Leitsatz (redaktionell)

Der Forderungsübergang nach BVG § 71a aF ist nicht vom Rückforderungsanspruch nach KOV-VfG § 47 Abs 2 abhängig.

 

Normenkette

BVG § 71a Fassung: 1955-01-19; KOVVfG § 47 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 7. Oktober 1963 aufgehoben.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts in Saarbrücken vom 11. Januar 1962 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Seit Mai 1948 bezogen die Kläger nach zwei im letzten Kriege gefallenen Söhnen Elternrente in verschiedener Höhe. Daneben erhält der klagende Ehemann knappschaftliche Leistungen aus der Sozialversicherung. Nachdem durch den Bescheid vom 3. August 1958 die Elternrente für die Zeit vom 1. Juni 1956 bis 1. September 1957 endgültig und für die Folgezeit vorläufig festgestellt worden war, wurde sie durch den Bescheid vom 12. Mai 1959 für die Zeit vom 1. Mai 1957 bis 1. September 1957 in Wegfall gebracht und wurde ab 1. April 1959 nicht mehr gewährt, weil das anzurechnende Einkommen aus der knappschaftlichen Versicherung die Einkommensgrenze nach § 46 Abs. 2 des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) überstieg. Das Versorgungsamt (VersorgA) errechnete eine Überzahlung in Höhe von 110.751,- Fr., nahm für seinen Rückforderungsanspruch die Nachzahlung aus dem Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz für das Saarland in Anspruch und verlangte im übrigen Tilgung in monatlichen Raten. Mit dem Widerspruch führten die Kläger aus, die Rückzahlung bedeute für sie eine besondere Härte, außerdem hätten sie die Überzahlung nicht verschuldet. Das Landesversorgungsamt half dem Widerspruch insoweit ab, als eine Restforderung in Höhe von 38.045,- Fr. in Ausgabe verbleiben sollte, während es die Nachzahlung in Höhe von 72.706,- Fr. für sich in Anspruch nahm.

Die Klage, mit welcher die Kläger die Erstattung der Nachzahlung von der Knappschaft in Höhe von 72.706,- Fr. - 618,51 DM - begehrten, blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts - SG - Saarbrücken vom 11. Januar 1962), weil für die Anwendung der Vorschrift des § 47 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) im Hinblick auf den gesetzlichen Übergang der Nachzahlung an die Versorgungsbehörde kein Raum sei.

Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 7. Oktober 1963 das Urteil des SG aufgehoben und die Verwaltungsbescheide dahin abgeändert, daß der Beklagte verurteilt wird, den Klägern den streitigen Betrag von 618,51 DM zu erstatten. Es hat die Revision zugelassen und ausgeführt, die Versorgungsverwaltung sei um die Nachzahlung, die es in Anspruch genommen habe, ungerechtfertigt bereichert, denn ihr stehe gegen die Kläger kein Rückforderungsanspruch nach § 47 Abs. 2 VerwVG zu. Der Übergang der Forderung des klagenden Ehemannes gegen die Saarknappschaft sei nach § 71 b RVG zu beurteilen. Nach dieser Vorschrift sei ebenso wie nach § 71 a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) aF für den gesetzlichen Forderungsübergang begrifflich nur der Bestand derjenigen Forderung vorausgesetzt, die kraft Gesetzes übergehe; der Forderungsübergang hänge nicht von einem Rückforderungsanspruch gegen den Versorgungsberechtigten ab. Trotz der Gültigkeit des Forderungsübergangs aber könne den Klägern die Rechtswohltat des § 47 Abs. 2 VerwVG nicht versagt werden. § 47 Abs. 1 Satz 1 VerwVG bilde den einzigen Rechtsgrund für die Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge; den Bestimmungen des RVG sei lediglich zu entnehmen, daß Versorgungsbezüge zuviel gezahlt worden seien. Der Vorschrift des § 71 b RVG könne nur die Funktion einer Sicherung des Anspruchs der Versorgungsbehörde auf Erstattung zu Unrecht empfangener Leistungen zukommen. Stehe der Versorgungsbehörde endgültig ein Anspruch nach § 47 VerwVG zu, so verbleibe es bei dem Forderungsübergang und der etwa bewirkten Einziehung des Forderungsbetrages. Bestehe aber kein Erstattungsanspruch, so müßten die Rechtspositionen der Beteiligten nach den Regeln über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung der Rechtslage angepaßt werden.

Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,

das angefochtene Urteil vom 7. Oktober 1963 aufzuheben.

Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 71 b RVG i. V. m. § 47 VerwVG. Nach seiner Ansicht solle durch den Forderungsübergang gerade die Rückforderung vermieden werden.

Die Kläger beantragen,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Das durch Zulassung statthafte Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Es ist zulässig und mußte auch Erfolg haben.

Die Entscheidung hängt von der Anwendung des § 71 b RVG ab, welcher durch Gesetz Nr. 515 über Änderungen auf dem Gebiete der Kriegsopferversorgung und Neufassung von Vorschriften des Reichsversorgungsgesetzes (Amtsbl. des Saarlandes 1956 S. 957 ff) eingefügt worden ist. Die Vorschrift hat in dem hier maßgebenden Teil folgenden Wortlaut:

"Hat das Versorgungsamt ... Elternrente (§ 46) gewährt, so kann es, wenn der Versorgungsberechtigte für dieselbe Zeit Ansprüche an einen Träger der Sozialversicherung, einen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn oder eine öffentlich-rechtliche Kasse hat, durch schriftliche Anzeige an den Versicherungsträger, den Dienstherrn oder die Kasse bewirken, daß die Ansprüche insoweit auf die Versorgungsbehörde übergehen, als sie zu einer Minderung der ... Elternrente ... führen".

Diese Vorschrift ist gemäß § 5 des Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes vom 23. Dezember 1956 revisibles Recht (BSG 23, 285). Sie stimmt mit § 71 a BVG idF des Zweiten Änderungsgesetzes zum BVG vom 7. August 1953 inhaltlich und weitgehend auch im Wortlaut überein. Zu dieser letzteren Vorschrift hat der 9. Senat im Urteil vom 7. September 1962 - BSG 18, 12 ff - folgenden Leitsatz aufgestellt:

"Hat das Versorgungsamt an den Träger der Sozialversicherung eine schriftliche Anzeige nach § 71 a BVG aF erstattet, so ist der dadurch kraft Gesetzes bewirkte Übergang der Ansprüche des Versorgungsberechtigten auf den Kostenträger der KOV nicht davon abhängig, daß ein Rückforderungsanspruch gegen den Versorgungsberechtigten nach § 47 Abs. 2 VerwVG besteht."

Nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG sind unstreitig die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 71 b RVG (§ 71 a BVG) vorliegend erfüllt. Das VersorgA hat Elternrente gewährt, die Kläger haben für die gleiche Zeit, für die sie Elternrente bezogen haben, rückwirkend Ansprüche an die Saarknappschaft erhalten. Wie das LSG im angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt hat, kann der Versorgungsverwaltung nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe ihr Ermessen fehlerhaft gehandhabt, als sie von der Kann-Bestimmung des § 71 b RVG Gebrauch gemacht hat. Die Ausführungen der Kläger in der Revisionsinstanz, die Versorgungsverwaltung habe zunächst einmal nach § 47 Abs. 2 VerwVG prüfen müssen, ob ihr überhaupt ein Rückforderungsanspruch zustehe, gehen fehl, wie noch näher ausgeführt werden wird. Das LSG hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, daß die Vorschriften des § 71 b RVG und § 47 Abs. 2 VerwVG verschiedene Tatbestände betreffen. Es hat aber verkannt, daß beide Vorschriften von ganz verschiedenen gesetzgeberischen Erwägungen ausgehen. Maßgebend für § 47 Abs. 2 VerwVG ist, daß der Versorgungsberechtigte in der Vergangenheit eine Leistung erhalten hat, auf die er keinen Anspruch hatte. Beim Ausgleich empfangener Leistungen nach § 47 Abs. 2 VerwVG können Billigkeitserwägungen einen weiten Raum einnehmen. § 71 b RVG hingegen setzt nicht eine tatsächliche Leistung, sondern nur einen Anspruch für die Vergangenheit voraus. Diese Verschiedenheit der Regelungen ist auch in der Verschiedenheit des Wortlautes zum Ausdruck gebracht. Beide Vorschriften sind eindeutig und lassen eine Lücke, die zu einer ergänzenden Auslegung Anlaß böte, nicht erkennen. Dies hat der 9. Senat in der angeführten Entscheidung des näheren belegt und aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch begründet. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, daß der Forderungsübergang nach § 71 a BVG (also auch nach § 71 b RVG) nicht vom Bestehen eines förmlichen materiellen Anspruchs des neuen Gläubigers gegen den bisherigen Gläubiger, also nicht vom Rückforderungsanspruch nach § 47 Abs. 2 VerwVG abhängig gemacht worden ist. Dem schließt sich der Senat an.

Bei dem eindeutigen Wortlaut der Vorschriften und der Verschiedenheit der Tatbestände, die sie erfassen, ist mit dem 9. Senat eine Ergänzung der einen durch die andere nicht möglich. Die angefochtene Entscheidung beruht hiernach auf einer Verletzung des § 71 b RVG und des § 47 Abs. 2 VerwVG dadurch, daß die letztere Vorschrift überhaupt nicht angezogen werden durfte. Sie kann daher nicht aufrechterhalten werden. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind mit der Revision nicht angefochten worden. Sie binden also nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Revisionsgericht. Hiernach haben die Kläger für die Zeit vom 1. Mai 1957 an zu Unrecht eine Elternrente in der ihnen gewährten Höhe erhalten. Für die gleiche Zeit haben sie nach dem Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz eine Nachzahlung in Höhe von 618,51 DM erhalten. Diese tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen die Anwendung des § 71 b RVG auf den vorliegenden Fall, wie das SG zutreffend entschieden hat. Da seine Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht, mußte die Berufung der Kläger gegen dieses Urteil unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erfüllt sind, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380439

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge