Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwerrente. Gütergemeinschaft. Zuordnung des Geschäftsertrages. Gesamtgut. Sondergut

 

Orientierungssatz

1. § 1266 RVO stellt nach seinem Sinngehalt und Normzweck auf das von jedem einzelnen Familienangehörigen tatsächlich Gegebene und Empfangene sowie darauf ab, in welchem Ausmaß die Familie durch den Tod der Versicherten einen tatsächlichen Einkommensverlust erlitten hat (vgl BSG 1980-02-27 1 RJ 44/79 = SozR 2200 § 1266 Nr 14). Rentenansprüche und Arbeitsentgelte sind auch bei bestehender Gütergemeinschaft, obwohl sie formalrechtlich auf dem Weg über das Gesamtgut zur Verwendung für den Familienunterhalt gelangten, demjenigen zuzurechnen, der sie tatsächlich eingebracht hat (Festhaltung an BSG aaO)

2. Bei in Gütergemeinschaft lebenden Ehegatten ist ein von der verstorbenen Versicherten in die Ehe eingebrachtes Geschäft gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten (Gesamtgut) geworden, auch wenn das Geschäft unter dem Namen der Ehefrau geführt worden ist und der Ehemann in diesem Geschäft angestellt war. Der gesamte aus dem Geschäft erwirtschaftete Ertrag ist beiden Ehegatten zu gleichen Teilen zuzurechnen.

 

Normenkette

RVO § 1266 Abs 1 Fassung: 1957-02-23; BGB § 1415

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 13.11.1979; Aktenzeichen L 16 Ar 52/78)

SG Landshut (Entscheidung vom 18.01.1978; Aktenzeichen S 1 Ar 490/76)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Witwerrente aus der Versicherung seiner am 21. November 1975 verstorbenen Ehefrau (Versicherte).

Die Eheleute vereinbarten 1943 die allgemeine Gütergemeinschaft (§§ 1437 ff Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- idF vor dem Gleichberechtigungsgesetz -GleichberechtigungsG- vom 18. Juni 1957). Die Versicherte, geprüfte Strickmeisterin, betrieb ein von ihr schon 1932 gegründetes Handarbeits- und Textilwarengeschäft. Dort war der Kläger nach dem Besuch kaufmännischer Kurse entsprechend dem mit der Versicherten am 1. Januar 1967 geschlossenen Arbeitsvertrag als Buchhalter und Handlungsbevollmächtigter mit einem Monatsgehalt von (zuletzt) 1.379,-- DM brutto tätig. Zuvor hatte er in der ebenfalls von der Versicherten geführten, 1965 aufgegebenen Tanzschule als Assistent gearbeitet. Für die Zeit ab Dezember 1974 bezog die Versicherte Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres in Höhe von zunächst 325,20 DM, ab Juli 1975 monatlich 361,40 DM. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) sind beide Ehegatten ganztägig in dem Handarbeits- und Textilwarengeschäft tätig gewesen.

Die Beklagte lehnte den im Dezember 1975 gestellten Antrag auf Witwerrente ab, weil die Versicherte in dem hier maßgeblichen letzten wirtschaftlichen Dauerzustand von Dezember 1974 bis November 1975 den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten habe.

Das Sozialgericht (SG) Landshut hat durch Urteil vom 18. Januar 1978 die Klage abgewiesen, das Bayerische LSG die Berufung zurückgewiesen. Es hat im Urteil vom 13. November 1979 ausgeführt:

Die güterrechtliche Regelung habe erst durch den Arbeitsvertrag vom 1. Januar 1967 die von den Ehegatten gewollte besondere Ausgestaltung erhalten. Da beide Ehegatten auch das über die Gütergemeinschaft hinaus vorhandene Einkommen dem Unterhalt zur Verfügung gestellt hätten, seien zur Ermittlung des überwiegenden Unterhalts das Altersruhegeld der Versicherten und der um steuerliche Abzüge verminderte Arbeitsverdienst des Klägers gegenüberzustellen. Dieser - sein Unterhaltsanteil - sei, selbst wenn vom geringeren Nettolohn (776,-- DM monatlich) ausgegangen werde, höher als das Altersruhegeld der Klägerin gewesen. Bei der Gegenüberstellung könne der für das Enkelkind J gewährte Kinderzuschuß, da erst nach dem Tode der Versicherten zugebilligt, außer Ansatz bleiben. Die angefallenen Hausarbeiten seien beiden berufstätigen Ehegatten zu gleichen Teilen zuzurechnen. Auch wenn man, entsprechend dem Vortrag des Klägers, der Versicherten insoweit einen Mehrbetrag von 390,-- DM monatlich zubilligen würde, hätte diese den Familienunterhalt nicht überwiegend bestritten.

Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts durch das Berufungsgericht. Es komme nur auf den vom einzelnen Ehepartner tatsächlich geleisteten Unterhalt an; das vereinbarte Sondergüterrecht habe hierauf keinen Einfluß. Danach seien der Versicherten neben dem Altersruhegeld und dem Wert der erbrachten Hausarbeit Geschäftseinkünfte in Höhe von monatlich etwa 2.500,-- DM anzurechnen gewesen, dem Kläger dagegen nur das Nettogehalt von 776,-- DM monatlich.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts

vom 13. November 1979 sowie des Sozialgerichts Landshut

vom 18. Januar 1978 aufzuheben und die Beklagte unter

Aufhebung des Bescheides vom 9. Juli 1976 zu verurteilen,

ihm Witwerrente zu gewähren.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der von den Vorinstanzen vertretenen Ansicht steht dem Kläger Witwerrente zu.

Der Anspruch gründet sich auf § 1266 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO), der noch geltendes Recht ist (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 = BVerfGE 39, 169 = SozR 2200 § 1266 Nr 2). Danach wird Witwerrente gewährt, wenn die verstorbene Ehefrau den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Die Familie im Sinne der vorgenannten Bestimmung bestand hier aus den beiden Ehegatten. Davon ist das LSG ausgegangen, andere Feststellungen hat es nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich, getroffen. Das angefochtene Urteil enthält lediglich in anderem Zusammenhang den Hinweis, für das (1961 geborene) Enkelkind J sei nach dem Tode der Versicherten Kinderzuschuß gezahlt worden. Ob daraus unter Berücksichtigung der "zur Ergänzung des Sachverhalts" heranzuziehenden Verwaltungsakte der Beklagten als sogenannte unbestrittene Tatsache (vgl hierzu BSG, Urteil vom 19. Dezember 1974 - 3 RK 64/72 = SozR 1500 § 163 Nr 1, insoweit in BSGE 39, 41 nicht abgedruckt) zu entnehmen ist, das Enkelkind sei in den Haushalt des Klägers und der Versicherten aufgenommen gewesen, kann indessen dahingestellt bleiben. Denn bejahendenfalls würde dies an der Rechtslage nichts ändern, weil der Begriff "Familie" eng auszulegen ist und nur die unterhaltsberechtigten (eigenen) Kinder umfaßt (vgl § 1360a Abs 1 BGB; Urteile des BSG vom 1. August 1968 - 4 RJ 305/65 = BSGE 28, 185 = SozR Nr 6 zu § 1266 RVO und vom 17. März 1970 - 11/12 RJ 478/67 = BSGE 31, 90 = SozR Nr 7 zu § 1266 RVO). Abgesehen davon hat das Enkelkind keine finanziellen Mittel zum Familienunterhalt beigesteuert.

Bestand somit die Familie aus den in gemeinsamer Haushaltsführung lebenden Ehegatten, so hat derjenige den Unterhalt überwiegend bestritten, dessen Beitrag unter Einschluß der Haushaltsarbeit mehr als die Hälfte beträgt (ständige Rechtsprechung, zB Urteil vom 27. Februar 1980 - 1 RJ 44/79 = SozR 2200 § 1266 Nr 14; für die Unfallversicherung vgl Urteil vom 25. Januar 1979 - 8a RU 26/78 = SozR 2200 § 593 Nr 1).

Die Gesamteinkünfte der Familie, die nach den nicht angegriffenen und damit den Senat nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden Feststellungen des LSG sämtlich auch für den Unterhalt verwendet worden sind, setzten sich zusammen aus dem Ertrag des Handarbeits- und Textilwarengeschäfts einschließlich des Gehalts, das der Kläger als Buchhalter dieses Geschäfts bezog, sowie aus dem Altersruhegeld der Versicherten.

Zu Unrecht haben die Vorinstanzen und die Beklagte angenommen, im Rahmen des § 1266 Abs 1 RVO seien die Geschäftseinkünfte beiden Ehegatten zu gleichen Teilen, dem Kläger jedoch allein die Gehaltsbezüge aufgrund seiner Buchhaltertätigkeit in dem Geschäft zuzurechnen.

§ 1266 RVO stellt nach seinem Sinngehalt und Normzweck auf das von dem einzelnen Familienangehörigen tatsächlich Gegebene und Empfangene sowie darauf ab, in welchem Ausmaß die Familie durch den Tod der Versicherten einen tatsächlichen Einkommensverlust erlitten hat (vgl BSG, Urteil vom 27. Februar 1980 - 1 RJ 44/79 = SozR 2200 § 1266 Nr 14 S 55 f). Demzufolge sind von der Rechtsprechung Rentenansprüche und Arbeitsentgelte auch bei bestehender Gütergemeinschaft, obwohl sie formalrechtlich auf dem Weg über das Gesamtgut zur Verwendung für den Familienunterhalt gelangten, demjenigen zugerechnet worden, der sie tatsächlich eingebracht hat (BSG aaO im Anschluß an das Urteil des erkennenden Senats vom 29. Mai 1968 - 4/12 RJ 386/67 = SozR Nr 5 zu § 1266 RVO). Von dieser Rechtsprechung abzugehen besteht kein Anlaß.

Soweit im vorliegenden Fall die (Zuordnung der) Einkünfte aus dem Handarbeits- und Textilwarengeschäft zu beurteilen sind, ist zunächst zu beachten, daß die Versicherte als Strickmeisterin auch Inhaberin dieses Geschäftes war. Obwohl hiernach die Versicherte die dominierende Kraft gewesen sein mag, ist gleichwohl davon auszugehen, daß der gesamte aus dem Geschäft erwirtschaftete Ertrag beiden Ehegatten zu gleichen Teilen zustand. Dies folgt zunächst aus der zwischen dem Kläger und der Versicherten nach §§ 1437 ff BGB aF vereinbarten allgemeinen Gütergemeinschaft, die Art 8 I Nr 6 des GleichberechtigungsG vom 18. Juni 1957 (BGBl I 609) in die Gütergemeinschaft neuen Rechts (§§ 1415 ff BGB) übergeleitet hat. Danach ist das von der Versicherten eingebrachte Geschäft gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten (Gesamtgut) geworden. Wenngleich die Versicherte auch weiterhin das Geschäft unter ihrem Namen geführt hat, so hatten doch kraft zwingenden Rechts alle das Geschäft betreffenden Handlungen Wirkung für die Gütergemeinschaft; auch das später erworbene Geschäftsvermögen gehörte zum Gesamtgut (§ 1438 Abs 1 und 2 BGB aF, § 1416 Abs 1 und 2 BGB idF des GleichberechtigungsG). Im übrigen unterlag das Gesamtgut, da bereits vor dem 1. April 1953 die allgemeine Gütergemeinschaft bestanden hat, der Verwaltung des Klägers (Art 8 I Nr 6 Abs 2 GleichberechtigungsG). Ob nun trotz dieser güterrechtlichen Gegebenheiten im Rahmen des § 1266 RVO etwas anderes zu gelten hätte, wenn der andere Ehegatte im zum Gesamtgut gehörenden Geschäft nur geringfügig oder überhaupt nicht mitarbeitete, braucht hier nicht entschieden zu werden; denn der Kläger war nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des LSG ebenso wie die Versicherte ganztätig im Geschäftsbetrieb tätig, und er hatte darüber hinaus als Buchhalter und Handlungsbevollmächtigter auch keine nur untergeordnete Stellung inne. Das güterrechtliche Ergebnis - Zuordnung des Geschäftsertrags zu gleichen Teilen - steht also im vorliegenden Fall zu der tatsächlichen Gestaltung in keinem wesentlichen Widerspruch.

Stand aber mithin der gesamte aus dem Geschäft erwirtschaftete Ertrag beiden Ehegatten zu gleichen Teilen zu, so kann auch das Arbeitsentgelt des Klägers aufgrund des Vertrages vom 1. Januar 1967 - und zwar unabhängig davon, wie dies arbeits-, versicherungs- und steuerrechtlich zu beurteilen sein mag - für die hier nur interessierende Frage der Zuordnung nicht isoliert gesehen werden; denn es stellte einen Teil des gemeinsam erwirtschafteten Ertrags dar.

Das Altersruhegeld der Klägerin war, soweit es sich um das Stammrecht (Grundanspruch, Gesamtanspruch) handelte, Sondergut (vgl der bis zum 31. Dezember 1975 gültig gewesene § 119 RVO), während die einzelnen Rentenzahlungen in das Gesamtgut fielen. Indessen schlägt hier der bereits erwähnte Gesichtspunkt durch, darauf abzustellen, wer tatsächlich die Mittel für den Familienunterhalt beigesteuert hat. Deshalb sind diese Rentenbeträge nur als Unterhalt der Versicherten anzusehen (BSG in SozR 2200 § 1266 Nr 14, SozR Nr 5 zu § 1266 RVO). Daß alle verfügbaren Mittel, also auch die Rentenbeträge, dem gemeinsamen Unterhalt zugeführt wurden, hat das Berufungsgericht bindend festgestellt.

Damit ist von der Versicherten während der maßgebenden Zeit an finanziellen Mitteln mehr als vom Kläger in den Familienunterhalt eingebracht worden. Das damit gewonnene Ergebnis erleidet durch die Bewertung der Haushaltsarbeit keine Korrektur, weil nach den Feststellungen des LSG, die von der Beklagten nicht im Wege der Gegenrüge angegriffen worden sind, die Versicherte jedenfalls nicht weniger Haushaltsarbeit als der Kläger geleistet hat, diesem vielmehr nur wegen seiner Verpflichtung, einen ebenso großen Anteil an der Hausarbeit zu tragen, auch die Hälfte der insgesamt von den Ehegatten zu verrichtenden Arbeiten zugerechnet wurde.

Bei der geschilderten Rechtslage war es wegen der Zuordnung des Geschäftsertrages zu gleichen Teilen nicht erforderlich, die Höhe dieser Einkünfte während des maßgebenden letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes, den die Vorinstanz auf die Zeit von Dezember 1974 (Beginn des Altersruhegeldes) bis zum Tode der Versicherten gelegt hat, zu ermitteln. Daß dieser Dauerzustand fehlerhaft festgelegt worden sei, ist nicht ersichtlich. Zumindest fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, nach Dezember 1974 habe sich einkommensmäßig im Verhältnis der Ehegatten zueinander noch eine wesentliche Änderung ergeben.

Dem Kläger war daher auf seine Revision hin unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Witwerrente zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659074

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