Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbares Recht bei Neuberechnung von Bestandsrenten im Zugunstenverfahren. Anerkennung weiterer Ersatzzeiten. Verfassungsmäßigkeit. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Wird ein vor dem 1.1.1992 ergangener Rentenbescheid zurückgenommen (§ 44 SGB 10), sind die neu zu ermittelnden persönlichen Entgeltpunkte nach den Vorschriften des SGB 6 zu berechnen.
Dies gilt auch dann, wenn sich die Entscheidung auf Zeiträume erstreckt, die vor dem 1.1.1992 liegen (Anschluß an BSG vom 8.11.1995 – 13 RJ 5/95 = SozR 3-2600 § 300 Nr 5; Abgrenzung zu BSG vom 18.1.1995 – 5 RJ 78/93).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB VI § 300 Abs. 1, 3, §§ 88, 306, 250 Abs. 1 Nr. 2; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 2; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1, Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. August 1996 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung höheren Altersruhegeldes für den Kläger. Zweifelhaft ist insbesondere, ob bei der Neuberechnung des Altersruhegeldes aufgrund eines im Dezember 1992 gestellten Überprüfungsantrags die Vorschriften des SGB VI oder noch der RVO, nach denen das Altersruhegeld bisher berechnet worden war, anzuwenden sind.
Nach seiner Übersiedelung aus der UdSSR in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1990 bewilligte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß durch Bescheid vom 15. Juli 1991 Altersruhegeld mit Wirkung vom 28. Oktober 1990. Der Rentenberechnung legte sie das FRG sowie die Vorschriften der RVO in der damals geltenden Fassung zugrunde. Auf seinen Überprüfungsantrag vom 30. Dezember 1992 erteilte die Beklagte dem Kläger am 1. September 1993, 24. Dezember 1993 und 24. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 1994 Neuberechnungsbescheide, bei denen sie zuletzt eine zusätzliche Ersatzzeit vom 1. Januar 1942 bis 30. September 1990 entsprechend den jeweiligen Vorschriften des SGB VI berücksichtigte.
Klage und Berufung des Klägers mit dem Ziel, die – für ihn günstigere – Berechnung noch nach den Vorschriften der RVO vorzunehmen, sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 5. Februar 1996; Urteil des LSG vom 16. August 1996). Zur Begründung ist im Berufungsurteil im wesentlichen ausgeführt: Bei einer Neuberechnung einer Rente gemäß § 44 Abs 1 SGB X sei der neue Bescheid gemäß § 300 Abs 3 SGB VI auf der jetzigen Rechtsgrundlage zu erteilen, wobei die bisher zustehende Rentenhöhe bestandsgeschützt sei. Da ein Verschulden des Versicherungsträgers iS eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vorliege, sei das vorher geltende Recht auch nicht ausnahmsweise anzuwenden. Die Frage einer evtl Amtshaftung falle nicht in die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts; er hält § 300 Abs 3 SGB VI insoweit für verfassungswidrig, als hiernach bei Zugunstenbescheiden neues Recht auch dann anzuwenden ist, wenn die Rente bereits vor dem 31. März 1992 festgestellt worden war. Hilfsweise macht er geltend, die Rechtslage müsse im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nach der RVO beurteilt werden. Hierzu führt er aus: Er habe in seinem Rentenantrag zwar die Frage nach Ersatzzeiten verneint, jedoch angegeben, daß er in der ehemaligen UdSSR nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs interniert gewesen sei. Hieraus hätte sich der Beklagten die Erkenntnis aufdrängen müssen, daß ein Ersatzzeittatbestand gegeben sei. Die Nichtberücksichtigung dieses Ersatzzeittatbestandes beinhalte angesichts des Amtsermittlungsprinzips der Verwaltung (§ 20 SGB X) eine Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten, deren Nachteile die Beklagte iS einer Folgenbeseitigung mit Hilfe der Rechtsfigur des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches auszugleichen habe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. August 1996 und des Sozialgerichts Köln vom 5. Februar 1996 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihrer Bescheide vom 15. Juli 1991, 1. September 1993, 24. Dezember 1993 und 24. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 1994 zu verurteilen, ihm höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung der anerkannten Ersatzzeit vom 1. Januar 1942 bis 30. September 1990 nach den Vorschriften der RVO zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß aufgrund der Übergangsbestimmung des § 300 Abs 1 bis 3 iVm §§ 306, 307 SGB VI die Rente des Klägers nach den Vorschriften des SGB VI zu berechnen ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Vorschriften bestehen nicht. Der Kläger kann auch nicht verlangen, daß die sich für ihn aus der Anwendung des SGB VI ergebenden Nachteile mittels eines Herstellungsanspruches ausgeglichen werden.
Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Die Wirkung der Zurücknahme ist, daß das durchgeführte Verwaltungsverfahren rechtlich so zu behandeln ist, als sei der zurückgenommene Verwaltungsakt niemals ergangen. Diese Fiktion bedeutet für das zugrundeliegende Sachanliegen des Adressaten des Verwaltungsaktes zweierlei: Zum einen gilt die Beendung des Verfahrens vor dem Verwaltungsträger, die durch den zurückgenommenen Verwaltungsakt zunächst eingetreten ist, als nicht erfolgt; der Verwaltungsträger ist weiterhin mit der Angelegenheit befaßt, das Verfahren ist nach wie vor bei ihm anhängig. Zum anderen verliert die bereits getroffene Entscheidung in inhaltlicher Beziehung ihre rechtliche Bedeutung; es ist keine „Regelung eines Einzelfalles” iS des § 31 Satz 1 SGB X getroffen worden, der Verwaltungsträger ist für eine solche Maßnahme funktionell zuständig geblieben. Folge dieser Situation ist, daß der Verwaltungsträger – sofern der Leistungsberechtigte einen entsprechenden Antrag gestellt hatte – eine „neue”) Entscheidung zu fällen, dh zusätzlich zu der Zurücknahme, ggf auch zeitgleich damit eine sachbezogene Maßnahme zu treffen hat.
Der neue Bescheid ist, wie in § 44 Abs 4 SGB X unter dem Gesichtspunkt der Leistungseinschränkung als allgemeine Leistungsgrundlage aufgeführt ist, „nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs” zu erlassen. Besonderer Teil dieses Gesetzbuches bezüglich der Rentenversicherung war vor Inkrafttreten des SGB VI das Vierte Buch der RVO (s Art II § 1 SGB I) und ist nach dem 1. Januar 1992 das SGB VI. Welche Gruppe dieser Vorschriften auf einen rentenrechtlichen Streitfall anzuwenden ist, richtet sich nach den konkreten Gegebenheiten des zu beurteilenden Sachverhalts, und zwar jeweils danach, ob die Vorschriften des SGB VI, die den Übergang vom alten zum neuen Recht betreffen, eine Zuweisung zu den früher oder den ab 1992 geltenden Rechtsnormen vornehmen. Im Fall des Klägers sind die Bestimmungen des SGB VI anzuwenden. Dies ergibt sich vornehmlich aus § 300 SGB VI, insbes dessen Abs 3.
§ 300 Abs 1 SGB VI bestimmt als Grundsatz für die Anwendung neuen Rechts, daß die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an (1. Januar 1992) auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden sind, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Damit ist die Anwendung neuen Rechts bei jeder Entscheidung vorgesehen, die nach dem 31. Dezember 1991 ergeht, auch wenn sich diese Entscheidung auf Zeiträume erstreckt, die vor dem 1. Januar 1992 liegen (vgl Kasseler Komm-Niesel, Sozialversicherungsrecht, Stand Oktober 1996, RdNrn 3 und 4 zu § 300 SGB VI mwN; BSG Urteil vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5 mwN).
Ausnahmsweise sieht Abs 2 der Vorschrift vor, daß ua die RVO auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden ist, wenn dieser bis zum Ablauf von drei Monaten nach Aufhebung des Gesetzes (31. Dezember 1991) – also bis zum 31. März 1992 – geltend gemacht wird.
Gemäß § 300 Abs 3 Satz 1 SGB VI gelten die Absätze 1 und 2 der Vorschrift auch, wenn nach dem maßgebenden Zeitpunkt eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist und dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind. § 88 Abs 1 SGB VI, der über § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI entsprechend anzuwenden ist, garantiert dem Versicherten dabei, daß für die neu festzustellende Rente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden. Allein wegen des Inkrafttretens des SGB VI werden bei einer bereits bewilligten Rente indes die ihr zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt, § 306 Abs 1 SGB VI (vgl BSG Urteil vom 18. Juli 1996 – 4 RA 108/94 – SozR 3-2600 § 300 Nr 7). Vielmehr erfolgt allein eine Umwertung der Bestandsrente unter Ermittlung persönlicher Entgeltpunkte anhand des Monatsbetrags der zu leistenden Rente, § 307 Abs 1 SGB VI.
Mithin sind auch bereits bewilligte Renten nicht vollständig von der Anwendung des SGB VI ausgenommen. Sofern – wie im vorliegenden Fall – Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind, ist altes Recht vielmehr nur dann weiter anzuwenden, wenn ein Überprüfungsantrag bis 31. März 1992 gestellt worden ist. Der Kläger hat seinen Anspruch auf Neuberechnung des Altersruhegeldes aber erst am 30. Dezember 1992 gestellt.
Bei der Neuberechnung des Altersruhegeldes des Klägers wären iS des § 300 Abs 3 Satz 1 SGB VI auch Entgeltpunkte neu zu ermitteln gewesen. Zwar waren bei der ursprünglichen Berechnung des Altersruhegeldes nach den Vorschriften der RVO nicht Entgeltpunkte, sondern Werteinheiten zu ermitteln, so daß es sich bei einem rein am Wortlaut orientierten Verständnis der Vorschrift nicht um eine „neue” Ermittlung von Entgeltpunkten handelte. Die Vorschrift dient jedoch gerade dazu, auch bei Altrenten die Anwendung neuen Rechts zu sichern, etwa wenn weitere versicherungsrechtliche Zeiten zu berücksichtigen sind (vgl BT-Drucks 11/4124 S 206 zu § 291 Abs 3 des Entwurfs; BSG Urteil vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5).
Zweifel bestehen vorliegend allerdings schon daran, ob – wie von der Beklagten im Bescheid vom 24. Februar 1994 angenommen – in der Zeit von Januar 1942 bis September 1990 überhaupt (durchgehend) Ersatzzeit t a t b e s t ä n d e vorlagen und daher „eine Neuberechnung der Rente … unter Berücksichtigung der Ersatzzeit vom 01.01.42 bis 31.01.56 und 01.02.56 bis 30.09.90” vorzunehmen war. Denn gemäß § 250 Abs 2 SGB VI sind Ersatzzeiten nicht Zeiten,
- …
- in denen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet eine Rente wegen Alters oder anstelle einer solchen eine andere Leistung bezogen worden ist,
- in denen nach dem 31. Dezember 1956 die Voraussetzungen nach Abs 1 Nr 2, 3 und 5 vorliegen und Versicherte eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit auch aus anderen als den dort genannten Gründen nicht ausgeübt haben.
Der Kläger hat ausweislich des Fragebogens über zurückgelegte Beschäftigungs-, Versicherungs-, Ausfall- und Militärdienstzeiten in der UdSSR als Anlage zu seinem Altersruhegeldantrag in der UdSSR zwischen dem 21. April 1986 und dem 6. Oktober 1990 Altersrente von der staatlichen Versicherung bezogen. Dieser Rentenbezug steht aber gemäß § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI der Berücksichtigung derselben Zeit als Ersatzzeit entgegen. In der Zeit zwischen dem 1. Januar 1957 und dem 20. April 1986 war der Kläger zwar iS des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI an seiner Rückkehr verhindert; die Auffüllersatzzeit gleicht jedoch andere Fehlzeiten – und damit Beitragslücken – aus, so daß diese Zeiten gemäß § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI keine Berücksichtigung als Ersatzzeiten finden können. So könnten nach dem Wortlaut des § 250 Abs 2 SGB VI nur die Zeiten bis 31. Dezember 1956 Anrechnung als Ersatzzeiten finden. In diesen wird eine Internierung oder Verschleppung iS des § 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI regelmäßig unterstellt, obwohl die Beschränkung der Rechtsstellung der Deutschen, die sich in Sondersiedlungen befanden (sog Kommandanturaufsicht), durch Erlaß des Obersten Sowjet vom 13. Dezember 1955 aufgehoben worden war (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II, Band 2, SGB VI, 3. Aufl, Stand Juli 1994, RdNr 180 zu § 250). Der Kläger war nach eigenen Angaben im Rentenantrag vom 17. August 1941 bis Juli 1956 interniert. Zeiten der Internierung waren allerdings vom Ersatzzeitbegriff des § 1263 Abs 1 Nr 3 RVO in der Fassung vor Rechtsänderung durch Art 17 Abs 1 der VO vom 17. März 1945 überhaupt nicht umfaßt; in der durch diese VO geänderten Fassung galten als Ersatzzeiten nur Zeiten, in denen der Versicherte während eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus dem Ausland gehindert gewesen ist (§ 1263 Nr 4 RVO aF).
Die „Berücksichtigung” der von der Beklagten anerkannten Ersatzzeiten führt indes unter der Geltung der Vorschriften des SGB VI nicht zu einem Anspruch des Klägers auf höheres Altersruhegeld.
Gemäß § 300 Abs 1 und 3 SGB VI verbleibt es bei dem Grundsatz, daß die rechtlichen Auswirkungen der „Berücksichtigung” von Ersatzzeiten nach neuem Recht zu beurteilen sind. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Neufeststellung aufgrund einer Veränderung in den Verhältnissen notwendig war oder rückwirkend gemäß § 44 SGB X erfolgte. Denn Neufeststellungen gemäß § 44 SGB X, bei denen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind, stellen das Schwergewicht der in Betracht kommenden Fälle dar; hierauf zielt daher die Bestimmung des § 300 Abs 3 SGB VI vornehmlich ab (vgl BT-Drucks 11/4124 S 206 zu § 291 Abs 3 des Entwurfs).
Bedenken gegen die Anwendung des § 300 Abs 3 SGB VI aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen nicht. Die Vorschrift verstößt weder gegen den Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG noch gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Zwar mag die Neuberechnung des klägerischen Altersruhegeldes bei Zugrundelegung des SGB VI rechnerisch zu einem niedrigeren Endbetrag als die Berechnung nach der RVO führen. Dies wirkt sich jedoch insoweit nicht aus, als der bisherige Rentenzahlbetrag durch § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI bestandsgeschützt ist und in dieser Höhe auch dynamisiert wird (Verweisung auf § 88 SGB VI). Dem Altersruhegeld werden demzufolge mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde gelegt. Als – behaupteter – Nachteil für den Kläger verbliebe daher lediglich, daß der Erfolg, den er im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X bei Anwendung des alten Rechts erzielt hätte, durch die Neuberechnung nach dem SGB VI ganz aufgesogen würde. Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG Beschlüsse vom 1. März 1979 – 1 BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290, vom 28. Februar 1980 – 1 BvL 100/79 – BVerfGE 53, 257, vom 8. April 1987 – 1 BvR 1134/84 – BVerfGE 75, 78 und vom 15. Juli 1987 – 1 BvL 11/86 – BVerfGE 76, 220) ist eine Regelung, die eigentumsgeschützte Positionen für die Zukunft beeinträchtigt, zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Wohls unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt, wenn der Eingriff geeignet und erforderlich ist und keine übermäßige Belastung des Betroffenen bewirkt. Daß aus diesen Gründen das Eigentum des Klägers an seinem Rentenanspruch nicht in verfassungswidriger Weise verletzt wird, hat der 13. Senat des BSG in seinem Urteil vom 8. November 1995 (13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5) überzeugend dargelegt. Dieser Auffassung schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß Art 3 Abs 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz schließt nur aus, daß eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird als eine andere, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, daß sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Die Unterscheidung wird vorliegend durch die Stichtagsregelung des § 300 Abs 1 bis 3 SGB VI getroffen. Stichtagsregelungen sind aber grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig; denn jede gesetzliche Regelung, die sich auf Sachverhalte von einiger Dauer bezieht, muß neben dem Datum des Inkrafttretens zusätzlich bestimmen, welche Tatbestandsmerkmale für die Anwendung des alten oder des neuen Rechts maßgeblich sein sollen. Dabei muß hingenommen werden, daß jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Unterscheidung zwischen Versicherten, die bis zum 31. März 1992 einen Antrag gestellt haben, und den übrigen vor der Verfassung gerechtfertigt, zumal die Betroffenen durch dynamisierten Besitzschutz gesichert sind (vgl BSG Urteil vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5 unter Hinweis auf die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung).
Der Kläger kann sich für seinen Anspruch auf weitere Anwendung der Vorschriften der RVO aber auch nicht mit Erfolg auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Ein solcher Herstellungsanspruch ist in der Rechtsprechung des BSG nur dort anerkannt worden, wo der Versicherte durch ein Verhalten der Verwaltung entweder von einer rechtzeitigen Wahrnehmung ihm zustehender Rechte abgehalten oder veranlaßt worden ist, eine für ihn ungünstige Erklärung abzugeben. Grundlage für die Anwendung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist ein Sachverhalt, bei dem durch ein objektives Fehlverhalten der Verwaltung die Entscheidung des Versicherten über die Wahrnehmung von Rechten zu seinen Ungunsten fehlgeleitet wurde. Nicht in Betracht kommt hingegen ein Herstellungsanspruch dort, wo lediglich ein Fehler der Sachbearbeitung in der Sache selbst vorliegt, der nicht zu einem für ihn ungünstigen Verhalten des Versicherten geführt hat, oder wo die dem Versicherten günstigen Voraussetzungen erst später bekannt geworden sind. Für solche Fälle sieht das Gesetz nämlich ausdrückliche Regelungen vor. Es räumt dem Versicherten die Möglichkeit ein, ein Widerspruchsverfahren einzuleiten (§§ 84 ff SGG), bei Fristverstreichung hierfür die Stellung eines Überprüfungsantrags gemäß § 44 SGB X. Damit ist für den Regelfall die Korrektur von Entscheidungen, welche die Rechte des Klägers nicht vollständig wahren, abschließend geregelt. Die übergangsrechtlichen Folgerungen, die hieraus zu ziehen sind, ergeben sich – wie dargelegt – aus § 300 Abs 3 SGB VI.
Aus den den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ergibt sich nicht, daß der Kläger durch Handlungen oder Unterlassungen der Beklagten fehlgeleitet, insbesondere bestimmt worden wäre, seinen Überprüfungsantrag statt bis 31. März 1992 erst im Dezember 1992 zu stellen. Die Beklagte hatte bis dahin lediglich zu niedrige Leistungen festgestellt. Diese Verwaltungsentscheidung konnte mit dem Antrag nach § 44 SGB X angegriffen werden. Den Feststellungen des LSG ist nichts dafür zu entnehmen, daß die Beklagte zu der Verzögerung der Antragstellung bis nach dem 31. März 1992 beigetragen hat. Selbst wenn der Beklagten vorzuwerfen wäre, daß sie es unterlassen habe, rechtzeitig erforderliche und auch mögliche Ermittlungen anzustellen, liegt darin keine Fehlleitung des Klägers. Diese Fälle sind vielmehr vom Regelungszweck des § 300 Abs 3 SGB VI mit umfaßt.
Soweit der erkennende Senat in seinem Urteil vom 18. Januar 1995 – 5 RJ 78/93 – ausgeführt hat, aus der Vorschrift des § 44 SGB X folge der Anspruch, rechtlich so gestellt zu werden, als hätte die Behörde von vornherein richtig entschieden mit der Folge, daß der Neubescheid die Sach- und Rechtslage bei Erlaß des früheren Verwaltungsaktes zu berücksichtigen habe, folgt hieraus kein Widerspruch zur vorstehenden Begründung. Damit ist nur auf den generellen Anspruch des Versicherten abgestellt, entsprechend dem geltenden Recht beschieden zu werden. Die Modalitäten der Anspruchsbewertung sind hingegen nicht angesprochen. Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies: Durch § 44 SGB X ist das Recht des Klägers geschützt, eine Anrechnung tatsächlich zurückgelegter Ersatzzeiten in der ehemaligen UdSSR zu erreichen. Die Modalitäten der Anrechnung – Berechnung des Altersruhegeldes nach der RVO oder dem SGB VI – bestimmen sich jedoch nach der Stichtagsregelung in § 300 Abs 1 bis 3 SGB VI.
Überdies hatte der Senat in dem genannten Rechtsstreit über die Frage der Anrechnung weiterer Ersatzzeiten selbst zu entscheiden. Streitig war der Rechtsgrund der Anrechnung dieser Ersatzzeiten, nicht jedoch die Modalität der Anrechnung auf die klägerische Rente. Die dortigen Ausführungen tragen die Entscheidung mithin nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
NZS 1998, 247 |
SozR 3-2600 § 300, Nr.11 |
SozSi 1998, 276 |