Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsfreiheit einer berufspraktischen Tätigkeit
Orientierungssatz
1. Eine berufspraktische Tätigkeit während eines durch Studien- oder Prüfungsordnungen vorgeschriebenen Praxissemesters ("Zwischenpraktikum") ist versicherungsfrei nach RVO § 172 Abs 1 Nr 5 und AVG § 4 Abs 1 Nr 4 (= RVO § 1228 Abs 1 Nr 3) sowie beitragsfrei gemäß AFG § 169 Nr 1.
2. Das von einem Studenten ausgeübte Praktikum kann, soweit es Teil einer Hochschulausbildung ist, grundsätzlich nicht als betriebliche Berufsbildung iS des § 19 BBiG sowie des § 7 Abs 2 SGB 4 angesehen werden.
Normenkette
BBiG § 19; RVO § 175 Nr. 1 Fassung 1975-12-11; AFG § 169 Nr. 1 Fassung: 1975-05-07; SGB IV § 7 Abs. 2 Fassung 1976-12-23; AVG § 4 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 172 Abs. 1 Nr. 5 Fassung 1975-06-24, § 165 Abs. 1 Nr. 6 Fassung 1975-06-24, § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 165 Abs. 1 Nr. 1 Fassung 1945-03-17, § 1228 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 07.11.1979; Aktenzeichen L 4 Kr 7/79) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 02.01.1979; Aktenzeichen S 2 Kr 23/78) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als eingeschriebener Student während eines in der Studienordnung vorgeschriebenen Praktikums als abhängig Beschäftigter der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlag.
Der Kläger studierte seit dem Wintersemester 1975/76 Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz. Nach der Prüfungsordnung für diesen Studiengang gliedert sich das Studium in ein zweijähriges sozialwissenschaftliches Grundstudium, ein sich daran anschließendes achtmonatiges Praktikum ("Zwischenpraktikum") und ein zweijähriges Hauptstudium der Verwaltungswissenschaften. Das Praktikum ist bei einer öffentlich oder privaten Verwaltung abzuleiten; es soll den Studenten mit seinen späteren Berufsmöglichkeiten vertraut machen und ihm ermöglichen, seine volle Arbeitskraft für eine Tätigkeit in einem Aufgabengebiet einzusetzen, das er in seinem bisherigen Studium in seinen theoretischen Grundzügen bereits kennenlernen konnte.
Der Kläger leistete sein Zwischenpraktikum vom 1. August 1977 bis 31. März 1978 bei dem zu 3) beigeladenen Landkreis ab; während dieser Zeit blieb er als Student an der Universität Konstanz eingeschrieben. Er war dem Ordnungsamt zugewiesen und versah dort selbständig veterinäraufsichtliche Aufgaben. Der beigeladene Landkreis zahlte dem Kläger unter Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrages -BAT- zunächst ein monatliches Entgelt von 545,96 DM und ab September 1977 wegen guter Arbeitsleistung eine Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe IX BAT.
Der beigeladene Landkreis führte ab August 1977 für den Kläger Gesamtsozialversicherungsbeiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ab. Dagegen erhob der Kläger erfolglos Widerspruch (Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 1978 und Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 1978).
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat den Widerspruchsbescheid mit Urteil vom 2. Januar 1979 aufgehoben und Versicherungsfreiheit des Klägers während der streitigen Zeit festgestellt: Auch Studierende, die ein Praktikum als Teil ihrer wissenschaftlichen Ausbildung absolvierten, seien von der Versicherungspflicht als abhängig Beschäftigte freigestellt.
Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil mit Urteil vom 7. November 1979 aufgehoben: Da der Kläger die ihm übertragenen Aufgaben als vollwertige Arbeitskraft versehen und die Vergütung eines Angestellten erhalten habe, sei er versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die nur auf die sogenannten "Werkstudenten" zugeschnittenen Regeln über die Versicherungsfreiheit der Studenten seien auf den Kläger nicht anwendbar.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision des Klägers. Er meint, als Zwischenpraktikant nach §§ 172 Abs 1 Nr 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO), 4 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und 169 Nr 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AVG) versicherungsfrei gewesen zu sein, weil sein Praktikum Teil seines Studiums gewesen sei. Darüber hinaus entspreche es auch der - der Neugestaltung der studentischen Krankenversicherung zugrunde liegenden - Absicht des Gesetzgebers, einen Wechsel des Versicherungsgrundes während der Dauer des Studiums zu vermeiden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom
7. November 1979 aufzuheben und die Berufungen
zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger sei während der Ableistung seines Praktikums nach der Art seiner Tätigkeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die Beigeladene zu 1) meint darüber hinaus, die Ausdehnung der Regelung über die Versicherungsfreiheit von Studenten auf Zwischenpraktikanten widerspreche den Absichten des Gesetzgebers.
Die Beigeladenen zu 2) und zu 3) haben keine Anträge gestellt.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben; die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) gegen das erstinstanzliche Urteil sind zurückzuweisen, weil der Kläger entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht während seines Verwaltungspraktikums nicht versicherungspflichtig beschäftigt war.
Wie in dem ebenfalls am 17. Dezember 1980 ergangenen und zur Veröffentlichung bestimmten Urteil in der parallel liegenden Sache 12 RK 10/79 kann der Senat auch hier offenlassen, ob das vom Kläger abgeleistete Praktikum überhaupt eine Beschäftigung im Sinne von § 7 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften - (SGB 4) war. Ein Praktikum, das Teil der Berufsausbildung ist und deshalb - wenn keine Besonderheiten vorliegen - auch als Ausbildungsverhältnis anzusehen ist (vgl BSGE 46, 241 = SozR 2200 § 1229 Nr 7), mag zwar dem Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen dienen. Auch dann gilt es aber nach § 7 Abs 2 SGB 4 nur im Rahmen einer betrieblichen Berufsbildung als Beschäftigung. Praktika, die Teil einer Hochschulausbildung sind, fallen nicht unter die betriebliche Berufsbildung im Sinne von § 19 des Berufsbildungsgesetzes (vgl BAG, Urteil vom 19. Juni 1974 - 4 AZR 436/73 -, BAGE 26, 198, 204 = AP Nr 3 zu § 3 BAT).
Diese Frage kann jedoch, wie in der Sache 12 RK 10/79, auch hier letztlich dahinstehen, weil der Kläger in jedem Fall aufgrund der §§ 172 Abs 1 Nr 5 RVO, 4 Abs 1 Nr 4 AFG und 169 Nr 1 AFG in allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungs- und beitragsfrei war, soweit sich eine Versicherungs- und Beitragspflicht aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ergeben konnte. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits entschieden, daß ein während der Semesterferien abgeleistetes Praktikum versicherungs- und beitragsfrei ist, weil der Studierende unabhängig davon, ob er in den Semesterferien als Werkstudent oder in anderer Weise tätig wird, seinem Erscheinungsbild nach Student bleibt (vgl dazu BSG, Urteil vom 22. Februar 1980 - 12 RK 34/79 -; BSG, Urteil vom 29. September 1980 - 4 RJ 27/79 -; erkennender Senat, Urteil vom 17. Dezember 1980 aaO). Diese Abgrenzung gilt, wie der erkennende Senat in der Parallelsache 12 RK 10/79 näher begründet hat, nicht nur für die sogenannten Werkstudenten, sondern auch für die Ableistung der in einer Studienordnung vorgeschriebenen Praktika während eines laufenden Studiensemesters. Denn auch solche Zwischenpraktikanten bleiben ihrem Erscheinungsbild nach Studenten. Mehr noch als für Werkstudenten gilt für sie der noch heute unverändert gültige Gedanke, daß ein Student, der seinem Status nach nicht zu dem von der Sozialversicherung erfaßten Personenkreis der Beschäftigten gehört, auch nicht aufgrund meist kurzfristiger Beschäftigung vorübergehend in die Sozialversicherung einbezogen werden soll. Stattdessen hat der Gesetzgeber, wie in der Sache 12 RK 10/79 dargelegt, Studenten sozialrechtlich anderweit abgesichert (Anspruch auf Ausbildungsförderung nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung -BAFöG- vom 26. August 1971/9. April 1976; Anerkennung der Regelstudienzeiten als Ausfallzeiten - §§ 1259 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO, 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b AVG -; Unfallversicherungsschutz - § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO -; eigenständig geregelte gesetzliche Krankenversicherung - §§ 165 Abs 1 Nr 5 und Nr 6, 173 d, 175 RVO -).
Die Notwendigkeit, Studenten allein nach den für die geltenden Sondervorschriften zu behandeln, solange sie ihrem Erscheinungsbild nach Student bleiben, folgt nicht zuletzt auch aus dem Grundsatz der versicherungsrechtlichen Kontinuität, wonach ein Wechsel des Versicherungsgrundes während des Studiums möglichst vermieden werden soll (vgl dazu Bundestags-Drucks 7/3640, S 5, Begründung zu § 1 Nr 3); dieser Grundsatz muß erst recht gelten, wenn der Student eine Beschäftigung nicht neben seinem Studium ausübt, sondern aufgrund der Studienbestimmungen - als Bestandteil des Studiums - eine berufspraktische Tätigkeit ableistet (erkennender Senat aaO).
Aus alledem folgt, daß "Zwischenpraktikanten" - wie sonstige Studenten - nur nach § 165 Abs 1 Nr 5 und Nr 6 RVO krankenversicherungspflichtig sind; dieser besonderen studentischen Versicherungspflicht steht die Vorschrift über die Versicherungsfreiheit in § 172 Abs 1 Nr 5 RVO nicht entgegen, weil die Versicherungsfreiheit von einer Studentenversicherung nach § 165 Abs 1 Nr 5 und Nr 6 in § 175 Nr 1 RVO eigenständig geregelt und dort § 172 Abs 1 Nr 5 RVO nicht genannt worden ist (erkennender Senat aaO). Da schließlich die Versicherungspflicht der Studenten zur Rentenversicherung und ihre Beitragspflicht zur B für A bisher nicht vorgesehen ist, ist auch der Kläger im Rahmen seiner - hier allein streitigen - Beschäftigung als Zwischenpraktikant weder in der Kranken- noch in der Rentenversicherung versicherungspflichtig und deshalb auch nicht beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung. Damit entspricht die Entscheidung des SG der Sach- und Rechtslage. Die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
RegNr, 9012 |
DAngVers 1981, 424 (ST1) |
Das Beitragsrecht Meuer, 425 A 3 a 34 (ST1) |
USK 80283, (OT1, ST1) |
DBlR 2671a, (ST1) |
Die Beiträge 1981, 229-232 (ST1) |