Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung. Beschäftigung im Ausland. Auslandstätigkeit als "Ausstrahlung" einer Inlandtätigkeit. Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung
Leitsatz (amtlich)
Auch eine Beschäftigung im Ausland bis zu 2 Jahren kann - als "Ausstrahlung" einer inländischen Tätigkeit - der inländischen Sozialversicherungspflicht unterliegen (Weiterführung von BSG 1962-07-04 3 RK 53/58 = BSGE 17, 173).
Wer hiernach am 1967-12-31 wegen seiner Beschäftigung im Ausland versicherungspflichtig in der Angestelltenversicherung war, kann sich nicht gemäß AnVNG Art 2 § 1 Abs 2 idF des 3. RVÄndG von der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Inland befreien lassen.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1970-12-21; AnVNG Art. 2 § 1 Abs. 2 Fassung: 1969-07-28
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein Westfalen vom 15. März 1974 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28. Mai 1973 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten gemäß der für solche Angestellten geschaffenen Sondervorschrift, die unmittelbar vor der Beseitigung der Versicherungspflichtgrenze - nämlich am 31. Dezember 1967 - im Ausland versicherungsfrei beschäftigt waren (Art. 2 § 1 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - i. d. F. des 3. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 28. Juli 1969 - BGBl I 956).
Der Kläger war von September 1967 bis Februar 1970 aufgrund eines zunächst auf zwei Jahre begrenzten, gegen Ende dieser Zeit aber verlängerten Dienstvertrags mit dem Institut für Internationale Solidarität der K-Stiftung e. V. im Ausland (Venezuela) beschäftigt. Für diese Zeit sind, wie dies auch in dem Dienstvertrag vorgesehen war, Pflichtbeiträge an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abgeführt worden. Der Kläger meint, er sei in Wirklichkeit nicht versicherungspflichtig gewesen, weil seine Auslandsbeschäftigung nicht auf höchstens zwei Jahre befristet gewesen sei, was nach der Ausstrahlungstheorie als Voraussetzung für die Versicherungspflicht zu gelten habe. Nach der Aufnahme einer Beschäftigung als Angestellter im Inland im Juni 1970 beantragte er im Juli 1970 unter Hinweis auf einen privaten Lebensversicherungsvertrag die Befreiung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger gehöre nicht zu dem durch Art. 2 § 1 Abs. 2 AnVNG erfaßten Personenkreis; er hätte auch dann nicht befreit werden können, wenn er am 31. Dezember 1967 im Inland beschäftigt gewesen wäre (Bescheid vom 12. Januar 1972, Widerspruchsbescheid vom 4. April 1972).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Der Kläger sei zum Stichtag versicherungspflichtig gewesen, weil angesichts der immer stärker werdenden internationalen Verflechtungen für die Ausstrahlung des deutschen Sozialversicherungsrechts keine starre zeitliche Grenze mehr festgelegt werden könne (Urteil vom 28. Mai 1973). Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen der Klage für die Zeit der Beschäftigung im Inland stattgegeben und ausgeführt, der Kläger sei in der Zeit der Auslandstätigkeit nicht versicherungspflichtig gewesen, weil eine Erweiterung der Ausstrahlung auf eine Auslandsbeschäftigung von zwei Jahren nicht geboten sei, nachdem die Antragsversicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) und die erweiterte Möglichkeit der freiwilligen Versicherung (§ 10 AVG) eingeführt worden seien. Die tatsächlich durchgeführte Versicherungspflicht in der streitigen Zeit stehe nicht entgegen, weil insoweit kein Verwaltungsakt vorliege, der hätte bindend werden können.
Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt und beantragt, das erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen. Sie meint, aufgrund der recht verstandenen Ausstrahlungstheorie müßte die Auslandsbeschäftigung des Klägers als versicherungspflichtig angesehen werden. Aus den Möglichkeiten der Antragsversicherung und der freiwilligen Versicherung könnten keine Schlüsse auf den Umfang der durch die Ausstrahlungstheorie begründeten Versicherungspflicht gezogen werden, weil die Versicherungspflicht vorrangig sei.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen und legt im einzelnen dar, daß seine Beschäftigung im Ausland nicht als vorübergehend zu betrachten gewesen sei.
Die Beigeladene schließt sich den Ausführungen der Revisionsklägerin an.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der Kläger gehört nicht zu dem Personenkreis, dem die besondere Befreiungsmöglichkeit nach Art. 2 § 1 Abs. 2 AnVNG zusteht: Er war zu dem maßgebenden Stichtag - 31. Dezember 1967 - weder "versicherungsfrei" noch "nicht versicherungspflichtig", wie das diese Vorschrift voraussetzt. Aus den Feststellungen des LSG ergibt sich, daß er mit seinem Verdienst unter der Versicherungspflichtgrenze lag, denn es sind für ihn Pflichtbeiträge abgeführt worden, was in § 7 Abs. 5 des Dienstvertrages vom 1. Juli 1967 auch vorgesehen war. Die Pflichtbeiträge sind zu Recht abgeführt worden, denn der Durchführung der Pflichtversicherung stand sein Arbeitseinsatz im Ausland nicht entgegen. Im Gegensatz zur Auffassung des LSG konnten die Beteiligten - damals noch übereinstimmend - davon ausgehen, daß die Auslandsbeschäftigung als vorübergehend zu beurteilen sei und gemäß der sogenannten Ausstrahlungstheorie der Versicherungspflicht unterliege.
Wie die Vorinstanzen bereits zutreffend dargelegt haben, hat der Senat in seinem Urteil vom 4. Juli 1962 (BSG 17, 173) Durchbrechungen des Territorialitätsprinzips, wonach eine Versicherungspflicht nach deutschem Recht grundsätzlich nur innerhalb des Geltungsbereiches der deutschen Sozialversicherungsgesetze begründet werden kann, aufgrund der Ausstrahlungstheorie für eine vorübergehende Zeit als gerechtfertigt erachtet. Als in diesem Sinne "vorübergehend" hat er damals den in dem genannten Streitfall infrage stehenden Zeitraum von einem Jahr gelten lassen. Er hat dabei diese Zeitspanne nicht als Höchstgrenze angesehen, obwohl auf inter- und supranationale Rechtsvorschriften hingewiesen worden ist, in denen ein Jahr als Grenze festgelegt war. Die damals zur Entscheidung stehende Auslandsbeschäftigung war nicht ausdrücklich auf ein Jahr begrenzt, sondern auf "etwa ein Jahr veranschlagt", wobei es der Senat für unerheblich erklärt hat, daß auch Pläne bestanden, den betreffenden Versicherten noch länger im Ausland zu beschäftigen (BSG 17, 173, 181)
Die in internationalen Sozialversicherungsabkommen in den letzten Jahren geübte Praxis zeigt, daß bei einer auf zwei Jahre begrenzten Auslandstätigkeit im Rahmen eines Arbeitsvertrags mit einem inländischen Betrieb keine Bedenken gegen die Fortgeltung innerstaatlichen Sozialversicherungsrechts bestehen. Erst bei Verlängerung diese Zeitdauer ist ein bestimmtes Verfahren für die Weitergeltung dieses Rechts vorgesehen (vgl. Art. 7 des Abkommens mit Portugal, BGBl II 1968, 474; Art. 4 des Abkommens mit Rumänien, BGBl II 1968, 698; Art. 4 des Abkommens mit Polen, BGBl II 1974, 926; vgl. auch Art. 6 des Abkommens mit Jugoslawien, BGBl II 1969, 1438).
Der Senat hat keine Bedenken, der in diesen Abkommen zum Ausdruck gekommenen Rechtsauffassung über die angemessene Begrenzung der Ausstrahlung inländischen Versicherungsschutzes auf eine Auslandstätigkeit - auf zwei Jahre - Rechnung zu tragen, zumal diese Frage im wesentlichen von Gesichtspunkten der Praktikabilität abhängt, insbesondere davon, wie lange die Versicherung seitens der inländischen Versicherungsträger typischerweise ohne erhebliche verwaltungstechnische Schwierigkeiten durchgeführt werden kann (vgl. BSG aaO S. 179, 180). Die Annahme, daß die Aufrechterhaltung des inländischen Versicherungsschutzes bei Auslandsbeschäftigung auf zwei Jahre von den Versicherungsträgern ohne unzumutbaren Aufwand bewältigt werden kann, wird auch dadurch gestützt, daß im vorliegenden Fall sowohl der beklagte Rentenversicherungsträger wie auch die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse in Kenntnis der Zweijahresfrist von der Fortdauer der Versicherungspflicht ausgegangen sind. - Die Tatsache, daß die EWG-Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) noch von der Einjahresfrist ausgeht, steht dieser Annahme nicht entgegen, denn diese Beschränkung ist mit der angestrebten Integration der Systeme der sozialen Sicherheit im Raum der Europäischen Gemeinschaft zu erklären.
Auch der Hinweis des LSG auf das heute geringer gewordene Interesse an einer Ausdehnung des zeitlichen Umfangs der Rentenversicherungspflicht bei Auslandsbeschäftigung spricht nicht entscheidend gegen die Zweijahresfrist. Der Senat hat zwar in der mehrfach genannten Entscheidung in BSG 17, 173, 180 das Erfordernis einer großzügigen zeitlichen Ausdehnung der Ausstrahlung u. a. auch damit begründet, daß die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung in der Rentenversicherung begrenzt worden war, was seit dem Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) durch die Neufassung der §§ 10 AVG und 1233 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht mehr der Fall ist. Außerdem ist dem LSG darin zuzustimmen, daß mit der durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) eingeführten Möglichkeit der sogenannten Antragsversicherung nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 10 AVG und 1227 Abs. 1 Nr. 8 RVO weitgehend die Notwendigkeit entfallen ist, im Wege der Ausstrahlungstheorie eine erwünschte Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes zu konstruieren. Ob aus diesen Erleichterungen, den Versicherungsschutz im Ausland aufrechtzuerhalten, Folgerungen auf den zeitlichen Umfang der Ausstrahlung der Versicherungspflicht zu ziehen sind, ist schon deshalb zweifelhaft, weil sich diese Erleichterungen nur auf die Rentenversicherung beziehen. Jedenfalls handelt es sich bei den genannten Regelungen nur um den Versicherungsschutz ermöglichende Berechtigungen, die gegenüber einer schon nach allgemeinen Gesichtspunkten begründeten Versicherungspflicht immer nur nachrangig sein können. Im übrigen ist die durch das Entwicklungshelfergesetz vom 18. Juni 1969 (BGBl I 549) eingeführte Verpflichtung der Träger des Entwicklungsdienstes, den Antrag auf Versicherung nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 10 AVG bzw. 1227 Abs. 1 Nr. 8 RVO für Entwicklungshelfer zu stellen, die sich für mindestens zwei Jahre Ersatzdienst verpflichtet haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 11 Entwicklungshelfergesetz), eine weitere Bestätigung der Auffassung, daß bei einer für eine Zeit bis genau zwei Jahre geplanter Auslandsbeschäftigung die Versicherungspflicht ohnehin fortdauert.
Der Senat kann der Auffassung des Klägers nicht folgen, der Dienstvertrag sei im Ergebnis für "mindestens" zwei Jahre geschlossen worden. Eine solche Auslegung widerspräche dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 des Dienstvertrages, wonach eine Verlängerung zwar vereinbart werden konnte, aber spätestens vier Monate vor dem vorgesehenen Vertragsablauf schriftlich getroffen werden mußte. Sie widerspräche auch dem Sinn dieser Vertragsklausel, die in Verbindung mit der ausdrücklichen Regelung der Abführung von Pflichtbeiträgen steht und schon deshalb den vorübergehenden Charakter der Auslandsbeschäftigung zum Ausdruck bringen mußte. Auch die Tatsache, daß später eine Verlängerung vereinbart worden ist, rechtfertigt jedenfalls für die Zeit vorher, in der der Stichtag - 31. Dezember 1967 - liegt, keine andere Beurteilung. Ob vom Zeitpunkt dieser Vereinbarung an die Auslandsbeschäftigung ihren vorübergehenden Charakter verloren hat, braucht nicht entschieden zu werden, denn, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, kann sich der auf Art. 2 § 1 Abs. 2 AnVNG gestützte Befreiungsanspruch nur auf die Zeit der späteren Beschäftigung im Inland beziehen. Ob für eine nach dem Stichtag liegende Zeitspanne die Versicherungspflicht etwa zu Unrecht angenommen worden ist, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.
Da der Kläger somit keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten hat, war das seine Klage abweisende Urteil des SG wieder herzustellen (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 193 Sozialgerichtsgesetz).
Fundstellen