Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 26.01.1994) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Chemnitz vom 26. Januar 1994 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt höheres Altersübergangsgeld (Alüg) insbesondere unter Beachtung einer Nettolohnersatzquote, die sich am zuletzt tatsächlich erzielten Verdienst orientiert, sowie unter Außerachtlassung eines Kirchensteuerabzuges.
Der am 15. Januar 1935 geborene Kläger, der keiner kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört, war bis Ende Dezember 1991 in Leipzig beschäftigt. Sein Bruttoverdienst in den Monaten Oktober bis Dezember 1991 betrug jeweils 4.141,00 DM. Auf Antrag bewilligte die Beklagte ihm ab 1. Januar 1992 Alüg iH von 432,00 DM (Bescheid vom 11. Februar 1992). Mit seinem Widerspruch beanstandete der Kläger, der bewilligte Leistungssatz entspreche nicht der gesetzlichen Lohnersatzquote von 65 vH. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. April 1992, Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 29. April 1993, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 26. Januar 1994). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe den Leistungsbetrag unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts von 960,00 DM und der Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) zutreffend der Tabelle entnommen, in der das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) die Leistungssätze für 1992 festgelegt habe. Zwar erhalte der Kläger danach nicht 65 vH, sondern lediglich 61 vH des letzten durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts; die entsprechende Regelung im Einigungsvertrag (EinigVtr) stelle jedoch nur eine Grundsatzbestimmung dar, die durch den Gesetzgeber – wie in § 249e Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geschehen – umzusetzen und zu konkretisieren gewesen sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 249e Abs 3 Nr 2 AFG und des Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG). Er ist der Auffassung, es sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluß vom 23. März 1994 – 1 BvL 8/85 –) mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, wenn der Gesetzgeber die Höhe der Leistung auf einen bestimmten Prozentsatz festlege, die Berechnung des Nettoarbeitsentgelts aber so regele, daß er auch bei typisierender Betrachtung nicht mehr dem um die gewöhnlich anfallenden Abzüge verminderten Arbeitsentgelt entspreche. Da das Alüg ausschließlich in den neuen Bundesländern gelte, dort aber allenfalls 30 bis 35 vH der Bürger einer kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaft angehörten, habe die Kirchensteuer nicht als gewöhnlich anfallender Abzug berücksichtigt werden dürfen. Die Beklagte habe deshalb das über § 111 Abs 2 AFG pauschaliert ermittelte Nettoarbeitsentgelt um 8 Prozentpunkte anzuheben. Dies entspreche dem niedrigsten Hebesatz nach den allgemeinen Steuertabellen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Chemnitz und des SG Leipzig aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11. Februar 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 1992 zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 1992 höheres Altersübergangsgeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend. Es entspreche den Entscheidungen des 11. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. November 1993 – 11 RAr 47/93 – und 26. Juli 1994 – 11 RAr 103/93 –.
Im Revisionsverfahren hat der Kläger seine Klage auf die Überprüfung des Bescheides vom 11. Februar 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 1992 beschränkt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Dem Kläger steht ab 1. Januar 1992 kein höheres Alüg zu, als ihm von der Beklagten mit Bescheid vom 11. Februar 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 1992 gewährt worden ist. Dieser Bescheid ist allein Gegenstand des Revisionsverfahrens, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG sein Begehren ausdrücklich auf die Überprüfung dieses Bescheides und damit des Leistungszeitraums vom 1. Januar bis 30. Juni 1992 beschränkt hat.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß der Kläger Alüg weder iH von 65 vH seines zuletzt tatsächlich, also individuell, erzielten Nettoarbeitsentgelts noch die Außerachtlassung eines Kirchensteuerabzuges verlangen kann.
Die Höhe des Alüg, dessen Anspruchsgrundlagen im vorliegenden Fall offenbleiben können, ergibt sich aus § 249e Abs 3 AFG in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 1991 (BGBl I 1306). Nach dessen Eingangssatz sind auf das Alüg die Vorschriften über das Arbeitslosengeld (Alg) mit weiteren Maßgaben entsprechend anzuwenden; ua bestimmt Nr 2 dieser Vorschrift, daß die Höhe des Anspruchs 65 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG beträgt. Aufgrund der vorgenannten Generalverweisung (BSGE 73, 195, 198 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3) sind die §§ 111 bis 113 AFG – abgesehen von der Nettolohnersatzquote und damit abweichend von § 111 Abs 1 AFG – auch für die Bemessung des Alüg anzuwenden (einschließlich der sie ergänzenden Überleitungsvorschriften). Danach bestimmt sich die Höhe des Alüg unter Berücksichtigung des Bemessungsentgelts (§ 112 AFG) und der Lohnsteuerklasse (§ 113 AFG) nach der jeweiligen Leistungsverordnung (LeistungsVO), die das BMA aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 111 Abs 2 AFG für das Kalenderjahr, in das der Leistungsbezug fällt, erstellt hat.
Hiernach ist das Alüg des Klägers zutreffend berechnet worden. Bei einem Bemessungsentgelt von wöchentlich 960,00 DM entspricht das Alüg des Klägers nach der AFG-LeistungsVO 1992 (vom 19. Dezember 1991 – BGBl I 2239) in der günstigsten, der Steuerklasse III entsprechenden Leistungsgruppe C dem bewilligten Betrag von 432,00 DM wöchentlich. Dabei konnte, soweit die LeistungsVO 1992 noch keine Leistungssätze für das Alüg enthielt, auf die Leistungstabellen für das Unterhaltsgeld zurückgegriffen werden, weil dieses nach der gleichen Nettolohnersatzquote von 65 vH bemessen wurde. Dies hat der 11. Senat des BSG bereits mehrfach entschieden (BSGE 73, 195, 198 ff = SozR 3-4100 § 249e Nr 3; BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 2; Urteile vom 26. Juli 1994 – 11 RAr 103/95 – und 26. Oktober 1994 – 11 RAr 87/93 –, beide unveröffentlicht). Der 7. Senat hat sich dieser Rechtsansicht angeschlossen (BSGE 76, 156, 158 = SozR 3-4100 § 249e Nr 7; Urteile vom 10. März 1994 – 7 RAr 20/93 – und 6. Mai 1994 – 7 RAr 90/93 –, beide unveröffentlicht).
Zu Unrecht rügt der Kläger, daß das ab 1. Januar 1992 bewilligte Alüg nicht der gesetzlichen Nettolohnersatzquote von 65 vH entspreche, sondern in seinem Fall lediglich 61 vH des zuletzt in den Monaten Oktober bis Dezember 1991 erzielten Verdienstes betrage. Insoweit verkennt er die gesetzlichen Berechnungsgrundlagen. § 249 Abs 3 Nr 2 AFG stellt nicht auf das zuletzt erzielte individuelle Nettoarbeitsentgelt ab, sondern auf das um die „gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzüge” verminderte Bruttoarbeitsentgelt iS von § 112 AFG. Das bedeutet, daß das vom Kläger erzielte Bruttoarbeitsentgelt, das vom Arbeitsamt nach Maßgabe des § 112 AFG im wesentlichen individuell zu berechnen ist (Bemessungsentgelt), nicht – wie er meint – um die individuellen Abzüge gemindert wird, die bei ihm zuletzt angefallen sind, und ihm dann von dem verbleibenden Betrag 65 vH ausgezahlt werden. Vielmehr werden die „bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzüge” wie beim Alg pauschal – nach bestimmten Vorgaben in § 111 Abs 2 Satz 2 bis 4 iVm § 249c Abs 10 AFG – in die vom BMA aufzustellenden Leistungstabellen eingerechnet; die Nettolohnersatzquote von 65 vH bezieht sich dann auf dieses pauschaliert errechnete Nettoarbeitsentgelt (vgl insoweit BSGE 76, 207, 210 f = SozR 3-4100 § 134 Nr 4).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem EinigVtr vom 31. August 1989 (BGBl II 889). Zwar sieht dessen Art 30 Abs 2 Satz 2 vor, daß die Höhe des Alüg 65 vH „des letzten durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts” beträgt. Diese Bestimmung enthält jedoch keinen Rechtssatz, der auf unmittelbaren Vollzug angelegt ist, sondern nur eine Grundsatzbestimmung, die einer legislatorischen Umsetzung und Konkretisierung bedarf. Diese ist durch § 249e AFG und die weiteren Änderungen und Ergänzungen des AFG erfolgt, die in der Anlage I zum EinigVtr aufgeführt sind und mit ihm ein einheitliches Gesetzgebungswerk darstellen. Daß die getroffene Regelung bezüglich der Höhe des Alüg nicht hinter der Ankündigung des Art 30 Abs 2 Satz 2 EinigVtr zurückgeblieben ist, ergibt sich schon aus Art 30 Abs 2 Satz 3 EinigVtr. Danach wird das Alüg „in Anlehnung an die Regelungen des Arbeitslosengeldes, insbesondere der Regelung des § 105c des Arbeitsförderungsgesetzes” gewährt. Nach dem danach in Bezug genommenen AFG der Bundesrepublik ist das Alg aber zu keinem Zeitpunkt in unmittelbarer Anknüpfung an ein konkretes durchschnittliches Nettoentgelt gewährt worden. Entsprechend ist im Gesetzesentwurf zum EinigVtr zu Art 30 Abs 2 (BT-Drucks 11/7760 S 370) ausgeführt worden, daß das Alüg sich an die Regelungen des Alg anlehne und iH von 65 vH des letzten durchschnittlichen „pauschalierten” Nettoarbeitsentgelts gezahlt werde (BSGE 73, 195, 200 f = SozR 3-4100 § 249e Nr 3).
Die Anknüpfung an ein pauschaliert und typisiert ermitteltes Nettoarbeitsentgelt ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Da das Alüg – jedenfalls bislang – kein steuerpflichtiges Einkommen ist und von ihm auch keine Sozialabgaben abzuziehen sind, ist es sachgerecht, bei der Bemessung am zuletzt erzielten Nettolohn anzuknüpfen. Dabei kann sich der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität für eine Pauschalierung und Typisierung entscheiden, um eine zügige Feststellung der Leistungen zu ermöglichen. Es ist deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß die Lohnabzüge nicht individuell ermittelt werden, sondern der individuelle Bruttolohn um die durch Rechtsverordnung konkretisierten „gewöhnlich” anfallenden Abzüge zu vermindern ist. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wäre es allerdings nicht mehr vereinbar, wenn der Gesetzgeber die Leistungshöhe auf einen bestimmten Prozentsatz des Nettolohns festlegen, dessen Berechnung aber so regeln würde, daß dieser auch bei typisierter Betrachtung nicht mehr demjenigen entspräche, der sich aus dem um die „gewöhnlich” anfallenden Abzüge verminderten Arbeitsentgelts errechnet (vgl insoweit zum Alg: BVerfGE 90, 226, 237 = SozR 3-4100 § 111 Nr 6). Diesbezügliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Berechnungsgrundlagen des Alüg bestehen jedoch nicht.
Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber besondere Leistungssätze für das Alüg, in denen nur die im Beitrittsgebiet geltenden – zum Teil niedrigeren – gesetzlichen Abzüge berücksichtigt werden, nicht vorgesehen hat. § 249c Abs 10 AFG schreibt für das Alg ausdrücklich vor, daß bei der Anwendung des § 111 Abs 2 AFG, dh bei der Bildung der Leistungssätze nach dieser Vorschrift, Besonderheiten hinsichtlich der gewöhnlichen Abzüge, die infolge der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands in den ersten Jahren der Einheit im Beitrittsgebiet gelten, grundsätzlich nicht (Nr 1) bzw nur schrittweise (Nrn 2 und 3) zu berücksichtigen sind. Daraus ergibt sich, daß die Leistungssätze für das Alg bundeseinheitlich festzusetzen sind; der Verordnungsgeber ist weder berechtigt noch gar verpflichtet, für Teile des Bundesgebietes unterschiedlich hohe Leistungssätze zu bestimmen. Da § 111 Abs 2 iVm § 249c Abs 10 AFG aufgrund der Generalverweisung in § 249e Abs 3 AFG auch für das Alüg gilt, sind auch für diese Leistung die Leistungssätze nur bundeseinheitlich zu bestimmen (grundlegend: BSGE 73, 195, 198 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3).
Die Notwendigkeit besonderer Leistungssätze für das Beitrittsgebiet läßt sich auch nicht damit begründen, daß das Alüg eine auf das Beitrittsgebiet beschränkte Leistungsart sei. Das trifft nur insoweit zu, als der Zugang zum Alüg nur Arbeitnehmern eröffnet war, die aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung von mindestens 90 Kalendertagen im Beitrittsgebiet ausgeschieden sind und dort in den letzten 90 Kalendertagen der Beschäftigung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Daraus läßt sich nicht herleiten, daß die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, allein nach den im Beitrittsgebiet bestehenden Verhältnissen bestimmt werden dürften. Der Bezug von Alüg ist nämlich nicht davon abhängig, daß der Leistungsempfänger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet beibehält. Das Alüg kann vielmehr – wie das Alg – weiterbezogen werden, wenn der Leistungsempfänger seinen Wohnsitz aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der alten Bundesländer oder den Westen Berlins verlegt. Im Hinblick auf den bundesweit möglichen Leistungsbezug ist es gerade bei Lohnersatzleistungen, die nicht nur vergangenheits-, sondern auch zukunftsbezogene Bewertungsmerkmale aufweisen (vgl hierzu Gemeinschaftskommentar zum AFG, Stand August 1996, § 111 RdNr 1), geboten, bundeseinheitliche Maßstäbe anzulegen, wie sie in § 111 Abs 2 iVm § 249c Abs 10 AFG im einzelnen vorgegeben sind. Dadurch wird auch für das Alüg gewährleistet, daß bei gleichem Bemessungsentgelt bundesweit einheitliche Leistungen gewährt werden.
Diese Regelungen sind, soweit sie für Alg und Alüg bundeseinheitlich zu bildende Leistungssätze vorschreiben, nicht verfassungswidrig, insbesondere verstoßen sie nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, wie bereits der 11. Senat des BSG eingehend dargelegt hat (BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 5). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl Urteil vom 17. Oktober 1996 – 7 RAr 66/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) und hat es ua für unbedenklich angesehen, daß bei der Bemessung des Alüg ein besonderer Lohnsteuer-Tariffreibetrag für Arbeitnehmer, der im Beitrittsgebiet in den Veranlagungszeiträumen 1991 bis 1993 galt, unberücksichtigt geblieben und für den Bereich der Krankenversicherung ein bundeseinheitlicher Beitragssatz bis zu der in den alten Bundesländern geltenden Bemessungsgrenze zugrunde gelegt worden ist (vgl insoweit wiederum die Entscheidung des Senats vom 17. Oktober 1996 – 7 RAr 66/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Auch soweit der Kläger ausdrücklich beanstandet, daß als gewöhnlich anfallender Abzug die Kirchensteuer berücksichtigt wird, obwohl er – wie die Mehrheit der Bürger im Beitrittsgebiet – keiner kirchensteuererhebenden Kirche angehöre, gilt im Ergebnis nichts anderes (vgl hierzu wiederum die Entscheidung des Senats vom 17. Oktober 1996, aaO). Maßgebend ist insoweit der im Vorjahr in den Ländern geltende niedrigste Kirchensteuer-Hebesatz (§ 111 Abs 2 Satz 2 Nr 2 AFG). Dabei sind die im Beitrittsgebiet geltenden Kirchensteuer-Hebesätze erstmals bei der AFG-LeistungsVO für das dritte Kalenderjahr nach Einführung der Kirchensteuern in diesem Gebiet, also erst ab 1994, zu berücksichtigen (§ 249c Abs 10 Nr 2 AFG iVm Anlage II Kapitel IV Abschnitt I Nr 5 ≪§ 20 des Gesetzes zur Regelung des Kirchensteuerwesens≫ zum EinigVtr). Aus dieser Regelung ergibt sich zugleich, daß der Gesetzgeber die Kirchensteuer zu den bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzügen zählt, und zwar ohne Rücksicht darauf, daß sie sich dieser Belastung durch Kirchenaustritt entledigen können.
Auch zum Kirchensteuerabzug hat der 11. Senat des BSG bereits entschieden, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehalten war, Besonderheiten im Beitrittsgebiet, insbesondere dem dort geringeren Anteil von Kirchenmitgliedern unter den Arbeitnehmern, Rechnung zu tragen. Dies gilt nicht nur für die Bemessung des Alg, sondern auch für diejenige des Alüg, obwohl die Zugangsvoraussetzungen für das Alüg auf Beschäftigung und Wohnsitz im Beitrittsgebiet abstellen. Auch insoweit hat es keiner besonderen Leistungssätze für das Beitrittsgebiet bedurft. Der 11. Senat hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die mit der Herstellung der Einheit Deutschlands gebotene zügige Bewältigung der Umstellung auf eine neue staatliche und soziale Ordnung nicht nur neue Leistungen wie das Alüg erforderlich gemacht hat, sondern es zu ihrer Umsetzung auch geeigneter Regelungen bedurft hat, die der Verwaltung eine alsbaldige Aufgabenerfüllung ermöglicht haben. Daß der Gesetzgeber dabei für das Alüg an das Bemessungssystem des Alg angeknüpft hat, ist sachgerecht. Deshalb durfte der Gesetzgeber den geringen Anteil von Kirchenmitgliedern an der Erwerbsbevölkerung im Beitrittsgebiet vernachlässigen, zumal sich der – fiktive – Kirchensteuerabzug bei der Aufstellung der Leistungssätze und damit bei der Höhe der Leistung wirtschaftlich nur unerheblich auswirkt (BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 5).
Der Gesetzgeber war aber auch nicht aus Verfassungsgründen gehalten, bei der Regelung des § 111 Abs 2 AFG selbst und damit bei den bundeseinheitlich zu bildenden Leistungssätzen für das Alg von einem Kirchensteuerabzug überhaupt abzusehen. Das BVerfG hat in seinem Beschluß vom 23. März 1994 (BVerfGE 90, 226 = SozR 3-4100 § 111 Nr 6) entschieden, daß es mit dem GG vereinbar ist, auch bei Arbeitslosen, die keiner Kirche angehören, bei der Berechnung des maßgebenden Nettoentgelts einen Kirchensteuer-Hebesatz zu berücksichtigen. Dadurch sei weder Art 3 noch Art 4 oder Art 14 GG verletzt. Im Zusammenhang mit Art 14 Abs 1 GG ist ausgeführt worden, der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen nicht gehindert, bei der Berechnung des Nettolohns auch Abgaben zu berücksichtigen, die an die individuelle Entscheidung des Arbeitnehmers anknüpften, einer Kirche anzugehören, solange er sich in den Grenzen zulässiger Typisierung halte. Dies sei der Fall, wenn er aufgrund statistischer Erkenntnisse davon ausgehen könne, daß die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer die Abgabe zu zahlen habe und deren Abzug nicht stark ins Gewicht falle. Diese Voraussetzungen hätten zu dem im Ausgangsfall maßgeblichen Zeitpunkt – 1983 – vorgelegen.
Allerdings hat das BVerfG darauf hingewiesen, daß es mit § 111 Abs 2 AFG und seiner Zielsetzung nicht vereinbar wäre, die Kirchensteuer auch dann noch als „gewöhnlich” anfallenden gesetzlichen Abzug in Ansatz zu bringen, wenn die Zugehörigkeit zu einer steuererhebenden Kirche nicht mehr als für Arbeitnehmer typisch angesehen werden könne. Zu einer Überprüfung durch den Gesetzgeber dürfe Anlaß bestehen, weil ein großer Teil der Arbeitnehmer im Beitrittsgebiet keiner Kirche angehöre, die Kirchensteuer erhebe; dies könne dazu geführt haben, daß im gesamten Bundesgebiet nicht mehr eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer kirchensteuerpflichtig sei.
Es kann dahinstehen, ob dann, wenn bereits vor 1992 offen zutage gelegen hätte, daß keine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer steuererhebenden Kirche angehört, § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 2 AFG wegen veränderter Verhältnisse verfassungswidrig geworden wäre, auch wenn der Gesetzgeber damals aufgrund des Hinweises des BVerfG noch keine Prüfung hätte durchführen können oder von einer solchen abgesehen hätte. Denn jedenfalls bisher – und damit für das streitige Jahr 1992 – ist dies nicht feststellbar. Ungeachtet der Prüfungspflicht des Gesetzgebers liegt jedenfalls auch jetzt nicht offen zutage, daß eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern den steuererhebenden Kirchen nicht mehr angehört. Weder nach den Ermittlungen des 11. Senats noch denjenigen des erkennenden Senats besteht eine Evidenz, die zu der Annahme zwingt, daß § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 2 AFG vor 1995 und damit in dem hier relevanten Jahr 1992 verfassungswidrig geworden sein könnte.
Der 11. Senat hat für die Jahre 1991 bis 1994 bereits entschieden, daß die Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebesatzes nicht zu beanstanden sei (für das Jahr 1991 Urteil vom 26. Juli 1994 – 11 RAr 103/93 –, unveröffentlicht; für das Jahr 1992 BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 5; für die Jahre 1991 bis 1993 Urteil vom 26. Oktober 1994 – 11 RAr 87/93 –, unveröffentlicht, und für das Jahr 1994 Urteil vom 27. Juni 1996 – 11 RAr 1/96 –, unveröffentlicht). Auch die vom erkennenden Senat in dem Parallelverfahren 7 RAr 66/93 durchgeführte Sachaufklärung erlaubt keine abweichende Wertung.
Von den im genannten Parallelverfahren eingeholten und den Beteiligten bekannten Auskünften sind lediglich die Angaben des BMA im Schreiben vom 28. Juni 1996 für die hier streitige Frage relevant, obwohl sich auch aus diesen Angaben Schlußfolgerungen iS der Revision nicht ziehen lassen. Diese Angaben basieren bezüglich der alten Bundesländer auf den Ergebnissen der Volkszählung 1987 und bezüglich des Beitrittsgebiets auf einem Abgleich der Daten der Kirchen mit den Daten der Einwohnermeldeämter über die Religionszugehörigkeit. Die so erhaltenen Daten sind jährlich fortgeschrieben worden. Danach gehörten am 31. Dezember 1994 68,8 vH der deutschen Bevölkerung der evangelischen oder katholischen Kirche an, also den beiden größten Religionsgemeinschaften, die zur Erhebung der Kirchensteuer berechtigt sind. Nicht ausgeschlossen wurde, daß der Anteil der Arbeitnehmer, die keiner Kirche angehören, etwas höher ist als der entsprechende Anteil an der Bevölkerung. 1987 betrug der Unterschied 2,3 Prozentpunkte in den alten Bundesländern. Der Senat kann offenlassen, ob diese Daten zwingend darauf schließen lassen, daß Ende 1994 – und damit wohl auch in den Jahren 1992/93 – der Anteil der kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmer an der Gesamtzahl der Arbeitnehmer im Bundesgebiet etwa knapp zwei Drittel betragen hat und damit noch eine „deutliche” Mehrheit iS des BVerfG darstellen könnte. Auch wenn Zweifel an der Aussagekraft dieser Daten geltend gemacht werden könnten, würde dadurch eine Verfassungswidrigkeit des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 2 AFG nicht offen zutage liegen. Bloße Zweifel am Fortbestehen bestimmter Zahlenverhältnisse rechtfertigen noch nicht den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit. Auch wenn der Anteil der Kirchenangehörigen unter den Arbeitnehmern geringer sein dürfte als zwei Drittel, besteht derzeit jedenfalls keine Evidenz dafür, daß die genannte Vorschrift mit dem vom Gesetzgeber gewählten Ansatz zur Typisierung nicht mehr vereinbar ist.
Die Revision des Klägers konnte mithin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen