Leitsatz (amtlich)
Bei der Entscheidung darüber, ob und wie lange das Arbeitslosengeld wegen Erhalts von Urlaubsgeld nach AVAVG § 96 ruht, handelt es sich regelmäßig um einen Streit über den Beginn der Leistung; die Berufung ist daher nach SGG § 147 ausgeschlossen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Frage der Bindung der Tatsacheninstanz bei Zurückverweisung durch die Revisionsinstanz und deren Selbstbindung bei Fortentwicklung der Rechtsprechung seit der Zurückverweisung.
2. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, an die der Aufhebung des Urteils zugrunde liegende und diese tragende rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden ist, wird nur dann zugelassen, wenn sich zwischenzeitlich die tatsächlichen Verhältnisse (etwa auf Grund neuer Sachaufklärung) oder die Rechtslage (zB durch rückwirkende Gesetze) geändert haben.
3. Wird die zurückverwiesene Sache auf Grund einer neuen Revision wieder beim Revisionsgericht anhängig, so ist auch das Revisionsgericht in gleichem Umfang und in gleicher Weise wie das Berufungsgericht an die rechtliche Beurteilung, die seinem eigenen Zurückverweisungsurteil zugrunde lag, gebunden. Eine Abweichung von diesem Grundsatz der Selbstbindung wird wiederum nur bei zwischenzeitlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der Rechtslage oder auch einer abweichenden Entscheidung des Großen Senats oder der Vereinigten Großen Senate und ferner noch anerkannt, wenn zwischenzeitlich eine der zu entscheidenden Rechtsfrage sehr ähnliche andere Rechtsfrage durch eine Entscheidung des Großen Senats geklärt wurde.
Normenkette
AVAVG § 96; SGG § 147 Fassung: 1958-06-25, § 170 Abs. 4 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Juni 1963 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19. November 1959 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger war vom 16. Juni 1955 bis zum 31. Januar 1958 bei zwei Firmen in Heimarbeit beschäftigt. Beide Beschäftigungsverhältnisse endeten wegen Arbeitsmangels. Bei seinem Ausscheiden erhielt er von der einen Firma 190,76 DM Urlaubsgeld; dem lag als Berechnungsgrundlage das Arbeitsentgelt des Klägers in der Zeit vom 1. Juni 1957 bis zum 20. Februar 1958 zu Grunde.
Am 21. Februar 1958 meldete sich der Kläger arbeitslos. Das Arbeitsamt bewilligte ihm Arbeitslosengeld (Alg) für 234 Tage ab 17. März 1958. Ein früherer Beginn der Zahlung wurde abgelehnt, da der Kläger anläßlich der Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten habe, die dem Verdienst von 23 Tagen entspreche und gemäß § 96 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung idF vom 3. April 1957 (AVAVG) ein Ruhen des Alg-Anspruchs bis 16. März 1958 bewirke.
Widerspruch und Klage, mit denen die Feststellung des Ruhens für nur 9 Tage erstrebt wurde, waren erfolglos.
Die Berufung des Klägers wurde mit Urteil vom 4. Oktober 1961 als unzulässig verworfen, weil es sich um einen Beginnstreit bzw. um einen streitigen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für weniger als 13 Wochen handele (§§ 147, 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Mit Urteil vom 19. Dezember 1962 hob das Bundessozialgericht (BSG) auf die Revision des Klägers das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück: Obwohl das Ruhen des Alg gemäß § 96 AVAVG nicht dessen Verkürzung, sondern nur die Hinausschiebung des Zahlungsbeginns bewirke, läge dennoch kein Streit über den Beginn der Leistung im Sinne des § 147 SGG vor, weil sich der Grund des Anspruchs selbst in dem für die Anwendung der Ruhensbestimmung des § 96 AVAVG in Frage kommenden und umstrittenen Zeitraum im Streit befände. § 147 SGG habe nur Streitfälle im Auge, in denen Vorschriften den Beginn der Leistung unmittelbar regelten (z. B. die Berechnung der Wartezeit), nicht aber dann, wenn sie, wie im vorliegenden Falle, allgemein die Voraussetzungen (§§ 74 ff AVAVG) des Anspruchs beträfen (BSG 1, 111). Auch stehe § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG der Statthaftigkeit der Berufung nicht entgegen, weil sich nicht nur die Zeit des Ruhens, sondern der gesamte Anspruch auf Alg im Streit befinde (BSG 1, 126).
In dem zweiten Berufungsverfahren hatte der Kläger teilweise Erfolg. Mit Urteil vom 26. Juni 1963 hob das LSG das Urteil des Sozialgerichts (SG) auf und änderte den Bescheid des Arbeitsamts dahingehend ab, daß der Anspruch des Klägers auf Alg nur für so viele Tage ruhe, als die ihm gewährten DM 190,76 Urlaubsabgeltung dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt entsprächen, das er im letzten Beschäftigungsjahr erhalten habe. In der Frage der Zulässigkeit der Berufung fühlte sich das LSG an die rechtliche Beurteilung des Falles durch das BSG gebunden, auch wenn der Große Senat des BSG in dem späteren Beschluß vom 19. Februar 1963 (BSG 18, 266 ff) entschieden habe, daß Klagen gegen die Verhängung einer Sperrfrist nach den §§ 78 ff AVAVG nur einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG beträfen und deshalb die Berufung unzulässig sei. Denn dieser Beschluß des Großen Senats befreie nicht von der Bindungswirkung des § 170 Abs. 4 SGG, weil er zu § 78 AVAVG ergangen sei, nicht jedoch in einem Streit über den Ruhenstatbestand des § 96 Abs. 1 AVAVG. Materiell-rechtlich war das LSG der Ansicht, daß mit Rücksicht auf die besonderen Umstände eines Heimarbeitsverhältnisses nicht zwangsläufig zu folgern sei, daß für arbeitslose Heimarbeiter bei Anwendung des § 96 Abs. 1 AVAVG stets nur von dem tatsächlichen Verdienst der letzten vier Beschäftigungswochen auszugehen sei. Insoweit bestehe vielmehr eine auszufüllende Gesetzeslücke. Diese sei durch sinngemäße Übertragung der Alternative des § 96 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG, nämlich der Berechnung des Arbeitsentgelts nach der betriebsüblichen Arbeitszeit, zu ergänzen. Hiernach müsse bei Heimarbeitern für die Berechnung der Ruhenstage nach § 96 Abs. 1 AVAVG von dem Durchschnittsverdienst des letzten Beschäftigungsjahres ausgegangen werden.
Revision wurde zugelassen.
Die Beklagte legte gegen das Urteil Revision ein und trägt vor: Weil es für einen Heimarbeiter weder eine betriebsübliche Arbeitszeit noch eine übliche Zahl von Arbeitsstunden gebe, er vielmehr hinsichtlich seiner Arbeitszeit völlig freigestellt sei und die Heimarbeit sogar seinen Familienangehörigen überlassen dürfe, könne die zweite Alternative des § 96 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG idF vom 3. April 1957 nicht zu seinen Gunsten angewendet werden. Die Berechnung der Tage, für die das Alg wegen Erhalts von Urlaubsgeld ruhe, könne deshalb nur unter Zugrundelegung des tatsächlichen Arbeitsentgelts erfolgen, das in den letzten vier Wochen vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erzielt worden sei. Die Regelung des § 96 Abs. 1 AVAVG aF bedeute zwar unter Umständen eine gewisse Härte, jedoch sei die vom LSG getroffene ergänzende Gesetzesauslegung rechtswidrig, weil sie gegen den klaren Wortlaut des § 96 Abs. 1 AVAVG verstoße. Der Wortlaut sei um so mehr maßgebend, als sein sachlicher Inhalt auch durch das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 trotz Neufassung des Paragraphen nicht geändert worden sei. Gegen die vom LSG getroffene Auslegung spreche ferner der Umstand, daß diese u. U. Heimarbeiter günstiger als andere Arbeitnehmer stelle. Das LSG hätte daher prüfen müssen, ob nicht der Vierwochenzeitraum des § 96 Abs. 1 AVAVG entsprechend der Regelung des § 90 Abs. 3 AVAVG aF (jetzt Abs. 5) um die Tage der Krankheit des Klägers, für die Arbeitsentgelt nicht gezahlt wurde, hätte verlängert werden müssen.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 19. November 1959 zurückzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, hilfsweise, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 19. November 1959 als unzulässig zu verwerfen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise ebenfalls Zurückverweisung.
II.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig und begründet.
Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung zulässig war (BSG 2, 225). Die Frage ist zu verneinen.
Das LSG ging bei Prüfung der Zulässigkeit der Berufung des Klägers davon aus, daß es gemäß § 170 Abs. 4 SGG an die Rechtsauffassung des BSG, die der Urteilsaufhebung und dem zurückverweisenden Urteil zugrunde lag, gebunden sei (u. a. RG 90, 23 bis 25 und BSG in SozR § 170 SGG Da 2 Nr. 4) und daß deshalb eine erneute Prüfung der Zulässigkeit nicht statthaft sei. Diese Bindung an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts bestand auch, wie das LSG zutreffend ausführt, obwohl es die Rechtsauffassung des BSG für unzutreffend (RG 76, 191), zumindest aber durch den späteren Beschluß des Großen Senats vom 19. Februar 1963 (BSG 18, 266 ff) für überholt hielt. Denn die Entscheidung des Großen Senats betraf die Verhängung einer Sperrfrist nach den §§ 78 ff AVAVG, nicht aber die Frage des Ruhens des Alg-Anspruchs gemäß § 96 Abs. 1 AVAVG. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Bindung des Berufungsgerichts an die der Aufhebung des Urteils zugrunde liegende und diese tragende rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts wird nur dann zugelassen, wenn sich zwischenzeitlich die tatsächlichen Verhältnisse (etwa auf Grund neuer Sachaufklärung) oder die Rechtslage (z. B. durch rückwirkende Gesetze) geändert haben (vgl. u. a. RG 76, 190; 94, 14; 123, 29; 129, 225; 130, 285; 142, 43; BGH in NJW 1951, 524; BGHZ 22, 370; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 143 III 1 b). Beide Möglichkeiten kommen im vorliegenden Streitfall nicht in Betracht.
Damit ist aber noch nicht die Frage entschieden, ob das Revisionsgericht, wenn es mit der Sache infolge abermaliger Revision erneut befaßt wird, an seine früher Rechtsauffassung gebunden ist. Wird eine zurückverwiesene Sache erneut beim Revisionsgericht anhängig, so gilt nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Oberen Bundesgerichte, die von der Lehre weitgehend gebilligt wird, folgendes: Grundsätzlich ist auch das Revisionsgericht in gleichem Umfang und in gleicher Weise wie das Berufungsgericht an die rechtliche Beurteilung, die seinem eigenen Zurückverweisungsurteil zu Grunde lag, gebunden (vgl. u. a. RGZ 58, 289; 72, 211; 90, 23 - 25 -; 91, 118; 94, 13; 100, 60; 124, 322; 149, 163; BGHZ in LM § 565 ZPO Abs. 2 Nr. 1; BGHZ 3, 321, 326; 6, 80; 25, 200; in NJW 1951, 970; BAG 7, 237; in NJW 1961, 1229; BSG in SozR SGG § 170 Da 3 Nr. 6; Rosenberg aaO, S. 717, Stein-Jonas-Schönke, Komm. zur ZPO, 18. Aufl., Anm. II 2 f zu § 565; Wieczorek, ZPO § 565 C III d). Dieser Satz steht zwar in keinem Gesetz. Doch wird er mit Rücksicht auf die Jahrzehnte währende ständige Rechtsprechung aller Revisionsgerichte und die allgemeine Überzeugung, daß diese Rechtsprechung zutreffend sei, allseitig als richtig anerkannt. Seine Begründung ist allerdings unterschiedlich. Teilweise wird sie aus § 318 der Zivilprozeßordnung (zB RGZ 149, 158) hergeleitet, teilweise aus prozessualen Zweckmäßigkeitserwägungen (Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, § 170 Anm. 5 S. III/82-30/9 und Bundesverwaltungsgericht 6, 297; 7, 163), ferner aus der Rücksicht auf das Sicherheits- und Vertrauensbedürfnis der am Rechtsstreit Beteiligten (BAG 7, 238) oder auf die Autorität der Rechtsprechung. Von einigen Autoren wird sogar die Ansicht vertreten, daß diese verschiedenen Gesichtspunkte zur rechtlichen Begründung des Selbstbindungsgrundsatzes überhaupt nicht geeignet seien (Schönke, Zeitschrift für Deutschen Zivilprozeß Bd. 58, 392; Bettermann, DVBl 1955 S. 21/22) und nur die lange Rechtsprechung und Übung ihn in gewissem Sinne zu rechtfertigen vermögen. Es muß jedenfalls - dem schließt sich der Senat an - grundsätzlich daran festgehalten werden, daß das Revisionsgericht an seine frühere Rechtsauffassung gebunden ist.
Eine Abweichung von diesem Grundsatz der Selbstbindung wird wiederum nur bei zwischenzeitlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der Rechtslage oder auch einer abweichenden Entscheidung des Großen Senats oder der Vereinigten Großen Senate weitgehend übereinstimmend anerkannt (Stein-Jonas-Schönke aaO § 565 ZPO II 2 f; Löwe-Rosenberg, StPO § 358 Anm. 4; Ule, Komm. zum Ges. über das BVerwGer . § 63 Anm. 2 S. 234; Peters-Sautter-Wolff, § 170 SGG Anm. 5 S. III/82-30/9-; BVerw G 6, 297; 4. Sen. des BSG am 11.6.1962, SozR § 170 SGG Da 3 Nr. 6). Noch weiter in der Anerkennung einer möglichen Abweichung des Revisionsgerichts von der Selbstbindung geht das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinen Entscheidungen in Bd. 6, 297 und Bd. 7, 159 ff (163), in denen es eine Abweichung auch dann für möglich und geboten erachtet, wenn nach Erlaß des ersten Revisionsurteils neue revisionsrichterliche Grundsätze von über den Einzelfall hinausgreifender Bedeutung erarbeitet worden sind (so auch Peters/Sautter/Wolff aaO).
Im vorliegenden Fall ist die letztgenannte Voraussetzung gegeben. Nach dem ersten Revisionsurteil (19. Dezember 1962) ist am 19. Februar 1963 eine Entscheidung des Großen Senats des BSG ergangen, deren Bedeutung sich auf die jetzige Entscheidung des abermals vorliegenden Rechtsstreits auswirken muß. Der Beschluß des Großen Senats betraf zwar, wie bereits ausgeführt, den Streitgegenstand bei Sperrfristklagen, nicht aber bei Ruhenszeiten. Trotzdem kann die frühere Auffassung des erkennenden Senats nicht aufrechterhalten werden. Sperrfristverfügungen verkürzen und verbrauchen einen dem Grunde nach bestehenden und dementsprechend anerkannten Alg-Anspruch um die Zahl der Sperrtage. Im Gegensatz hierzu bewirkt, auch nach Auffassung des erkennenden Senats in seinem Urteil vom 19. Dezember 1962, die Ruhensanordnung nach § 96 AVAVG (alte und neue Fassung) keine Verkürzung des Alg-Anspruchs an sich, sondern nur eine Hinausrückung des Zahlungsbeginns; sie läßt die Anspruchsdauer unangetastet. Die Verkürzung einer Sperrfrist hat demnach für den Arbeitslosen unter Umständen weit fühlbarere Nachteile (zB für einen schwer zu Vermittelnden, der sonst die ganze Bezugsdauer in Anspruch nehmen könnte) als ein Ruhen, bei dem der Gesamtanspruch nicht beeinträchtigt wird, sondern bei genügend langer Dauer der Arbeitslosigkeit voll ausgeschöpft werden kann. Wenn nun der Große Senat schon bei Sperrfristklagen nur wiederkehrende Leistungen für den Sperrzeitraum im Streit sieht, so muß das erst recht für die schwächere Ruhensanordnung gelten, zumal es nach Auffassung des Großen Senats bei Anwendung des § 144 aaO nicht darauf ankommt, über welche materiellen Vorschriften (Begründung des Verwaltungsaktes), sondern nur darauf, um welche Leistungsdauer gestritten wird.
Unter diesen Umständen ist nunmehr anzunehmen, daß es sich bei der Entscheidung darüber, wie lange nach § 96 AVAVG das Alg durch einen Anspruch auf Urlaubsgeld ruht, regelmäßig doch um einen Streit über den Beginn der Leistung handelt. Die Berufung ist daher nach § 147 SGG ausgeschlossen. Folgt man der Argumentation des BVerwG (7, 163; 6, 297) und sieht man mit Schönke und Bettermann (aaO) die Rechtfertigung der Selbstbindung in prozessualen Zweckmäßigkeitserwägungen und in einer Übung der Gerichte, die auf der übereinstimmenden Überzeugung von der prozessualen Zweckmäßigkeit der Selbstbindung beruht, so bestehen keine Bedenken, in besonderen Fällen von dieser Übung abzuweichen. Vor allem dann, wenn, wie hier, zwischenzeitlich eine der zu entscheidenden Rechtsfrage sehr ähnliche andere Rechtsfrage, deren Auswirkungen für den einzelnen oft sogar noch stärker sind, durch eine Entscheidung des Großen Senats geklärt wurde. Das Interesse an einer möglichst einheitlichen Rechtsprechung muß in diesem Fall eine Abweichung von der Übung der Selbstbindung rechtfertigen, wenn auch nicht verkannt werden soll, daß für die Beteiligten eine gewisse Unbilligkeit eintreten kann (vgl. auch Urteil des Senats vom 22.11.1963 - 7 RKg 9/61 - SozR KGG § 8 Nr. 1).
Danach bedurfte es keiner Prüfung mehr, ob auch der Berufungsausschließungsgrund des § 144 Abs. 1 Nr. 2 (Streit um wiederkehrende Leistungen bis zu 13 Wochen) platz greift, ob man also als Gegenstand des Streites in Abweichung von der früheren Auffassung nur die Zeit des Ruhens und nicht den gesamten Alg-Anspruch ansehen will.
Mangels Zulassung durch das SG ist die Berufung auch nicht nach § 150 Nr. 1 SGG zulässig. Der bloße Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung des SG über die Zulässigkeit der Berufung ohne Festlegung im Urteilstenor oder wenigstens in den Urteilsgründen vermag sie nicht zulässig zu machen (vgl. u. a. BSG vom 20.12.1956 - 3 RK 22/55 - in SozR § 150 SGG Da 3 Nr. 10; SozR § 150 Da 1 Nr. 4). Daß es das SG unterlassen hat, eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung zu treffen, weil es offenbar die Berufung irrtümlich als nach § 143 SGG ohnehin ansah, stellt ferner keinen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG dar (vgl. u. a. BSG in SozR § 150 SGG Da 19 Nr. 40 und Da 18 Nr. 38 und 39). Ein solcher wäre übrigens in der Berufungsinstanz auch nicht gerügt (BSG SozR SGG § 150 Nr. 9). Ebensowenig hat der Kläger sonstige Verfahrensmängel im Sinne von § 150 Nr. 2 SGG vorgetragen. Die von ihm beanspruchte mangelnde Sachaufklärung durch das SG (§ 103 SGG), die in dessen angeblich fehlender Prüfung oder in der Nichtbeachtung des Bayerischen Urlaubsgesetzes und tariflicher Bestimmungen liegen soll, stellt keinen Verfahrensmangel dar. Sie kann, wenn überhaupt, lediglich eine unrichtige Anwendung materiellen Rechts, einen Mangel in der Urteilsfindung, nicht aber einen solchen auf dem Wege zum Urteil (BSG 2, 84), verursacht haben.
Die Berufung des Klägers bleibt somit unzulässig, und es war wie geschehen zu erkennen, ohne daß die materielle Rechtslage zu prüfen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 927551 |
BSGE, 292 |