Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes eines Auszubildenden im sogenannten dualen System an einem Berufsschultag auf dem Weg zum Ausbildungsbetrieb.
Stand: 19. Juni 2000
Beteiligte
Bayerischer Gemeindeunfallversicherungsverband |
2. Verwaltungs-Berufsgenossenschaft |
Tenor
Die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. August 1998 werden zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen des Unfalls vom 12. Dezember 1995 umstritten.
Die Klägerin war als Auszubildende für den Beruf der Rechtsanwalts- und Notargehilfin beschäftigt. Sie mußte in der Woche vom 11. bis 15. Dezember 1995 an einem sog Blockunterricht in der Berufsschule teilnehmen und war in dieser Zeit von der Mitarbeit in der ausbildenden Rechtsanwaltskanzlei befreit. Sie verunglückte am 12. Dezember 1995 gegen 17.30 Uhr mit ihrem PKW auf dem Weg zwischen ihrer Wohnung und der Kanzlei, von der sie aus eigenem Antrieb zur Vorbereitung auf eine spätere Klausuraufgabe in der Berufsschule einen vom Bürovorsteher mit früheren Prüfungsarbeiten für Rechtsanwalts- und Notargehilfen angelegten Ordner holen wollte. Weder von ihrem Ausbilder in der Kanzlei noch von einem Lehrer der Berufsschule war ihr eine konkrete Weisung zum Holen des Ordners zu diesem Zeitpunkt und zu dessen Durcharbeiten erteilt worden.
Nachdem die Beigeladene zu 2) der Klägerin mit Schreiben vom 4. März 1996 mitgeteilt hatte, ein Unfall im Zusammenhang mit dem Ausbildungsverhältnis sei nicht gegeben, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 1996 die Gewährung von Leistungen ebenfalls ab, weil es sich nicht um einen Wegeunfall in Ausübung der Berufsschulpflicht gehandelt habe. Berufsschüler seien nur während der Ausbildung in Berufsschulen unfallversichert. Während der Anfertigung von Hausaufgaben oder der Vorbereitung auf Prüfungen im häuslichen Bereich und den damit verbundenen Besorgungen bestehe Unfallversicherungsschutz dagegen nicht.
Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts Landshut vom 6. Mai 1997 und des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 6. August 1998). Das LSG hat entschieden, daß der Klägerin weder gegen den Beklagten noch gegen die Beigeladene zu 2) ein Anspruch auf Entschädigung zustehe, weil sie im Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Gemäß § 539 Nr 14 Buchst c der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe Versicherungsschutz nicht bestanden, weil es sich bei dem Ordner nicht um von der Berufsschule zur Verfügung gestelltes Lehrmaterial gehandelt habe. Auch habe die Klägerin sich den Ordner nicht auf Anordnung eines Berufsschullehrers beschaffen wollen. Auch nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO sei die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht versichert gewesen. Arbeitspflicht in der Rechtsanwaltskanzlei habe für sie an diesem Tage nicht bestanden. Ein innerer Zusammenhang mit der Ausbildungstätigkeit in der Kanzlei könnte allenfalls angenommen werden, wenn die Klägerin auf Anordnung ihres dortigen Ausbilders, des Bürovorstehers H., den Ordner zur Vorbereitung auf schulische Arbeiten hätte holen sollen. Eine derartige Anweisung habe aber nicht bestanden. Eine bloße generelle Erwartung des Lehrherren, der Auszubildende werde sich mit diesen Unterlagen vertraut machen, reiche nicht aus. Nach der zur Abgrenzung von Hochschulausbildung und unversicherter Tätigkeit bei der Vorbereitung eines Praktikums ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien private Studien und lehrstoffbezogene Arbeiten außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule, etwa im häuslichen Bereich, nicht versichert. Vergleichbare Grundsätze gälten im Rahmen der Schülerunfallversicherung und seien auch für die Beurteilung des vorliegenden Falles heranzuziehen. Da der Klägerin keine Weisung erteilt worden sei, die Unterlagen in der Kanzlei zu studieren und eine Unterrichtung dort auch nicht vorgesehen gewesen sei, sei das Lernen anhand des zur Verfügung gestellten Ordners in das Belieben der Klägerin gestellt und dem Organisationsbereich des Ausbildungsbetriebes entzogen gewesen.
Mit ihren – vom LSG zugelassenen – Revisionen rügen die Klägerin und die Beigeladene zu 1) die Verletzung des § 539 Abs 1 Nr 1 und Nr 14 Buchst c RVO iVm §§ 548, 549 und 550 RVO. Insbesondere verneine das Berufungsgericht zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO. Die Ausbildung der Rechtsanwaltsgehilfen finde im dualen System im Ausbildungsbetrieb und in der Schule statt. Die Ausbildung sei demnach eine gemeinsame Aufgabe von Schule und Ausbildungsbetrieb. Entgegen der Auffassung des LSG sei das Lernen des im Ordner enthaltenen Materials nicht in das Belieben der Klägerin gestellt gewesen. Vielmehr sei es Aufgabe der Klägerin gewesen, sich mit diesem Lehrmaterial zu befassen. Es sei zwar richtig, daß das Material der Klägerin nicht von der Schule zur Verfügung gestellt gewesen sei. Im dualen Ausbildungsverhältnis müsse jedoch der innere Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und der unfallbringenden Tätigkeit auch dann bejaht werden, wenn das Unterrichtsmaterial im Rahmen der Ausbildung im Betrieb zur Verfügung stehe und sowohl für schulische als auch betriebliche Zwecke verwendet werde.
Die Beigeladene zu 1) meint ferner, das LSG verkenne die Besonderheiten des Systems der beruflichen Bildung. Ziel des § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO sei es, Lernende in der beruflichen Aus- und Fortbildung möglichst umfassend unter Versicherungsschutz zu stellen. Dieser erstrecke sich auf alle Verrichtungen, die dem Wesen der Aus- und Fortbildung gemäß seien. Voraussetzung sei allerdings ein Zusammenhang mit dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Ausbildungsstätte. Dieser sei im vorliegenden Falle gegeben. Der Arbeitgeber habe nämlich die Unterlagen entsprechend seiner Verpflichtung nach § 6 des Berufsbildungsgesetzes und dem Ausbildungsvertrag der Klägerin zur Verfügung gestellt. Die Klägerin habe sich diese Unterlagen in der Ausbildungsstätte abholen müssen. Entscheidend sei daher nicht, ob die Klägerin die Unterlagen in der Arbeitsstätte habe einsehen wollen, sondern die Tatsache, daß sie, um die Unterlagen überhaupt zu erhalten, den Weg zur Ausbildungsstätte habe zurücklegen müssen. Für Studenten habe das BSG entschieden, daß ein innerer Zusammenhang mit der Aus- und Fortbildung auch dann bestehe, wenn der Student eine Bibliothek aufsuche, um ein bestimmtes Buch zu entleihen, das mit der Vorbereitung zu einem bestimmten naheliegenden Studienabschnitt in Beziehung stehe. Entsprechendes müsse auch für Personen in der beruflichen Aus- und Fortbildung gelten, zumal wenn es Wunsch des Arbeitgebers sei, daß die von ihm zur Verfügung gestellten Arbeitsunterlagen auch benutzt würden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. August 1998, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 6. Mai 1997 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 1996 aufzuheben und den Beklagten, hilfsweise die Beigeladene zu 2), zu verurteilen, ihr wegen des Unfalls vom 12. Dezember 1995 die gesetzlichen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. August 1998, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 6. Mai 1997 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 1996 aufzuheben und festzustellen, daß das Unfallereignis der Klägerin vom 12. Dezember 1995 einen Arbeitsunfall darstellt.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
II
Die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) sind unbegründet. Die Klägerin hat am 12. Dezember 1995 keinen Arbeitsunfall erlitten, denn sie stand im Zeitpunkt des Unfalles nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da sich der Unfall am 12. Dezember 1995 und damit vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Zur Annahme eines Arbeitsunfalles ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der geschützten Tätigkeit bestehen, der sog innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (stRspr s zB BSGE 63, 272, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92; BSG SozR 2200 § 548 Nrn 82, 95, 97; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 27; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 38). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84).
Die Klägerin gehörte als Auszubildende im sog dualen System, also in der betrieblichen und der schulischen Ausbildung, zu den nach Nr 1 und Nr 14 Buchst c des § 539 Abs 1 RVO gegen Arbeitsunfall versicherten Personen. Die erstgenannte Vorschrift erfaßt Personen, die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses beschäftigt sind, während nach der zweitgenannten Bestimmung in der Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung und ehrenamtlich Lehrende in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, berufsbildenden Schulen, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen, soweit sie nicht bereits zu den nach den Nrn 1 bis 3 und 5 bis 8 Versicherten gehören, versichert sind. Indessen ist trotz des in § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO formulierten Vorranges der Versicherung nach den Nrn 1 bis 3 und 5 bis 8 der Besuch der Berufsschule nicht dem Ausbildungsverhältnis zuzurechnen, sondern der gesetzlichen Schulpflicht, so daß der Berufsschulunterricht und die damit zusammenhängenden Wege (§ 550 RVO) nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO versichert sind (BSGE 17, 217, 219 = SozR Nr 6 zu § 915 RVO aF; BSGE 17, 221; Schlegel in Schulin HS-UV § 18 RdNr 78, der allerdings die Subsidiarität des Versicherungsschutzes nach Nr 1 gegenüber dem nach der Nr 14 nicht wegen der Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht durch den Berufsschüler, sondern wegen des Verantwortungsbereichs der Berufsschule annimmt). Hingegen richtet sich der Versicherungsschutz während der betrieblichen Ausbildung nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO. Das Verhältnis des Versicherungsschutzes als Auszubildender im Betrieb gegenüber dem Versicherungsschutz als Berufsschüler regelt neuerdings im gleichen Sinne § 135 Abs 1 Nr 3 SGB VII.
Zuständiger Träger der Unfallversicherung ist für die betriebliche Ausbildung die Beigeladene zu 2) (vgl § 646 Abs 1 und 2 RVO), für die schulische Ausbildung der Klägerin dagegen der Beklagte (§ 657 Abs 1 Nr 5 RVO).
Nach den den Senat gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG scheidet für die unfallbringende Fahrt zwischen der Wohnung der Klägerin und der Rechtsanwaltskanzlei am 12. Dezember 1995 ein innerer Zusammenhang mit der gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versicherten Tätigkeit schon deshalb aus, weil die Klägerin in der Woche vom 11. bis 15. Dezember 1995 wegen des für sie verbindlichen Besuchs des sog Blockunterrichts in der Berufsschule von der Mitarbeit in der auszubildenden Rechtsanwaltskanzlei befreit war. Es ist nach dem festgestellten Sachverhalt auch nicht ersichtlich, aus welchem betrieblich bedingten anderen Anlaß die Klägerin am 12. Dezember 1995 gegen 17.30 Uhr auf dem Weg zur Kanzlei gewesen sein sollte. Ihre alleinige Absicht, sich den Ordner mit den früheren Prüfungsaufgaben zur Rechtsanwalts- und Notargehilfin zu holen, um ihn zu Hause durchzuarbeiten, begründet keine innere sachliche Verbindung mit der betrieblichen Tätigkeit der Klägerin in der Kanzlei. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn das Durcharbeiten der alten Prüfungsaufgaben eine betriebliche Obliegenheit der Klägerin gewesen wäre. Nach dem festgestellten Sachverhalt kann indessen davon nicht ausgegangen werden.
Ein innerer Zusammenhang mit der gemäß § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO versicherten Tätigkeit als Berufsschülerin läßt sich darüber hinaus ebenfalls nicht feststellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats schließen Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl für Schüler während des Besuchs allgemein bildender Schulen (§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO) als auch für Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen (§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO) den Versicherungsschutz auf sog Betriebswegen zwar nicht aus (BSGE 51, 257, 259 = SozR 2200 § 548 Nr 55; BSGE 73, 5, 6 = SozR 3-2200 § 539 Nr 26). Für beide Gruppen von Versicherten ist indessen zur Abgrenzung zum eigenwirtschaftlichen Bereich der Schüler und Studierenden der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung auf Tätigkeiten innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der allgemein bildenden Schule oder Hochschule beschränkt (BSGE 44, 100, 102 = SozR 2200 § 539 Nr 36; BSG SozR 2200 § 539 Nr 122; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 1 und zuletzt SozR 3-2200 § 539 Nr 36). Insoweit ist der Schutzbereich enger als der Versicherungsschutz in der gewerblichen Unfallversicherung (BSGE 41, 149, 151 = SozR 2200 § 539 Nr 16; BSGE 51, 257, 259 = SozR aaO; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 22). Für Auszubildende an berufsbildenden Schulen (§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO) gelten die gleichen Grundsätze, zumal der Versicherungsschutz in der beruflichen Aus- und Fortbildung durch § 537 Nr 11 RVO idF des 6. Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl I S 107) begründet wurde (später § 539 Abs 1 Nr 14 RVO idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 ≪BGBl I 241≫), der Versicherungsschutz für Schüler und Studenten aber erst durch das Gesetz über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (BGBl I 237) hinzukam und dadurch aber nur der geschützte Personenkreis, nicht aber der sachliche Umfang der Versicherung etwa in den privaten Bereich hinein erweitert werden sollte (BSGE 44, 100, 102/103 = SozR 2200 § 539 Nr 36; BSG SozR 3-2200 § 539 Nrn 1 und 36).
Das BSG hat unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterschiede etwa zwischen der Ausbildung als Schüler an einer allgemein bildenden Schule und der in der Art des Lernens erheblich freieren Tätigkeit eines Hochschülers Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung stets nur angenommen, wenn die unfallbringende Tätigkeit noch dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule oder Hochschule zuzurechnen ist. Dieser erfordert einen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Schule oder Hochschule, der verlassen ist, wenn eine Einwirkung durch schulische Aufsichtsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet ist. Der Zusammenhang kann auch bei Schülern ohne eine konkrete Weisung eines Lehrers gegeben sein, wenn die unfallverursachende Verrichtung notwendig ist, um an einer Schulveranstaltung teilnehmen zu können.
Nach diesen Grundsätzen hat das BSG Versicherungsschutz angenommen bei einem beruflich Fortzubildenden auf dem Weg zur Universitätsbibliothek, um sich dort Fachliteratur für einen Fernlehrgang auszuleihen (BSGE 35, 207, 209 = SozR Nr 37 zu § 539 RVO), bei einem Schüler auf dem Weg zur Besorgung von Material für den Unterricht im Auftrag eines Lehrers (BSGE 51, 257 = SozR 2200 § 548 Nr 55), einem Schüler beim Austausch eines Schulbuches außerhalb der Schule mit einem Mitschüler, mit dem er gemeinsam das Buch mit der Anordnung des Austausches erhalten hatte (BSG SozR 2200 § 549 Nr 9), einem Schüler, der seinen zu Hause vergessenen Ausweis holen wollte, ohne den er an der Schulveranstaltung nicht teilnehmen konnte (BSG SozR 2200 § 539 Nr 120), einer Studentin auf dem Nachhauseweg nach der Einschreibung (SozR 2200 § 539 Nr 122), einem Schüler auf dem Weg zu einer Buchhandlung, um sich – auf Veranlassung der Schule – Bücher anzuschaffen (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 1), einer Schülerin auf dem Nachhauseweg von einer von einem eingetragenen Verein getragenen Hausaufgabenhilfe, an der nur Schüler teilnehmen durften, die vom Schulleiter auf Vorschlag des Klassenlehrers ausgewählt waren (BSG Urteil vom 4. Dezember 1991 – 2 RU 79/90 – USK 91178), einem Schüler während eines von der Schule organisierten Auslandsaufenthalts – Schüleraustausch – (SozR 3-2200 § 539 Nr 22) und schließlich einem Studenten beim Aufenthalt in der Universitätsbibliothek, um – erfolglos – zu erforschen, ob ein geeignetes Buch für seine Studienzwecke vorhanden ist (BSG Urteil vom 4. Juli 1995 – 2 RU 45/94 – USK 95163).
Unfallversicherungsschutz hat das BSG dagegen abgelehnt im Fall eines Schülers einer allgemein bildenden Schule auf dem Weg von und zum privaten Nachhilfeunterricht (BSGE 41, 149 = SozR 2200 § 539 Nr 16), eines Studenten bei der Anfertigung seiner Diplomarbeit im häuslichen Bereich (BSGE 44, 100 = SozR aaO), eines Schülers, der im Rahmen des Unterrichts ein Werkstück herstellen sollte, bei Arbeiten hierfür im häuslichen Bereich (SozR 2200 § 539 Nr 54), eines Auszubildenden/Berufsschülers auf dem Weg zur Materialbeschaffung für eine weitere freiwillige Abschlußarbeit mit dem Ziel, das bereits hergestellte Gesellenstück auf einen Sockel zu montieren, um es besonders zur Geltung zu bringen (BSG Urteil vom 30. März 1988 – 2 RU 61/87 – USK 8834), einer Schülerin bei der Anfertigung einer „Hausaufgabe”, nämlich dem Fotografieren der Altstadt für eine von der Schule getragene Foto-Arbeitsgemeinschaft (BSG Urteil vom 30. Mai 1988 – 2 RU 5/88 – USK 8857), einer Studentin einer pädagogischen Hochschule mit den Fächern Sport, Englisch und Kunst auf der Heimfahrt von einem privaten Sprachunterricht (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 1), eines Studenten auf dem Weg nach Südamerika zur Teilnahme an einem Forschungsprojekt, das im Zusammenhang mit seiner Diplomarbeit stand (BSGE 73, 5 = SozR 3-2200 § 539 Nr 26), eines im Inland eingeschriebenen Studenten während des Aufenthalts in einer ausländischen Universität und in Buchläden bei der Nachforschung nach geeigneter Literatur für sein Studium (BSG Urteil vom 30. Juni 1993 – 2 RU 13/92 – HV-Info 1993, 2207) und schließlich eines Studenten auf dem Rückweg von einer Vorbesprechung über ein in Aussicht genommenes, von der Prüfungsordnung vorgeschriebenes, aber von ihm frei und eigenverantwortlich auszuwählendes Praktikum (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 36).
Von diesen von der Rechtsprechung insbesondere des BSG entwickelten und von der Literatur im wesentlichen geteilten (vgl Kater/Leube, SGB VII, § 2 RdNr 202; Schlegel in Schulin, HS-UV, § 18 RdNrn 78, 83, 84; Mehrtens, SGB VII, § 2 RdNrn 18.6 und 18.16; Schmitt, SGB VII, § 2 RdNrn 53 und 57; Brackmann/Wiester, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, 12. Aufl, § 2 RdNrn 504 ff, 522) Grundsätzen, die nach der Umstrukturierung der Tatbestände der Versicherung kraft Gesetzes in § 2 SGB VII dadurch unterstrichen werden, daß das Gesetz in seinem § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst b auch für berufsbildende Schulen von deren „Besuch” spricht, ausgehend stand die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht gemäß § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Abholen des Ordners in der Rechtsanwaltskanzlei ist nicht dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Berufsschule zuzuordnen, denn die Klägerin hatte keine dem Verantwortungsbereich der Schule zurechenbare Weisung eines Lehrers, sich den Ordner zu diesem Zeitpunkt zu holen und durchzuarbeiten, erhalten. Den Feststellungen des LSG ist auch nicht zu entnehmen, daß die Klägerin den Ordner zu diesem Zeitpunkt holen mußte, etwa um am nächsten Tag am Berufsschulunterricht teilnehmen zu können. Der Entschluß, sich am 12. Dezember 1995 den Ordner in der Rechtsanwaltskanzlei abzuholen, entsprang vielmehr der eigenen Initiative der Klägerin und ist daher ihrem unversicherten Lebensbereich zuzuordnen.
Die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) waren demnach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
DB 2000, 1467 |
NZA 2000, 1096 |
NZS 2000, 619 |
AuS 2000, 64 |
SozSi 2001, 323 |