Leitsatz (redaktionell)
Die Lohnsteuerpflicht für den einem Beamtenanwärter gezahlten Unterhaltszuschuß zieht grundsätzlich auch die Beitragspflicht in der Sozialversicherung nach sich.
Normenkette
RVO § 160 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 165 Abs. 2 Fassung: 1956-06-12; AVG § 9 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1232 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. September 1960 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Mai 1958 wird zurückgewiesen.
Kosten sind im Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die klagende Bundespost den früher bei ihr beschäftigten Beigeladenen in der Angestelltenversicherung (AnV) nachversichern muß. Der Beigeladene war seit Oktober 1954 Postassistentanwärter und als solcher Beamter auf Widerruf; er wurde für den mittleren Postdienst ausgebildet und bezog einen monatlichen Unterhaltszuschuß zwischen 360,- und 431,- DM; hiervon wurden keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt, da er als versicherungsfrei behandelt wurde; im August 1956 schied er freiwillig aus dem Postdienst ohne Versorgung aus.
Mit Bescheid vom 8. Juli 1957 verlangte die Beklagte von der Klägerin die Überweisung von Nachversicherungsbeiträgen. Der Widerspruch der Klägerin und ihre Klage beim Sozialgericht (SG) blieben ohne Erfolg. Auf ihre Berufung hob das Landessozialgericht (LSG) die Entscheidungen der Beklagten und des SG auf. Nach seiner Meinung ist der Beigeladene nicht nachzuversichern, weil er auch ohne seine beamtenrechtliche Versicherungsfreiheit nicht versicherungspflichtig gewesen wäre. Er sei nicht gegen Entgelt beschäftigt worden, da der Unterhaltszuschuß keinen Gegenwert für eine Arbeitsleistung dargestellt habe. Daß der Unterhaltszuschuß lohnsteuerpflichtig gewesen sei, könne - entgegen BSG 6, 47 - die Beitragspflicht in der Sozialversicherung nicht begründen.
Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie rügte eine Verletzung des § 18 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) aF bzw. des § 1242 a Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, des § 19 der Zweiten Verordnung (VO) über die Vereinfachung des Lohnabzugs - 2. LAV - vom 24. April 1942 (RGBl I 252) und des Gemeinsamen Erlasses - Gem. Erl. - des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944 II 281).
Die Klägerin beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene war im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II.
Die Revision ist zulässig und auch begründet.
Ob beim Ausscheiden aus einer versicherungsfreien Beschäftigung eine Nachversicherungspflicht entsteht, beurteilt sich, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist, nach dem Recht, das im Zeitpunkt des Ausscheidens gilt (BSG 1, 219). Der Beigeladene ist im August 1956 aus dem Postdienst ausgeschieden; die maßgebende Rechtsgrundlage bilden daher, wie das LSG zutreffend angenommen hat, die §§ 1 Abs. 6 AVG, 1242 a RVO, beide idF der Ersten VO zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung - 1. VereinfVO - vom 17. März 1945 (RGBl I 41); diese Fassung ist spätestens vom 7. September 1949 an, im gesamten Bundesgebiet in Kraft gewesen (BSG 15, 65).
Die Pflicht zur Nachversicherung des Beigeladenen besteht danach, wenn dieser
1) von Oktober 1954 bis August 1956 nach den §§ 169, 172 Abs. 1 Nr. 1, 174, 1230 RVO i. V. m. den §§ 1 Abs. 6 AVG, 1228 RVO - sämtlich idF der 1. VereinfVO (BSG aaO) - in der AnV versicherungsfrei war,
2) aus der versicherungsfreien Beschäftigung in Ehren und ohne Versorgung ausgeschieden ist und
3) ohne die bezeichnete Versicherungsfreiheit versicherungspflichtig gewesen wäre.
Die beiden ersten Voraussetzungen sind unter den Beteiligten nicht streitig und auch vom LSG bejaht worden. Wie dieses dargelegt hat, war der Beigeladene in der fraglichen Zeit nach § 169 RVO versicherungsfrei. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob sich die Versicherungsfreiheit außerdem aus § 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO herleiten ließ, da die Entscheidung über die Nachversicherungspflicht hierdurch nicht beeinflußt wird.
Soweit das LSG dagegen die dritte Voraussetzung verneint hat, kann ihm nicht gefolgt werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der bezogene Unterhaltszuschuß ohne die Vorschriften im ersten Abschnitt des Gem. Erl. vom 10. September 1944 als Entgelt i. S. der §§ 160, 165 RVO zu werten wäre. Auf Grund dieser Vorschriften ist er jedenfalls als Entgelt zu behandeln, weil er der Lohnsteuerpflicht unterlag. Nach Abschnitt 1 Satz 1 des Gem. Erl. sind die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich - wenn keine Ausnahmen vorgeschrieben sind, was hier nicht der Fall ist - von dem Betrag zu berechnen, nach dem auch die Lohnsteuer berechnet wird. Aus Wortlaut und Sinn dieser Bestimmung hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) geschlossen, daß die Lohnsteuerpflicht die Beitragspflicht in der Sozialversicherung nach sich zieht (an sie gebunden und mit ihr gekoppelt ist) und daß es, wenn die Lohnsteuerpflicht für bestimmte Bezüge bejaht wird, nicht mehr der Prüfung bedarf, ob die Bezüge auch Entgelt i. S. des § 160 RVO sind (BSG 6, 47, 55 ff). Diese Auffassung hat der 3. Senat in einer späteren Entscheidung (BSG 15, 65, 69) aufrechterhalten; dort ist noch ausgeführt, daß zwar die Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt - ob Arbeit in abhängiger Stellung geleistet wird - allein nach Sozialversicherungsrecht zu beurteilen ist, daß sich hingegen die Entgeltlichkeit des Beschäftigungsverhältnisses auf Grund des § 19 Abs. 1 der 2. LAV i. V. m. dem Gem. Erl. vom 10. September 1944 danach richtet, ob die Bezüge aus dem Beschäftigungsverhältnis lohnsteuerpflichtig sind. Dem hat sich der 1. Senat des BSG angeschlossen (BSG 17, 206, 208). Auch der erkennende Senat stimmt dieser Auslegung zu.
Was das LSG hiergegen vorbringt, greift nicht durch. Wenn sowohl die Ermächtigungsnorm des § 19 Abs. 1 der 2. LAV als auch der auf ihr beruhende Abschnitt des Gem. Erl. in der Überschrift und im jeweils ersten Satz vorschreiben, daß die gesetzlichen Lohnabzüge (Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge) grundsätzlich nach der gleichen "Bemessungsgrundlage" zu "berechnen" sind, so läßt dies nicht den Schluß zu, in den genannten Vorschriften sei nur die Beitragsberechnung, nicht auch zugleich die Beitragspflicht (Versicherungspflicht) geregelt und deshalb komme die Berechnung auf gleicher Grundlage nur für die Bezüge in Frage, die im Sinne des Sozialversicherungsrechts Entgelt seien. Dagegen spricht schon die Überschrift zu § 19 der 2. LAV, die lautet "Angleichung der Bemessungsgrundlagen (Arbeitslohn und Entgelt) für die gesetzlichen Lohnabzüge"; der Klammerzusatz macht deutlich, daß Arbeitslohn und Entgelt begrifflich gleichgestellt werden sollen. Vor allem aber nötigt der Zweck der Vorschriften zu der hier vertretenen Auslegung; denn wie der 3. Senat (BSG 6, 56) bereits hervorgehoben hat, wird die erstrebte Vereinfachung des Lohnabzugs nur dann wirklich erreicht, wenn sowohl die Frage, ob bestimmte Bezüge steuerrechtlich als Arbeitslohn anzusehen sind, als auch die Frage, ob sie sozialversicherungsrechtlich Entgelt darstellen, grundsätzlich gleich beantwortet wird.
Der Unterhaltszuschuß des Beigeladenen hat der Lohnsteuerpflicht unterlegen (BFH, Urteil vom 1. Juli 1954, BStBl 1955 III 14, 16; BSG 15, 69 f; 17, 208); er gilt daher als Entgelt i. S. der §§ 160, 165 RVO. Das hat zur Folge, daß der Beigeladene während seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin von Oktober 1954 bis August 1956 ohne die damalige Versicherungsfreiheit in der AnV versicherungspflichtig gewesen wäre (§ 1 AVG aF). Damit ist aber auch die dritte Voraussetzung für die Nachversicherungspflicht erfüllt.
Die weiter erörterte Frage, ob sich die Nachversicherungspflicht noch aus anderen Vorschriften (Art 2 § 4 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes) herleiten ließe, bedarf hiernach keiner Entscheidung.
Auf die Revision der Beklagten ist daher das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen