Leitsatz (amtlich)
1. Die Beteiligung eines leitenden Krankenhausarztes an der ambulanten kassenärztlichen Versorgung kann grundsätzlich nicht auf Überweisung durch bestimmte Gruppen von Kassenärzten, insbesondere nur durch Fachärzte, beschränkt werden.
2. Zu einem Rechtsstreit zwischen einer KÄV und einem Berufungsausschuß über die Beteiligung eines Krankenhausarztes sind die Landesverbände der Krankenkassen nicht notwendig beizuladen.
Normenkette
RVO § 368a Fassung: 1955-08-17; SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; ZO-Ärzte § 29 Fassung: 1957-05-28
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1968 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat dem Beigeladenen zu 1. die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die klagende Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) wendet sich gegen die vom beklagten Berufungsausschuß (BA) ausgesprochene Beteiligung des beigeladenen Chefarztes Dr. med. habil. M (M.), soweit dieser an der kassenärztlichen Versorgung auf Überweisung durch sämtliche Kassenärzte, nicht nur durch Gynäkologen beteiligt worden ist.
Dr. M., der 1919 geboren und seit 1956 Facharzt für Frauenkrankheiten ist, war bis Ende 1958 Oberarzt und Privatdozent an der Frauenklinik der Universität L. Seit Anfang 1959 ist er Privatdozent an der Universität H. Vom Frühjahr 1961 an war er Oberarzt an einer H Frauenklinik, bis er am 1. März 1965 als Chefarzt an die Frauenklinik des O Landeskrankenhauses S berufen wurde. Diese Klinik, an der er auch jetzt noch tätig ist, besitzt eine mit öffentlicher Unterstützung eingerichtete Krebsberatungsstelle. Sie hat ferner ein Speziallaboratorium für die Diagnose endokrinologischer Störungen. Außer auf diesen Gebieten verfügt Dr. M. über besondere Erfahrungen in der Behandlung der Sterilität. Auf seinen Antrag vom April 1965 beteiligte ihn der örtlich zuständige Zulassungsausschuß an der ambulanten kassenärztlichen Versorgung, jedoch nur "auf Überweisung von Fachärzten für Gynäkologie". Auf seinen Widerspruch ließ der beklagte BA diese Beschränkung fallen, hielt andererseits aber seine Beteiligung nur auf den Gebieten der Krebserkrankungen, der Endokrinologie und der Sterilitätsberatung sowie zur ambulanten Nachbehandlung im Anschluß an einen Krankenhausaufenthalt für erforderlich. Auf den genannten Gebieten besitze Dr. M. besondere Kenntnisse und Erfahrungen, die auch der versicherten Bevölkerung zugänglich gemacht werden müßten; die in seiner Klinik, insbesondere im Krebsforschungszentrum, anwendbaren neuesten Untersuchungsmethoden ständen den frei praktizierenden Gynäkologen im allgemeinen nicht zur Verfügung.
Gegen diesen Beschluß hat die KÄV Klage erhoben mit dem Ziel, die Beteiligung des beigeladenen Dr. M. entsprechend dem Beschluß des Zulassungsausschusses wieder auf Überweisung durch Gynäkologen zu beschränken. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat eine solche Beschränkung für rechtlich unzulässig gehalten und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Auch das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Zulässigkeit der fraglichen Beschränkung nach dem Wortlaut des die Beteiligung regelnden § 368 a Abs. 8 der Reichsversicherungsordnung - RVO - ("auf Überweisung durch Kassenärzte") vor allem aber nach dessen Sinn und Zweck verneint: Auch die behandelnden praktischen Ärzte müßten im Interesse der Versicherten, die das Recht der freien Arztwahl hätten, in der Lage sein, sich die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen des beigeladenen Dr. M. nutzbar zu machen; sie dürften auch nicht genötigt werden, eine Überweisung an Dr. M. erst noch "von einem anderen Facharzt - sozusagen als zweite Instanz - überprüfen zu lassen". Die Befürchtung der KÄV, dem Beigeladenen würden ohne Einschaltung von Gynäkologen nur oder vorwiegend Patienten zur Vornahme von Krebsvorsorgeuntersuchungen, die noch nicht zu den Kassenleistungen gehörten, überwiesen, sei ebensowenig berechtigt wie das Vorbringen, der Beigeladene könne im Falle einer unbegrenzten Überweisungsmöglichkeit nicht alle überwiesenen Patienten persönlich versorgen (Urteil vom 26. Juni 1968).
Gegen dieses Urteil hat die klagende KÄV die zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt zunächst, daß zum Verfahren nur die Landesverbände der Orts- und Landkrankenkassen, nicht die der Betriebs- und Innungskrankenkassen beigeladen worden seien. In der Sache sei sie mit dem beklagten BA - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - darin einig, daß eine Beteiligung auch auf Überweisung durch Fachärzte beschränkt werden könne. Der Wortlaut des § 368 a Abs. 8 RVO und des § 29 der Zulassungsordnung für Ärzte spreche nicht zwingend für die Auslegung des LSG; dieses habe vielmehr den Worten des Gesetzes ("auf Überweisung durch Kassenärzte") unzulässig das Adjektiv "alle (Kassenärzte)" hinzugedacht. Zweck der genannten Vorschriften sei, den Versicherten die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen der Krankenhausärzte zugänglich zu machen, soweit dafür ein Bedürfnis bestehe; die Beteiligung sei deshalb "differenziert und gezielt" auszusprechen. Das bedinge auch eine Differenzierung in der Überweisung entweder durch alle Kassenärzte oder nur durch Fachärzte. Entgegen der Ansicht des LSG würden durch eine "Zwischenschaltung" von Fachärzten den Versicherten die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen der Krankenhausärzte nicht vorenthalten. Das LSG habe somit die Klage aus einem unzutreffenden Grund abgewiesen und zu Unrecht nicht geprüft, ob überhaupt ein Bedürfnis für eine Beteiligung des Beigeladenen auf Überweisung durch sämtliche Kassenärzte bestehe. Diese Prüfung müsse nachgeholt werden. Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 26. Juni 1968 und des Urteils des SG Hannover vom 8. November 1967 den Beschluß des Beklagten vom 30. März 1966 aufzuheben.
Der beklagte BA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zwar sei entgegen der Ansicht des beigeladenen Dr. M. auch eine Beteiligung auf Überweisung nur durch Fachärzte zulässig; hier sei jedoch "aus der Sache heraus" eine Beteiligung des Beigeladenen auf Überweisung durch alle Kassenärzte geboten gewesen.
Der beigeladene Dr. M. beantragt ebenfalls,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Das LSG habe zutreffend entschieden, daß eine Beteiligung nur auf Überweisung durch Fachärzte unvereinbar sei mit dem Grundanliegen des Gesetzes, den Versicherten eine ausreichende ärztliche Versorgung und die freie Arztwahl zu gewährleisten.
Auch der beigeladene Landesverband der Ortskrankenkassen beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, die Auffassung der Klägerin würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, daß z.B. eine Versicherte mit Krebsverdacht einen "dreifachen ärztlichen Instanzenzug" bis zur Untersuchung durch den Beigeladenen durchlaufen müßte.
Der Landesverband der Landkrankenkassen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
II
Die Revision der klagenden KÄV kann keinen Erfolg haben. Unbegründet ist zunächst ihre Verfahrensrüge, das LSG habe die Beiladung der Landesverbände der Betriebs- und der Innungskrankenkassen, die nach § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendig gewesen sei, zu Unrecht unterlassen. Der angefochtene Beschluß des BA, durch den der beigeladene Dr. M. für bestimmte Bereiche seines Fachgebietes an der ambulanten kassenärztlichen Versorgung beteiligt worden ist, hat rechtliche Beziehungen unmittelbar nur zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin geschaffen (§ 368 a Abs. 4 i.V.m. § 368 a Abs. 8 Sätze 1 und 3 RVO). Nur die Klägerin ist deshalb an dem streitigen Rechtsverhältnis im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG "beteiligt". Zwar steht auch den Landesverbänden der Krankenkassen gegen eine Entscheidung der Zulassungsinstanzen über die Beteiligung eines Krankenhausarztes ein selbständiges Anfechtungsrecht zu (§ 368 b Abs. 4 RVO). Damit hat der Gesetzgeber jedoch lediglich anerkannt, daß durch eine solche Entscheidung die "berechtigten Interessen" der Krankenkassen berührt werden. Sie können daher nach § 75 Abs. 1 SGG von Amts wegen oder auf Antrag zum Verfahren beigeladen werden. Ein Fall der notwendigen Beiladung (§ 75 Abs. 2 SGG) liegt dagegen nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, daß das LSG hier mit der Unterlassung der Beiladung der Verbände der Betriebs- und der Innungskrankenkassen, die an dem Ausgang des Rechtsstreits offenbar weniger als die Ortskrankenkassen interessiert sind, die Grenzen seines richterlichen Ermessens überschritten hat (vgl. dazu Urteil des Senats vom 21. September 1967, 6 RKa 27/65, S. 11 f, in BSG 27, 146 nicht mit abgedruckt).
Auch in der Sache kann der Senat der Klägerin nicht folgen. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß eine auf Überweisung durch Fachärzte beschränkte Beteiligung grundsätzlich nicht zulässig ist.
Richtig ist allerdings, daß das Gesetz den leitenden Krankenhausärzten einen Anspruch auf Beteiligung nur gibt, "sofern eine Beteiligung notwendig ist, um eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten" (§ 368 a Abs. 8 Satz 1 RVO). Das bedeutet, da der Verwaltung insoweit kein Ermessensspielraum eingeräumt ist, daß eine Beteiligung auch nur erfolgen darf, wenn ein Bedürfnis dafür besteht. Dieser Regelung mag, wie die Klägerin meint, der Gedanke zugrundeliegen, daß die ambulante kassenärztliche Versorgung der Versicherten in erster Linie den in freier Praxis niedergelassenen Kassenärzten obliegen, mit der Beteiligung von Krankenhausärzten also nur eine Versorgungslücke ausgefüllt werden soll. Auch eine solche Auslegung des § 368 a Abs. 8 RVO, mit der im Ergebnis das Wort "sofern" in "soweit" umgedeutet wird, rechtfertigt jedoch keine Bedürfnisprüfung in der Richtung, ob die Beteiligung nach den Umständen des Einzelfalles lediglich eine Überweisung durch Fachärzte erfordert, so daß diese dann insoweit einzuschränken wäre.
Auffällig ist schon, daß das Gesetz selbst in § 368 a Abs. 8 RVO nur von einer Beteiligung "auf Überweisung durch Kassenärzte" spricht und daß auch die Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 28. Mai 1957 (BGBl I, 572), die den Umfang der Beteiligung der leitenden Krankenhausärzte näher regelt und dabei ausdrücklich eine Beschränkung auf bestimmte einzelne Leistungen zuläßt (§ 29 Abs. 2 und 3 i.V.m. § 368 c Abs. 2 Nr. 12 RVO), eine Beschränkung der Überweisung auf Fachärzte nicht erwähnt. Das braucht zwar nicht zu bedeuten, daß der Gesetz- und der Verordnungsgeber die Möglichkeit, daß ein Krankenhausarzt nur auf Überweisung durch Fachärzte beteiligt wird, bewußt haben ausschließen wollen ("beredtes Schweigen"). Es kann auch sein, daß sie die genannte Möglichkeit übersehen haben und deswegen insoweit eine Regelung unterblieben ist. Daß es so gewesen sein kann, genügt jedoch allein nicht, um den Zweifel gerade in diesem Sinne zu lösen. Der Richter muß vielmehr nach Würdigung aller Umstände die Gewißheit haben, daß tatsächlich eine echte - ungewollte - Gesetzeslücke vorliegt. Er muß ferner, wenigstens mit annähernder Sicherheit, überzeugt sein, daß für die Ausfüllung der Lücke nach dem Gesamtplan des Gesetzes nur ein einziger Weg in Betracht kommt, daß von ihm also keine rechtspolitische Entscheidung unter mehreren Alternativen gefordert wird, die allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist (vgl. dazu Haueisen, DOK 1968, 661, 663). Diese Überzeugung hat der Senat hier - mit den Vorinstanzen - nicht gewinnen können.
Wenn der Gesetzgeber beabsichtigt hat, die Krankenhausärzte nur insoweit an der ambulanten Versorgung der Versicherten zu beteiligen, als dafür ein Bedürfnis besteht, - soweit damit nämlich den Versicherten besondere, sonst nicht vorhandene ärztliche Kenntnisse und Erfahrungen zugänglich gemacht werden (BSG 21, 230) -, dann würde es dieser Absicht allerdings zuwiderlaufen, wenn ein beteiligter Arzt auch in solchen Fällen in Anspruch genommen werden könnte, in denen es seiner besonderen Kenntnisse und Erfahrungen nicht bedarf, etwa weil der Fall weniger schwierig ist oder einer der örtlich erreichbaren Kassenärzte selbst die erforderlichen Spezialkenntnisse besitzt. Es mag auch sein, daß ein für das betreffende Fachgebiet zuständiger Spezialist im allgemeinen besser als der behandelnde praktische Arzt beurteilen kann, ob es im Einzelfall angezeigt ist, einen Krankenhausarzt hinzuzuziehen oder nicht. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß gerade für den Facharzt, in dessen Hand die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Krankenhausarztes liegt, erhebliche wirtschaftliche Interessen auf dem Spiele stehen, weil im Falle einer Weiterüberweisung des Versicherten an den Krankenhausarzt eben dieser die Leistungen erbringt und auch die Vergütung erhält. Deshalb ist in der Tat die - im angefochtenen Urteil geäußerte - Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, daß, wenn nur Fachärzte Überweisungen an beteiligte Krankenhausärzte vornehmen dürften, die besondere Qualifikation der Krankenhausärzte den Versicherten nicht in allen Fällen, in denen dies möglich und sachlich geboten wäre, nutzbar gemacht würde oder daß Versicherte wegen der "Zwischenschaltung" eines Facharztes und des dadurch notwendig verlängerten "Instanzenzuges" dem Krankenhausarzt nicht rechtzeitig genug vorgestellt würden. Es kommt hinzu, daß den Krankenkassen durch eine solche Zwischenschaltung zusätzliche Kosten entstehen und die Versicherten sich in ihrem Recht auf freie Arztwahl (§ 368 d RVO) beeinträchtigt fühlen könnten; auch die praktischen Ärzte würden darin möglicherweise eine unzumutbare Einengung ihres eigenen Behandlungsspielraums erblicken. Diese Bedenken wiegen so schwer, daß sich nicht ausschließen läßt, daß sie sich auch der Gesetzgeber bei einer etwaigen gesetzlichen Neuregelung des Beteiligungsrechts zu Eigen machen würde. Unter diesen Umständen hält sich der Senat nicht für befugt, die fragliche Beteiligungsform (Überweisung nur durch Fachärzte) im Wege der ergänzenden richterlichen Rechtsfindung vorwegzunehmen.
Damit ist nicht entschieden, ob eine solche Beschränkung der Beteiligung ausnahmsweise dann zulässig ist, wenn der Krankenhausarzt sie selbst beantragt, etwa weil er sonst zu stark in Anspruch genommen würde und nicht in der Lage wäre, die ihm überwiesenen Versicherten neben seiner Krankenhaustätigkeit ausreichend persönlich zu betreuen. In Fällen dieser Art würde es nicht nur dem "Antragsprinzip" des § 368 a Abs. 8 RVO, sondern auch den Interessen der Versicherten entsprechen, den Krankenhausarzt gemäß seinem - eingeschränkten - Antrage nur auf Überweisung durch Fachärzte zu beteiligen (vor allem an solche Ausnahmefälle denken anscheinend Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 4. Aufl., Anm. 5 zu § 29 ZO-Ärzte). Ein Fall dieser Art liegt hier jedoch nicht vor. Die Beteiligung des beigeladenen Dr. M. durfte somit, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, schon aus den genannten rechtlichen Gründen nicht auf Überweisung durch Fachärzte beschränkt werden. Auf die von der Klägerin geforderte Überprüfung des Bedürfnisses kommt es deshalb nicht an, ihre Revision gegen das Urteil des LSG ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen