Leitsatz (amtlich)

Durch die Aushändigung des Vertriebenenausweises A wird auch der Abschluß der Vertreibung verbindlich festgestellt. Später im Herkunftsland zurückgelegte Zeiten werden vom FRG nicht erfaßt.

 

Normenkette

FRG § 15 Abs 1 S 1; BVFG § 15 Abs 5 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 25.08.1986; Aktenzeichen L 2 J 86/86)

SG Mainz (Entscheidung vom 18.02.1986; Aktenzeichen S 5 J 350/85)

 

Tatbestand

Streitig ist die Vormerkung der Zeit vom 1. August 1970 bis 9. März 1978 als Beitragszeit nach § 15 Abs 1 des Fremdrentengesetzes (FRG).

Der im Jahre 1925 in Rumänien geborene volksdeutsche Kläger, der zunächst in der elterlichen Landwirtschaft, unterbrochen durch den Kriegsdienst, und danach ab 1950 als Zimmermann beschäftigt war, reiste am 31. Januar 1970 mit einem Besuchervisum in die Bundesrepublik Deutschland zu seiner hier wohnhaften Schwester. Nachdem sich der Kläger Mitte Februar 1970 polizeilich angemeldet hatte und daraufhin einen Personalausweis erhielt, nahm er am 16. März 1970 eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Bauarbeiter im Bundesgebiet auf. Am 4. Mai 1970 wurde ihm antragsgemäß der Vertriebenenausweis A ausgestellt. Noch vor Ablauf seiner von der rumänischen Botschaft verlängerten Besuchserlaubnis kehrte er am 25. Juli 1970 nach Rumänien zurück und nahm dort am 29. Juli 1970 seine Beschäftigung als Zimmermann wieder auf. Diese endete am 9. März 1978. Danach reiste der Kläger mit seiner Familie aufgrund einer Ausreisegenehmigung erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Mit Bescheid vom 10. März 1982 sowie in den Änderungsbescheiden vom 16. April, 12. Juni und 10. Dezember 1984 lehnte die Beklagte die Anerkennung der vom Kläger in Rumänien vom 1. August 1970 bis zum 9. März 1978 zurückgelegten Beitragszeiten ab.

Das SG hat unter Abänderung vorgenannter Bescheide festgestellt, daß die streitige Zeit als Beitragszeit nach dem FRG zu berücksichtigen sei (Urteil vom 18. Februar 1986). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. August 1986): Die Berufung sei, entgegen der dem Urteil des SG beigefügten Rechtsmittelbelehrung, zulässig, weil nicht um eine einmalige Leistung gestritten werde. Da der Kläger Rumänien aber bereits 1970 endgültig "verlassen" habe, könne der nachfolgende streitige Zeitraum nicht als Beitragszeit nach § 15 FRG angerechnet werden. Der Entschluß des Klägers, nicht nach Rumänien zurückzukehren, habe sich während seines zunächst ausschließlich besuchsweisen Aufenthaltes jedenfalls seit März 1970 (Zeitpunkt der Aufnahme der versicherungspflichtigen Tätigkeit) bis zum Zeitpunkt seiner Rückkehr schon derart verfestigt, daß sein Wille erkennbar gewesen sei, seinen Wohnsitz in Rumänien nicht länger als seinen Lebensmittelpunkt zu betrachten. Auch die von der Rechtsprechung erwogene Ausnahmeregelung, dann eine erneute Vertreibung anzuerkennen, wenn eine Rückkehr unausweichlich gewesen ist, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Zwar stelle die Rückkehr wegen der eingetretenen Unwetterkatastrophe einen wichtigen Grund iS des § 11 Satz 1 Nr 5 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) dar, die Lage sei jedoch nicht derart zwingend gewesen, daß sie für den Kläger unausweichlich gewesen wäre und somit ein besonders schwerwiegender Grund zur Rückkehr vorgelegen hätte.

Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers. Er ist der Ansicht, durch die Entscheidung des LSG sei § 15 FRG verletzt worden. Er sei im Januar 1970 nur besuchsweise in die Bundesrepublik eingereist und habe den Entschluß, in der Bundesrepublik zu bleiben, bei Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung noch nicht endgültig gefaßt. Erst im Juni 1978 sei er mit seiner Familie tatsächlich und endgültig aus Rumänien ausgesiedelt.

Der Kläger beantragt, "1. das Urteil des Landessozialgerichts vom 25. August 1986, Az: L 2 J 86/86, aufzuheben und

2. die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 10. März 1982, vom 16. April 1984, vom 12. Juni 1984 sowie vom 10. Dezember 1984 festzustellen, daß die Zeit vom 1. August 1970 bis zum 9. März 1978 als weitere Beitragszeit nach dem FRG zu sechs Sechsteln als Beitragszeit zu berücksichtigen ist."

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vormerkung der streitigen Zeit als Beitragszeit.

Nach § 15 Abs 1 Satz 1 FRG stehen ua Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Zwar hat der Kläger, der als anerkannter Vertriebener iS des § 1 BVFG die persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG (vgl Buchst a) erfüllt, während der streitigen Zeit in Rumänien als Zimmermann gearbeitet und dort bei einem nichtdeutschen (rumänischen) Rentenversicherungsträger eine Beitragszeit zurückgelegt. Indessen reicht das zur Gleichstellung dieser Zeit nach § 15 FRG nicht aus. Vielmehr müssen die Beitragszeiten vor der Vertreibung zurückgelegt sein. Dies verdeutlicht § 16 FRG, der nur eine Gleichstellung von Beschäftigungszeiten "vor der Vertreibung" vorsieht (vgl Urteil des erkennenden Senates vom 9. August 1962 - 4 RJ 25/60 = BSGE 17, 231; Beschluß des Großen Senats des BSG vom 6. Dezember 1979 - GS 1/79 = BSGE 49, 175 = SozR 5050 § 15 Nr 13 sowie SozR aaO Nrn 24, 25 und 27). Es kommt also darauf an, wann die Vertreibung des Klägers abgeschlossen war. Nur im Ergebnis zu Recht geht das LSG davon aus, daß dies bereits vor dem 1. August 1970 der Fall gewesen ist und deswegen die später in Rumänien zurückgelegten Zeiten nicht mehr berücksichtigt werden können.

Entscheidend ist, daß der Kläger auf seinen Antrag bereits am 4. Mai 1970 den Vertriebenenausweis A erhalten hat. Gemäß § 15 Abs 5 Satz 1 BVFG ist die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises für alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Zwar mag der Wortlaut dieser Vorschrift allein an eine Bindungswirkung nur hinsichtlich der Vertriebeneneigenschaft denken lassen (sog Tatbestandswirkung); die Sinnauslegung gebietet es aber, auch die Voraussetzungen für die Feststellung der Vertriebeneneigenschaft - also die dieser zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen - in die Bindungswirkung mit einzubeziehen (sog Feststellungswirkung). Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die zum Nachweis der Vertriebeneneigenschaft ausgestellten Ausweise hinsichtlich der in ihnen getroffenen Feststellungen (dort: Nachweis der deutschen Volkszugehörigkeit) auch für die Einbürgerungsbehörden verbindlich seien (grundlegend: BVerwGE 34, 90, 91; ferner 35, 316; 70, 159; vgl auch Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl, Vorbem 32 vor § 35 mit Hinweis auf § 15 BVFG und wN). Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung für den Anwendungsbereich der §§ 1 Buchst a, 15 FRG. Dies bedeutet: In der Erteilung des Vertriebenenausweises A, also der Anerkennung als Heimatvertriebener (vgl § 15 Abs 2 Nr 1 iVm § 2 BVFG), liegt zugleich - als notwendiges Anspruchselement - die nach § 15 Abs 5 BVFG den Rentenversicherungsträger und damit auch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindende Feststellung, daß der Versicherte aus einem der in § 1 Abs 1 BVFG genannten Gebiete "vertrieben worden ist" (§ 2 Abs 1 BVFG). Mithin ist auch im vorliegenden Fall dadurch, daß dem Kläger der Vertriebenenausweis A ausgestellt wurde, zugleich für Rentenversicherungsträger und Sozialgerichte verbindlich ein abgeschlossener Vertreibungsvorgang bejaht worden. War aber hiernach die Vertreibung des Klägers bereits im Mai 1970 abgeschlossen, so können die nachfolgenden streitigen Zeiten nach den Vorschriften des FRG nicht mehr den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt werden. Dabei kann offenbleiben, ob eine andere rechtliche Beurteilung angebracht wäre, wenn der 1970 erteilte Vertriebenenausweis nach § 18 BVFG rückwirkend für kraftlos erklärt bzw eingezogen würde; denn Anhaltspunkte für einen solchen Sachverhalt sind jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ersichtlich.

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich bereits, daß diejenigen Fallgestaltungen rechtlich anders zu beurteilen sind, bei denen zu dem Zeitpunkt, in dem eine Beitragszeit iS von § 15 FRG geltend gemacht wird, noch keine (bindende) Entscheidung der für die Ausstellung des Ausweises zuständigen Behörde ergangen ist; dann könnte der Rentenversicherungsträger die Vertriebeneneigenschaft selbst prüfen und die hierfür erforderlichen Feststellungen treffen oder - was mit Blick auf eine endgültige Klärung vorzuziehen sein dürfte - zunächst die Entscheidung der für die Ausstellung des Ausweises zuständigen Behörde herbeiführen (lassen).

Ein Sonderfall lag dem Urteil des BSG vom 13. Dezember 1984 - 11 RA 69/83 (= SozR 5050 § 15 Nr 27) zugrunde: die Klägerin jenes Verfahrens hatte sich zwar 1971 zwei Monate in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten und den Vertriebenenausweis beantragt, ihn aber damals nicht erhalten; sie war in das Herkunftsland zurückgekehrt und erst 1977 wieder in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo ihr nunmehr im Jahre 1978 der Vertriebenenausweis A ausgestellt wurde. Streitig war dort die Zeit von November 1971 bis zum 15. November 1976, also - und darin liegt, wie vom LSG nicht hinreichend erkannt worden ist, der wesentliche Unterschied zum vorliegenden Rechtsstreit - eine Zeit vor der Anerkennung als Vertriebene. Deshalb mochten die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch in jenem Verfahren befugt gewesen sein zu untersuchen (und zu verneinen), ob bereits mit der besuchsweisen Einreise 1971 der Vertreibungstatbestand des § 1 Abs 1 Nr 3 BVFG hätte erfüllt sein können, während die "Eingliederung" mit der sich aus § 15 Abs 5 Satz 1 BVFG ergebenden Bindungswirkung nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt schon am 4. Mai 1970 - vor der streitigen Zeit - erreicht war.

Der Senat hat noch geprüft, ob sich der Anspruch auf § 16 FRG stützen läßt, dies aber aus den obigen Gründen ebenfalls verneinen müssen.

Nach alledem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663686

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