Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung bei nicht erbrachter Leistungen

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff des "sonstigen Schadens" iS des ÄBMV § 23 Abs 2 aF, ÄBMV § 34 Abs 3 (der am 1.7.1978 in Kraft getretenen neuen Fassung).

 

Orientierungssatz

Die Prüfeinrichtungen sind nach § 368n Abs 5 RVO zur "Überwachung der Wirtschaftlichkeit" der kassenärztlichen Versorgung berufen. Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit setzt aber begrifflich voraus, daß der Kassenarzt überhaupt kassenärztliche Leistungen erbringen wollte. Das ist aber dann nicht mehr der Fall, wenn er solche Leistungen bloß vortäuscht. Eine entsprechende "Prüfung" hat nichts mehr mit der Angemessenheit der einzelnen Behandlungs- und Verordnungsweise zu tun und wird daher vom Begriff der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch nicht in einem weiteren Sinne - wie bei dem wirtschaftlichen Schaden der Kasse, der durch Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst entsteht - umfaßt. Eine solche über die Wirtschaftlichkeitsprüfung eindeutig hinausgehende "Prüfung" (- sie überschreitet auch eine bloß "rechnerische" und "gebührenordnungsgemäße" Überprüfung, die nach dem ÄBMV von der Kassenärztlichen Vereinigung vorzunehmen ist -) hat die Kassenärztliche Vereinigung nach Gesetzesrecht selbst vorzunehmen.

 

Normenkette

BMV-Ä § 23 Abs 2, § 34 Abs 3; RVO § 368n Abs 5; RVO § 368n Abs 1; RVO § 368n Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 23.06.1982; Aktenzeichen L 5 Ka 15/78)

SG Hannover (Entscheidung vom 28.06.1978; Aktenzeichen S 10 Ka 45/76)

 

Tatbestand

Der Beklagte hat gegenüber dem Kläger, der als Kassenarzt zugelassen war, mit Bescheid vom 28. Juni 1976 Honorarregresse in Höhe von 76.928,50 DM und 9.111,31 DM mit der Begründung vorgenommen, der Kläger habe von 1971 bis 1974 nicht erbrachte Leistungen in dieser - geschätzten - Höhe abgerechnet. Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid wegen sachlicher Unzuständigkeit des Beklagten aufgehoben. Die Berufung des Beklagten und der beigeladenen Kassen hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt: Die Bestimmung des § 23 Abs 2 Bundesmantelvertrag (BMV-Ä) aF (§ 34 Abs 3 nF), wonach die Prüfeinrichtungen über die eigentliche Wirtschaftlichkeitsprüfung hinaus "auch den sonstigen Schaden festzustellen" haben, "den der Kassenarzt infolge schuldhafter Verletzung kassenärztlicher Pflichten einer Krankenkasse verursacht hat", finde auf den vorliegenden Fall nicht erbrachter Leistungen keine Anwendung. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten und der beigeladenen Kassen. Sie sind gegenteiliger Rechtsansicht.

Die Revisionskläger beantragen, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. Juni 1982 - L 5 Ka 15/78 - sowie das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. Juni 1978 - S 10 Ka 45/76 - aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 28. Juni 1976 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind unbegründet.

Die Vorschrift des BMV-Ä, wonach die Prüfeinrichtungen auch den sonstigen Schaden festzustellen haben, "den der Kassenarzt infolge schuldhafter Verletzung kassenärztlicher Pflichten einer Krankenkasse verursacht hat", umgreift, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nicht die Zuständigkeit des Beklagten für das vorliegende Verfahren. Der Senat hat in seinem Urteil vom 22. Juni 1983, 6 RKa 3/81 (SozR 2200 § 368n RVO Nr 26) dahin entschieden, daß nach der genannten Vorschrift die Prüfeinrichtungen auch dann über Schadensersatzansprüche zu entscheiden haben, wenn ein Kassenarzt durch Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst der Kasse Vermögensnachteile zugefügt hat, die typischerweise mit solchen Regelverletzungen verbunden sind. Dies erscheint deshalb gerechtfertigt, weil die Entscheidungskompetenz in solchem Fall zwar über die Aufgabe einer "Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung", wie sie im § 368n Abs 5 RVO beschrieben ist, hinausgeht, die im BMV-Ä ausdrücklich für die Feststellung eines "sonstigen Schadens" erfolgte Kompetenzzuweisung aber von der eigentlichen, den Inhalt der Gesamtverträge betreffenden Ermächtigungsnorm des § 368g Absätze 1, 3 RVO noch gedeckt wird, so daß über die speziell die Wirtschaftlichkeitsprüfung betreffende Vorschrift des § 368n Abs 5 RVO hinaus die Vertragspartner des BMV-Ä berechtigt waren, den Prüfungsgremien eine die Wirtschaftlichkeitsprüfung im engeren Sinne übergreifende, aber bei einer extensiven Interpretation gerade noch innerhalb des Rechtszwecks der "Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung der Kranken" liegende Schadensfeststellungskompetenz zuzuweisen. In dem hier zur Entscheidung stehenden Falle des Vorwurfs nicht erbrachter, in (angeblich) betrügerischer Absicht abgerechneter Leistungen ist dieser gesetzliche Rahmen jedoch nicht mehr gewahrt. Zwar handelt es sich auch hier - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - um einen Schaden, den "der Kassenarzt infolge schuldhafter Verletzung kassenärztlicher Pflichten einer Krankenkasse verursacht hat" (BMV-Ä, § 23 Abs 2 aF, § 34 Abs 3 nF). Über diesen Schaden zu entscheiden ist die Prüfeinrichtung aber nicht befugt. Die Prüfeinrichtungen sind nach § 368n Abs 5 RVO zur "Überwachung der Wirtschaftlichkeit" der kassenärztlichen Versorgung berufen. Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit setzt aber begrifflich voraus, daß der Kassenarzt überhaupt kassenärztliche Leistungen erbringen wollte. Das ist aber dann nicht mehr der Fall, wenn er solche Leistungen bloß vortäuscht. Eine entsprechende "Prüfung" hat nichts mehr mit der Angemessenheit der einzelnen Behandlungs- und Verordnungsweise zu tun und wird daher vom Begriff der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch nicht in einem weiteren Sinne - wie bei dem wirtschaftlichen Schaden der Kasse, der durch Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst entsteht - umfaßt. Eine solche über die Wirtschaftlichkeitsprüfung eindeutig hinausgehende "Prüfung" (- sie überschreitet auch eine bloß "rechnerische" und "gebührenordnungsgemäße" Überprüfung, die nach dem BMV-Ä von der KÄV vorzunehmen ist -) hat die KÄV nach Gesetzesrecht selbst vorzunehmen. Das entspricht ihrer Aufgabenstellung nach § 368n Absätze 1 und 2 RVO, wonach sie gegenüber den Krankenkassen und ihren Verbänden die Gewähr dafür tragen, daß die kassenärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht, und sie die Erfüllung der den Kassenärzten obliegenden Pflichten zu überwachen und die Kassenärzte unter Anwendung der in § 368m Abs 4 vorgesehenen Maßnahmen zu ihrer Erfüllung anzuhalten haben. Es wäre demnach Aufgabe der KÄV gewesen, ein durch die Vortäuschung von Leistungen erwirktes Honorar zurückzufordern. Die Vorinstanzen haben daher dem Antrag des Klägers, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, zu Recht entsprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193, 194 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Breith. 1984, 933

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