenen und am 18. Mai 1980 verstorbenen Horst H. (im folgenden: Versicherter) verheiratet. Der Versicherte trat nach dem Besuch des Gymnasiums und Ablegung der Reifeprüfung am 1. August 1942 in die Waffen-SS ein und gehörte dort zunächst dem SS-Totenkopf-Ersatz-Bataillon III in Brünn, ab Oktober 1942 dem 2. SS-Panzergrenadier-Regiment "Eicke", ab 13. November 1944 der 9. SS- Panzerdivision "Hohenstaufen" und ab 17. Januar 1945 den SS- Jagdverbänden Oranienburg an. Von Januar bis Oktober 1944 studierte er an der SS-Ärztlichen Akademie Graz Medizin. Vom 13. Juni 1945 bis 21. Januar 1947 befand er sich in Gefangenschaft und anschließend bis zum 4. Dezember 1947 in Internierung.

Mit Bescheid vom 21. August 1980 bewilligte die Beklagte der Klägerin für die Zeit ab 18. Mai 1980 Witwenrente. Bei deren Berechnung blieben die Zeiten der Dienstleistung des Versicherten in der Waffen-SS sowie seiner Kriegsgefangenschaft und Internierung bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre unberücksichtigt. Auf den Widerspruch der Klägerin berücksichtigte die Beklagte die Zeiträume vom 1. August 1942 bis 18. Dezember 1943 und vom 13. November 1944 bis 8. Mai 1945 als Ersatzzeiten des militärischen Dienstes (Teilabhilfebescheid vom 21. April 1981). Im übrigen wies sie den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1981).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die der Klägerin gewährte Rente unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten auch von Januar bis Oktober 1944 und von Juni 1945 bis Januar 1947 neu zu berechnen (Urteil vom 16. August 1982). Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1982 hat die Beklagte ohne nähere Angaben beantragt, "unter teilweiser Aufhebung des Urteils (soweit die Zeit von Januar 1944 bis Oktober 1944 betroffen ist) die Klage abzuweisen". Mit Urteil vom 7. Dezember 1983 hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG vom 16. August 1982 insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Anrechnung einer Ersatzzeit von Januar 1944 bis Oktober 1944 verurteilt worden ist, und insoweit die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Die Voraussetzungen für die Anrechnung einer weiteren Ersatzzeit von Januar bis Oktober 1944 lägen nicht vor. Als Anspruchsgrundlage komme allein § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in Verbindung mit § 3 Abs 1 Buchst b) des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in Betracht. Die Annahme militärischen Dienstes im Sinne des § 2 Abs 1 Buchst a) BVG setze voraus, daß der Dienstleistende Soldat oder Wehrmachtsbeamter gewesen sei. Eine Gleichstellung der Angehörigen der Waffen-SS mit Soldaten könne lediglich ausnahmsweise für die Fälle ihrer Unterstellung unter den Befehl der Wehrmacht und/oder ihres militärischen Kriegseinsatzes angenommen werden. Diese Voraussetzungen seien für die hier streitige Zeit nicht erfüllt. Aber auch die Voraussetzungen für die Annahme eines militärähnlichen Dienstes im Sinne des § 3 Abs 1 Buchst b) BVG seien nicht gegeben. Der Versicherte habe jedenfalls nicht Dienst "für Zwecke der Wehrmacht" geleistet. Auch insoweit sei eine generelle Gleichbehandlung der Angehörigen der Waffen-SS mit Soldaten unzulässig und eine Gleichbehandlung lediglich im Einzelfall möglich. Ihr Dienst könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur dann als militärähnlicher Dienst angesehen werden, wenn er, hätte es Verbände der Waffen-SS nicht gegeben, von einem Soldaten der Wehrmacht geleistet worden wäre. Davon ausgehend habe der Versicherte während der streitigen Zeit keine typische Soldatentätigkeit und auch keine für einen Soldaten damals in irgendeiner Weise kennzeichnende Tätigkeit verrichtet. Auch wenn für Soldaten Anfang 1944 überhaupt noch die Möglichkeit bestanden habe und genutzt worden sei, zu Studienzwecken beurlaubt zu werden, könne die Zahl solcher vergleichbaren Fälle nicht groß gewesen sein. Denn schon im März 1943 sei durch das Oberkommando des Heeres (OKH) bzw den Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres angeordnet worden, daß Beurlaubungen zum Studium für Angehörige des Feld- und Ersatzheeres mit Ausnahme der versehrten Soldaten nicht mehr hätten erfolgen dürfen. Der Versicherte sei während seines dem Medizinstudium vorangegangenen militärischen Einsatzes nicht nennenswert verwundet worden. Studienmöglichkeiten im Fach Medizin aus dienstlichen Gründen habe es zwar wohl auch noch nach der Anordnung vom 18. März 1943, aber erkennbar nur für diejenigen Soldaten gegeben, welche ein solches Studium bereits einmal begonnen und deswegen die volle Eignung zum Reservesanitätsoffizier besessen hätten. Auch davon könne beim Versicherten nicht ausgegangen werden. Damit liege der Gedanke nahe, daß er statt "für Zwecke der Wehrmacht" für Zwecke der SS studiert habe, zumal er das Studium nicht an einer Universität oder sonst allgemein zugänglichen Hochschule, sondern an der "SS- Ärztlichen Akademie Graz" durchgeführt habe, möge diese auch Teil oder Vorläuferin der medizinischen Fakultät der Universität Graz gewesen sein. Außerdem sei der Versicherte in seinen Personalunterlagen nach Durchführung eines Lehrgangs an einer SS-Junkerschule bereits als "SS-Arzt" bezeichnet worden. Zwar sei in der gleichen Beurteilung seine Verwendung als "Führer des Sanitätsdienstes" vorgeschlagen worden. Gleichwohl lasse sich eine Ausbildung zu anderen als militärischen Zwecken nicht ausschließen und eine Ausrichtung des Medizinstudiums auf die Bedürfnisse des anschließend fortgesetzten militärischen Einsatzes jedenfalls nicht feststellen. Dem stehe bereits die Kürze der Ausbildung von nur zwei Semestern und ihre allgemeine und theoretische Anlage entgegen. Auch wenn der Versicherte während des Studiums ua als Krankenpfleger in einem Lazarett gearbeitet haben sollte, fehle es an Anhaltspunkten dafür, die Studienzeit insgesamt als für Zwecke der Wehrmacht zurückgelegt anzusehen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision bringt die Klägerin vor, die Beklagte habe in ihrem Schriftsatz vom 19. Oktober 1982 weder erklärt, daß Berufung eingelegt werde, noch das anzufechtende Urteil nach Datum oder Aktenzeichen und das Gericht, dessen Urteil angefochten werde, genannt. Es sei daher zu prüfen, ob der Schriftsatz als Berufungsschrift gewertet werden könne und den geringen Formerfordernissen des § 151 Abs 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) noch entspreche oder ob die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen sei. In der Sache rügt die Klägerin eine Verletzung der § 28 Abs 1 Nr 1 AVG und § 3 Abs 1 Buchst b) BVG sowie des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Durch seine Rechtsprechung, wonach Angehörige der Waffen-SS während des Zweiten Weltkrieges dann militärähnlichen Dienst geleistet hätten, wenn dieser sonst, wenn es die Verbände der Waffen-SS nicht gegeben hätte, von einem Soldaten geleitet worden wäre, habe das BSG das Verfassungsgebot der Gleichbehandlung gleichliegender Sachverhalte im Wege der Analogie nutzbar gemacht und letztlich darauf abgestellt, ob bezüglich der fraglichen Dienstleistung beim Vergleich mit einem Soldaten des Zweiten Weltkrieges kein ins Gewicht fallender Unterschied bestehe. Dabei brauche sich die Betrachtung aufgrund der Vorschriften des BVG und der hier anzustellenden rentenrechtlichen Prüfung nicht in jedem Punkt zu decken. Diesen auf den Einzelfall abzustellenden Grundsätzen habe das angefochtene Urteil nicht Rechnung getragen. Das LSG habe den nicht eng auszulegenden Begriff eines für Zwecke der Wehrmacht geleisteten Dienstes verkannt und die geschichtlichen Gegebenheiten unzutreffend gewürdigt. Für den Fronteinsatz hätten die Angehörigen der Waffen-SS in ihren vielfältigen Verwendungen ebenso wie die Soldaten der Wehrmacht ausgebildet werden müssen und seien auch in den Verbänden der Waffen-SS Ärzte und Sanitäter benötigt worden. Dabei habe ein als Arzt vorgesehener Angehöriger der Waffen-SS mit dem Studium erst nach erfolgreicher Teilnahme an einem Führer-Lehrgang beginnen und das Studium durch Fronteinsatz nach Abschluß der vorklinischen Semester unterbrochen werden können. Entsprechend diesem normalen Werdegang eines als Truppenarzt der Waffen-SS vorgesehenen Angehörigen der Waffen-SS sei mit Grundausbildung, Fronteinsatz, Teilnahme an einem Führerlehrgang an der SS-Junkerschule und anschließender Kommandierung zur Aufnahme des Medizinstudiums an der Akademie Graz auch der Werdegang des Versicherten in der Waffen-SS verlaufen. Nicht viel anders sei die Laufbahn der als Truppenärzte vorgesehenen Soldaten der Wehrmacht gestaltet gewesen mit dem einzigen Unterschied, daß die Angehörigen der Waffen-SS vor Aufnahme des Studiums noch einen allgemeinen Führer-Lehrgang hätten absolvieren müssen. Angesichts dessen gebe es im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG keinen rechtfertigenden Grund für eine versicherungsrechtlich andere Behandlung der in der Ausbildung zum Truppenarzt befindlichen Angehörigen der Waffen-SS im Vergleich zu den entsprechenden Angehörigen der Wehrmacht. Ebenso wie bei dieser seien auch für die kämpfenden Verbände der Waffen-SS Truppenärzte benötigt worden. Der Versicherte habe damit für Zwecke der Wehrmacht im Sinne der Rechtsprechung zu § 3 Abs 1 Buchst b) BVG studiert. Zu diesem Studium sei er auch nicht vom Dienst in der Waffen-SS beurlaubt, sondern abkommandiert worden. Deswegen gingen die Hinweise des LSG auf den Erlaß des OKH vom 18. März 1943 und auf die allgemeine und theoretische Anlage des Studiums des Versicherten fehl. Gegebenenfalls müßten die Tatsachen zur Laufbahn eines als Truppenarzt vorgesehenen Angehörigen der Waffen-SS weiter aufgeklärt werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 7. Dezember 1983 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. August 1982 zurückzuweisen; hilfsweise: das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 7. Dezember 1983 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Hamburg zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält ihre Berufung für zulässig und das angefochtene Urteil für in der Sache zutreffend. Der Versicherte sei während seines Studiums nicht im Sinne des § 3 Abs 1 Buchst b) BVG für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt worden. Die Erwägungen, aus denen der 11. Senat des BSG im Urteil vom 30. Juni 1983 - 11 RA 44/82 - (BSGE 55, 205 = SozR 2200 § 1251 Nr 104) die Vormerkung einer Ersatzzeit bei einem früheren Angehörigen der Waffen-SS abgelehnt habe, der nach einer schweren Kriegsverletzung nicht mehr im unmittelbaren Kriegseinsatz, sondern beim Fürsorge- und Versorgungsamt der SS eingesetzt worden sei, ließen sich auch auf den vorliegenden Sachverhalt eines Medizinstudiums an der SS-Ärztlichen Akademie Graz übertragen.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.

Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht vor einer Entscheidung über die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des streitigen Anspruchs zu prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt, und dabei auch ohne eine entsprechende Rüge der Beteiligten von Amts wegen insbesondere solche Mängel zu berücksichtigen, die sich aus dem Fehlen der unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen ergeben. Hierzu gehört auch die Zulässigkeit der Berufung (vgl ua BSG SozR 1500 § 150 Nr 18 S 34 mwN). Die Berufung der Beklagten ist entgegen der Meinung der Klägerin zulässig gewesen.

Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben (§ 151 Abs 3 SGG). Dementgegen hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 19. Oktober 1982 das anzufechtende Urteil nicht durch Angabe des erlassenden SG und mit Datum und/oder Aktenzeichen bezeichnet. Der Schriftsatz enthält ferner nicht die ausdrückliche Aussage, daß Berufung eingelegt werde. Das hat jedoch nicht zur Unzulässigkeit der Berufung geführt. Das "Soll" in § 151 Abs 3 SGG ist lediglich eine Ordnungsvorschrift, deren Nichtbeachtung die Berufung nicht unzulässig macht (BSG SozR 1500 § 66 Nr 8 S 16). Das gilt insbesondere hinsichtlich der Bezeichnung des angefochtenen Urteils in der Berufungsschrift (vgl auch BSG SozR 1500 § 151 Nr 10 S 22). Daß im übrigen die Beklagte mit ihrem Schriftsatz vom 19. Oktober 1982 hat Berufung einlegen wollen, ergibt sich mit einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit aus der darin enthaltenen Bezeichnung der Beteiligten als "Berufungsbeklagte" bzw als "Berufungsklägerin" und aus den Darlegungen auf Seite 4 des Schriftsatzes, daß "die Berufung" in sachlicher Hinsicht Aussicht auf Erfolg habe.

Die Sachrügen der Revision können nicht durchgreifen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Witwenrente unter Berücksichtigung des Zeitraums vom Januar bis Oktober 1944 als weiterer Ersatzzeit. Das hat das LSG zutreffend entschieden.

Im Rahmen der Berechnung der Witwenrente werden als Ersatzzeiten ua Zeiten des militärischen oder militärähnlichen Dienstes im Sinne der §§ 2 und 3 BVG, der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist, angerechnet (§ 28 Abs 1 Nr 1 AVG).

Die Zeit von Januar bis Oktober 1944, in welcher der Versicherte die SS-Ärztliche Akademie in Graz besucht hat, ist keine Ersatzzeit im Sinne des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG. Allerdings steht der Berücksichtigung des Zeitraums als Ersatzzeit nicht von vornherein entgegen, daß der Versicherte ein Hochschulstudium absolviert hat und eine Hochschulausbildung im allgemeinen nach näherer Maßgabe des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b) AVG lediglich eine zwar bei der Feststellung der Rentenhöhe, nicht aber für die Erfüllung der Wartezeit zu berücksichtigende Ausfallzeit darstellt. Das kann indes nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht für eine Ausbildungszeit gelten, die innerhalb eines zumindest an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zurückgelegt worden ist. Die innerhalb eines allgemeinen Beschäftigungsverhältnisses absolvierte Ausbildung teilt versicherungsrechtlich das Schicksal des Beschäftigungsverhältnisses. Besteht dieses "Beschäftigungsverhältnis" in der Ableistung von Wehrdienst und stellt dieser eine Ersatzzeit im Sinne des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG dar, so kann bei Erfüllung der Voraussetzungen der §§ 2 oder 3 BVG auch eine vom Wehrdienst umschlossene Ausbildung eine solche Ersatzzeit bilden (BSGE 56, 5, 7 f = SozR 2200 § 1259 Nr 79 S 218 mwN). Die Zeiten der Dienstleistung des Versicherten in der Waffen-SS bis zum 18. Dezember 1943 und ab 13. November 1944 hat die Beklagte im Teilabhilfebescheid vom 21. April 1981 als Ersatzzeiten im Sinne des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG anerkannt. Sie umschließen die Zeit des Studiums des Versicherten an der SS-Ärztlichen Akademie Graz vom Januar bis Oktober 1944. Der Versicherte ist ersichtlich auch während des Studiums weiterhin Angehöriger der Waffen-SS gewesen. Allein von daher gesehen ist eine Berücksichtigung des Studiums als Ersatzzeit gemäß § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht ausgeschlossen.

Dem stehen jedoch andere Gründe entgegen. Die Dienstleistung des Versicherten während seiner Studienzeit läßt sich weder dem militärischen noch dem militärähnlichen Dienst zuordnen.

Militärischer Dienst ist nach dem hier allein einschlägigen § 2 Abs 1 Buchst a) BVG jeder nach deutschem Wehrrecht geleistete Dienst als Soldat oder Wehrmachtsbeamter. Der Dienst in der Waffen-SS fällt nicht darunter. Die in der früheren Rechtsprechung des BSG erörterte Frage, ob in der Zeit nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine Dienstleistung in den bewaffneten Verbänden der SS wenigstens dann militärischer Dienst und insbesondere Dienst "nach deutschem Wehrrecht" gewesen sein kann, wenn der betreffende Angehörige der Waffen-SS im Kriegseinsatz gestanden und dabei dem Befehl der Wehrmacht unterstanden hat, ist jedenfalls im Rahmen der Ersatzzeitenregelung des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG irrelevant. Eine etwaige Gleichstellung des Kriegseinsatzes in Verbänden der Waffen-SS mit dem militärischen Dienst wäre nur durch eine Analogie zu § 2 BVG zu erreichen. Sie ist jedoch im Rahmen des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht erforderlich und mangels einer Gesetzeslücke nicht zulässig, weil die Gleichstellung im Falle des Kriegseinsatzes schon durch eine unmittelbare Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst b) BVG zu erreichen ist. Innerhalb des Ersatzzeitenrechts kann demnach die Dienstleistung eines Angehörigen der Waffen-SS auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht als militärischer Dienst im Sinne des § 2 Abs 1 Buchst a) BVG angesehen werden (BSGE 55, 205, 206 f = SozR 2200 § 1251 Nr 104 S 288 f; BSG SozR aaO Nr 105 S 292 f). Das macht auch die Revision nicht geltend.

Als militärähnlicher Dienst gilt ua der aufgrund einer Einberufung durch eine militärische Dienststelle oder auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistete freiwillige oder unfreiwillige Dienst (§ 3 Abs 1 Buchst b BVG). Hierzu hat der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 29. November 1979 (BSGE 49, 170, 172 ff = SozR 2200 § 1251 Nr 73 S 183 ff) ausgesprochen, der Dienst eines Angehörigen der bewaffneten Verbände der SS während des Zweiten Weltkrieges im Kriegseinsatz sei als im Sinne des § 3 Abs 1 Buchst b) BVG auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers geleistet anzusehen. Dabei sei unter "Kriegseinsatz" der Angehörigen bewaffneter Verbände der SS der Dienst zu verstehen, der wie der Dienst eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg geleistet worden sei. Wer als Angehöriger der Waffen-SS während des Zweiten Weltkrieges einen Dienst geleistet habe, der sonst, wenn es diese Verbände nicht gegeben hätte, von einem Soldaten der Wehrmacht geleistet worden wäre, habe militärähnlichen Dienst geleistet und sei dem Soldaten hinsichtlich der Anrechnung einer Ersatzzeit gleichzustellen. Dieser Rechtsprechung haben sich in der Folgezeit der erkennende Senat und der 11. Senat des BSG angeschlossen (vgl im einzelnen BSG SozR 2200 § 1251 Nr 105 S 293 mwN). Sie ist auch für den vorliegenden Fall heranzuziehen.

Auf ihrer Grundlage kann die Zeit des Studiums des Versicherten an der SS-Ärztlichen Akademie Graz von Januar bis Oktober 1944 nicht als Ersatzzeit berücksichtigt werden. Das Studium stellt keinen militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 Abs 1 Buchst b) BVG dar. Dies folgt allerdings nicht schon allein daraus, daß der Versicherte während der Zeit seines Studiums nicht im Fronteinsatz verwendet worden ist. In einem derartigen Einsatz erschöpft sich der "Kriegseinsatz" der bewaffneten Verbände der SS nicht. Typisch für die Verwendung eines Soldaten sind zB auch die Grenzsicherung, ein Lazarettaufenthalt oder die spätere Zugehörigkeit zu einer Genesenden-Kompanie nach einer Verwundung oder Krankheit bis zur vollständigen Ausheilung und zur Feststellung der Kriegsverwendungsfähigkeit (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 105 S 294 mwN). Das Medizinstudium an einer SS-Ärztlichen Akademie ist aber nicht typisch für die Verwendung eines Soldaten.

Dafür läßt sich entgegen der Ansicht der Revision nicht anführen, daß ebenso wie bei der Wehrmacht auch für die kämpfenden Verbände der Waffen-SS Truppenärzte und Sanitäter benötigt worden seien und deswegen der Versicherte für Zwecke der Wehrmacht im Sinne des § 3 Abs 1 Buchst b) BVG studiert habe. Den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts läßt sich nicht entnehmen, welchem Zweck das Studium an einer SS-Ärztlichen Akademie gedient hat und ob es insbesondere zur Ausbildung von Truppenärzten bei den kämpfenden Verbänden der Waffen-SS bestimmt gewesen ist. Damit ist nicht auszuschließen, daß es ebenso den Belangen der zahlenmäßig weit überwiegenden nichtkämpfenden Angehörigen der Waffen-SS (dazu BSGE 53, 281, 283 = SozR 2200 § 1251 Nr 96 S 258 f) bzw der allgemeinen SS oder sogar weitergehenden Zielen im Rahmen der ideologischen Ausrichtung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedient hat. Dies kann indes auf sich beruhen und nötigt den Senat nicht zu einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zwecks weiterer Sachaufklärung. Denn daß das "Produkt der Dienstleistung" - hier der Erwerb medizinischer oder ärztlicher Kenntnisse und Fähigkeiten - für Zwecke der Wehrmacht bestimmt oder diesen Zwecken zu dienen geeignet gewesen ist, ist nicht erheblich. Entscheidend ist, daß die Dienstleistung selbst für diesen Zweck bestimmt gewesen, dh etwas getan worden ist, was sonst die Wehrmacht selbst hätte tun müssen oder was an sich noch innerhalb ihres Aufgabenkreises im weiteren Sinne gelegen hätte (BSGE 49, 170, 173 = SozR 2200 § 1251 Nr 73 S 184; BSG SozR aaO Nr 105 S 295). Das trifft für das Studium an einer SS-Ärztlichen Akademie nicht zu.

Hätte es die bewaffneten und kämpfenden Verbände der Waffen-SS nicht gegeben, so wäre Dienst in Form des Studiums an einer SS- Ärztlichen Akademie nicht von einem Soldaten der Wehrmacht geleistet worden. Auch in diesem Zusammenhang kann wiederum auf sich beruhen, welchen Zwecken und Zielen die SS-Ärztlichen Akademien gedient haben. Hätten sie der Ausbildung von Ärzten oder ärztlichem Hilfspersonal zur Betreuung der kämpfenden Verbände der Waffen-SS gedient, so wären sie ohne die Existenz dieser Verbände nicht errichtet und allein schon aus diesem Grunde nicht von Soldaten der Wehrmacht besucht worden. Wären die SS-Ärztlichen Akademien hingegen auch, überwiegend oder ausschließlich im Interesse und für Zwecke der allgemeinen SS oder jedenfalls der nicht kämpfenden Verbände der Waffen-SS oder sogar mit über die medizinische Versorgung und Betreuung von SS-Angehörigen hinausgehenden Zielen errichtet worden, so hätten sie zwar auch ohne die Existenz der kämpfenden Verbände der Waffen-SS bestanden. Sie wären dann jedoch angesichts ihrer allein auf die Belange der SS ausgerichteten Zwecksetzung erst recht nicht von Soldaten der Wehrmacht besucht worden. Weder in dem einen noch in dem anderen Falle wäre eine Dienstleistung durch Absolvierung des Medizinstudiums an einer SS-Ärztlichen Akademie typisch für die Verwendung eines Soldaten der Wehrmacht. Diese Dienstleistung stellt somit keinen militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 Abs 1 Buchst b) BVG dar.

Dem steht das Urteil des erkennenden Senats vom 1. Juni 1982 (BSGE 53, 281, 282 ff = SozR 2200 § 1251 Nr 96 S 258 f) nicht entgegen. Im damaligen Rechtsstreit ist um die Vormerkung der Zeit einer Waffenausbildung in einer Ausbildungseinheit der Waffen-SS als Ersatzzeit gestritten worden. Der Senat hat hierzu ausgesprochen, der Dienst in einer solchen Einheit sei grundsätzlich kein militärähnlicher Dienst. Lediglich dann, wenn der Versicherte nach Eintritt in die Waffen-SS weder während seiner Waffenausbildung noch während seines unmittelbar hieran anschließenden Kriegseinsatzes bis zum Kriegsende, zu einer Kriegsgefangenschaft oder zu einer eine weitere Kriegsverwendung hindernden Kriegsbeschädigung jemals wehrmachtsfremd - für Zwecke der SS oder der NSDAP - eingesetzt gewesen sei, bestehe bei einem Vergleich mit einem Soldaten des Zweiten Weltkrieges kein ins Gewicht fallender Unterschied und sei in rechtsergänzender Ausfüllung des insoweit lückenhaften § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO- (= § 28 Abs 1 Nr 1 AVG) unter Heranziehung des Verfassungsgebotes der Gleichbehandlung gleichliegender Sachverhalte (Art 3 Abs 1 GG) der Rekrut der Waffen-SS in bezug auf seine Waffenausbildung wie ein Rekrut der Wehrmacht zu behandeln. Auch im vorliegenden Fall ist - wie sich aus der Anerkennung der Zeiten der Dienstleistung vom 1. August 1942 bis 18. Dezember 1943 und vom 13. November 1944 bis 8. Mai 1945 als Ersatzzeiten im Teilabhilfebescheid der Beklagten vom 21. April 1981 ergibt - der Versicherte außerhalb der Zeit seiner Ausbildung an der SS-Ärztlichen Akademie Graz während seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS nicht wehrmachtsfremd eingesetzt worden. Der wesentliche Unterschied zu dem durch Urteil des Senats vom 1. Juni 1982 entschiedenen Fall besteht jedoch darin, daß dort die Vormerkung der Zeit einer Waffenausbildung in einer Ausbildungseinheit der Waffen-SS streitig gewesen ist. Eine solche Grundausbildung ist gleichermaßen für die Verwendung eines Soldaten der Wehrmacht typisch. Für die Dienstleistung in Form der Absolvierung eines Medizinstudiums an einer SS-Ärztlichen Akademie kann dies hingegen nicht gelten. Sie ist für die Verwendung eines Wehrmachtssoldaten untypisch und kann deswegen selbst dann nicht als Ersatzzeit des militärähnlichen Dienstes berücksichtigt werden, wenn sie von derartigen Ersatzzeiten "umrahmt" ist.

Dieses Ergebnis widerspricht nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Es ist, wie der Senat in anderem Zusammenhang schon in seinem Urteil vom 11. August 1983 (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 105 S 296) ausgesprochen hat, die in sich folgerichtige Konsequenz der durch die historischen Gegebenheiten begründeten und sachlich gerechtfertigten Entscheidung des Gesetzgebers, den Dienst in der SS und speziell in der Waffen-SS nicht in demselben Umfange wie die Dienstleistung eines Soldaten der Wehrmacht versorgungs- und rentenrechtlich zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663372

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