Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des Halbierungserlasses
Leitsatz (amtlich)
Der sogenannte Halbierungserlaß vom 5.9.1942 (AN 1942, 490) ist bis zum 30.6.1982 gültig gewesen. Er begründet keine Pflicht zum zeitlich unbegrenzten Ersatz von Anstaltsunterbringungskosten.
Orientierungssatz
1. Nach dem bis zum 30.6.1982 gültig gewesenen Halbierungserlaß vom 5.9.1942 (AN 1942, 490) hatten die Träger der Krankenversicherung die Kosten der Unterbringung versicherter Geisteskranker nur im Rahmen der §§ 1531 ff RVO iVm Abschnitt 3 des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 20.5.1941 (AN 1941, 197) zur Hälfte zu tragen; die während der Geltung des Halbierungserlasses vorgenommenen Änderungen der Anspruchsdauer für Krankenpflege und Krankenhauspflege im Leistungsrecht der Krankenversicherung haben die Dauer der Kostenbeteiligung nach dem Halbierungserlaß nicht entsprechend verlängert.
2. Eine Kostenbeteiligung der Träger der Krankenversicherung im Rahmen des Halbierungserlasses kommt von vornherein nicht in Betracht - auch nicht für eine vorübergehende Zeit, etwa 26 Wochen - wenn die Feststellung der für die Zuständigkeitsfrage wesentlichen Tatsachen ohnehin zu erfolgen hat.
Normenkette
RVO § 184 Abs 1 Fassung: 1973-12-19, § 1531 Fassung: 1945-03-29; RAM/RMdIErl 1942-09-05
Verfahrensgang
SG Münster (Entscheidung vom 06.11.1979; Aktenzeichen S 14 Kr 83/78) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Erstattung von mindestens 50 % der Kosten für die stationäre Behandlung des J.S. (J. Sch.) nach dem sogenannten Halbierungserlaß.
J. Sch., geboren 1955, ist der Sohn des beigeladenen Versicherten. Er leidet an einer leichten Halbseitenlähmung links, Halbseitenparese links mit Reflexstörungen, an einem massiven geistigen Schwächezustand vom Grade einer Idiotie mit Erethie und an einem cerebralen Anfallsleiden mit hochgradigen Verhaltensstörungen. Seit dem 29. Juli 1960 ist J. Sch. in B. untergebracht. Die Kosten der Unterbringung trug zunächst der Beigeladene und trägt ab 1. April 1974 der Kläger.
Seine Klage mit dem Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Aufwendungen für die Zeit ab 1. April 1974, hilfsweise Erstattung von 50 % der Aufwendungen hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Es hat ausgeführt, dem Kläger stehe kein Ersatzanspruch nach § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu, da die Beklagte dem Beigeladenen keine Krankenhausbehandlung für seinen Sohn zu gewähren habe. Bei J. Sch. handele es sich um einen reinen Pflegefall. Die notwendigen Behandlungen müßten nur deshalb stationär erfolgen, weil eine ambulante Behandlung wegen der Notwendigkeit der Unterbringung im Sinn von Wartung und Pflege nicht möglich sei. Der Halbierungserlaß sei spätestens mit der Neufassung des § 182 RVO im Jahr 1961 und den nachfolgenden Gesetzen sowie § 21 Abs 1 Ziffer 3 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) außer Kraft gesetzt worden. Darüber hinaus sei der Halbierungserlaß im vorliegenden Fall deshalb nicht anwendbar, weil der Sozialhilfeträger wegen seiner Aufwendungen nicht auf den Beigeladenen zurückgreifen könnte. Nach § 91 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) werde die Sorge für langfristig Hilfsbedürftige von der Allgemeinheit übernommen. Diese Entlastung des Versicherten wirke auch gegenüber der Krankenkasse.
Der Kläger hat Sprungrevision eingelegt und macht geltend, der Halbierungserlaß sei weiterhin gültig. Eine Freistellung des Beigeladenen nach § 91 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 BSHG sei bisher nicht erfolgt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 6. November 1977 - S 14 Kr 83/78 - aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten der stationären Behandlung des Sohnes des Beigeladenen ab 1. April 1974, hilfsweise 50 % dieser Kosten bis zum 30. Juni 1982 zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie macht geltend, der Halbierungserlaß sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Zwischen dem Kläger und den Krankenkassenverbänden sei nämlich mit Wirkung vom 1. Januar 1969 ein sogenanntes Geisteskrankenabkommen vereinbart worden. Allerdings finde das Abkommen bei der Unterbringung in Fachkliniken und Krankenhäusern der von Bodelschwingh'schen Anstalten in Bethel keine Anwendung. In diesen Fällen könne jedoch nicht wiederum der Halbierungserlaß angewendet werden.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht wegen der Kosten der Unterbringung des J. Sch. kein Ersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Der Anspruch ergibt sich insbesondere weder im Sinn des Haupt- noch im Sinn des Hilfsantrags unmittelbar aus § 1531 RVO. Im vorliegenden Rechtsstreit kann der Senat nicht zu dem Ergebnis kommen, daß dem Beigeladenen mit Rücksicht auf die Unterbringung seines Sohnes Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Nach den gemäß §§ 163, 161 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellungen des SG hat der Beigeladene keinen Anspruch auf Krankenhauspflege gemäß § 184 RVO. Das SG hat festgestellt, daß die Behandlungen nur deshalb stationär erfolgen mußten, weil eine ambulante Behandlung wegen der Notwendigkeit der Unterbringung zur Pflege nicht möglich gewesen sei. Der Beigeladene hat deshalb keinen Anspruch aus § 184 RVO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die Behandlung im Krankenhaus erforderlich im Sinn dieser Vorschrift, wenn die notwendige medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt werden kann und eine ambulante ärztliche Versorgung nicht ausreicht (BSGE 49, 216, 217 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Der Ersatzanspruch des Klägers ergibt sich ferner nicht im Sinn des Hilfsantrages aus dem Erlaß des Reichsarbeitsministers und des Reichsministers des Innern betreffend Beziehungen der Fürsorgeverbände zu den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung bei Unterbringung von Geisteskranken (sogenannter Halbierungserlaß) vom 5. September 1942 (AN S 490).
Der Halbierungserlaß ist allerdings bis zum 30. Juni 1982 gültig gewesen. In ständiger Rechtsprechung hat der Senat entschieden, daß der Erlaß weder durch den Wegfall der Ermächtigungsgrundlage noch durch die spätere Rechtsentwicklung außer Kraft getreten ist (zuletzt Urteil vom 21. 6. 1978 - 3 RK 97/76 - BSG SozR 5435 Allg. Nr 1 mwN). Diese Auffassung ist durch Art 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz) vom 22. Dezember 1981 BGBl I 1568) bestätigt worden. Danach wird der Erlaß mit Wirkung vom 1. Juli 1982 aufgehoben. Er ist demgemäß für die Zeit bis zu diesem Datum noch anzuwenden.
Der Halbierungserlaß ist entgegen der Auffassung der Beklagten für den Bereich der von B. Anstalten in B. auch nicht durch das Geisteskrankenabkommen aufgehoben worden. Wie die Beklagte einräumt, findet dieses Abkommen bei der Unterbringung in den Fachkliniken und Krankenhäusern der von B. Anstalten in B. keine Anwendung. Die Beteiligten waren zwar berechtigt, über die Auslegung und Anwendung des Halbierungserlasses Vereinbarungen zu treffen und den Erlaß abzudingen (BSGE 9, 112, 119). Wenn aber von einer solchen Abdingung bestimmte Anstalten ausgenommen werden, bleibt es insoweit bei dem Halbierungserlaß.
Werden gegen Krankheit versicherte Geisteskranke von anderen Stellen als den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung in Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen und treten die Fürsorgeverbände als Kostenträger auf, so sind nach dem Halbierungserlaß die den Fürsorgeverbänden durch die Unterbringung entstandenen Kosten - ungeachtet der Gründe, auf denen die Unterbringung beruht -, im Rahmen der §§ 1531 ff RVO iVm Abschnitt III des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 20. Mai 1941 - II a 7213/41 (AN S 197) - je zur Hälfte von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Fürsorgeverband zu tragen.
Die Voraussetzungen für die Anwendung des Halbierungserlasses sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Anwendung steht die von vornherein bekannte Dauer der Anstaltsunterbringung des J. Sch. entgegen. Da eine Ersatzpflicht der Krankenkasse nach dem Halbierungserlaß nur im Rahmen des Abschnitts III des Erlasses vom 20. Mai 1941 bestand, unterlag sie der in dieser Bestimmung geregelten Beschränkung. Krankenhauspflege konnte danach nur im gleichen Umfang wie das Krankengeld gewährt werden. Für das Krankengeld galt aber eine Begrenzung auf 26 Wochen.
Der Erlaß vom 20. Mai 1941 ist durch Erlaß vom 2. November 1943 (AN S 485) aufgehoben worden. In diesem sogenannten Verbesserungserlaß wurde die Krankenhauspflege durch Verweisung auf den Umfang des Krankengeldes wiederum auf 26 Wochen begrenzt. Da aber gleichzeitig die zeitliche Begrenzung der Krankenpflege abgeschafft wurde, sah der Verbesserungserlaß im Abschnitt III auch bei Unterbringung im Krankenhaus Leistungen für die Zeiten nach der Aussteuerung vor. Die Krankenkasse hatte dem Versicherten als Ersatz der Kosten für Arznei und Hilfsmittel 25 RPf, als Ersatz der Kosten für die ärztliche Behandlung 75 RPf, als Ersatz der Kosten für die gesamte Krankenpflege den Betrag von 1 RM für jeden Kalendertag der Behandlungszeit zu zahlen, soweit die Kosten nicht bereits durch die kassenärztliche Gesamtvergütung abgegolten waren. Der Senat hat angenommen, der Fürsorgeverband könne von der Krankenkasse nach dem Halbierungserlaß die Hälfte dieses Abgeltungsbetrages beanspruchen; da der Halbierungserlaß für den von ihm geregelten Ausgleich von der allgemein für Ersatzleistungen an Fürsorgeverbände geltenden Abrechnungsgrundlage ausgehe, schlügen die jeweils allgemein für die Bemessung der Ersatzleistung gültigen Regelungen auf die Abrechnung nach dem Halbierungserlaß durch (BSGE 29, 146, 148 = SozR RAM - Erl über KRV Allg vom 2. November 1943 Nr 10).
Die zeitliche Begrenzung der Krankenhauspflege auf 26 Wochen ist durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) geändert worden. Danach wurde nämlich das Krankengeld, nach dessen Umfang sich gemäß Verbesserungserlaß vom 2. November 1943 die Krankenhauspflege richtete (vgl Krauskopf, ua Soziale Krankenversicherung 1973, § 184 Anm 1), ohne zeitliche Begrenzung gewährt, jedoch für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit für höchstens 78 Wochen innerhalb von je 3 Jahren (vgl Art 2 Nr 4 aaO). Durch § 1 Nr 1 des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 19. Dezember 1973 (BGBl I 1925) ist § 184 RVO dann dahin geändert worden, daß Krankenhauspflege zeitlich unbegrenzt gewährt wird; Abschnitt I Nr 2 b und Abschnitt III des Verbesserungserlasses sind aufgehoben worden (§ 5 Satz 2 aaO).
Diese Änderungen im Leistungsrecht der Krankenversicherung haben den Umfang der Erstattung nach dem Halbierungserlaß nicht entsprechend erweitert. In seiner Rechtsprechung nach den Gesetzesänderungen hat der Senat niemals angenommen, die Krankenkassen müßten sich nach dem Halbierungserlaß zeitlich unbegrenzt an den Unterbringungskosten beteiligen. Er hat vielmehr in seiner Entscheidung vom 21. Juni 1978 - 3 RK 97/76 - (SozR 5435 Allg Nr 1) den Anwendungsbereich des Halbierungserlasses erheblich eingeschränkt. In Fortsetzung dieser Rechtsprechung gibt der jetzt zu entscheidende Fall Anlaß zu der Klärung, daß der Halbierungserlaß sinngemäß nicht den zeitlich unbegrenzten Ersatz von Anstaltsunterbringungskosten erfaßt. Zweck dieses Erlasses war die Vereinfachung der Verwaltung. In der Praxis mußte damals in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob die Unterbringung eines Geisteskranken in seinem eigenen Interesse erfolgte oder vorwiegend aus sicherheitspolizeilichen Gründen veranlaßt worden war. Es war der ausdrücklich erklärte Sinn des Halbierungserlasses, diese Schwierigkeiten zu vermeiden und die Verwaltung der beteiligten Stellen zu vereinfachen (Eingangsworte des Erlasses). Mit dem Zweck der Verwaltungsvereinfachung läßt sich aber keine Kostentragungspflicht für unbegrenzte Dauer rechtfertigen. Der Halbierungserlaß bezieht zwar nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich die jeweils gültigen Regelungen für die Bemessung der Ersatzleistung ein. Jedenfalls aber wird eine Einbeziehung des § 184 RVO nF in vollem Umfang vom Zweck des Halbierungserlasses nicht mehr gedeckt. Es wäre widersinnig, die Kosten einer dauernden Anstaltsunterbringung den beiden in Betracht kommenden Sozialleistungsträgern hälftig aufzuerlegen, nur weil der Verwaltung erspart werden soll aufzuklären, wer von ihnen leistungspflichtig ist.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Ersatzanspruch nach dem Halbierungserlaß - auch nicht für eine vorübergehende Zeit, etwa 26 Wochen. Einen Anspruch nach dem Erlaß hat der Senat im erwähnten Urteil vom 21. Juni 1978 abgelehnt in klar abgrenzbaren Fallgruppen, in denen die Feststellung der für die Zuständigkeitsfrage wesentlichen Tatsachen schon aus anderen Gründen zu erfolgen hat. Der Kläger hätte im vorliegenden Fall schon vor Anmeldung seines Ersatzanspruchs am 4. Februar 1975 aufklären müssen, ob die Beklagte nach § 184 RVO leistungspflichtig war oder nicht. Da J. Sch. bereits seit mehr als 14 Jahren in den von Bodelschwingh'schen Anstalten untergebracht war und der Kläger selbst die Kosten bereits seit 10 Monaten zu tragen hatte, mußte er jedenfalls im Februar 1975 von einer dauernden Unterbringung ausgehen. Die Unanwendbarkeit des Halbierungserlasses in einem solchen Fall stand nach richtiger Rechtsauffassung damals schon fest und machte die Prüfung, ob ein Behandlungs- oder ein Pflegefall gegeben war, notwendig.
Die Revision ist aus diesen Gründen in vollem Umfang zurückzuweisen. Kosten sind nicht zu erstatten. Gemäß § 193 Abs 4 SGG sind die Aufwendungen der Beklagten als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht erstattungsfähig. Der Kläger hat auch nicht die Kosten des Beigeladenen zu tragen. In der Regel sind dem im Rechtsstreit unterliegenden Beteiligten keine Kosten zu erstatten. Der Beigeladene hat zwar keine Anträge gestellt, mit denen er unterlegen ist. Interessiert konnte er aber nur am Erfolg des Klägers sein.
Fundstellen
Haufe-Index 1657635 |
Breith. 1983, 17 |