Leitsatz (amtlich)
Die Witwe eines Versicherten, deren Rente während des Aufenthaltes in der sowjetischen Besatzungszone nach RKG § 107 ruht, hat aus Anlaß einer dort erfolgten Wiederverheiratung auch dann keinen Anspruch auf Witwenabfindung gegen den Versicherungsträger in der Bundesrepublik, wenn sie nach der Heirat in die Bundesrepublik zurückkehrt.
Normenkette
RKG § 83 Fassung: 1957-05-21, § 107 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1302 Fassung: 1957-02-23, § 1317 Fassung: 1934-05-17
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Oktober 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist Witwe des 1950 verstorbenen Versicherten H O Sie bezog von der Beklagten seit 1. Juli 1950 Witwenvollrente als Gesamtleistung. Ab November 1955 wurde die Rentenzahlung eingestellt, weil die Klägerin im Oktober 1955 nach Mitteldeutschland verzogen war. Auf Anforderung übersandte die Beklagte der Geschäftsstelle der "Sozialversicherung, Anstalt des öffentlichen Rechts" in B im Februar 1956 die Rentenakten der Klägerin und gab dieser Abgabenachricht. Auf eine Anfrage teilte sie der Klägerin mit, erst nach ihrer etwaigen Rückkehr in die Bundesrepublik könnten die Rentenzahlungen an sie wieder aufgenommen werden; hinsichtlich von Rentenzahlungen in Mitteldeutschland wurde die Klägerin von der Beklagten an die genannte Geschäftsstelle der Sozialversicherung verwiesen. Rentenleistungen erhielt sie in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) jedoch nicht.
Auf eine Anfrage der Klägerin vom 15. Januar 1959 wegen Witwenabfindung teilte die Beklagte ihr am 4. September 1959 mit, Voraussetzung für die Zahlung einer Witwenabfindungssumme sei, daß die Klägerin von ihr, der Ruhrknappschaft, eine Rente beziehe und wieder heirate.
Die Klägerin heiratete am 8. August 1959 in Genthin, SBZ, ihren jetzigen Ehemann. Erst danach, im Dezember 1959 verzog sie in die Bundesrepublik, meldete sich in Herne und beantragte am 29. Dezember 1959 Witwenabfindung bei der Beklagten. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 29. Januar 1960 abgelehnt. Widerspruch hiergegen blieb erfolglos (Bescheid vom 28. Juni 1960).
Auf ihre Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte, der Klägerin Witwenabfindung nach § 83 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetze (RKG) zu gewähren und einen entsprechenden Bescheid zu erteilen; Berufung wurde zugelassen, (Urteil vom 12. Juli 1962). Das SG vertrat die Ansicht, durch die Übersiedlung der Klägerin nach Mitteldeutschland sei deren Witwenrentenanspruch nicht erloschen; er ruhe vielmehr nur nach § 107 RKG. Der Rentenanspruch als solcher bleibe jedoch auch beim Ruhen weiter bestehen. Deshalb müsse die Abfindung gewährt werden; denn Voraussetzung für sie sei lediglich, daß im Zeitpunkt der Wiederverheiratung ein Anspruch auf Rente bestanden habe.
Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG auf und wies die Klage ab, (Urteil vom 17. Oktober 1963). Aus § 83 Abs. 1 und 2 RKG, insbesondere aus der Formulierung "bisher bezogenen Rente", sei zu entnehmen, daß nur derjenigen wiederverheirateten Witwe eine Witwenabfindung zustehe, die bis zum Zeitpunkt ihrer Heirat zum Bezug von Witwenrente berechtigt gewesen sei . Die Klägerin habe jedoch zur Zeit ihrer Wiederverheiratung gerade nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug von Witwenrente in ihrer Person erfüllt. Denn sie habe durch die Übersiedlung nach Mitteldeutschland zumindest eindeutig vom 1. Januar 1959 an gemäß § 107 RKG das Recht zum Bezug ihrer Witwenrente verloren und bis zum Zeitpunkt ihrer Heirat auch nicht mehr wiedererlangt. Die Ausnahmevorschriften der §§ 108 bis 108 e RKG könnten auf sie nicht angewandt werden, weil Mitteldeutschland kein "Ausland" im Sinne der §§ 108 Abs. 1, 108 a Abs. 2 bis 3 RKG sei und der Aufenthalt der Klägerin dort auch nicht als vorübergehend im Sinne der §§ 108 a Abs. 1 und 108 b RKG betrachtet werden könne. Der Anspruch auf Witwenrente habe also seit ihrem Fortzug aus der Bundesrepublik geruht. Ruhen bedeute nicht etwa, daß wahrend der Ruhenszeit fällig werdende Leistungen nur vorläufig gesperrt blieben und nach Fortfall des Ruhens ausgezahlt würden. Während des Ruhens entstünden vielmehr überhaupt keine Leistungsansprüche aus einer bereits festgestellten Rente. Die Klägerin habe zur Zeit ihrer Wiederheirat lediglich eine Anwartschaft darauf besessen, bei ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik oder das Land Berlin für die Zeit nach ihrer Rückkehr wieder Witwenrente zu beziehen. Bloße Anwartschaften wie diese könnten jedoch nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht durch Geldleistungen abgefunden werden; dies widerspreche auch dem Sinn und Zweck einer Abfindung. Man könne ferner nicht annehmen, daß mit der Wiederverheiratung der Klägerin anstelle der "ruhenden Rente" ein "ruhender Abfindungsanspruch" getreten sei, der mit Rückkehr in die Bundesrepublik aktiv geworden wäre. Mit der Wiederverheiratung sei vielmehr auch die Rente der Klägerin als Stammrecht weggefallen und habe daher nach ihrer Rückkehr überhaupt keine Ansprüche mehr erzeugen können. Revision wurde zugelassen.
Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Revision ein. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 83 RKG und hält die vom SG vorgenommene Rechtsauslegung bezüglich der Witwenabfindung für zutreffend und schließt sich insoweit dessen Entscheidungsgründen an. Allein die vom SG angewandte Auslegung trage dem tatsächlichen Willen des Gesetzgebers Rechnung und ermögliche, offensichtliche Härten und Benachteiligungen zu vermeiden. Der Gesetzgeber habe auch nicht beabsichtigt, die durch die Zweiteilung Deutschlands gegebene Rechtslage zum Nachteil der Versicherten auszunutzen. Außerdem sei es für die Zuerkennung des Abfindungsanspruchs unerheblich, ob bis zur Wiederverheiratung tatsächlich Rente bezogen worden sei oder nicht. Ausschlaggebend allein sei ein bestehender Rentenanspruch. Ein solcher habe der Klägerin bis zu ihrer Wiederverheiratung zweifellos zugestanden, wenngleich nur als "ruhender Anspruch". Zumindest erscheine es aber billig, daß dieses ruhende Recht, das während des Aufenthaltes in Mitteldeutschland nicht ausgeübt werden konnte, nach der Rückkehr in die Bundesrepublik wieder aktiviert würde.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17. Oktober 1963 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Detmold vom 12. Juli 1962 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben.
Die Klägerin hatte während ihres Aufenthalts in der SBZ keine Ansprüche gegen die Beklagte als Versicherungsträger in der Bundesrepublik. Wie das Bundessozialgericht (BSG) schon wiederholt entschieden hat, bestehen keine Ansprüche gegen Versicherungsträger im Geltungsbereich des RKG für die Zeit, während der der Betreffende in der SBZ seinen Wohnsitz hatte und von der Sozialversicherungsregelung dieses Gebietes gleichberechtigt mit den übrigen dort wohnhaften Versicherten erfaßt war (vgl. BSG 3, 286; 9, 67). Darauf, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung im Wohngebiet erfüllt sind oder nicht, kann es nicht ankommen, desgleichen nicht darauf, ob tatsächlich Leistungen gewährt worden sind. Als gleichwertige Versicherung ist auch die Rentenversicherung in der SBZ anzusehen. Die Klägerin kann sich also nicht darauf berufen, sie habe dort keine Witwenrente erhalten, weil sie nicht die dortigen gesetzlichen Voraussetzungen für diese Leistungen erfüllt hatte, und ebensowenig darauf, daß dort anläßlich ihrer Verheiratung kein Anspruch auf eine Witwenrentenabfindung entstanden war, weil die SBZ-Versicherung eine solche Leistung nicht kennt.
Auch aus dem Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) lassen sich schon deshalb keine Ansprüche gegen die Beklagte herleiten, weil die Klägerin nicht unter den in § 1 bezeichneten Personenkreis fällt. Sie kann aber - davon abgesehen - auch keine Ansprüche aus dem Umstand herleiten, daß ihre Witwenrente wegen ihres Aufenthalts in der SBZ spätestens seit 1. Januar 1959, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der jetzigen Fassung des § 107 RKG geruht hat und daß sie nach ihrer Eheschließung wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt ist.
Gemäß § 83 Abs. 1 RKG fällt die Witwenrente mit Ablauf des Monats weg, in dem die Witwe wieder heiratet. In diesem Fall wird (vorausgesetzt, die neue Eheschließung erfolgt erst nach Inkrafttreten des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) - gemäß Art. 3 § 6 des Gesetzes ab 1. Januar 1957 -) auf Antrag der Witwe gemäß § 83 Abs. 2 RKG i. V. m. Art. 2 § 19 Abs. 1 KnVNG eine Abfindung in Höhe des fünffachen Jahresbetrages der "bisher bezogenen Rente gewährt". Der Wortlaut beider Bestimmungen, ihr Verhältnis zueinander und ihre Stellung innerhalb des Gesetzes lassen also deutlich erkennen, daß sie einander ergänzen und Abs. 2 von Abs. 1 abhängt. Entsprechend hat der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 9. Juni 1961 - GS 2/59 = BSG 14, 238 - bereits ein Korrespondieren der - mit den Absätzen 1 und 3 von § 83 RKG nF wörtlich übereinstimmenden - Absätze 1 und 2 von § 1291 Reichsversicherungsordnung (RVO) festgestellt; gleiches müßte daher auch für die Auslegung von § 83 Abs. 1 und 3 RKG gelten. Aus dem Wortlaut von § 83 Abs. 2 RKG ist i. V. m. Abs. 1 der Bestimmung weiter zu entnehmen, daß, falls eine Witwenrentenabfindung gewährt werden soll, die Rente auf Grund der vorangegangenen Heirat weggefallen sein muß, nicht jedoch auf Grund anderer Umstände. Ferner wird durch die Formulierung "bisher bezogene Rente" vom Gesetzgeber erkennbar klargemacht, daß nur diejenige Witwenrente abgefunden werden kann, die seinerzeit im Zeitpunkt der Wiederverheiratung von dem Berechtigten tatsächlich bezogen wurde. Dem tatsächlichen Rentenbezug gleich gestellt werden können auch die Fälle, in denen ein Anspruch bestand, aber noch nicht über ihn entschieden worden war.
Die Witwen- (Witwer-)rentenabfindung soll, worüber auch in der Literatur weitgehende Übereinstimmung herrscht, einerseits einen spürbaren Ersatz für die durch Heirat verlorengehenden Rentenzahlungen bieten, für reale Einkommenspositionen also, und andererseits eine erneute Eheschließung des Berechtigten fördern bzw. eventl. "Rentenkonkubinaten" entgegenwirken (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S. 720 b und 720 c Anm. cc 4) 2; Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung, Anm. 1 zu § 1302 RVO).
Ruhende oder auch nur teilweise ruhende Witwenrentenansprüche, gleichgültig aus welchem Grunde auch immer ihr Ruhen eingetreten war, stellen dagegen gerade keine derartigen tatsächlichen Einkommens- oder Vermögenswerte dar, die jederzeit zu realisieren wären. Sie können daher, weil rechtlich und tatsächlich gesehen kein realer Vermögenswert vorhanden ist, dessen Verlust ersetzt werden könnte, nicht nach § 83 Abs. 2 RKG abgefunden werden.
Zusammenfassend ist daher in Übereinstimmung mit der angefochtenen Entscheidung des LSG festzustellen, daß auf Grund der heute geltenden gesetzlichen Fassung ein ruhender Anspruch auf Witwenrente oder auch nur ruhende Teile desselben nicht gemäß § 83 Abs. 2 RKG abgefunden werden können.
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung ihrer Witwenrente wäre zwar mit ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik kraft Gesetzes wieder aufgelebt, vorausgesetzt, sie hätte die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Im Zeitpunkt ihrer tatsächlich erfolgten Rückkehr in die Bundesrepublik - Dezember 1959 - war dies jedoch gerade nicht mehr der Fall: Ihr zwar grundsätzlich erhalten gebliebener, jedoch ruhender Anspruch auf Witwenrente war bereits mit Ablauf des Monats ihrer Wiederheirat, also ab September 1959, gemäß § 83 Abs. 1 RKG endgültig und ersatzlos fortgefallen. Er bestand daher von diesem Zeitpunkt an auch nicht mehr als nur ruhender Anspruch gemäß § 107 RKG weiter. Folglich konnte er auch nicht nach Beendigung des Aufenthalts in Mitteldeutschland wieder aufleben und einen eventl. Witwenrentenabfindungsanspruch der Klägerin erzeugen. Ihre Abfindung ist deshalb gemäß § 83 Abs. 2 RKG auch nach ihrer erfolgten Rückkehr nicht mehr möglich.
Ebenso rechtlich unmöglich ist die Annahme, wie bereits das LSG ausführt, daß der spätestens nach dem 1. Januar 1959 ruhende Rentenanspruch sich in einen "ruhenden Abfindungsanspruch" verwandelt hätte, der nach der Rückkehr in die Bundesrepublik wieder aufleben würde. Denn für eine derartige Konstruktion fehlt jede Rechtsgrundlage. Außerdem ergibt sich aus den obigen Ausführungen, daß ein ruhender Witwenrentenanspruch überhaupt nicht abgefunden werden kann. Folglich ist es auch nicht möglich und denkbar, daß ein "ruhender Abfindungsanspruch" wegen eines durch Heirat wegfallenden "ruhenden Witwenrentenanspruchs" entstehen könnte.
Die Revision der Klägerin kann daher keinen Erfolg haben und muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen