Beteiligte
Landeshauptstadt Kiel, Sozialamt |
Bundesanstalt für Arbeit -Kindergeldkasse- |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. März 1997 geändert.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 19. April 1995 wird insgesamt zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Rückzahlung von Kindergeld, das die beklagte Kindergeldkasse im Wege der Abzweigung an die klagende Stadt ausgezahlt hat. Ursprünglich ging es um einen Betrag von 5.000 DM für den Zeitraum von Januar 1984 bis April 1992 (100 Monate zu je 50 DM). Im Revisionsverfahren ist nur noch über einen Erstattungsanspruch in Höhe von 2.600 DM für den Zeitraum von Januar 1988 bis April 1992 (52 Monate zu je 50 DM) zu entscheiden, nachdem im Berufungsverfahren die Klage hinsichtlich der Zeit bis Dezember 1987 (2.400 DM) erfolgreich war und die Beklagte von der Möglichkeit der Revision keinen Gebrauch gemacht hat.
Seit April 1966 befindet sich die an einer schweren geistigen Behinderung leidende Frau H. N. (geboren am 4. Oktober 1942) im Landeskrankenhaus Heiligenhafen. Für die Kosten ihrer Unterbringung kommt die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Trägerin der Sozialhilfe auf. Da die Untergebrachte wegen ihrer Behinderung nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, stand ihrem Vater nach § 1 Abs 1 iVm § 2 Abs 2 Nr 3 und Abs 3 Satz 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) Kindergeld für seine Tochter über das 27. Lebensjahr hinaus zu. Das Kindergeld wurde ihm ab Januar 1975 bewilligt und bis April 1976 ausgezahlt. Mit seiner Zustimmung überwies es die Beklagte ab Mai 1976 im Wege der Abzweigung an die Klägerin (Bescheide an den Kindergeldberechtigten und die Klägerin vom 29. Juli 1976). Die Mutter der Untergebrachten starb am 8. Februar 1981; ihr Vater, der Kindergeldberechtigte, starb am 1. Dezember 1983. Von seinem Tod erhielten die Klägerin und die Beklagte erst im Jahre 1992 Kenntnis. Daraufhin stellte die Beklagte die Kindergeldzahlungen ab Mai 1992 ein. Sie forderte die Klägerin auf, das ab Januar 1984 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 5.000 DM zu erstatten, da der Kindergeldanspruch mit dem Tod des Berechtigten erloschen sei. Die Leistungsbewilligung einschließlich der Abzweigungsentscheidung habe sich durch den Tod des Berechtigten „auf andere Weise erledigt”; einer zusätzlichen rückwirkenden Aufhebung der zugrundeliegenden Bescheide bedürfe es nicht. Die Zahlungen ab Januar 1984 seien „ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht” worden und in voller Höhe von der Klägerin zu erstatten (Bescheid vom 23. März 1993, Widerspruchsbescheid vom 20. August 1993).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage auf Aufhebung der Bescheide stattgegeben (Urteil vom 19. April 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage für die Zeit ab Januar 1988 abgewiesen, das Rechtsmittel aber im übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 6. März 1997). Es hat einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch angenommen, der dem Grunde nach berechtigt, für die Zeit bis Dezember 1987 jedoch infolge der von der Klägerin erhobenen Einrede der Verjährung nicht mehr durchsetzbar sei. Die Erstattungspflicht beschränke sich daher auf einen Betrag von 2.600 DM.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 50 und 103 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie begehrt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und macht sich die Ansicht des SG zu eigen, ein Erstattungsanspruch zwischen Sozialleistungsträgern könne nicht auf § 50 SGB X gestützt werden. Ein Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 2 SGB X scheitere zudem daran, daß die Kindergeldzahlungen aufgrund einer Abzweigung erfolgt seien, die sich durch den Tod des Berechtigten ihr gegenüber nicht iS des § 39 Abs 2 SGB X „erledigt” habe und daher während der gesamten Dauer der Zahlungen rechtlich Bestand gehabt habe. Eine rückwirkende Aufhebung der Abzweigungsentscheidung sei bisher nicht erfolgt. Die Aufhebung sei auch ausgeschlossen, weil die Klägerin ebenso wie die Beklagte erst im Jahre 1992 vom Tode des Berechtigten erfahren und daher ihre Mitwirkungspflicht (§ 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) nicht verletzt habe. Die Beklagte könne sich nicht auf einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch berufen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 6. März 1997 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Kiel vom 19. April 1995 insgesamt zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Berufungsentscheidung, hält daneben aber auch weiterhin die Regelung des § 50 Abs 2 SGB X für anwendbar. Auf Vertrauensschutzgesichtspunkte könne sich die Klägerin als Sozialleistungsträger nicht berufen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur vollständigen Wiederherstellung des der Klage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils, mit dem die angefochtenen Bescheide aufgehoben worden sind. Der Beklagten steht kein Anspruch auf Erstattung des an die Klägerin ab Januar 1984 ausgezahlten Kindergeldes zu. Ihr Erstattungsbescheid ist rechtswidrig.
Als Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs kommt hier allein § 50 Abs 2 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind (Satz 1). Die Regelungen der §§ 45 und 48 SGB X gelten dabei entsprechend (Satz 2). Der Erstattungsanspruch ist nicht gerechtfertigt, weil sich die Klägerin auf Vertrauensschutz entsprechend § 48 SGB X berufen kann.
Die Beklagte hat das Kindergeld für die auf Kosten der Klägerin untergebrachte Tochter des Kindergeldberechtigten über den 31. Dezember 1983 hinaus bis zum 30. April 1992 an die Klägerin in der Annahme überwiesen, die Kindergeldbewilligung aus dem Jahre 1975 und die Abzweigungsentscheidung vom 29. Juli 1976 seien unverändert wirksam, und der Leistungsanspruch des Kindergeldberechtigten und die Empfangsberechtigung der Klägerin habe auch in diesem Zeitraum bestanden. Es ist daher von einem Sozialleistungsträger eine öffentlich-rechtliche Sozialleistung in der Annahme erbracht worden, im Verhältnis zum Leistungsberechtigten und zum Empfangsberechtigten zu dieser Leistung weiterhin berechtigt und verpflichtet gewesen zu sein. Erstattungsansprüche aus solchen zugrundeliegenden Sozialleistungsverhältnissen werden durch § 50 Abs 2 SGB X geregelt (BSG SozR 1300 § 50 Nr 13; BGHZ 71, 183). Die Frage, ob diese Vorschrift darüber hinaus sachlich auch für außerhalb derartiger Sozialleistungsverhältnisse erbrachte irrtümliche oder fehlgeleitete Zahlungen von Sozialleistungsträgern gilt, es also bereits ausreicht, wenn die Leistung die Sphäre des Sozialleistungsträgers mit dessen Willen zur öffentlich-rechtlichen Leistung verlassen hat (so tendenziell BSGE 55, 250 = SozR 1300 § 50 Nr 3; Hofe SGb 1990, 527, 529 mwN), kann offenbleiben.
Der Anspruch kann sich entgegen der Auffassung des SG auch gegen einen Träger hoheitlicher Gewalt richten. Es ist zwar allgemein anerkannt, daß unter die Regelungen des § 50 SGB X in erster Linie Erstattungsansprüche fallen, die von einem Sozialleistungsträger gegen den Bürger geltend gemacht werden, sie also nicht für Erstattungsforderungen von Leistungsträgern untereinander gelten (Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Aufl 1996, § 50 RdNr 1; Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 1998, § 50 SGB X RdNr 3; Hofe SGb 1990, 527, 528). Die Regelungen des § 50 SGB X sind aber nach Sinn und Zweck auch dann anwendbar, wenn ein Sozialleistungsträger einen anderen Sozialleistungsträger auf Erstattung von Leistungen in Fällen in Anspruch nimmt, in denen nach dem Gesetz die für den Bürger bestimmte Leistung mit befreiender Wirkung an einen Sozialleistungsträger ausgezahlt werden konnte, der betroffene Sozialleistungsträger insofern aber nur „wie ein Bürger” an dem Rechtsverhältnis beteiligt ist. Das ist bei der hier gegebenen Situation der Rückforderung abgezweigten Kindergeldes der Fall. Das Kindergeld, das nach § 1 BKGG in der hier maßgeblichen bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Fassung grundsätzlich dem Berechtigten zusteht, kann nach § 48 Abs 1 SGB I in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden (Abzweigung), wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (Sätze 1 und 2), er mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder er nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld (Satz 3). Die Auszahlung kann aber auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt (Satz 4). Das kann eine Person des Privatrechts, aber auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sein, die zugleich Sozialleistungsträger ist. Letzteres ist hier geschehen. Der kindergeldberechtigte Vater der Untergebrachten war zu Lebzeiten aufgrund seines geringen Einkommens nicht in der Lage, den Unterhalt seiner Tochter sicherzustellen. Hierfür ist die Klägerin als Trägerin der Sozialhilfe in Form der Übernahme der Kosten der Unterbringung aufgekommen. Durch die Finanzierung der Unterbringung hat sie der Untergebrachten iS des § 48 Abs 1 Satz 4 SGB I „Unterhalt gewährt”. In ihrer Stellung als Abzweigungsberechtigte hat die Klägerin das Kindergeld ab Mai 1976 und auch über den Tod des Kindergeldberechtigten im Dezember 1983 hinaus bis April 1992 empfangen. Sie steht insoweit als Sozialleistungsträger (öffentliche Stelle) in einer Reihe mit den in § 48 Abs 1 SGB I genannten privaten Abzweigungsberechtigten, nämlich dem Ehegatten und den Kindern des Kindergeldberechtigten sowie den sonstigen Personen und den privaten Stellen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewähren. Deshalb konnte die Abzweigung ihr gegenüber durch Verwaltungsakt geregelt werden, und auch der Erstattungsanspruch kann ihr gegenüber durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden, wie es § 50 Abs 3 Satz 1 SGB X vorschreibt.
Da der Erstattungsanspruch der Beklagten somit in den speziellen Anwendungsbereich des § 50 Abs 2 SGB X fällt, ist ein Rückgriff auf einen fraglichen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Ersatz- bzw Erstattungsanspruch, den das LSG angewandt hat, ebenso ausgeschlossen wie die (entsprechende) Anwendung des zivilrechtlichen Bereicherungsrechts nach §§ 812 ff Bürgerliches Gesetzbuch (so auch BVerwGE 78, 165, 169; Hofe SGb 1990, 527, 528; aA SG Itzehoe Breithaupt 1986, 401).
Die Voraussetzungen des § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X sind auch erfüllt. Die Beklagte hat das Kindergeld ab Januar 1984 „zu Unrecht erbracht”. Ab diesem Zeitpunkt war die rechtliche Grundlage für die Zahlung des Kindergeldes und dessen Abzweigung entfallen. Durch den Tod des Vaters der Untergebrachten am 1. Dezember 1983 war dessen Anspruch auf Kindergeld mit Ablauf des Monats Dezember 1983 (§ 9 Abs 1 BKGG) erloschen. Ein solcher Anspruch konnte anschließend nicht von anderen Personen geltend gemacht werden und damit auch keine Auswechslung des Rechtsgrundes eintreten. Die Mutter der Untergebrachten war bereits im Jahre 1981 verstorben. Der im Januar 1984 bereits 41 Jahre alten Untergebrachten selbst stand ein Anspruch auf Kindergeld nach § 14 Abs 1 iVm § 1 Abs 2 und § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 3 BKGG ebenfalls nicht zu; alleinstehenden Kindern, die wegen einer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, wird Kindergeld längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gezahlt.
Eine Rechtsgrundlage für die Zahlungen stellten auch der Bewilligungs- und Abzweigungsbescheid nicht mehr dar. Die Kindergeldzahlungen sind ab Januar 1984 damit „ohne Verwaltungsakt” erfolgt. Diese Voraussetzung des § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X ist nicht nur dann erfüllt, wenn von vornherein kein Verwaltungsakt ergangen ist, sondern auch dann, wenn sich ein vorangegangener Verwaltungsakt erledigt hat, so daß es keiner Aufhebung mehr bedurfte. Das war hier der Fall. Den Leistungen für die Zeit bis Dezember 1983 lagen zwei Verwaltungsakte iS des § 31 SGB X zugrunde. Mit einem ersten Verwaltungsakt aus dem Jahre 1975 war dem Vater der Untergebrachten das Kindergeld für die Zeit ab Januar 1975 unbefristet bewilligt worden. Durch einen zweiten Verwaltungsakt aus dem Jahre 1976 hatte die Beklagte dem Antrag der Klägerin vom 18. Juni 1975, das monatliche Kindergeld von 50 DM ab Januar 1975 im Wege der Abzweigung an sie zu überweisen, für die Zeit ab Mai 1976 stattgegeben, die Abzweigung für die vorhergehende Zeit wegen der bereits erfolgten Auszahlung an den Berechtigten aber abgelehnt. Diese Entscheidung ist der Klägerin und dem Berechtigten mit den beiden Bescheiden vom 29. Juli 1976 bekanntgegeben worden und seinerzeit bestandskräftig geworden. Grundlage der Abzweigungsentscheidung war schon die Regelung des § 48 Abs 1 SGB I. Zwar hatte die Klägerin die Abzweigung am 18. Juni 1975 aufgrund des damals noch geltenden § 12 Abs 3 BKGG, der eine ähnliche Regelung enthielt, beantragt. Diese Vorschrift ist jedoch mit dem Inkrafttreten des SGB I am 1. Januar 1976 durch § 48 Abs 1 SGB I abgelöst worden, der hier zur Anwendung kommen mußte, weil die Verwaltungsentscheidung erst am 29. Juli 1976 ergangen ist und die Abzweigung nur für die Zeit ab Mai 1976, nicht aber rückwirkend zum 1. Januar 1975, bewilligt worden ist. Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß es sich bei der Entscheidung über einen Antrag auf Abzweigung nach § 48 Abs 1 SGB I um einen Verwaltungsakt handelt (Weber SGb 1999, 225, 232). Nach § 31 Satz 1 SGB X zählt zu den Verwaltungsakten jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Mit der Entscheidung stellt die Kindergeldbehörde fest, daß sie berechtigt ist, das Kindergeld, das nach § 1 BKGG grundsätzlich dem Berechtigten selbst zusteht, ab einem bestimmten Zeitpunkt an einen Dritten auszuzahlen, daß sich der Berechtigte diese abgezweigte Leistung als Erfüllung des ihm weiterhin zustehenden Leistungsanspruchs zurechnen lassen muß und der Dritte berechtigt ist, die Leistung mit Erfüllungswirkung gegenüber dem Berechtigten in Empfang zu nehmen. Es handelt sich bei der Abzweigung nach § 48 Abs 1 SGB I um eine der Pfändung ähnliche, aber – durch die Verlagerung ins Verwaltungsverfahren des zuständigen Leistungsträgers – vereinfachte öffentlich-rechtliche Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, bei der der Leistungsanspruch zwar beim Berechtigten verbleibt, die Empfangsberechtigung aber auf einen Dritten übergeht (BSG SozR 1200 § 48 Nr 7; Mrozynski SGB I, 2. Aufl 1995, § 48 RdNrn 7, 8; von Einem SGb 1994, 261, 263; Hofe SGb 1990, 527, 532).
Mit dem Tod des Berechtigten am 1. Dezember 1983 ist der Verwaltungsakt über die Bewilligung des Kindergeldes unwirksam geworden. Nach § 39 Abs 2 SGB X bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder „auf andere Weise erledigt” ist. Letzteres trifft hier zu. Durch den Tod des Vaters der Untergebrachten ist dessen Kindergeldanspruch für die Zeit ab Januar 1984 erloschen. Die weitere Erfüllung dieses an die Person des Berechtigten gebundenen (höchstpersönlichen) Anspruchs war nicht mehr möglich. Die Leistungsbewilligung aus dem Jahre 1975 ist zu diesem Zeitpunkt gegenstandslos geworden und hat sich dadurch iS des § 39 Abs 2 SGB X „auf andere Weise erledigt”. Einer formellen Aufhebung der Leistungsbewilligung durch Aufhebungsbescheid, etwa nach § 48 Abs 1 SGB X, bedurfte es damit nicht. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem BKGG. Die darin enthaltene Spezialvorschrift des § 25 Abs 1 BKGG ordnet die Erteilung eines schriftlichen Bescheides nur für den Fall an, daß der Antrag auf Kindergeld abgelehnt oder das Kindergeld entzogen wird. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor; das Erlöschen des Kindergeldanspruchs durch den Tod des Berechtigten kann dem „Entzug” des Anspruchs nicht gleichgestellt werden.
Eine Pflicht zur formellen Aufhebung der Leistungsbewilligung folgt auch nicht aus § 50 Abs 3 Satz 2 SGB X. Danach soll die Festsetzung der Erstattung, sofern die Leistung aufgrund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsakts verbunden werden. Damit ist im Sinne einer Ordnungsvorschrift lediglich vorgeschrieben, daß die Entscheidungen über die Aufhebung der Leistungsbewilligung und die Festsetzung des Erstattungsanspruchs nach Möglichkeit in einem einheitlichen Bescheid niederzulegen und bekanntzugeben sind. Die Vorschrift besagt hingegen nicht, daß in solchen Fällen die Unwirksamkeit des Verwaltungsakts über die Leistungsbewilligung immer erst durch eine formelle Aufhebung bewirkt wird und eine „Erledigung auf andere Weise” iS des § 39 Abs 2 SGB X ausgeschlossen ist.
Mit dem durch den Tod des Berechtigten bewirkten Erlöschen des Kindergeldanspruchs und der daraus resultierenden Erledigung des Verwaltungsakts über die Leistungsbewilligung hat sich zugleich auch der Verwaltungsakt über die Abzweigung iS des § 39 Abs 2 SGB X „auf andere Weise erledigt”. Die abzuzweigende Leistung ist nach Grund und Höhe untrennbar mit dem – beim Berechtigten verbleibenden – Leistungsanspruch verbunden. Durch die Abzweigungsentscheidung wird kein eigenständiger, von dem bewilligten Leistungsanspruch zu unterscheidender Sozialleistungsanspruch des Abzweigungsberechtigten geschaffen. Sein Recht beschränkt sich auf die Empfangsberechtigung; sie ist in ihrem Bestand und ihrer Höhe streng akzessorisch zu dem Leistungsanspruch (BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 10; von Einem SGb 1994, 261). Dies hat zur Folge, daß mit dem Wegfall des Leistungsanspruchs zum 1. Januar 1984 auch die Abzweigung gegenstandslos geworden ist und sich der Verwaltungsakt über die Abzweigung nach § 39 Abs 2 SGB X ebenfalls erledigt hat. Nach dem Wegfall des Leistungsberechtigten ohne Rechtsnachfolge kommt als Leistungsempfänger nur noch die Klägerin in Betracht, so daß sich die Frage, gegen wen sich der Erstattungsanspruch in einem Dreiecksverhältnis Leistender-Berechtigter-Abzweigungsberechtigter richtet, nicht stellt.
Obgleich der Klägerin somit „Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind”, die Voraussetzungen des § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X also erfüllt sind, scheitert der Erstattungsanspruch. Denn nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers finden auf den Erstattungsanspruch des Satzes 1 die Regelungen der §§ 45 und 48 SGB X entsprechende Anwendung (Satz 2). Dabei bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, in welchem Umfang und mit welchen Maßgaben jeder einzelne Teil der gesetzlichen Regelungen über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts (§ 45 SGB X) und die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X) auf den Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 2 SGB X anzuwenden sind (vgl dazu zB BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 17; Steinwedel aaO RdNrn 31 ff). Im vorliegenden Zusammenhang geht es allein um die entsprechende Anwendung der das Vertrauen des Leistungsempfängers ausschließenden Regelungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 und 4 SGB X. Diese Regelungen sind jedenfalls im Rahmen des § 50 Abs 2 SGB X analog anzuwenden. Dabei braucht auch nicht die Frage entschieden zu werden, ob und inwieweit sich ein Sozialleistungsträger als solcher im Verhältnis zu einem Erstattung fordernden anderen Sozialleistungsträger auf Vertrauensschutz berufen kann. Bei Erstattungsansprüchen nach § 50 Abs 2 SGB X iVm § 48 Abs 1 SGB I ist die Berufung auf Vertrauensschutz jedenfalls nicht ausgeschlossen, wenn – wie hier – der Sozialleistungsträger einem Bürger gleichgestellt ist.
Der Klägerin steht Vertrauensschutz zu. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 und 4 SGB X liegen nicht vor. Auf Vertrauensschutz kann sich danach ein Betroffener nicht berufen, wenn er einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr 2) oder wenn er wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr 4). Vorsatz der Klägerin scheidet ersichtlich aus. Die Klägerin gehört als Abzweigungsberechtigte nicht zum Kreis der Personen, denen im Rahmen eines Kindergeldanspruchs Mitwirkungs- bzw Auskunftspflichten hinsichtlich des Fortbestands der Voraussetzungen des Leistungsanspruchs obliegen. Hierzu zählen nur die in § 60 Abs 1 SGB I und § 19 BKGG genannten Personen, also insbesondere der Leistungsberechtigte, sein Ehegatte und die für den Anspruch berücksichtigten Kinder. Dem Abzweigungsberechtigten als von der Leistungsbewilligung ebenfalls Begünstigten könnte daher – allenfalls – die Pflicht obliegen, ihm zufällig bekanntgewordene, für den Leistungsanspruch wesentliche Umstände der Kindergeldbehörde mitzuteilen, wenn für ihn Grund zu der Annahme besteht, der Leistungsträger werde auf anderem Wege hiervon nicht oder nicht rechtzeitig erfahren. Diese Frage kann aber offenbleiben. Vom Tod des Berechtigten am 1. Dezember 1983 hat die Klägerin – ebenso wie die Beklagte – erst im Laufe des Jahres 1992 erfahren. Vor der Einstellung der Kindergeldzahlungen zum 30. April 1992 wußte sie daher auch nicht, daß der Leistungsanspruch bereits ab 1. Januar 1984 erloschen war. Der Klägerin kann auch nicht grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Es oblag ihr mangels Mitwirkungs- und Auskunftspflicht (§ 60 Abs 1 SGB I, § 19 BKGG) nicht, sich nach den in der Person des Vaters der Untergebrachten liegenden anspruchsbegründenden Umständen zu erkundigen. Eine grob fahrlässige Verkennung des Wegfalls der Abzweigung ab Januar 1984 fällt ihr demgemäß ebenfalls nicht zur Last.
Da der Erstattungsanspruch hiernach unbegründet ist, war – wie vom SG angeordnet – der angefochtene Bescheid insgesamt als rechtswidrig aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen