Verfahrensgang

SG Bremen (Urteil vom 19.09.1979)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 19. September 1979 aufgehoben.

Die Klage wegen des Bescheides vom 28. Februar 1978 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1978 wird abgewiesen.

Im übrigen (Bescheid vom 13. Dezember 1978) wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit wird um die Fortgewährung eines Kinderzuschusses geführt.

Der Kläger bezieht seit dem 1. März 1977 von der Beklagten Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Mit Bescheid vom 8. März 1977 bewilligte sie ihm von demselben Zeitpunkt an Kinderzuschuß für seinen im August 1954 geborenen Sohn Markus. Dieser wurde damals bei der Deutschen Bank AG in Bremen zum Bankkaufmann ausgebildet und erhielt eine Ausbildungsvergütung von zunächst 565,– DM brutto monatlich. Sie sollte nach einem Jahr auf 635,– DM steigen. Infolge einer Änderung des Tarifvertrages erhöhte sie sich sodann auf 715,– DM monatlich ab 1. Oktober 1977. Zugleich erhielt der Sohn des Klägers von diesem Zeitpunkt an aufgrund des Dritten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Drittes Vermögensbildungsgesetz – 3. VermBG) in der Fassung vom 15. Januar 1975 (BGBl I S. 257) eine vermögenswirksame Leistung von monatlich 52,– DM.

Durch Bescheid vom 28. Februar 1978 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Kinderzuschuß sei mit Ablauf des 30. September 1977 entfallen, weil die Bruttobezüge des Sohnes über dem Grenzwert lägen. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1978).

Der Kläger erhob deswegen Klage zum Sozialgericht (SG) Bremen. Während des Klageverfahrens beendete sein Sohn am 15. Juli 1978 die Ausbildung und nahm nach dem Ausscheiden aus einem nachfolgenden Angestelltenverhältnis bei der Deutschen Bank am 15. Oktober 1978 ein Hochschulstudium auf. Die Beklagte bewilligte deswegen dem Kläger mit Bescheid vom 13. Dezember 1978 ab 1. Oktober 1978 zunächst für die Zeit bis zum 30. April 1979 Kinderzuschuß. Gegen den hiernach zu gewährenden Betrag verrechnete sie den in der Zeit vom 1. Oktober 1977 bis 31. März 1978 überzahlten Kinderzuschuß. Mit einem weiteren Bescheid vom 18. Mai 1979 wurde dem Kläger Kinderzuschuß auch für die Zeit ab 1. Mai 1979 gewährt.

Das SG hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28. Februar 1978 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1978 sowie der Bescheide vom 13. Dezember 1978 und 18. (nicht: 10.) Mai 1979 verurteilt, dem Kläger von Oktober 1977 bis Juli 1978 Kinderzuschuß für seinen Sohn zu zahlen (Urteil vom 19. September 1979). Zur Begründung hat es ausgeführt:

Dem Kläger habe der Kinderzuschuß auch von Oktober 1977 bis Juli 1978 zugestanden. Die Bruttobezüge seines Sohnes hätten den Grenzwert von 750,– DM monatlich (§ 39 Abs. 5 Satz 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes –AVG– in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur – Haushaltsstrukturgesetz, HStruktG – vom 18. Dezember 1975; BGBl I S. 3015) nicht überschritten. Die vermögenswirksame Leistung von monatlich 52,– DM sei den Bruttobezügen nicht hinzuzurechnen. Zwar sei sie nach dem 3. VermBG eine steuerpflichtige Einnahme im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG), Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung und arbeitsrechtlich Bestandteil des Lohns oder Gehaltes. Sie werde jedoch von vornherein nur unter der Bedingung einer erheblichen Verfügungsbeschränkung – Festanlage auf fünf Jahre – gezahlt und stehe damit dem Auszubildenden für seinen laufenden Lebensunterhalt nicht zur Verfügung. Demgemäß habe das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 27. Januar 1977 (BSG SozR 4100 § 44 Nr. 10) bereits entschieden, daß vermögenswirksame Leistungen auf die Zahlung von Unterhaltsgeld nicht gemäß § 44 Abs. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) angerechnet werden dürften. Dasselbe müsse im Rahmen des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG gelten. Dies entspreche auch der Ansicht der Bundesanstalt für Arbeit für den Bereich des Kindergeldrechts.

Das SG hat die Sprungrevision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel mit Zustimmung des Klägers eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG und trägt zur Begründung vor:

Das SG habe seine Auffassung zu Unrecht auf das Urteil des BSG vom 27. Januar 1977 gestützt. § 44 Abs. 4 AFG beschränke den Einkommensbegriff auf von vornherein bereinigte Entgeltleistungen; diese müßten außerdem, was durch das Wort „erzielt” unterstrichen werde, dem Berechtigten zur sofortigen Verfügung stehen. Demgegenüber sei der in § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG verwendete Begriff der Bruttobezüge kein „Nettoeinkommensbegriff”. Der Vorschrift, welche von „zustehenden” Bruttobezügen spreche, könne auch das Moment der sofortigen Verfügbarkeit nicht entnommen werden. Für den Begriff der Bruttobezüge sei entscheidend, daß sie aufgrund eines Ausbildungsverhältnisses oder in bezug hierauf gewährt würden. Dabei seien alle Bezüge zu berücksichtigen, die für die Bemessung der Lohnsteuer herangezogen würden. Dazu gehörten auch die vermögenswirksamen Leistungen. Bei der Ermittlung des Grenzwertes des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG komme es für Zeiten nach dem 30. Juni 1977 auf den Entgeltbegriff des § 14 des Sozialgesetzbuchs, Viertes Buch, Gemeinsame Vorschriften (SGB 4) vom 23. Dezember 1976 (BGBl I S. 3845) an. Sowohl nach den Materialien zum HStruktG als auch nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 SGB 4 müßten zu den Bruttobezügen im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG das aus dem Ausbildungsverhältnis zustehende Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB 4 und zu diesen laufenden Einnahmen wiederum die vermögenswirksamen Leistungen gezählt werden. Dabei sei unerheblich, ob sofort oder erst nach einem gewissen Zeitraum und ob vom Auszubildenden selbst oder vom Ausbilder über die Einnahmen verfügt werden könne. Schließlich habe das BSG vermögenswirksame Leistungen auch zum „Entgelt oder Arbeitseinkommen” nach § 25 Abs. 4 Satz 1 Buchst b) AVG gerechnet.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 19. September 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–) erteilt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im wesentlichen begründet.

Begründet im Sinne einer abschließenden Sachentscheidung (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG) ist das Rechtsmittel insoweit, als das SG die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 28. Februar 1978 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1978 verurteilt hat, dem Kläger für die Zeit vom Oktober 1977 bis Juli 1978 Kinderzuschuß zu zahlen. Diese Verurteilung kann keinen Bestand haben.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte dem Kläger den bis dahin gewährten Kinderzuschuß mit Ablauf des 30. September 1977 entzogen. Das ist verwaltungsverfahrensrechtlich unbedenklich. Der Rechtmäßigkeit des Bescheides steht nicht entgegen, daß der Bescheid vom 8. März 1977 über die Bewilligung des Kinderzuschusses bindend geworden ist. Zwar ist der nicht oder erfolglos angefochtene Verwaltungsakt grundsätzlich für die Beteiligten in der Sache bindend. Das gilt jedoch nur, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 77 SGG). Als anderweitige Bestimmung in diesem Sinne kommt im vorliegenden Fall § 39 Abs. 7 AVG in Betracht. Danach wird der Kinderzuschuß vom Beginn des Monats an, in dem die Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind, bis zum Ende des Monats gewährt, in dem sie entfallen. Der nachträgliche Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen berechtigt somit den Versicherungsträger ungeachtet der Bindungswirkung eines früheren Bewilligungsbescheides zum Entzug des Kinderzuschusses (vgl. zu ähnlichen Fällen BSGE 43, 238, 240 = SozR 2200 § 1268 Nr. 9 S. 31 f; BSGE SozR 2200 § 1301 Nr. 7 S. 15).

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Kinderzuschuß für den Sohn des Klägers sind mit Ablauf des Monats September 1977 entfallen. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 AVG erhöht sich ua das Altersruhegeld für jedes Kind um den Kinderzuschuß. Er wird im allgemeinen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und darüber hinaus längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Kind gewährt, das sich ua in Berufsausbildung befindet (§ 39 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AVG). Letzteres gilt nicht, wenn das Kind sich in Ausbildung befindet und ihm aus dem Ausbildungsverhältnis Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 750,– DM monatlich zustehen (§ 39 Abs. 3 Satz 4 AVG in der Fassung des HStruktG).

Dies ist beim Sohn des Klägers ab 1. Oktober 1977 der Fall gewesen. Er hat seither Bruttobezüge aus seinem Ausbildungsverhältnis im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG in Höhe von 767,– DM erhalten. Zu ihnen gehören neben der eigentlichen Ausbildungsbeihilfe von 715,– DM auch die vermögenswirksamen Leistungen von 52,– DM monatlich. Bereits der 11. Senat des BSG (Urteil vom 10. Juni 1980 – 11 RA 76/79 –; zur Veröffentlichung in SozR 2200 § 1262 Nr. 13 vorgesehen) hat entschieden, daß die tariflich zustehende vermögenswirksame Leistung nach dem 3. VermBG Entgelt bzw Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung sei und zu den Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis gemäß § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG rechne. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Er teilt dabei insbesondere die vom 11. Senat vertretene Ansicht, daß in der hier allein maßgeblichen Zeit nach Inkrafttreten des SGB 4 am 1. Juli 1977 der Begriff der Bruttobezüge im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG identisch ist mit demjenigen des Arbeitsentgelts im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB 4 und hierzu auch tariflich zustehende vermögenswirksame Leistungen gehören.

Der Begriff der Bruttobezüge ist in § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG selbst nicht definiert worden. Die Vorschrift ist mit Wirkung ab 1. Juli 1976 durch Art. 17 § 2 HStruktG eingefügt worden. Nach der Begründung zu letzterer, erst während der Beratungen des Haushaltsausschusses in den Gesetzentwurf aufgenommener Bestimmung soll sich die Grenze von 750,– DM im Interesse der Verwaltungsvereinfachung auf die Brutto-Vergütung beziehen (vgl. BT-Drucks 7/4224, S. 23; 7/4243, S. 7 und 15). Angesichts dessen ist es – abgesehen davon, daß die Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis bezogen werden muß – im übrigen gerechtfertigt, sie mit dem Bruttoarbeitsentgelt im Sinne des § 112 Abs. 3 Buchst a) AVG (= § 1385 Abs. 3 Buchst a der Reichsversicherungsordnung –RVO–) gleichzusetzen. Das gilt um so mehr, als die Vorschrift das Bruttoarbeitsentgelt aller nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG versicherungspflichtigen Personen und somit auch der als Lehrling oder sonst zu ihrer Ausbildung für den Beruf eines angestellten Beschäftigten umfaßt, § 112 Abs. 3 Buchst a) AVG seinerseits verweist hinsichtlich des Begriffs des Bruttoarbeitsentgelts auf § 160 RVO. Diese Verweisung ist inzwischen gegenstandslos geworden. § 160 RVO ist mit Wirkung ab 1. Juli 1977 aufgehoben (vgl. Art. II § 1 Nr. 1 Buchst a, § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB 4) und durch § 14 SGB 4 ersetzt worden. § 14 SGB 4 verwendet den Begriff des „Bruttoarbeitsentgelts” nicht mehr ausdrücklich. Statt dessen wird in § 14 Abs. 1 SGB 4 der Begriff des „Arbeitsentgelts” definiert. Dieser ist jedoch identisch mit demjenigen des „Bruttoarbeitsentgelts”. Das ergibt sich einmal daraus, daß § 14 Abs. 1 SGB 4 im wesentlichen dem inzwischen außer Kraft getretenen § 160 Abs. 1 RVO entspricht (vgl. Urteil des BSG vom 27. März 1980 – 12 RK 56/78 –). Zum anderen ist durch § 14 SGB 4 im Gegensatz zu dem vorher bestehenden Rechtszustand zwar wieder ein vom Steuerrecht gelöster eigenständiger Begriff des Arbeitsentgelts geschaffen worden. Dieser soll jedoch in möglichst weitgehende Übereinstimmung mit dem Steuerrecht gebracht werden (§ 17 Satz 2 SGB 4; vgl. Merten in Gemeinschaftskommentar zur Sozialversicherung, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, 1978, § 14, Anm. 7). Schließlich folgt der Charakter des Arbeitsentgelts im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB 4 als Bruttogröße auch aus einem Umkehrschluß aus § 14 Abs. 2 SGB 4 (Merten, aaO, Anm. 18). Nach alledem ist es unter Berücksichtigung der nach dem Inkrafttreten des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG stattgefundenen gesetzlichen Entwicklung gerechtfertigt, den darin gebrauchten Begriff der „Bruttobezüge” gleichzusetzen mit dem Begriff des „Arbeitsentgelts” im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB 4.

Hierzu gehören auch die vermögenswirksamen Leistungen nach dem 3. VermBG (ebenso Merten, aaO, Anm. 40), Dies entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 12 Abs. 5 des 3. VermBG sind vermögenswirksame Leistungen – im Gegensatz zu der Arbeitnehmer-Sparzulage (vgl. § 12 Abs. 2 des 3. VermBG) – steuerpflichtige Einnahmen im Sinne des EStG und Einkommen, Verdienst oder Entgelt (Arbeitsentgelt) im Sinne der Sozialversicherung und des AFG. Hieran anknüpfend sind in der Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung (Arbeitsentgeltverordnung – ArEV) vom 6. Juli 1977 (BGBl I S. 1208) vermögenswirksame Leistungen nicht von der Anrechnung auf das Arbeitsentgelt ausgenommen worden, obgleich nach der der ArEV zugrundeliegenden Ermächtigungsnorm des § 17 Satz 1 SGB 4 auch laufende Zulagen, Zuschläge oder Zuschüsse zu Löhnen oder Gehältern ganz oder teilweise nicht dem Arbeitsentgelt zugerechnet werden können. Demzufolge hat der 5, Senat des BSG bereits im Urteil vom 20. Januar 1976 (BSG SozR 2200 § 1248 Nr. 9 S. 23) ausgesprochen, daß im Rahmen des § 1248 Abs. 4 Satz 1 Buchst b) RVO (= 25 Abs. 4 Satz 1 Buchst b AVG) tariflich zustehende vermögenswirksame Leistungen Teil des Entgelts oder Arbeitseinkommens seien. Ebenso sind sie zu den Bruttobezügen im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG zu zählen. Hierfür ist es entgegen der Auffassung des SG unerheblich, daß die vermögenswirksamen Leistungen auf die Dauer von 5 Jahren fest angelegt werden müssen und wegen dieser erheblichen Verfügungsbeschränkung nicht sogleich für den Lebensunterhalt des Arbeitnehmers zur Verfügung stehen. Trotz dieser Einschränkungen hinsichtlich der Verfügbarkeit über die Leistungen handelt es sich gleichwohl um Bezüge, die im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 4 AVG „zustehen”. Hierfür reicht aus, daß der Auszubildende aufgrund des Ausbildungsverhältnisses einen Anspruch auf die Gewährung der Leistung hat, selbst wenn sie ihm gemäß der Zielsetzung des 3. VermBG erst in einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung steht. Aus dem Urteil des BSG vom 27. Januar 1977 (BSG SozR 4100 § 44 Nr. 10) läßt sich nichts anderes herleiten. Hierin hat der 7. Senat ausgesprochen, daß eine vermögenswirksame Leistung nicht schon mit ihrer Gewährung im Sinne des § 44 Abs. 4 AFG erzielt worden und deswegen nicht auf das Unterhaltsgeld anzurechnen ist. Die Entscheidung (aaO, S. 31) besagt nur, daß im Sinne des § 44 Abs. 4 AFG ein Einkommen erst „erzielt” ist, wenn der Berechtigte hierüber verfügen kann. § 39 Abs. 3 Satz 4 AFG stellt jedoch nicht auf die „Erzielung”, sondern auf das „Zustehen” von Bezügen aus dem Ausbildungsverhältnis ab. Diese Voraussetzung ist – wie erwähnt – allein mit der Entstehung des Anspruchs auf die Gewährung der Leistung erfüllt.

Die Beklagte hat nach alledem in ihrem Bescheid vom 28. Februar 1978 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1978 zu Recht festgestellt, daß die Voraussetzungen für die Gewährung eines Kinderzuschusses für den Sohn des Klägers mit Ablauf des 30. September 1977 weggefallen seien. Insofern muß die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abgewiesen werden.

Das Urteil kann ebenfalls keinen Bestand haben, soweit das SG auch den Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 1978 aufgehoben hat. Allerdings kann der Senat in diesem Umfange nicht abschließend entscheiden. Vielmehr muß der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Der Bescheid vom 13. Dezember 1978 ist im Einklang mit dem ihm beigegebenen Hinweis Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt wird, auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Der in § 96 Abs. 1 SGG verwendete Begriff des „Abänderns” oder „Ersetzens” ist nicht auf den unmittelbaren Wortsinn zu beschränken. Vielmehr reicht es für eine zumindest entsprechende Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG aus, daß der neue Bescheid wenigstens den Streitstoff (den Prozeßstoff, das Prozeßziel) des bereits anhängigen Rechtsstreits beeinflußt oder berührt und auf diese Weise ein innerer Zusammenhang zwischen beiden Bescheiden besteht und daß weiterhin die Grundgedanken der Vorschrift – sinnvolle Prozeß Ökonomie durch ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren, Schutz des Betroffenen vor möglichen Rechtsnachteilen durch Nichterhebung einer gesonderten Klage wegen des neuen Verwaltungsaktes – eine Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes rechtfertigen (vgl. jeweils mit eingehenden weiteren Nachweisen BSGE 47, 168, 170 = SozR 1500 § 96 Nr. 13 S. 19 ff; BSGE 47, 241, 243 f = SozR 4100 § 134 Nr. 11 S. 26 f.; Urteil des Senats vom 24. April 1980 – 1 RA 33/79 –). Das gilt auch für den Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 1978. Hierdurch ist dem Kläger nicht nur für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 30. April 1979 erneut Kinderzuschuß bewilligt worden. Vielmehr hat die Beklagte zugleich den sich aus dieser Bewilligung ergebenden Zahlbetrag gegen ihren (angeblichen) Anspruch auf Rückzahlung des in der Zeit vom 1. Oktober 1977 bis 31. März 1978 überzahlten Kinderzuschusses aufgerechnet. Jedenfalls hinsichtlich dieses den Kläger beschwerenden Teils steht der Bescheid vom 13. Dezember 1978 in einem engen inneren Zusammenhang mit demjenigen vom 28. Februar 1978. Denn die Aufrechnung gegen einen (angeblichen) Anspruch auf Rückzahlung überzahlten Kinderzuschusses setzt notwendigerweise voraus, daß eine solche Überzahlung stattgefunden hat. Das wiederum ist von der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 28. Februar 1978 abhängig. Der Bescheid vom 13. Dezember 1978 ist demnach in das anhängige Klageverfahren einbezogen worden.

Über seine Rechtmäßigkeit kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Hierzu bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen. Nach dem Gesamtzusammenhang der Gründe des angefochtenen Urteils hat das SG den Bescheid vom 13. Dezember 1978 in seinem den Kläger beschwerenden Teil deswegen für rechtswidrig gehalten, weil der Kläger auch für den hier streitigen Zeitraum Anspruch auf Kinderzuschuß hat und deswegen nicht zur Rückgewähr überzahlter Beträge verpflichtet sein kann. Diese Begründung kann angesichts dessen, daß aus den vorstehend aufgeführten Gründen der Bescheid vom 28. Februar 1978 rechtmäßig ist, nicht durchgreifen. Allein daraus folgt jedoch noch nicht die Rechtmäßigkeit auch des Bescheides vom 13. Dezember 1978.

Die Beklagte hat hierin gegen den Anspruch des Klägers auf Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 30. April 1979 mit ihrem (angeblichen) Anspruch auf Rückzahlung der vom 1. Oktober 1977 bis 31. März 1978 überzahlten Beiträge aufgerechnet. Rechtsgrundlage für eine derartige Aufrechnung ist § 51 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs, Erstes Buch, Allgemeiner Teil (SGB 1) in seiner hier maßgeblichen ursprünglichen Fassung vom 11. Dezember 1975 (BGBl I S. 3015). Hiernach kann der zuständige Leistungsträger ua mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen. Der Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. Oktober 1977 bis 31. März 1978 ist dem Kläger zu Unrecht gewährt worden. Das allein berechtigt die Beklagte indes nicht zur Aufrechnung. Der Kläger muß auch zur Rückzahlung der zu Unrecht geleisteten Beträge verpflichtet sein. § 51 Abs. 2 SGB 1 regelt nur, welche Ansprüche die Träger von Sozialleistungen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen aufrechnen dürfen. Hingegen bestimmt er nicht, unter welchen Voraussetzungen zu Unrecht erbrachte Sozialleistungen zu erstatten sind. Dies ist den für das jeweilige Rechtsgebiet maßgeblichen Vorschriften zu entnehmen (vgl. Urteil des BSG vom 26. Juni 1980 – 8a RU 2/79 –; Maier/Hannemann/Laufer/Konieczka/Eibs, Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 1978, § 51, Anm. 3.1).

Maßgebliche Rechtsvorschrift ist im vorliegenden Fall § 80 AVG. Hiernach braucht die Beklagte eine Leistung nicht zurückzufordern, die sie vor rechtskräftiger Entscheidung zahlen mußte oder zu Unrecht gezahlt hat. Sie darf eine Leistung nur zurückfordern, wenn sie für die Überzahlung kein Verschulden trifft und nur soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand, und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist.

Das SG hat – ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, daß schon der Bescheid vom 28. Februar 1978 rechtswidrig sei – keine Erörterungen zur Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 13. Dezember 1978 enthaltenen Rückforderung angestellt. Dementsprechend sind tatsächliche Feststellungen hierzu im angefochtenen Urteil nicht enthalten. Sie sind vom SG nachzuholen. Bezüglich der Reihenfolge der Prüfung ist dabei folgendes zu berücksichtigen: Zunächst ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 80 Satz 2 AVG erfüllt sind. Dabei wiederum ist zuerst zu prüfen, ob die Beklagte an der Überzahlung des Kinderzuschusses ein Verschulden trifft und ob und gegebenenfalls in welcher Weise (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit, leichte Fahrlässigkeit) der Kläger die Überzahlung verschuldet hat. Ein eventuelles Verschulden beider Beteiligter ist unter Heranziehung der vom BSG entwickelten Kriterien (vgl. BSG SozR 2200 § 1301 Nr. 7 S. 16 ff.; BSGE 47, 180, 181 = SozR 2200 § 1301 Nr. 8 S. 20; BSGE 48, 190, 192 = SozR 2200 § 1301 Nr. 11 S. 30) gegeneinander abzuwägen. Erst wenn diese Prüfung und Abwägung ergeben sollte, daß den Kläger im Sinne der zweiten Voraussetzung des § 80 Satz 2 AVG ein Verschulden trifft, ist nach Feststellung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse weiter darüber zu befinden, ob die Rückforderung des überzahlten Kinderzuschusses wirtschaftlich vertretbar ist (vgl. Urteil des BSG vom 10. Juni 1980 – 11 RA 76/79 –). Ist auch diese Voraussetzung erfüllt, so ist schließlich zu erörtern, ob die Beklagte gemäß § 80 Satz 1 AVG von einer Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Leistung absehen kann. Insofern ist zu berücksichtigen, daß § 80 Satz 1 AVG eine regelrechte Ermessensnorm ist (vgl. BSGE 48, 8, 10 f. = SozR 2200 § 1301 Nr. 10 S. 27 f.; BSGE 48, 190, 193 = SozR 2200 § 1301 Nr. 11 S. 31 f.; Urteil vom 10. Juni 1980 – 4 RJ 103/79 –). Die Ermessensentscheidung ist nur dann rechtswidrig, wenn der Versicherungsträger die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage fehlen bislang jegliche tatsächliche Grundlagen. Insbesondere läßt der angefochtene Bescheid vom 13. Dezember 1978 nicht erkennen, ob und ggf von welchen Ermessenserwägungen sich die Beklagte bei ihrer Rückforderungsentscheidung hat leiten lassen. Dies berechtigt den Senat allerdings nicht, von einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz abzusehen und den Bescheid vom 13. Dezember 1978 hinsichtlich seines den Kläger belastenden Teils aufzuheben. Zwar bedarf es insbesondere dann, wenn der Versicherte die Überzahlung lediglich leicht fahrlässig herbeigeführt hat, im allgemeinen einer Darlegung der vom Versicherungsträger angestellten Ermessenserwägungen im Rückforderungsbescheid (vgl. BSGE 48, 8, 11 f. = SozR 2200 § 1301 Nr. 10 S. 27 f.). In Ausnahme fällen jedoch kann von einer gesonderten Begründung der Ermessenserwägungen abgesehen werden. Das gilt etwa dann, wenn die Ermessensgründe auf der Hand liegen bzw dem Versicherten bekannt sind oder wenn der Versicherte gewußt hat, daß ihm die gezahlte Leistung nicht zugestanden hat (vgl. im einzelnen Urteil des BSG vom 10. Juni 1980 – 4 RJ 103/79 –; zur Veröffentlichung in SozR 2200 § 1301 Nr. 12 vorgesehen). Die Feststellung, ob eine dieser Ausnahmevoraussetzungen gegeben ist, liegt auf tatsächlichem Gebiet. Sie ist dem Revisionsgericht verwehrt und obliegt allein dem Tatsachengericht. Der Senat kann somit über die Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 13. Dezember 1978 ausgesprochenen Rückforderung und Aufrechnung gegen die Leistungsansprüche des Klägers nicht abschließend entscheiden. Vielmehr muß der Rechtsstreit in diesem Umfange an das SG zurückverwiesen werden.

Soweit das SG schließlich den Bescheid vom 18. Mai 1979 über die Weiterbewilligung des Kinderzuschusses für die Zeit ab 1. Mai 1979 aufgehoben hat, kann das angefochtene Urteil ebenfalls keinen Bestand haben. Hierüber kann der Senat wiederum abschließend entscheiden. Der Bescheid ist entgegen dem in ihm enthaltenen Hinweis nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Er hat das Prozeßziel des bereits anhängigen Rechtsstreits – Fortgewährung bzw Belassung des Kinderzuschusses für die Zeit vom 1. Oktober 1977 bis 31. März 1978 – nicht berührt. Angesichts seines ausschließlich begünstigenden Inhaltes ist seine Einbeziehung in das laufende Verfahren auch nicht zum Schutze des Klägers vor möglichen Rechtsnachteilen erforderlich gewesen. Demgemäß ist wegen dieses Bescheides eine Klage nicht anhängig geworden; das SG hat über seine Rechtmäßigkeit nicht entscheiden dürfen.

Bei seiner erneuten Sachentscheidung wird das SG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI925843

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