Entscheidungsstichwort (Thema)
beitragsrechtlichen Behandlung unentgeltlich oder verbilligt gewährter Mahlzeiten
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitgeber, der seinen Beschäftigten neben einem Barlohn verbilligte Mahlzeiten gewährt, ohne daß der Wert dieser Vergünstigung bereits bei der Bemessung des Barlohnes berücksichtigt ist, hat für die Berechnung der Beiträge Anspruch auf den Freibetrag nach LStR Abschn 15 Abs 1 S 3. Der Wert der Mahlzeiten bestimmt sich dabei nach den üblichen Mittelpreisen des Verbraucherortes, nicht nach den Sachbezugswerten (RVO § 160 Abs 2).
Leitsatz (redaktionell)
Zur beitragsrechtlichen Behandlung unentgeltlich oder verbilligt gewährter Mahlzeiten:
1. Allgemeine Regelungen des Steuerrechts über die Abgrenzung des steuerpflichtigen Arbeitslohnes - zu denen auch die Lohnsteuerrichtlinien gehören - wirken sich in gleicher Weise auf die Bestimmung des Entgelts in der Sozialversicherung aus.
2. Der geldwerte Vorteil bei unentgeltlich oder verbilligt gewährten Mahlzeiten ist unter der Voraussetzung, daß er bei der Bemessung des Barlohnes nicht schon berücksichtigt it, kein Entgelt iS der Sozialversicherung, soweit der Vorteil für den Arbeitnehmer 1,50 DM arbeitstäglich nicht übersteigt.
3. Als Mittelpreise des Verbrauchsortes iS des LStR Abschn 15 Abs 1 S 4 können nicht ohne weiteres die nach RVO § 160 Abs 2 festgesetzten Sachbezugswerte zugrunde gelegt werden.
4. Die Beitragspflicht von Bar- und Sachbezügen richtet sich seit dem RFM/RAMErl 1944-09-10 grundsätzlich nach ihrer Lohnsteuerpflicht. Dabei sind auch die LStR zu beachten.
Orientierungssatz
Zur Frage der Verbindlichkeit der Lohnsteuer-Richtlinien.
Normenkette
RVO § 160 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; LStR Abschn. 15 Abs. 1 Sätze 3-4; RFM/RAMErl 1944-09-10
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1964 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Kläger, ein selbständiger Bäckermeister, wendet sich gegen die von der beklagten Krankenkasse vorgenommene Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge für seine zum Rechtsstreit beigeladenen Beschäftigten (eine Verkäuferin, einen Gesellen und einen Lehrling). Diese erhielten seit Februar 1960 einen Barlohn. Sie wohnten beim Kläger und wurden von ihm beköstigt. Kost und Wohnung berechnete er ihnen - entsprechend einer mit ihnen getroffenen "Sondervereinbarung" - mit den im Lande Nordrhein-Westfalen festgesetzten Sachbezugswerten (seinerzeit 111 bzw. 102 DM im Monat), von denen er jedoch einen Betrag von 45 DM abzog, um den er die Mahlzeiten verbilligt gewährte. Ob der Wert dieser Vergünstigung zum beitragspflichtigen Entgelt gehört und deshalb dem Barlohn hinzugerechnet werden muß, ist zwischen den Beteiligten streitig. Der Kläger beruft sich insofern vor allem auf eine Bestimmung der Lohnsteuerrichtlinien, nach der verbilligte Mahlzeiten bis zum Betrag von 1,50 DM täglich (= 45 DM monatlich) lohnsteuerfrei bleiben; daraus ergebe sich zugleich die Beitragsfreiheit dieses Betrages. Die Beklagte hält dagegen die fragliche Vergünstigung für beitragspflichtiges Entgelt und hat eine entsprechende Beitragsnachforderung erhoben (Bescheid vom 11. April 1960 und Widerspruchsbescheid vom 21. April 1960, beide geändert in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) am 28. Februar 1962).
Das SG Detmold hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Februar 1962). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat die genannte steuerliche Bestimmung nicht als eine von den Gerichten zu beachtende Rechtsnorm angesehen; überdies fehle ihr die gesetzliche Grundlage; schließlich sei sie im Falle des Klägers nach einem in den Lohnsteuerrichtlinien selbst enthaltenen Vorbehalt nicht anwendbar, weil die Verbilligung der Mahlzeiten als Sachbezug gewährt und bereits bei der Bemessung des Barlohnes berücksichtigt gewesen sei. Auch auf eine ähnliche Vorschrift im "Gemeinsamen Erlaß" des Jahres 1944 könne sich der Kläger nicht stützen, da diese - was hier nicht zutreffe - nur für Arbeitnehmer gelte, die nicht in den Haushalt des Arbeitgebers aufgenommen seien (Urteil vom 9. Juli 1964).
Der Kläger rügt mit der zugelassenen Revision, das LSG habe die fraglichen Bestimmungen der Lohnsteuerrichtlinien und des Gemeinsamen Erlasses zu Unrecht nicht angewendet. Entgegen der Ansicht des LSG habe er seinen Beschäftigten seit Februar 1960 keinen aus Bar- und Sachbezügen zusammengesetzten "gespaltenen" Lohn, sondern nur einen Bruttobarlohn gezahlt. Die beigeladenen Arbeitnehmer seien auch nicht in seinen Haushalt aufgenommen gewesen. Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten mit der am 28. Februar 1962 erklärten Änderung aufzuheben.
Die beklagte Krankenkasse und die beigeladene Landesversicherungsanstalt beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die übrigen Beteiligten haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Die Revision des Klägers ist begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen lassen eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits nicht zu, rechtfertigen insbesondere nicht die vom LSG bestätigte Abweisung der Klage.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats richtet sich die Beitragspflicht von Bar- und Sachbezügen seit dem "Gemeinsamen Erlaß" vom 10. September 1944 (AN II 281) grundsätzlich nach ihrer Lohnsteuerpflicht (vgl. BSG 24, 71, 72 mit weiteren Nachweisen; SozR RVO § 160 Nr. 21 und Nr. 23). Die Versicherungsträger und die Gerichte, die die Lohnsteuerpflicht eines bestimmten Bezuges prüfen, haben dabei nicht nur die in der Form des Gesetzes oder der Rechtsverordnung erlassenen Steuervorschriften zu beachten, sondern auch die - in der Steuerpraxis allgemein als verbindlich behandelten - Lohnsteuerrichtlinien. Soll nämlich die mit dem Gemeinsamen Erlaß erstrebte Vereinfachung des Lohnabzugs nicht in vielen für die Praxis wichtigen Fällen vereitelt werden, so müssen sich die für die Abgrenzung des steuerpflichtigen Arbeitsentgelts bedeutsamen allgemeinen Regelungen, zu denen auch die Lohnsteuerrichtlinien (LStR) gehören, in gleicher Weise auf die Entgeltbestimmung auswirken (BSG 22, 169, 172 f; etwas anderes gilt für Einzelentscheidungen der Finanzbehörden, vgl. SozR RVO § 160 Nr. 23).
Nach den LStR in der hier maßgebenden Fassung des Jahres 1960 (Bundessteuerblatt 1960 I, 537, 549) bleibt der Wert unentgeltlich oder verbilligt gewährter Mahlzeiten, der an sich steuerpflichtiges Arbeitsentgelt ist, aus Gründen der "Vereinfachung" insoweit lohnsteuerfrei, als "der geldwerte Vorteil für den Arbeitnehmer täglich 1,50 DM nicht übersteigt". Die Bemessung des Werts der Mahlzeiten richtet sich dabei nach den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsortes (Abschn. 15 Abs. 1 Sätze 3 u. 4). Abweichend hiervon gehört der Wert freier oder verbilligter Mahlzeiten stets zum steuerpflichtigen Arbeitslohn, wenn er bei der Bemessung des Arbeitslohnes bereits berücksichtigt ist. In diesen Fällen gelten für die Bemessung des Werts der Mahlzeiten die von den zuständigen Behörden festgesetzten Sachbezugswerte (Abschn. 15 Abs. 2 LStR).
Das LSG hat angenommen, daß die Vergünstigung, die der Kläger den beigeladenen Beschäftigten durch Verabreichung verbilligter Mahlzeiten gewährte, "bei der Bemessung des Arbeitslohnes bereits berücksichtigt" und deshalb nicht lohnsteuerfrei war. Dem kann nicht beigetreten werden. Ob die freie oder verbilligte Gewährung von Mahlzeiten bereits bei der Bemessung des Arbeitslohnes, d. h. des Barlohnes, berücksichtigt ist, wird im allgemeinen davon abhängen, ob der Barlohn entsprechend gemindert ist, ob also ein aus Bar- und Sachbezügen zusammengesetzter ("gespaltener") Lohn gezahlt wird. Die Vereinbarung eines solchen gespaltenen Lohnes liegt im Belieben der Vertragspartner. Hier hat nach Feststellung des LSG der Kläger seinen Beschäftigten seit Februar 1960 nur einen Barlohn gezahlt. Dafür, daß dies lediglich zum Schein ("pro forma") geschehen ist, wie das LSG meint, fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten. Es ist auch nicht ersichtlich, in welcher Weise die Beteiligten ihre Rechtsbeziehungen nach der Umstellung auf Barentlohnung sonst noch hätten ändern müssen, um der Forderung des LSG nach "Klarheit und Deutlichkeit" der Vertragsgestaltung zu entsprechen. Die - von den Steuerbehörden offenbar für wirksam gehaltene - Vereinbarung eines Barlohnes zwischen dem Kläger und seinen Beschäftigten ist auch für das Gebiet der Sozialversicherung maßgebend und als solche hinzunehmen. Die Ausnahmebestimmung in Abschnitt 15 Abs. 2 LStR findet hier mithin keine Anwendung. Dem Kläger steht vielmehr für seine Beschäftigten mit Rücksicht auf die verbilligt gewährten Mahlzeiten der in Abschn. 15 Abs. 1 Satz 3 LStR vorgesehene Freibetrag zu.
Dies hat jedoch auf der anderen Seite zur Folge, daß der Wert der Mahlzeiten, wie Abschn. 15 Abs. 1 Satz 4 LStR in Übereinstimmung mit § 3 Abs. 1 LStDV bestimmt (vgl. auch BSG 22, 171), "nach den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsortes" und nicht, wie der Kläger will, nach den im Land Nordrhein-Westfalen festgesetzten Sachbezugswerten zu bemessen ist. Obwohl auch diese "nach dem tatsächlichen Verkehrswert" festzusetzen sind (§ 160 Abs. 2 RVO), können sie doch im Einzelfall nicht unerheblich hinter den Mittelpreisen des Verbrauchsortes zurückbleiben, da es sich bei ihnen um Durchschnittswerte handelt, die für das ganze Land einschließlich des "flachen Landes" ermittelt werden. Daß auch im Falle des Klägers - seine Bäckerei befindet sich in der Großstadt B - die Ortspreise über den seinerzeit festgesetzten Sachbezugswerten lagen, ist nicht ausgeschlossen (bei größeren Abweichungen, waren im Steuerrecht nach einem in den Verwaltungsakten der Beklagten enthaltenen Erlaß des Finanzministers für Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1959 Zuschläge von 10 bis 20 v. H. zu den Sachbezugswerten zu machen). Wenn aber die Mittelpreise für Mahlzeiten in B im Jahre 1960 tatsächlich höher als die damals geltenden Sachbezugswerte waren, so hätte der Kläger die von ihm gewährten Mahlzeiten nicht nur um den Freibetrag von 45 DM, sondern darüber hinaus um den Unterschied zwischen den Sachbezugswerten und den B Mittelpreisen verbilligt. In Höhe dieses - lohnsteuerpflichtigen - Preisunterschieds hätte er dann auch Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten. Wie hoch die ortsüblichen Essenpreise seinerzeit in B waren, ist bisher nicht festgestellt worden. Der Senat kann diese Feststellungen nicht selber treffen und hat deshalb den Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Ermittlungen an die Vorinstanz zurückverwiesen. Da dem Kläger - entgegen der Ansicht des LSG - der von ihm beanspruchte Freibetrag von 45 DM monatlich schon nach den Lohnsteuerrichtlinien (Abschn. 15 Abs. 1 Satz 3) zusteht, kann dahingestellt bleiben, ob die Arbeitnehmer des Klägers, wie das LSG für die Anwendung einer Bestimmung des Gemeinsamen Erlasses (Abschn. 2 Abs. 1 Nr. 1) weiter geprüft hat, während der streitigen Zeit in seinen Haushalt aufgenommen waren. Die Lohnsteuerrichtlinien machen die Gewährung des genannten Freibetrages nicht mehr von der Nichtaufnahme in den Haushalt abhängig. Wenn der Senat auf diese Frage gleichwohl in einem früheren Urteil (BSG 22, 169, 171) noch eingegangen ist, so gesehen dies mehr beiläufig; für das Ergebnis der Entscheidung hatte es keine Bedeutung.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen