Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit der Eintragung in die Handwerksrolle und der Mitgliedschaft zur Innung
Leitsatz (amtlich)
Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, die über die Zugehörigkeit der Beschäftigen eines Betriebes zu einer IKK entscheiden, haben dabei nicht zu prüfen, ob die Eintragung des Betriebsinhabers in die Handwerksrolle und seine Mitgliedschaft in einer Trägerinnung der IKK zu Recht bestehen. Ob dies auch für den Fall einer "nichtigen" Eintragung gilt, bleibt unentschieden.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Eintragung des Handwerkers in die Handwerksrolle und die Mitgliedschaft des Handwerkers zur Innung können von der KK im Sozialgerichtsverfahren nicht angefochten werden; die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind wegen der sogenannten Tatbestandswirkung so lange an die Eintragung in die Handwerksrolle und die Mitgliedschaft zur Innung gebunden, als die Eintragung nicht gelöscht bzw die Mitgliedschaft nicht beendet ist.
2. Nimmt eine KK an, daß die Eintragung in die Handwerksrolle zu Unrecht vorgenommen worden ist, so kann sie lediglich an die Handwerkskammer oder deren Aufsichtsbehörde mit dem Ziel herantreten, die Eintragung von Amts wegen zu löschen.
Normenkette
RVO § 250 Fassung: 1951-02-22
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Dezember 1964 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die beteiligten Krankenkassen streiten darüber, ob die Beschäftigten der beigeladenen ... soweit sie der Krankenversicherungspflicht unterliegen, bei der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) oder bei der beklagten Innungskrankenkasse (IKK) versichert sind.
Als Alleininhaberin der genannten Firma ist seit 1950 die verheiratete Tochter eines der beiden früheren Gesellschafter, Frau ..., in das Handelsregister eingetragen. Am 28. Dezember 1959 ist sie - unter gleichzeitiger Löschung der verstorbenen ehemaligen Firmeninhaber - als deren "Nachfolgerin" in die Handwerksrolle eingetragen worden. Die beigeladene Firma ist Mitglied der ... die zu den Trägerinnungen der beklagten IKK gehört.
Nach Ansicht der klagenden AOK ist die Eintragung der derzeitigen Firmeninhaberin in die Handwerksrolle "ohne jede gesetzliche Grundlage" erfolgt und deshalb nichtig. Da nach § 250 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Zugehörigkeit zu einer IKK die Eintragung des Arbeitgebers in die Handwerksrolle voraussetze, eine wirksame Eintragung hier aber nicht vorliege, sei für die Beschäftigten der beigeladenen Firma nicht die beklagte IKK, sondern sie, die AOK, zuständig.
Die auf Feststellung ihrer Zuständigkeit gerichtete Klage der AOK haben beide Vorinstanzen für unbegründet gehalten. Das LSG hat ausgeführt: Ob die Inhaberin der beigeladenen Firma zu denjenigen Personen gehöre, die nach der Handwerksordnung in die Handwerksrolle eingetragen werden könnten, und ob sie demgemäß Mitglied einer Handwerksinnung sein könne, sei eine handwerksrechtliche Frage, über die im Streitfall die allgemeinen Verwaltungsgerichte zu entscheiden hätten. Für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sei allein die Tatsache der erfolgten Eintragung in die Handwerksrolle und der bestehenden Mitgliedschaft in einer Handwerksinnung maßgebend. Die Rechtmäßigkeit der Eintragung und der Mitgliedschaft hätten sie nicht nachzuprüfen, sondern seien an sie "aus Gründen der Tatbestandswirkung" gebunden (Urteil vom 22. Dezember 1964).
Die Klägerin macht mit der zugelassenen Revision geltend, die vom LSG angenommene Tatbestandswirkung erstrecke sich nicht auf Eintragungen, deren Nichtigkeit, wie hier, behauptet und schlüssig dargetan sei. Andernfalls dürften die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch nicht nachprüfen, ob der Gesellenausschuß einer Innung der Errichtung einer IKK ordnungsgemäß zugestimmt habe. Im übrigen hätte das Landessozialgericht (LSG) mindestens eine Auskunft der Aufsichtsbehörde über die Rechtmäßigkeit der streitigen Eintragung einholen müssen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 22. Dezember 1964 und das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. September 1962 aufzuheben und festzustellen, daß die versicherungspflichtig Beschäftigten der beigeladenen Firma ihre Mitglieder sind.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die Revision der klagenden AOK ist unbegründet. Entgegen ihrem Feststellungsbegehren, das die Vorinstanzen mit Recht für zulässig gehalten haben (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, BSG 18, 190), gehören die krankenversicherungspflichtig Beschäftigten der beigeladenen Firma nicht zu ihr, sondern zu der beklagten IKK.
§ 250 RVO, der die Errichtung einer IKK regelt und zugleich den Kreis der bei ihr Versicherten gegen den der Versicherten der Orts- und Landkrankenkassen abgrenzt (§§ 234 ff RVO), weist der IKK - vorbehaltlich gewisser Ausnahmen - "die in den Betrieben (der Innungsmitglieder) beschäftigten Versicherungspflichtigen" zu (Abs. 2 Satz 1), sofern es sich um Betriebe handelt, mit denen der Arbeitgeber der Innung angehört (Abs. 1 Satz 1). Die Zuständigkeit der IKK hängt also davon ab, ob der Arbeitgeber mit seiner Person und dem betreffenden Betrieb Mitglied einer Innung ist, für die die IKK errichtet ist. Daß er darüber hinaus in die Handwerksrolle eingetragen ist, fordert § 250 RVO nicht. Zwar dürfen seit der Änderung dieser Vorschrift durch die Notverordnung vom 26. Juli 1930 nur noch Innungen, deren Mitglieder in die Handwerksrolle eingetragen sind, eine IKK errichten (früher hatten dieses Recht auch Innungen, die von anderen Gewerbetreibenden gebildet waren, vgl. die inzwischen aufgehobenen §§ 81, 81 b Gewerbeordnung). Die Einschränkung der Errichtungsbefugnis auf Innungen, deren Mitglieder in die Handwerksrolle eingetragen sind, besagt jedoch unmittelbar nichts über die Zuständigkeit der einmal errichteten IKK, zumal eine Handwerksinnung früher auch Personen aufnehmen konnte, die nicht in die Handwerksrolle eingetragen waren (vgl. § 250 Abs. 1 Satz 2 RVO und den alten § 87 der Gewerbeordnung). Mittelbar hat sich die Rechtslage allerdings seit dem Inkrafttreten der Handwerksordnung vom 17. September 1953 (BGBl I 1411) insofern geändert, als nach § 53 der Handwerksordnung (= § 58 i. d. F. vom 28. Dezember 1965, BGBl I 1966, 2) nur noch "selbständige Handwerker" - das sind nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 der Handwerksordnung die in die Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften - Mitglieder einer Handwerksinnung werden und sein können. Das bedeutet, daß mit der Löschung in der Handwerksrolle jetzt kraft Gesetzes nicht nur die Handwerkereigenschaft, sondern auch eine bisherige Mitgliedschaft in einer Innung endet (BVerwG 22, 73 = DOK 1966, 259 mit Literaturnachweisen). Da somit ohne Eintragung in die Handwerksrolle keine Mitgliedschaft in einer Innung mehr bestehen kann und die Innungsmitgliedschaft wiederum für die Zuständigkeit der IKK maßgebend ist, gehört seit 1953 mittelbar auch die Eintragung des Arbeitgebers in die Handwerksrolle zu den Voraussetzungen, von denen die Zuständigkeit der IKK abhängt.
Daß hier die Inhaberin der beigeladenen Firma in die Handwerksrolle eingetragen ist und mit ihrem Betrieb einer Trägerinnung der beklagten IKK angehört, hat das LSG unangefochten festgestellt. Es hat daraus zutreffend die Zuständigkeit der IKK für die Beschäftigten der Firma abgeleitet. Dabei hat das LSG mit Recht nicht geprüft, ob die Eintragung der derzeitigen Firmeninhaberin als "Nachfolgerin" der früheren Firmeninhaber nach den Vorschriften der Handwerksordnung zulässig war (vgl. dazu deren §§ 4, 7 und 8, aber auch die Übergangsregelung in § 112 aF = § 119 nF). Hätten die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit diese handwerksrechtlichen Fragen selbständig zu prüfen, so bestände die Gefahr, daß ein und derselbe Handwerksbetrieb, was seine Zugehörigkeit zu einer Innung betrifft, im Versicherungsrecht anders behandelt würde als im Handwerksrecht; daß dies nicht der Absicht des Gesetzes entspräche, hat schon das Reichsversicherungsamt (RVA) mit überzeugender Begründung ausgeführt (GE 2991, AN 1926, 426, 427 f; vgl. aber auch GE 5042, AN 1937 IV, 25 und AN 1940, 297). Die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben deshalb bei ihren Entscheidungen von dem "Tatbestand" der Eintragung des Arbeitgebers in die Handwerksrolle und seiner Mitgliedschaft in einer Handwerksinnung auszugehen (sog. Tatbestandswirkung; vgl. BVerwG aaO; BSG 24, 13, 15; Urteil vom 31.1./18.3.1968, 12 RJ 36/66; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., § 250 RVO, Anm. 3 h und Anm. 6 mit weiteren Nachweisen).
Ob eine Eintragung in die Handwerksrolle ausnahmsweise dann nicht beachtet zu werden braucht, wenn die Eintragung nichtig ist, kann hier offen bleiben (vgl. dazu BSG 24, 13, 15). Im vorliegenden Fall kann von einer solchen Nichtigkeit nicht die Rede sein: Selbst wenn nämlich die Inhaberin der beigeladenen Firma nach den Vorschriften der Handwerksordnung nicht als "Nachfolgerin" in die Handwerksrolle eingetragen werden durfte, wie die Klägerin meint, wäre die gleichwohl erfolgte Eintragung deswegen nicht nichtig; denn ein etwaiger Rechtsfehler ist nicht so offensichtlich, daß er sich schon bei einiger Aufmerksamkeit ohne weiteres aufdrängt (vgl. zu den rechtlichen Merkmalen der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes BSG 24, 162).
Die Eintragung der Inhaberin der beigeladenen Firma in die Handwerksrolle muß hiernach solange von den beteiligten Krankenkassen und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als Tatsache hingenommen werden, als die Eintragung nicht gelöscht ist. Unbenommen bleibt dabei der Klägerin, an die Handwerkskammer oder deren Aufsichtsbehörde mit dem Ziel heranzutreten, die als unrichtig angesehene Eintragung von Amts wegen berichtigen zu lassen (BSG 24, 13). Bis zu einer solchen Berichtigung haben die von der Klägerin angerufenen Gerichte nach Maßgabe des festgestellten Sachverhalts zu entscheiden. Sie sind weder verpflichtet noch berechtigt, den Rechtsstreit bis zum Abschluß eines künftigen Berichtigungsverfahrens auszusetzen oder eine Stellungnahme der Aufsichtsbehörde über die Rechtmäßigkeit der Eintragung einzuholen oder gar von sich aus auf eine Berichtigung hinzuwirken. Soweit das RVA früher eine andere Auffassung vertreten hat (AN 1926, 428 oben), kann sie heute wegen der veränderten staatsrechtlichen Stellung der zur Entscheidung von sozialrechtlichen Streitigkeiten berufenen Gerichte nicht mehr geteilt werden.
Fehl geht schließlich der Hinweis der Klägerin auf die von einzelnen Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in Anspruch genommene Befugnis, die zur Errichtung einer IKK erforderliche Zustimmung des Gesellenausschusses auf ihre Wirksamkeit und Ordnungsmäßigkeit zu überprüfen. Dieser Sachverhalt ist mit dem hier vorliegenden schon deswegen nicht vergleichbar, weil die Mitwirkung des Gesellenausschusses bei der Errichtung einer IKK weder ein Verwaltungsakt wie die Eintragung in die Handwerksrolle noch ein ausschließlich handwerksrechtlicher Tatbestand ist.
Das LSG hat somit die Zuständigkeit der beklagten IKK für den Betrieb der beigeladenen Firma mit Recht bejaht, die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Fundstellen