Leitsatz (redaktionell)
Die Anwendung des RVO § 183 Abs 3 wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß zuvor RVO § 183 Abs 4 anzuwenden war.
RVO § 183 Abs 3 ist vom 1961-08-01 an auch in den Fällen anzuwenden, in denen Krankengeld und Rente bereits vor dem 1961-08-01 begonnen haben.
Auf den 6-wöchigen Krankengeldanspruch des RVO § 183 Abs 4 sind auch vor dem 1961-08-01 liegende Krankengeldbezugszeiten anzurechnen; das gilt auch dann, wenn der Anspruch auf Krankengeld wegen Bezugs von Arbeitsentgelt ruht.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12, Abs. 4 Fassung: 1961-07-12, § 189 Abs. 1 Fassung: 1930-07-26
Tenor
Auf die Revision der Beigeladenen werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1965 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Januar 1965 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Erwerbsunfähigkeitsrente (EU-Rente), die von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) unter Zugrundelegung eines in der Person des am 1. September 1961 verstorbenen Ehemannes der Klägerin W Sch (Sch.) entstandenen Rechtsanspruchs für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1961 festgestellt worden ist, uneingeschränkt der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Sch. oder zum Teil auch der beigeladenen Krankenkasse auf Grund eines Anspruchsübergangs gemäß § 183 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
Sch. war Angestellter der G G GmbH und seit dem 17. April 1961 arbeitsunfähig krank. Er erhielt bis 28. Mai 1961 Gehalt. Die Krankenkasse gewährte ihm stationäre Behandlung sowie Hausgeld und später ab 11. Juli 1961 Krankengeld bis zu seinem Ableben.
Nach dem Tode des Sch. bewilligte die BfA durch Bescheid vom 6. März 1962 dem Sch. nachträglich EU-Rente für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1961. Die Krankenkasse machte einen Erstattungsanspruch in Höhe von 505,50 DM für die Zeit vom 1. August 1961 bis zu seinem Tod (1. September 1961) geltend. Die BfA überwies der Beigeladenen diesen Betrag. Die Klägerin, die damit nicht einverstanden war, hat Klage vor dem Sozialgericht in Düsseldorf erhoben. Dieses hat durch Urteil vom 13. Januar 1965 die BfA verurteilt, die von dem Nachzahlungsbetrag von 2.935,20 DM einbehaltenen 505,50 DM an die Klägerin zu zahlen.
Gegen dieses Urteil hat die Beigeladene die zugelassene Berufung eingelegt. Sie ist durch Urteil vom 23. Juni 1965 zurückgewiesen worden. In den Entscheidungsgründen hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt: Aus der Übergangsregelung des Artikels 6 des Leistungsverbesserungsgesetzes lasse sich entnehmen, daß sich auch bei alten Versicherungsfällen die Bezugsdauer des Krankengeldes nach neuem Recht richte. Soweit das neue Recht aber eine Schmälerung eines vom bisher geltenden Recht eingeräumten Anspruchs bedeute, wie es in § 183 Abs. 3 RVO der Fall sei, müsse es bei dem Grundsatz sein Bewenden haben, daß auch nach einer Gesetzesänderung für den sozialrechtlichen Anspruch dasjenige Recht maßgebend bleibe, unter dessen Herrschaft der den Anspruch begründende Versicherungsfall eingetreten sei.
Gegen dieses Urteil hat die Krankenkasse die zugelassene Revision eingelegt. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats in BSG 16, 177 vertritt sie die Auffassung, daß durch Art. 6 Abs. 3 des Leistungsverbesserungsgesetzes alle mit diesem Gesetz in Kraft tretenden materiellen Neuregelungen auf alte Versicherungsfälle anzuwenden seien.
Die Beigeladene beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des ersten Rechtszuges aufzuheben und festzustellen, daß der Anspruch auf EU-Rente des verstorbenen Ehemannes der Klägerin gegenüber der Beklagten für die Zeit vom 1. August 1961 bis 1. September 1961 in Höhe von 505,50 DM zu Recht auf die Beigeladene übergegangen ist.
Die Beklagte hat keine Anträge gestellt.
Die Klägerin ist im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.
Alle Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.
II
Die von der Krankenkasse eingelegte Revision ist begründet. Sie hat die Rentennachzahlung zu Recht empfangen; denn der Anspruch auf Rente des Sch. ist für die Zeit vom 1. August 1961 an auf sie übergegangen (§ 183 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO idF des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 12. Juli 1961). Diese Vorschrift ist auch anzuwenden, wenn der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes - dem 1. August 1961 - eingetreten und bis dahin noch nicht beendet ist.
Der vorliegende Sachverhalt wird von § 183 Abs. 4 RVO erfaßt; denn Sch. "bezog" im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BSG 19, 28, 32) EU-Rente seit dem 1. April 1961, während das Krankengeld erst ab 11. Juli 1961 gewährt wurde. § 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO ist entsprechend anzuwenden; denn die Absätze 3 und 4 der genannten Bestimmung stehen im engen sachlichen Zusammenhang. Der Absatz 4 ergänzt den Absatz 3 (vgl. BSG 19, 28, 32; BSG 24, 285, 286). Die Krankenkasse ist mit den sich aus § 183 Abs. 2 RVO ergebenden Beschränkungen bis zum Erlaß des Rentenbescheides zu laufender Auszahlung des Krankengeldes (§ 210 RVO) verpflichtet. Erst die nachträgliche Entscheidung über den Rentenantrag mit Bewilligung der EU-Rente von einem vor dem Einsetzen des Krankengeldes liegenden Zeitpunkt an klärt, daß auch der Fall des § 183 Abs. 4 RVO vorliegt und Anspruch auf Krankengeld nur für höchstens sechs Wochen besteht. Da der Zweck des Leistungsverbesserungsgesetzes, Doppelleistungen zu verhindern, und die Interessenlage der Krankenkasse bei § 183 Abs. 3 und 4 RVO die gleiche ist, muß der in § 183 Abs. 3 RVO ausdrücklich geregelte Forderungsübergang auch in den Fällen des § 183 Abs. 4 RVO Platz greifen (so schon der Senat in BSG 24, 285, 286).
Dieses gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem 1. August 1961 eingetreten sind, wenn die den Versicherungsfall begründende behandlungsbedürftige Krankheit über den 1. August 1961 hinaus besteht.
Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung in BSG 16, 177, 181 aus den Übergangsvorschriften des Artikel 6 des Leistungsverbesserungsgesetzes den Schluß gezogen, der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, daß vom Inkrafttreten des Gesetzes an die "materiellen" Neuregelungen, nämlich die Vorschriften über Höhe und Dauer der Leistungen, gelten sollen, daß die laufenden Fälle aber "formell" - damit sind besonders die Modalitäten der Zahlung gemeint - nach altem Recht abzuwickeln sind.
In BSG 24, 285, 287 hat er weiter darauf hingewiesen, daß zu den materiellen Neuregelungen auch § 183 Abs. 3 und 4 RVO idF des Leistungsverbesserungsgesetzes gehört; denn die Übergangsvorschriften des Artikels 6 des genannten Gesetzes könnten nur einheitlich verstanden werden, wenn es sich um die Bedeutung des Eintritts des Versicherungsfalles für die Leistungen der Krankenkasse nach altem oder neuem Recht handelt.
In dem genannten Urteil (aaO S.288) hat der Senat weiter ausgeführt, daß die hierin liegende "unechte" Rückwirkung der Neuregelung auch nicht gegen des Grundgesetz verstoße (Art. 14, 20 des Grundgesetzes - GG -), Dies folge aus der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens, insgesamt gesehen die Rechtstellung des Versicherten zu verbessern. Damit seien den Trägern der Krankenversicherung neue Lasten aufgebürdet worden, die nur zum Teil durch Entlastung in Gestalt des § 183 Abs. 3 und 4 RVO ausgeglichen werden könnten. Innerhalb des komplizierten Sozialversicherungsrechts müßten einzelne versicherungsrechtliche Positionen im Hinblick auf ihre verwandte Zweckbestimmung angleichbar und austauschbar sein (vgl. BVerfG 11, 221, 227). Durch die Anwendung von § 183 Abs. 3 und 4 RVO auf alte, noch nicht abgeschlossene Versicherungsfälle für die Zeit vom 1. August 1961 an werde nicht rückwirkend auf bereits fällig gewordene Ansprüche auf Krankengeld eingegriffen. Daher konnte der Senat ebenso wie in BSG 24, 285, 290 offenlassen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dies möglich wäre.
Daß der Forderungsübergang bereits am 1. August 1961 - und nicht erst sechs Wochen nach dem Inkrafttreten des Leistungsverbesserungsgesetzes - eingetreten ist, folgt aus dem Zweck des § 183 Abs. 4 RVO, der keine neue Vergünstigung, sondern eine Schranke errichten will (vgl. BSG aaO). Es soll verhindert werden, daß ein Bezieher von EU-Rente länger als sechs Wochen außerdem noch Krankengeld erhält. Deshalb ist dieser Zweck des Gesetzes erreicht, wenn der Versicherte bei Inkrafttreten der Vorschrift bereits mehr als sechs Wochen Krankengeld bezogen hat. Dies ist hier der Fall; denn Zeiten des Ruhens des Anspruchs auf Krankengeld wegen Bezuges von Arbeitsentgelt (§ 189 Abs. 1 Satz 1 RVO) sind in die Bezugszeiten mit einzurechnen (so für das frühere Recht BSG 19, 179, 182, für das neue Recht BSG in SozR Nr. 23 zu § 183 RVO). Das Entsprechende gilt für die Gewährung des Hausgeldes (Urteil des Senats v. 21.2.1969 in SozR Nr. 3 zu § 186 RVO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen