Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Ausgleichsrente. Gesetzesänderung. Behandlung von zuvor festgesetzten Ausgleichsrenten als vorläufig gezahlte Ausgleichsrenten. Ausnahme bei Ablauf des Feststellungszeitraums vor Inkrafttreten der Neuregelung
Orientierungssatz
Eine nach altem Recht festgestellte Ausgleichsrente ist dann nicht in entsprechender Anwendung des § 60a Abs 2 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27.6.1960 (juris: KOVNOG 1) wie eine "vorläufig gezahlte" Ausgleichsrente abzurechnen, wenn die Zahlung der Ausgleichsrente nach § 60a Abs 1 S 7 BVG idF vom 27.6.1960 infolge einer Einkommenserhöhung für mindestens drei zusammenhängende Monate ausgeschlossen war und der Feststellungszeitraum deshalb bereits vor dem Inkrafttreten des KOVNOG 1 am 1.6.1960 geendet hatte (Übernahme von BSG vom 28.10.1965 - 8/11 RV 836/63).
Normenkette
BVG § 60a Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-06-27, S. 7 Fassung: 1960-06-27, Abs. 2 Fassung: 1960-06-27, Abs. 4 Fassung: 1960-06-27; KOVNOG 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 10.05.1963) |
SG Reutlingen (Urteil vom 20.06.1962) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Mai 1963 aufgehoben; die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Juni 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin bezieht nach ihrem seit Februar 1945 verschollenen Ehemann Witwengrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und Witwenrente aus der Invalidenversicherung; sie bezog außerdem Witwenausgleichsrente auf Grund des BVG, zuletzt in Höhe von monatlich 5.- DM. Im Februar 1961 ermittelte das Versorgungsamt, daß sich die Witwenrente aus der Invalidenversicherung durch das Zweite Rentenanpassungsgesetz erhöht hatte, stellte daraufhin in dem Bescheid vom 17. Februar 1961 fest, daß seit dem 1. Juni 1960 keine Ausgleichsrente mehr zugestanden habe, und errechnete eine Überzahlung in Höhe von insgesamt 50.- DM, die es zurückverlangte. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 1961), weil § 60 a Abs. 2 BVG hier nicht anwendbar sei.
Die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 20. Juni 1962 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 10. Mai 1963 das Urteil des SG und die Verwaltungsbescheide insoweit aufgehoben, als der Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 50.- DM zurückfordert; es hat die Revision zugelassen. In den Gründen ist ausgeführt: Die Besonderheit des vorliegenden Rechtsstreits bestehe darin, daß die Rentenerhöhung auf Grund des § 6 des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes vom 21. Dezember 1959 erst ab 1. Juni 1960 auf die Witwen-Ausgleichsrente nach dem BVG anzurechnen gewesen und daß dieser Zeitpunkt mit dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) zusammengefallen sei. § 60 a BVG sei in der Neufassung des 1. NOG maßgebend; der letzte Satz des § 60 a Abs. 1 sei hier nicht anzuwenden, denn er betreffe lediglich die Berechnung der Ausgleichsrente bei einer Einkommenserhöhung während des Feststellungszeitraums, während hier das Einkommen sich bereits vor dem Feststellungszeitraum erhöht habe; demgemäß sei nach § 60 a Abs. 2 BVG eine Überzahlung von weniger als 60.- DM in Ausgabe zu belassen.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Reutlingen vom 20. Juni 1962 als unbegründet zurückzuweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 60 a BVG. Seiner Ansicht nach konnte im vorliegenden Falle ein Feststellungszeitraum für die Berechnung der Ausgleichsrente gar nicht erst entstehen, weil sich das Einkommen am 1. Juni 1960, dem hier maßgebenden Zeitpunkt für die Anwendung des 1. NOG, bereits erhöht habe.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel ist also zulässig. Es mußte auch Erfolg haben.
In der gleichgelagerten Streitsache Land Baden-Württemberg gegen K - 8/11 RV 836/63 - hat der Senat im Urteil vom 28. Oktober 1965 folgendes ausgeführt:
§ 60 a BVG idF des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) ist am 1. Juni 1960 in Kraft getreten. Diese Vorschrift ist für den angefochtenen Neufeststellungsbescheid vom 17. Februar 1961 maßgebend. Denn dieser betraf den Zeitraum vom 1. Juni 1960 bis zum 31. März 1961. Da die Ausgleichsrente in Höhe von monatlich 5.- DM an sich nicht vorläufig festgesetzt worden ist, ist der Revision zuzugeben, daß § 60 a Abs. 1 BVG nicht unmittelbar angewendet werden kann. Für die Übergangszeit, welche mit dem 1. Juni 1960 beginnt, kann sonach fraglich sein, ob die bisher festgestellte Rente einer i. S. des § 60 a BVG vorläufig zu zahlenden Rente gleichgestellt werden darf. Das BSG hat hierzu mit Urteil vom 13. April 1961 (BSG 14, 148) ausgesprochen: Eine nach altem Recht festgestellte Ausgleichsrente, die von der Versorgungsbehörde mit Wirkung vom 1. Juni 1960 als "endgültige Ausgleichsrente" festgestellt wird, ist unter entsprechender Anwendung des § 60 a Abs. 2 BVG wie eine "vorläufig gezahlte Ausgleichsrente" abzurechnen. Diese Entscheidung greift vorliegend jedoch nicht Platz. Denn der Gesetzgeber hat von der in § 60 a BVG grundsätzlich getroffenen Regelung in § 60 a Abs. 1 letzter Satz BVG eine Ausnahme für den Fall vorgesehen, daß eine Einkommenserhöhung die Zahlung von Ausgleichsrente für mindestens drei zusammenhängende Monate ausschließt. In diesem besonderen Fall endet der Feststellungszeitraum mit dem der Einkommenserhöhung vorhergehenden Monat (§ 60 a Abs. 1 letzter Satz BVG idF des 1. NOG). Die Klägerin hatte vom 1. Juni 1960 an wegen der Höhe ihres Einkommens durch die Witwenrente aus der Invalidenversicherung ihres verschollenen Ehemannes keinen Anspruch auf Ausgleichsrente mehr. Damit war vom 1. Juni 1960 an die Bildung eines Feststellungszeitraums für die Zeit nach dem 31. Mai 1960 ausgeschlossen. Die von diesem Zeitpunkt an gezahlte Ausgleichsrente konnte daher nicht mehr als vorläufig gezahlte Rente angesehen und als solche endgültig abgerechnet werden. Vielmehr war die bisher gezahlte Rente in eine endgültig festgestellte Rente umgewandelt worden. Somit entfällt die für den Regelfall in § 60 a BVG eingeführte Vergünstigung. Die Einkommenserhöhung ist daher vom 1. Juni 1960 an nach § 60 a Abs. 1 letzter Satz BVG und damit nach § 62 Abs. 3 Satz 1 BVG zu behandeln. Bei dieser Sach- und Rechtslage hat die Klägerin den Betrag zurückzuzahlen, der durch die Einkommenserhöhung und den dadurch bedingten Wegfall der Ausgleichsrente vom 1. Juni 1960 ihr zu Unrecht zugekommen ist (ebenso Urteile des BSG vom 6. Oktober 1964 - 10 RV 1059/62 - und vom 18. Februar 1965 - 10 RV 299/62 -).
Diese Ausführungen macht sich der Senat auch für den vorliegenden Fall zu eigen; ihnen ist nichts hinzuzufügen.
Das LSG hat mithin § 60 a Abs. 1 Satz 7 BVG idF des 1. NOG nicht beachtet. Die Revision ist daher begründet. Wenn auch das SG sich mit dem Rechtsproblem dieses Streitfalles, nämlich der Anwendbarkeit des § 60 a Abs. 1 letzter Satz und Abs. 2 BVG nicht auseinandergesetzt hat, so ist sein Urteil im Ergebnis doch zutreffend. Die unangegriffenen Feststellungen des LSG reichen hier aus, um in der Sache selbst entscheiden zu können.
Die Überzahlung von 50.- DM (5.- DM monatlich vom 1. Juni 1960 bis zum 31. März 1961) ist auf eine Erhöhung der Witwenrente der Klägerin aus der Invalidenversicherung ihres verschollenen Ehemannes zurückzuführen. Sie hat angezeigt, daß sich vom 1. Januar 1960 an ihre Witwenrente auf 146,- DM erhöht habe. Diese Einkommenserhöhung hat die Ausgleichsrente kraft Gesetzes zum Wegfall gebracht (§ 60 a Abs. 1 letzter Satz BVG idF des 1. NOG). Der Klägerin war mit Bescheid vom 5. Juli 1957 mitgeteilt worden, daß sie verpflichtet sei, dem Versorgungsamt jede Änderung der Einkommensverhältnisse unverzüglich schriftlich oder mündlich anzuzeigen. Auf die Aufforderung vom 12. Januar 1961 ist die Klägerin dieser Verpflichtung nachgekommen. Sie mußte daher wissen, daß ihr die gezahlten Bezüge an Ausgleichsrente nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden. Da die Einkommenserhöhung höher ist als die durch sie weggefallene Ausgleichsrente von monatlich 5.- DM, ist die Erstattung durch Einbehaltung von Teilen der Versorgungsbezüge auch wirtschaftlich vertretbar (§ 47 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes).
Mithin hat das SG im Ergebnis zu Recht die Klage gegen die Verwaltungsbescheide abgewiesen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen