Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.10.1993) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Oktober 1993 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) bzw Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 3. Oktober 1989 bis 28. Februar 1990.
Der Kläger war seit 1. Juli 1976 mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit in der Gaststätte „Z. T. …” tätig, deren Inhaberin seine Ehefrau war. Er bezog zuletzt Alg in der Zeit vom 1. Dezember 1987 bis 30. April 1988. Wegen Wiederaufnahme einer Tätigkeit in der Gaststätte am 1. Mai 1988 hat die Beklagte die Alg-Bewilligung mit Wirkung ab 1. Mai 1988 vor Erschöpfung der Anspruchsdauer aufgehoben. Nach Ende der Tätigkeit (bis 30. September 1989) meldete er sich am 3. Oktober 1989 erneut arbeitslos. Die Beklagte lehnte die Zahlung des vom Kläger beantragten Alg und von Alhi ab (Bescheid vom 12. Dezember 1989; Widerspruchsbescheid vom 24. April 1990), weil der Kläger für das Alg die Anwartschaftszeit (§ 104 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) bzw für die Alhi die Voraussetzungen des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG nicht erfüllt habe. Er sei mangels Arbeitnehmereigenschaft weder in der Zeit vom 1. Mai 1988 bis 30. September 1989 noch davor beitragspflichtig beschäftigt gewesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 3. Oktober 1989 Alg in gesetzlicher Höhe zu zahlen (Urteil vom 23. Juni 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28. Oktober 1993). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger besitze aufgrund der letzten Bewilligung noch einen Restanspruch auf Alg. Das dieser Bewilligung zugrundeliegende Stammrecht habe die Beklagte mit dem Aufhebungsbescheid wegen Wiederaufnahme der Tätigkeit nicht beseitigt. Es könne somit offenbleiben, ob der Kläger bei seiner Ehefrau beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei.
Mit der Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 151 Abs 2 AFG und gegen § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm §§ 104 Abs 1 Satz 1, 168 Abs 1 AFG. Sie ist der Ansicht, daß nach bestandskräftiger Aufhebung einer Alg-Bewilligung eine Wiederbewilligung nur nach Prüfung aller Anspruchsvoraussetzungen möglich sei. Insbesondere müsse auch die Anwartschaftszeit (§ 104 AFG) erfüllt sein. Vom bereits aufgehobenen Bewilligungsbescheid für den früheren Versicherungsfall gehe insoweit keine Rechtswirkung mehr zugunsten des Klägers aus. Ein Stammrecht iS der Entscheidung des LSG, aus dem sich nunmehr ein Anspruch auf Zahlung von Alg für die nicht ausgeschöpfte Restanspruchsdauer ergebe, sei darin nicht anerkannt worden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, nach einer Zwischenbeschäftigung, die keinen neuen Alg-Anspruch begründe, sei für die Wiederbewilligung von Alg nicht erneut die Anwartschaftszeit zu prüfen. Durch die frühere Bewilligung sei das Stammrecht auf Alg verbindlich festgestellt worden; die Aufhebung der Bewilligung wegen Wiederaufnahme der Tätigkeit unter Berufung auf § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) habe hieran nichts geändert.
Die Beigeladene hat sich weder zur Sache geäußert noch einen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (nur) der Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 1990, gegen den sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG) wehrt. In der Sache hat der Senat über die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 3. Oktober 1989 bis 28. Februar 1990 zu befinden, da die Entscheidung des LSG ausschließlich diesen Zeitraum betrifft. Im Berufungsverfahren hat der Kläger nämlich sein Begehren inhaltlich zunächst auf Leistungen für diesen Zeitraum und für den Folgezeitraum vom 16. Oktober 1991 bis 31. März 1992 beschränkt. In der mündlichen Verhandlung beim LSG ist später über den zweiten Zeitraum ein Teilvergleich geschlossen worden.
Ob der Kläger gemäß § 100 AFG Anspruch auf Alg bzw hilfsweise gemäß § 134 AFG idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des AFG vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) Anspruch auf Alhi hat, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, da es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen des LSG fehlt.
Entgegen der Ansicht der Instanzgerichte kann der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Alg indes nicht auf einen Restanspruch aus dem früheren Bewilligungsbescheid stützen. Denn dieser Bescheid hat eine materielle Anspruchsberechtigung (sog „Stammrecht”) auf Alg für 472 Tage weder begründet noch im Verfügungssatz zuerkannt. Vielmehr ist dem Kläger nur ein Leistungsanspruch im engeren Sinne, also ein Zahlungsanspruch (vgl § 194 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch), mit einer Maximaldauer von 472 Tagen für den konkret eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit ab 1. Dezember 1987 zuerkannt worden. Insoweit schließt sich der Senat der Entscheidung des 11. Senats vom 8. Dezember 1994 (11 RAr 41/94, zur Veröffentlichung vorgesehen) an; danach begründet der Bewilligungsbescheid kein sog Stammrecht; vielmehr ist dieses „Stammrecht” nur Grundlage bzw Begründungselement der jeweiligen Bewilligung. Hieraus folgt, daß ein – wie hier – auf § 48 SGB X gestützter Aufhebungsbescheid das zwischen der Beklagten und dem Kläger bestehende Rechtsverhältnis in der Weise gestaltet hat, daß die zugunsten des Klägers erfolgte und mit Bindungswirkung versehene Zubilligung des konkreten Anspruchs auf Zahlung der Leistung (Zahlungsanspruch) beseitigt worden ist (vgl das bezeichnete Urteil des 11. Senats). Dann kann andererseits kein neuer Anspruch auf Alg allein deshalb entstehen, weil dem Arbeitslosen noch ein – bislang weder entzogenes noch erschöpftes – „Stammrecht” zuerkannt ist; vielmehr sind anläßlich der erneuten Arbeitslosmeldung und des Antrags auf Alg die materiellen Anspruchsvoraussetzungen iS von § 100 AFG erneut in vollem Umfang zu prüfen (vgl das bezeichnete Urteil des 11. Senats).
Vorliegend fehlt es an Feststellungen des LSG zur Verfügbarkeit des Klägers (§ 103 AFG) und insbesondere zur Anwartschaftszeit (§ 104 AFG). Das LSG wird dies unter Beachtung der vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Kriterien zum Begriff des Beschäftigungsverhältnisses und zum sog Ehegatten-Arbeitsverhältnis (vgl dazu BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 11 mwN) nachzuholen haben. Dabei wird es zu beachten haben, daß die Anwartschaftszeit nicht allein durch die Zahlung von Beiträgen bzw die Feststellung der Beitragspflicht durch die Einzugsstelle ersetzt werden kann (BSGE 70, 81 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 8). Das LSG wird sich allerdings nicht auf die Prüfung beschränken können, ob eine beitragspflichtige Beschäftigung in der Zeit vom 1. Mai 1988 bis 30. September 1989 vorlag; es könnten auch Restansprüche auf Alg aus früheren Leistungsfällen nach vorangegangenen beitragspflichtigen Beschäftigungen resultieren. Schließlich wird das LSG auch den Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl das bezeichnete Urteil des 11. Senats) zu beachten haben. Danach schließt der Antrag auf Alg den Anspruch auf Alhi ein. Sollten also die Voraussetzungen für die Zahlung von Alg nicht erfüllt sein, bedürfte es der zusätzlichen Prüfung, ob zumindest ein Alhi-Anspruch besteht. Das LSG wird außerdem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen