Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung einer Ersatzkasse nach EKV § 5 Nr 7
Leitsatz (amtlich)
Stellte die Ersatzkasse einem Mitglied, das nach ErstKVtr- Ärzte § 1 Nr 2 nicht anspruchsberechtigt war, dennoch einen Krankenschein aus, so haftet sie dem das Mitglied behandelnden Vertragsarzt bis zur Höhe der doppelten Vertragssätze (§ 5 Abs 7 aaO), ohne daß der Vertragsarzt zunächst seine Forderung gegen das Mitglied eingeklagt hatte.
Leitsatz (redaktionell)
1. Stellt ein zur Ersatzkassenpraxis zugelassener Arzt fest, daß ein Ersatzkassenmitglied oder dessen Familienangehöriger nicht berechtigt ist, auf Krankenschein behandelt zu werden, so muß er vor einer Inanspruchnahme der Ersatzkasse aus EKV § 5 Nr 7 versuchen, seine Honorarforderung von dem einzuziehen; im Falle der Weigerung des Patienten ist es dem Arzt aber nicht zumutbar, das mit einem Zivilprozeß verbundene Risiko auf sich zu nehmen.
2. Wer sich auf Krankenschein in die Behandlung eines Arztes begibt, muß die Versicherungsbedingungen der Ersatzkasse und die gleichlautenden Vereinbarungen des EKV gegen sich gelten lassen.
Normenkette
EKV-Ä § 5 Nr. 7 Fassung: 1950-09-12, § 1 Nr. 2 Fassung: 1950-09-12
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 1965 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers aus § 5 Nr. 7 des Arzt/Ersatzkassenvertrages idF vom 12. Mai 1950 (AEV-1950). Der Kläger ist an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) behandelte er im ersten Quartal 1963 den Beigeladenen gegen Vorlage eines Krankenscheins, den die beklagte Ersatzkasse (EK), deren Mitglied der Beigeladene ist, für die Behandlung ausgestellt hatte. Nachdem der Kläger später zu der Überzeugung gekommen war, der Beigeladene sei als Fleischwarengroßhändler mit Rücksicht auf § 1 Abs. 2 AEV-1950 nicht berechtigt, auf Krankenschein behandelt zu werden, weil er ein die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigendes Einkommen habe, rechnete er nicht über die Kassenärztliche Vereinigung ab, sondern übersandte dem Beigeladenen eine Rechnung über 20 DM, deren Begleichung dieser jedoch ablehnte. Darauf forderte der Kläger von der Beklagten gemäß § 5 Nr. 7 AEV-1950 für die Behandlung des Beigeladenen die doppelten Mindestsätze der EK-ADGO und erhob, nachdem die Beklagte sich geweigert hatte, diese zu entrichten, Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14 DM zu zahlen. Das Sozialgericht (SG) hat dem Klagantrag entsprochen (Urteil vom 13. Dezember 1963). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Beklagte sei nicht befugt gewesen, dem Beigeladenen einen Krankenschein auszuhändigen, da er ein Einkommen gehabt habe, das die Grenze für eine Anspruchsberechtigung auf einen Krankenschein überstiegen habe. Mangels Vereinbarung komme ein Privatrechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht zustande, der Arzt habe überhaupt keine Möglichkeit, seine in der Regel höhere Honorarforderung aus privatem Behandlungsvertrag gegen den Patienten geltend zu machen, er habe also bereits dadurch, daß er auf den durch den Krankenschein hervorgerufenen Rechtsschein der Anspruchsberechtigung des Patienten vertraut habe, einen Schaden erlitten. Ein Verschulden der Krankenkasse bei Ausstellung des Krankenscheins sei ebenfalls nicht Voraussetzung für ihre primäre Haftung.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die zugelassene Revision eingelegt und diese wie folgt begründet:
Der Wille der Vertragsparteien des AEV-1950, zu dem sie sich zu äußern deswegen für befugt halte, weil sie beim Zustandekommen der umstrittenen Vertragsbestimmung mitgewirkt habe, sei dahin gegangen, in den Fällen, in denen keine Anspruchsberechtigung bestehe, ein Privatrechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient vorauszusetzen. An ein Wahlrecht des Arztes, entweder den Patienten oder die EK in Anspruch zu nehmen, sei bei Abschluß des AEV-1950 nicht gedacht worden, ebensowenig an ein Verschulden der EK. Dem Kläger sei es nach Treu und Glauben zuzumuten gewesen, seine Forderung gegenüber dem Patienten (Versicherten) nicht nur zu erheben, sondern auch mit allen geeigneten Mitteln durchzusetzen.
Die Beklagte hat beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils und unter Abänderung des Urteils des SG Düsseldorf vom 13. Dezember 1963 die Klage kostenfällig abzuweisen,
hilfsweise:
das angefochtene Urteil sowie die ihm zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen in E zurückzuverweisen.
Der Kläger hat beantragt,
die Revision der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Beigeladene war nicht vertreten.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch aus § 5 Nr. 7 AEV-1950 zu, ohne daß diese die Einrede der Vorausklage geltend machen kann. Nach der genannten Vereinbarung haftet die Vertragskasse zur Abgeltung des Schadens, der daraus entstanden ist, daß einem Nichtanspruchsberechtigten ein Krankenschein ausgestellt wurde, dem Vertragsarzt für die Bezahlung seiner dem Patienten ausgestellten Rechnung, jedoch nur bis zur Höhe der doppelten Vertragssätze. Anspruchsberechtigt auf einen Krankenschein ist nach § 1 Nr. 2 Satz 2 AEV-1950 derjenige Selbständige, der zu den Versicherungsberechtigten i.S. des § 176 RVO gehört oder der bis zum Wechsel oder bis zur Aufgabe eines Angestelltenberufs anspruchsberechtigtes Mitglied der Vertragskasse gewesen ist. Der Beigeladene gehörte jedoch, wie zwischen den Beteiligten unbestritten ist, nicht zu den Anspruchsberechtigten im vorgenannten Sinne. Die EK hat demnach dem Beigeladenen zu Unrecht einen Krankenschein ausgestellt. Ob dieses auf einem Verschulden der Kasse beruht oder nicht, kann offenbleiben; denn auf ein solches kommt es nicht an (vgl. Urteil des Senats vom 24. September 1968 - 6 RKa 17/66 -).
Die EK meint allerdings, an ein Wahlrecht des Arztes, entweder seinen Patienten oder die EK in Anspruch zu nehmen, sei bei der Formulierung des § 5 Nr. 7 AEV-1950 nicht gedacht worden. Dieser Frage brauchte der Senat jedoch nicht nachzugehen. In dem zur Entscheidung stehenden Fall hat der Kläger nicht gewählt. Er hat vielmehr vorerst dem Beigeladenen eine Rechnung über 20 DM übersandt, und erst nachdem dieser die Bezahlung der Rechnung ernstlich abgelehnt hatte, die EK in Anspruch genommen. Er hat also zunächst versucht, seine Forderung einzuziehen, ehe er die Beklagte in Anspruch genommen hat. Damit ist auf jeden Fall dem Erfordernis des § 5 Nr. 7 AEV-1950 genügt, daß dem Patienten eine Rechnung "ausgestellt" worden sein muß, bevor die EK in Anspruch genommen wird.
Es kann dem Arzt, wenn die Bestimmung in § 5 Nr. 7 AEV-1950 überhaupt einen Sinn haben soll, nicht zugemutet werden, erst im Wege eines u.U. langwierigen Zivilprozesses mit dem dadurch bedingten Prozeßrisiko zu versuchen, seine Forderung durchzusetzen; denn ob er damit Erfolg haben würde, erschien zumindest bis 1967 zweifelhaft. Erst damals wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3. Februar 1967 (NJW 1967 S. 673) bekannt, nach der derjenige, der sich auf Grund des Krankenscheins in die Behandlung eines Arztes begibt, die Versicherungsbedingungen der Krankenkasse und die gleichlautenden Vereinbarungen des AEV gegen sich gelten lassen muß. Noch die mit der Revision angefochtene Entscheidung war davon ausgegangen, zwischen einem Nichtanspruchsberechtigten, der einen von seiner Kasse ausgestellten Krankenschein vorlegt, und dem Arzt, der daraufhin den Patienten widerspruchslos behandelt, sei überhaupt kein Vertrag über Dienste höherer Art (Behandlungsvertrag) zustande gekommen, weil es an einer Einigung nach §§ 145 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches mangele. Unterliegt "nun" aber der Arzt im Zivilprozeß, so hat er mangels Anspruchsgrundlage keine Möglichkeit, sich hinsichtlich der Prozeßkosten bei der EK schadlos zu halten. Es ist deswegen für den Anspruch nach § 5 Nr. 7 AEV-1950 ausreichend, daß der Arzt durch Ausstellung einer Rechnung versucht, von seinem Patienten sein Honorar zu erhalten. Weigert sich der Patient, dann ist der Arzt berechtigt, die den Krankenschein erteilende Vertragskasse in Anspruch zu nehmen. Diese Auffassung wird auch der Interessenlage gerecht; denn der Arzt hat in viel geringerem Maße als die Krankenkasse die Möglichkeit festzustellen, ob ein bei ihm mit Krankenschein vorsprechender Patient tatsächlich anspruchsberechtigt ist oder nicht. Er muß sich daher auf den Rechtsschein des Krankenscheins grundsätzlich verlassen dürfen, und es darf ihm nicht ein höheres Risiko - in Gestalt kostspieliger Einziehungsversuche - aufgebürdet werden als der EK.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen