Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 22.12.1967) |
SG Oldenburg (Urteil vom 16.03.1967) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Dezember 1967 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 16. März 1967 wird zurückgewiesen.
Kosten sind im Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der im Januar 1900 geborene Kläger erhält von der Beklagten Altersruhegeld ab Januar 1965. Nach Berufstätigkeiten als Büroangestellter Stadtinspektor, Wehrmachtsbeamter, Regierungsoberinspektor und Stabsintendant war der Kläger von März 1946 bis August 1959 im Hydrierwerk Zeitz (einem Betrieb mit 5000 Beschäftigten in der DDR) tätig. Er war dort seit Juli 1949 als Betriebsbuchhalter beschäftigt und in seinem Arbeitsgebiet auch für die Lehrlingsausbildung zuständig. Von dieser Beschäftigungszeit hat die Beklagte bei der Berechnung des Altersruhegeldes für die Bezugszeit bis Juni 1965 nur die Beschäftigungszeit nach März 1951, für die Bezugszeit ab Juli 1965 die ganze Beschäftigungszeit angerechnet. Sie hat den Kläger während seiner Beschäftigung als Betriebsbuchhalter in die Leistungsgruppe B 3 der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) eingestuft. Die Klage auf Höherstufung nach B 2 hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat ihr stattgegeben und ausgeführt: Nach dem Berufskatalog der Leistungsgruppe 2 gehöre ein Betriebsbuchhalter über 45 Jahre zu dieser Gruppe. Der grundsätzliche Vorrang der Einstufung nach den Beschäftigungsmerkmalen entfalle, wenn die allgemeine Definition der Leistungsgruppe für die angeführten Berufe im Regelfall in wesentlichen Punkten nicht passe. Das sei bei der Tätigkeit des Buchhaltes der Fall. Buchhalter hätten grundsätzlich keine (eingeschränkte) Dispositionsbefugnis und meist auch keine Angestellten anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen. Im Urteil vom 15. März 1967 (SozR Nr. 3 zu § 22 FRG) habe das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, daß es Berufe gebe, bei denen es auf einzelne. Merkmale der Leistungsgruppendefinition nicht entscheidend ankomme. Diese Gedankengänge seien hier entsprechend anzuwenden. Der Kläger sei bei Beginn seiner Tätigkeit als Buchhalter schon über 45 Jahre alt und jahrelang als Wehrmachtsbeamter in verantwortungsvollen Stellungen tätig gewesen; er habe ein hohes Maß an Berufserfahrung für die Tätigkeit als Buchhalter gehabt. Ein Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 25. Oktober 1960 (BABl 1960, 151) zähle im übrigen in der Kriegsopferversorgung zur Leistungsgruppe 2 „ferner Angestellte mit umfassenden kaufmännischen und technischen Kenntnissen”. Es sei demnach nicht gerechtfertigt, den Kläger wegen Nichterfüllung von Beschäftigungsmerkmalen von der Leistungsgruppe 2 auszuschließen.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen
Sie rügt eine Verletzung des § 22 FRG und der Anlage 1 Sie räumt ein, daß der Berufskatalog zu der Leistungsgruppe B 2 Berufe erwähne, z. B. den Korrespondenten, das Mitglied eines Kulturorchesters und den Oberarzt, die gemeinhin nicht die allgemeinen Merkmale der Leistungsgruppe aufwiesen, so daß man hierin eine ausdrückliche Zuordnung zur Leistungsgruppe auf Grund der Berufsbezeichnung erblicken dürfe. Die Aufnahme des über 45 Jahre alten Bilanzbuchhalters und Lohnbuchhalters in den Katalog könne dagegen nur als beispielhafte Erwähnung verstanden werden. Diese Buchhalter seien darum nur dann in B 2 einzustufen, wenn auch die allgemeinen Beschäftigungsmerkmale vorlägen. Sie seien hier nicht erfüllt. Zudem habe das LSG übersehen, daß der Berufskatalog von B 2 nur Bilanz- und Lohnbuchhalter, nicht auch Betriebsbuchhalter anführe.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.
Der Senat kann dem LSGschon nicht darin folgen, daß der Kläger in der streitigen Zeit einen in dem Berufskatalog aufgeführten Beruf ausgeübt hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten erfaßt der Berufskatalog zwar nicht nur Bilanz- und Lohnbuchhalter, sondern alle Buchhalter, mithin auch den Betriebsbuchhalter. Der Katalog (vgl. auch den von B 3 und B 4) führt bei den männlichen Angestellten „Bilanzbuchhalter” und „Buchhalter (Lohnbuchhalter)” an. Der Klammerzusatz (Lohnbuchhalter) ist dabei nur beispielhaft gemeint. Das wird vor allem durch die einschlägigen Berufsbezeichnungen bei den weiblichen Angestellten (vgl. die Kataloge von B 2, 3 und 4) bestätigt, die bis auf den dort fehlenden Klammerzusatz die gleichen sind. Gleichwohl gehört der Kläger aber nicht zu den „Buchhaltern über 45 Jahre” des Berufskatalogs. In seinem Urteil vom 11. Dezember 1968 – 1 RA 73/68 – hat der 1. Senat des BSG entschieden (Leitsatz Nr. 2), wenn nach dem Berufskatalog die Einordnung eines Berufs in eine Leistungsgruppe von einem höheren Lebensalter abhänge, dann müsse der Beruf bis dahin auch stetig ausgeübt worden sein, das gelte u. a. für Buchhalterinnen – also auch für Buchhalter – von über 45 Jahren. Dem schließt sich der erkennende Senat an; der stetigen Ausübung des gleichen Berufs ist jedoch auch ein üblicher Berufsweg über andere Durchgangsberufe gleichzustellen. Weder das eine noch das andere war aber beim Kläger der Falle. Er hatte schon das 45. Lebensjahr vollendet, als er als Buchhalter tätig zu werden begann. Sein vorheriger beruflicher Werdegang entsprach nicht dem üblichen Berufsweg eines Buchhalters (Betriebsbuchhalters).
Der Kläger erfüllt auch nicht die Merkmale der allgemeinen Definition der Leistungsgruppe 2. Nach Satz 1 der Definition (Satz 2 kommt nicht in Betracht) gehören zu dieser Leistungsgruppe „Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben”. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hatte der Kläger als Betriebsbuchhalter in den Jahren 1949 bis 1959 jedenfalls keine Angestellten anderer Tätigkeitsgruppen (der Leistungsgruppen 3, 4 oder 5) einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger, wie das LSG ohne nähere Einzelheiten festgestellt hat, auch für die Lehrlingsausbildung „zuständig” gewesen ist. Denn die Lehrlinge sind keine Angestellten anderer Tätigkeitsgruppen, das verdeutlicht § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), der sie neben den Angestellten (vgl. auch § 3 AVG) gesondert der Versicherungspflicht unterwirft.
Das hat zur Folge, daß der Kläger nicht in die Leistungsgruppe 2 eingeordnet werden darf. Bei den Berufen des Buchhalters darf auf kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal der Leistungsgruppendefinition verzichtet werden. Zu Unrecht beruft sich das LSG demgegenüber auf SozR Nr. 3 zu § 22 FRG. Diese Entscheidung beruht auf der Erwägung, daß die Definition der Leistungsgruppen auf Beschäftigte der Privatwirtschaft (Handel und Industrie) ausgerichtet sind und darum nicht ohne weiteres auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst (z. B. Richter) angewandt werden können (ebenso Urteil des erkennenden Senats vom 5. Februar 1969, 11 RA 209/67). Der Beruf des Buchhalters ist jedoch ein Beruf des Handels und der Industrie, obgleich er sich auch im öffentlichen Dienst findet. Die Gedankengänge von SozR Nr. 3 zu § 22 FRG lassen sich daher auf den Buchhalter nicht entsprechend anwenden.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Definitionsmerkmale der Leistungsgruppen unter Umständen auch bei Berufen des Handels und der Industrie, insbesondere wenn sie im Berufskatalog aufgeführt sind, modifiziert werden müßten, wenn das eine oder andere Tätigkeitsmerkmal dem Berufsbild dieses Berufs nicht entspräche, Wenn überhaupt, dann käme – weil der Gesetzgeber die Tätigkeitsmerkmale der Definitionen als zwingende Tatbestandsmerkmale gestaltet hat – eine solche Modifikation nur in Betracht, wenn das Definitionsmerkmal entweder überhaupt nicht oder doch nur in seltenen Ausnahme fällen erfüllt sein könnte. Bei dem Buchhalter ist es Jedoch – zumal bei Buchhaltern über 45 Jahre – keineswegs selten, daß er Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen (untergeordnete Buchhalter) einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen hat. Dem entsprechend, hat auch der erkennende Senat in dem am gleichen Tag ergangenen Urteil – 11 RA 318/67 – ebenfalls dargelegt, daß gerade die in dem Berufskatalog mehrerer Leistungsgruppen aufgeführten Buchhalter im wesentlichen nach den allgemeinen Definitionen einzustufen sind.
Der vom LSG angeführte Runderlaß des BMA hat für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits keine Bedeutung.
Auf die Revision der Beklagten ist deshalb das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Dr. Haueisen, Dr. Schwarz, Dr. Buss
Fundstellen