Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die beklagte Ersatzkasse verpflichtet ist, dem bei ihr pflichtversicherten Kläger Kosten zu erstatten, die er wegen seiner Blindheit für Begleitpersonen aufwendet.
Der zivilblinde Kläger ist als Verwaltungsangestellter versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Wegen körperlicher Behinderungen ist er nicht imstande, sich eines Blindenführhundes zu bedienen. Er ist auf eine Führperson angewiesen.
Im Januar 1976 beantragte der Kläger bei der beklagten Ersatzkasse ihm ein Blindenführgeld zu gewähren. Zur Begründung wies er darauf hin, nach Ziff. 6.5 Abs. 2 des Gemeinsamen Rundschreibens der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 10. Juni 1975 (DOK 1975, 649, 652) seien auch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet, den blinden Versicherten zu den Aufwendungen für einen Blindenführhund einen monatlichen Zuschuß in Höhe des in § 14 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) jeweils festgesetzten Betrages für fremde Führung zu gewähren. Da er aus gesundheitlichen Gründen einen Blindenführhund, der ihm nach Ziff. 6.5 Abs. 1 des genannten Rundschreibens grundsätzlich zustehe, nicht halten könne, müsse ihm zumindest der Pauschbetrag für fremde Führung gezahlt werden, der sonst für die Hundehaltung zu zahlen sei (Ziff. 6.5 Abs. 3 des genannten Rundschreibens).
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung des Pauschbetrages mit der Begründung ab, selbst wenn man davon ausgehe, daß ein Blindenführhund ein Hilfsmittel im Sinne des § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO) sein könne, so könne nur dieses Hilfsmittel als Sachleistung, nicht aber eine Geldleistung für eine andere Führungshilfe in Anspruch genommen werden. Die entgegenstehende Auffassung, wie sie in dem genannten Rundschreiben zum Ausdruck gebracht werde, sei eine Empfehlung, der sie nicht folgen könne. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat dagegen der Klage stattgegeben. Der Begriff des Hilfsmittels umfasse alle Mittel zum Ausgleich der körperlichen Behinderung eines Versicherten. Es genüge, wenn mit dem Hilfsmittel auch die Fähigkeit des Versicherten, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, hergestellt oder erhalten werde. Diesem Zweck diene auch ein Blindenführhund. Daß dies nur in der Unfallversicherung und in der Kriegsopferversorgung ausdrücklich geregelt sei, sei angesichts des Zweckes des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) kein Grund, in der gesetzlichen Krankenversicherung anders zu entscheiden. Darüber hinaus könne ein blinder Versicherter zum Ausgleich seines Sehverlustes die Gestellung einer Führperson als Sachleistung verlangen, denn dadurch sei der Sehverlust noch besser auszugleichen als durch einen Blindenführhund. Für eine selbstbeschaffte Führperson müßten dem Versicherten die notwendigen Aufwendungen ersetzt werden. Entsprechendes sei ja in § 185b Abs. 2 RVO für den Fall einer selbstbeschafften Haushaltshilfe geregelt. Da der Kläger nur den Pauschsatz nach § 14 BVG verlange, könne auf den konkreten Nachweis seiner Aufwendungen verzichtet werden.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die zugelassene Revision eingelegt. Sie wendet sich gegen die Auffassung des LSG, der Begriff des Hilfsmittels in der gesetzlichen Krankenversicherung sei mit dem in der gesetzlichen Unfallversicherung und in der Kriegsopferversorgung geschaffenen Begriff identisch. Eine Person könne im übrigen niemals als Hilfsmittel beurteilt werden.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet.
Nach § 182b Satz 1 RVO, der unverändert in die Satzung der Beklagten übernommen worden ist (vgl. § 14 Abs. 6 Satz 1 der Versicherungsbedingungen vom 1. Januar 1971 i.d.F. des 17. Nachtrages, Stand: Juli 1977), hat der Kläger Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen. Per Anspruch des Klägers auf einen Aufwendungsersatz für die Führung wegen seiner Blindheit läßt sich mit dieser Anspruchsgrundlage, die im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung allein in Betracht kommt, nicht begründen.
Zutreffend ist das LSG zunächst davon ausgegangen, daß von einem Anspruch auf Aufwendungsersatz für fremde Führung nur dann gesprochen werden könnte, wenn sich aus § 182b RVO ein Anspruch auf Zurverfügungstellung der Führung selbst als eine Art Hilfsmittel herleiten ließe. Denn diese Vorschrift normiert einen Sachleistungsanspruch, dessen Voraussetzungen einmal erfüllt gewesen sein müssen, wenn an seine Stelle ein Geldanspruch treten soll. § 182b RVO gewährt aber keinen Anspruch auf fremde Führung, weder in Gestalt eines Blindenführhundes noch in Gestalt einer Person.
Die Auffassung des LSG, ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung liege schon dann vor, wenn es geeignet sei, die Fähigkeit des Versicherten herzustellen oder zu erhalten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, trifft nicht zu. Die Urteile des erkennenden Senats, auf die sich das LSG bezieht (BSGE 30, 151, 154 - Armprothese -; 33, 263, 266, 267 - Hörgerät -; SozR Nr. 3 zu § 187 RVO - Schwimmprothese -; BKK 1972, 227 - Beinprothese -), stützen diese Auffassung nicht. Der Senat hat in den genannten Urteilen ausgeführt, daß die Hilfsmittel entgegen dem durch die Entwicklung der Krankenversicherung überholten Wortlaut des § 187 Nr. 3 RVO a.F. nicht mehr dazu dienen müssen, auf die Arbeitsfähigkeit günstig einzuwirken. Es genüge die Herstellung oder Erhaltung der Fähigkeit, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen oder - wie in dem in BSGE 30, 151 entschiedenen Fall - die Schulfähigkeit zu verbessern. In den genannten Entscheidungen waren aber jeweils Gegenstände im Streit, deren Hilfsmittelqualität nicht in Zweifel gezogen werden konnte (Prothese, Hörgerät). Sie dienten, wie dies § 182b Satz 1 RVO nunmehr für de Fälle der vorliegenden Art (in denen die Vorbeugung oder die Sicherung einer Heilbehandlung nicht in Betracht kommt) ausdrücklich verlangt, dem Ausgleich körperlicher Behinderungen. Nur die Tatsache, daß diese Hilfsmittel nicht die von § 187 Nr. 3 RVO a.F. verlangte günstige Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit haben konnten, nötigte damals zu den Ausführungen über sonstige Auswirkungen der Ausstattung mit Hilfsmitteln.
In seinem ebenfalls noch zu § 187 Nr. 3 RVO a.F. ergangenen Urteil vom 22. Februar 1974 (BSGE 37, 138, 141 - elektrische Schreibmaschine -) hat der Senat gegenüber möglichen Mißverständnissen schon deutlich gemacht, daß Hilfsmittel, die in erster Linie zum Ausgleich von Benachteiligungen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder der Eigenverantwortung unterliegendem privatem Gebiet benötigt werden, nicht Gegenstand der Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sein können. In seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 10. November 1977 - 3 RK 7/77 - zu § 182b RVO hat der Senat im einzelnen begründet, daß der weitergehende Hilfsmittelbegriff in der Unfallversicherung (vgl. § 2 Abs. 2 der Verordnung über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter vom 18. Juli 1973 - BGBl. I 871 -), in der Kriegsopferversorgung (§ 13 Abs. 1 BVG, in dem der Blindenführhund ausdrücklich als Hilfsmittel erwähnt ist, siehe auch § 1 Nr. 22 der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs. 3 und des § 13 BVG i.d.F. vom 19. Januar 1971 - BGBl. I 43 -) und im Sozialhilferecht (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 6 der Eingliederungshilfeverordnung vom 1. Februar 1975 - BGBI. I 433 -) nicht zu einer entsprechenden Auslegung des § 182b RVO berechtigt. Auch das RehaAnglG vom 7. August 1974 (BGBI. I 1881) und das Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) vom 11. Dezember 1975 (BGBl. I 3015) lassen eine Erweiterung des Hilfsmittelbegriffs nicht zu. Nach § 10 Nr. 4 RehaAnglG haben die Rehabilitationsträger zwar die Ausstattung mit Hilfsmitteln durchzuführen, ohne daß diese auf den Ausgleich eher körperlichen Behinderung gerichtet sein müßten, wie dies für die Fälle der vorliegenden Art. § 182b RVO vorschreibt. Aus § 6 Abs. 1 RehaAnglG, wonach sich die Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers nach den für ihn geltenden Vorschriften richtet, ergibt sich aber, daß § 182b RVO damit nicht in einem weitergehenden Sinn verstanden werden kann. Nach § 10 SGB I haben Behinderte zwar nicht nur einen Anspruch auf Hilfe, die sich bei der Behinderung selbst ausgleichend auswirkt, sondern auch auf Hilfe die notwendig ist, um die Folgen der Behinderung zu mildern. Aus § 12 Satz 2 SGB I folgt aber, daß nicht jeder Sozialleistungsträger, wenn er für Hilfe zugunsten Behinderter zuständig ist, im gleichen Umfang verpflichtet wird. Die Leistungsansprüche im einzelnen ergeben sich aus den für die Sozialleistungsträger jeweils geltenden besonderen Zuständigkeitsvorschriften, hier des § 182b RVO, der die Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung hinsichtlich der Ausstattung mit Hilfsmitteln wesentlich enger formuliert als die Leistungspflicht der anderen genannten Sozialleistungsträger. Auch die nach § 2 Abs. 2 SGB I gebotene weite Auslegung der Anspruchsgrundlagen zugunsten der Hilfsberechtigten führt angesichts des klaren Wortsinns des § 182b RVO nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Hilfsmittel im Sinne des § 182b RVO - auch bereits im Sinne des § 187 Nr. 3 a.F. - erfüllen ihren Zweck, körperliche Behinderungen auszugleichen, dann, wenn sie dazu dienen, ausgefallene oder beeinträchtigte körperliche Funktionen ganz oder teilweise zu ersetzen (vgl. BSGE 37,138,141).
In dem vorgenannten Urteil vom 10. November 1977 hat der Senat anhand der Wirkungsweise des Blindenführhundes dargelegt, daß dieser nicht geeignet ist, bei der ausgefallenen Körperfunktion des Sehens, helfend eingesetzt zu werden. Seine Hilfe geschieht vorwiegend im Bereich der Folgeerscheinungen der Behinderung Blindheit.
Ob die Hilfeleistungen von Führpersonen die Auffassung rechtfertigt, sie ersetzten teilweise die körperliche Funktion des Sehens, kann unentschieden bleiben. Denn auch wenn dies der Fall wäre, könnte ein Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Führperson nicht begründet werden. Das folgt schon aus dem Wortsinn des Hilfsmittels, der nicht Dienstleistungen von Personen umfaßt. Der Hilfsmittelbegriff läßt sich auch nicht in erweiternder Auslegung auf Personen anwenden. Darauf weist die Tatsache hin, daß nach § 182b Satz 1 RVO die von der Kasse zu verlangende Leistung als "Ausstattung" bezeichnet wird - ein Begriff, der sich ebenfalls nicht auf Personen beziehen kann. Die vorgenannten Verordnungen, die den Anspruch auf Ausstattung mit einem Hilfsmittel in der Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung und der Sozialhilfe näher bestimmen, gewähren dementsprechend keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Person. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Fälle, in denen ein Anspruch auf Gestellung einer Person gewährt wird, ausdrücklich hervorgehoben (vgl. § 185 RVO - Pflegeperson für häusliche Krankenpflege -; § 185b RVO - Haushaltshilfe -). Zwar erstreckt sich der Anspruch auf Krankenpflege regelmäßig auch auf die Gewährung von persönlichen Dienstleistungen (ärztliche Behandlung, Pflege im Krankenhaus). Auch im Zusammenhang mit der Ausstattung mit Hilfsmitteln können persönliche Dienstleistungen verlangt werden (vgl. § 182b Satz 2 RVO - Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel -). An die Stelle des nach § 182b Satz 1 RVO gewährten Anspruchs auf Ausstattung mit einem Hilfsmittel kann aber nicht der Anspruch auf Ersatz für die Kosten einer Person treten.
Die Entscheidungsgründe des LSG deuten schließlich darauf hin, daß dieses Gericht der Auffassung ist, § 182b Satz 1 RVO gewähre einen Anspruch auf jegliche Art von Leistungen, wenn diese nur geeignet seien, bei der Behinderung oder bei deren Folgen helfend zu wirken. Dies trifft nicht zu. Bei Anwendung des § 182b Satz 1 RVO ergeben sich Beschränkungen sowohl von der Zielsetzung wie auch von der Art der Hilfe her gesehen. Die Kasse schuldet - wie bereits dargelegt - angesichts der beschränkten Zielsetzung der Krankenversicherung nur Hilfe, die unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung selbst abzielt und es sind Hilfen ausgeschlossen, die nicht bei der Behinderung selbst, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet ansetzen. Von der Art der Maßnahme her gesehen ist die Beschränkung dadurch gegeben, daß nur die Ausstattung mit Hilfsmitteln und nicht auch sonstige Maßnahmen etwa pflegerischer Art geschuldet werden. Nur soweit die Ausstattung mehr verlangt als die bloße Beschaffung des Hilfsmittels, kommen auch besondere Hilfen - etwa die Ausbildung im Gebrauch (vgl. § 182b Satz 2 RVO) - in Betracht.
Da der Anspruch des Klägers auf Zurverfügungstellung fremder Führung nicht als Anspruch auf Ausstattung mit einem Hilfsmittel im Sinne des § 182b Satz 1 RVO angesehen werden kann, ist die Klage unbegründet.
Auf die Revision der Beklagten war das zutreffende Urteil des SG wieder herzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen