Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Juli 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch deren außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist im Revisionsverfahren nur noch, ob die Klägerin unter Berücksichtigung von im Ghetto Lodz zurückgelegten Zeiten sowie davor und danach liegenden Ersatzzeiten Anspruch auf Altersruhegeld hat.
Die am 4. April 1925 in Stettin als deutsche Staatsangehörige und Kind jüdischer Eltern geborene Klägerin zog in ihrer frühen Kindheit mit ihrer Familie nach Lodz. Von 1941 bis 1944 lebte sie im Ghetto in der Stadt Lodz. Hier arbeitete sie von April 1941 bis Mitte 1944 in einer Kleiderfabrik als Näherin. Nach der Räumung des Ghettos im August 1944 wurde sie zunächst in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht und danach in das Lager Gross-Rosen deportiert. Aus diesem Lager wurde sie im Mai 1945 befreit. Danach hielt sie sich im Lager für „Displaced Persons” in Zeilsheim auf. Im November 1947 emigrierte sie in die USA. Sie war zunächst staatenlos und ist jetzt amerikanische Staatsangehörige. In den USA übte sie kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aus. Sie ist als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt und hat Leistungen nach dem BEG erhalten.
Am 28. Dezember 1990 beantragte die Klägerin bei der BfA die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung gemäß §§ 21, 22 WGSVG; außerdem stellte sie am 17. Januar 1991 bei der BfA einen Antrag auf Altersruhegeld. Beide Anträge wurden von der BfA abgelehnt, weil weder ein Anspruch auf Altersrente bestehe, noch die Voraussetzungen für eine Zulassung zur Beitragsnachentrichtung vorlägen (Bescheide vom 16. und 17. März 1992). Die hiergegen von der Klägerin eingelegten Widersprüche blieben in der Sache erfolglos. Die BfA hob lediglich wegen fehlender Zuständigkeit die angefochtenen Bescheide auf, weil ihrer Ansicht nach die jetzige Beklagte für das Rentenbegehren sachlich zuständig sei. Diese übernahm sodann das Rentenverfahren. Mit Bescheid vom 6. Oktober 1993 lehnte die Beklagte den Antrag auf Regelaltersrente ab, weil keine Beitragszeiten zurückgelegt worden seien und die Klägerin deshalb nicht die allgemeine Wartezeit erfülle. Die Anerkennung der Tätigkeit im Ghetto Lodz als Beitrags- oder Beschäftigungszeit scheitere insbesondere daran, daß es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis auf freiwilliger Basis, sondern um ein Zwangsarbeitsverhältnis aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses gehandelt habe. Der Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach §§ 21, 22 WGSVG wurde abgelehnt, weil keine Beitrags- oder Beschäftigungszeiten nach dem FRG vorlägen. Die von der Klägerin hiergegen eingelegten Widersprüche wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 1994 zurück.
Mit der zum SG Hamburg erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Rentenbegehren sowie ihren Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen weiterverfolgt. Das SG hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 6. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 1994 verurteilt, der Klägerin ein Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Mai 1990 unter Berücksichtigung einer glaubhaft gemachten Beschäftigungszeit (richtig: Beitragszeit) von April 1941 bis Dezember 1941 und einer fiktiven Beitragszeit von Januar 1942 bis August 1944 sowie Ersatzzeiten von November 1939 bis März 1941 und September 1944 bis Mai 1945 zu gewähren; im übrigen – dh hinsichtlich der begehrten Zulassung zur Beitragsnachentrichtung – ist die Klage abgewiesen worden (Urteil vom 21. Juli 1995). Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt: Im Gebiet von Lodz sei das Recht der RVO zum 1. Januar 1942 durch die Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten vom 22. Dezember 1941 (RGBl I S 777 ≪Ostgebiete-VO≫) eingeführt worden, so daß auf die Beschäftigungszeiten der Klägerin von Januar 1942 bis August 1944 § 1250 Abs 1 Buchst a iVm § 1227 Abs 1 RVO aF anzuwenden sei. Für die Zeit bis zum 31. Dezember 1941 seien die Zeiten der Klägerin nach § 17 Abs 1 Buchst b (in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung) iVm § 15 FRG zu bewerten. Nach § 15 Abs 1 Satz 1 FRG stünden Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt seien, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Die Klägerin habe auch iS von §§ 3, 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG (in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung) glaubhaft gemacht, daß sie im Ghetto Lodz von April 1941 bis August 1944 als Näherin eine Tätigkeit ausgeübt habe, welche die Kriterien eines rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfülle. Bei dieser Tätigkeit habe es sich um ein auf dem zielgerichteten Einsatz eigener Kräfte beruhendes unentgeltliches Beschäftigungsverhältnis gehandelt. Das Beschäftigungsverhältnis sei zwar – wie alle anderen Beschäftigungsverhältnisse im Ghetto Lodz – nicht durch eine freie Berufswahl und -ausübung iS von Art 12 Abs 1 und 2 GG geprägt gewesen; bezogen auf den maßgeblichen rechtlichen und historischen Hintergrund habe es sich jedoch um ein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gehandelt und nicht um ein versicherungsfreies Zwangsarbeitsverhältnis aufgrund öffentlich-rechtlichen Gewahrsams, so daß insoweit die Voraussetzungen sowohl von § 1227 Abs 1 RVO aF als auch von § 15 FRG vorlägen. Unter Berücksichtigung dieser Zeiten und der von der Beklagten anerkannten Ersatzzeiten erfülle die Klägerin die rentenversicherungsrechtlich relevante Wartezeit von 60 Kalendermonaten für die Gewährung des Altersruhegeldes. Dagegen scheitere ein Anspruch auf Nachentrichtung von Beiträgen daran, daß für die Klägerin bereits vor der Neufassung des § 17 Abs 1 Buchst b FRG zum 1. Januar 1990 Beitragszeiten zu berücksichtigen gewesen seien und deshalb das besondere Nachentrichtungsrecht nach § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG für sie nicht gelte.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision, der die Klägerin zugestimmt hat, rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere von § 1226 Abs 1 RVO aF, § 1248 Abs 5 und 7 Satz 2, § 1250 Abs 1 RVO, §§ 15, 17 Abs 1 Buchst b FRG und § 14 Abs 2 WGSVG. Hierzu trägt sie vor: Sinn und Zweck des § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG erlaubten es nur, Beitragszeiten zu fingieren, die bei einem deutschen Träger der Sozialversicherung zurückgelegt worden seien. Auch sei eine Verletzung materiellen Rechts darin zu sehen, daß das SG für die Zeit von Januar 1942 bis August 1944 davon ausgegangen sei, daß die Klägerin mit ihrer Tätigkeit im Schneiderressort des Ghettos Lodz in einem Beschäftigungsverhältnis der Art gestanden habe, wie es im Sozialversicherungsrecht vorausgesetzt werde. Denn ungeschriebenes Merkmal des Begriffs der „Beschäftigung” bilde die Freiwilligkeit der Tätigkeit. Vorausgesetzt werde ein freier wirtschaftlicher Austausch von Arbeit und Lohn. Nach allgemeiner Meinung fehle diese Voraussetzung bei Personen, die Arbeit aufgrund eines „obrigkeitlichen” bzw gesetzlichen Zwanges verrichteten. Hierzu gehörten Strafgefangene, Fürsorgezöglinge (sofern sie nicht außerhalb der Anstalt beschäftigt würden), Kriegsgefangene sowie auch die im Inland zurückgehaltenen Angehörigen feindlicher Staaten, die weder Kriegs- noch Zivilgefangene seien. Verneint werde ein Beschäftigungsverhältnis auch bei KZ-Gefangenen, selbst wenn diese zu Arbeiten außerhalb des Lagers herangezogen würden (BSG Urteil vom 10. Dezember 1974 – 4 RJ 379/73 – SozR 5070 § 14 Nr 2). Mit seiner Entscheidung vom 4. Oktober 1979 (1 RA 75/78 – SozR 5070 § 14 Nr 9) habe das BSG ausgeführt, daß auch die in einem Ghetto ausgeführten Zwangsarbeiten nicht als Beschäftigungsverhältnis angesehen werden könnten. Die besondere Situation des Ghettos Lodz mit seiner relativen inneren Autonomie hindere nicht daran, daß es sich bei der im Ghetto geleisteten Arbeit nicht um eine freiwillige Tätigkeit, sondern um Zwangsarbeit gehandelt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Juli 1995 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß das SG die Beklagte im Ergebnis zu Recht zur Gewährung von Altersruhegeld unter Berücksichtigung der genannten Zeiten verurteilt hat. Ihre Anschlußrevision, mit der sie sich gegen die teilweise Abweisung ihrer Klage durch das SG gewandt hatte, ist zurückgenommen worden.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 1994 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Mai 1990 unter Berücksichtigung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit von April 1941 bis Dezember 1941 und einer fiktiven Beitragszeit von Januar 1942 bis August 1944 sowie unter Anrechnung von Ersatzzeiten von November 1939 bis März 1941 und von September 1944 bis August 1945 zu gewähren.
Da die Klägerin ihre Anschlußrevision zurückgenommen hat, hatte der Senat nicht mehr darüber zu entscheiden, ob das SG die Klage hinsichtlich der auf § 21 WGSVG iVm § 17 Abs 1 Buchst b FRG gestützten Zulassung zur Beitragsnachentrichtung zu Recht abgewiesen hat.
A. Soweit im Tenor des angefochtenen Urteils die Zeit von April 1941 bis Dezember 1941 als glaubhaft gemachte Beschäftigungszeit bezeichnet ist, handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit, die gemäß §§ 138, 153 Abs 1, 165 Satz 1 SGG auch noch in der Revisionsinstanz im Rahmen der Entscheidung über das Rechtsmittel zu berichtigen ist (BSG Urteile vom 15. Februar 1978 – 3 RK 29/77 – BSGE 46, 34, 40 = SozR 1500 § 138 Nr 3 und vom 15. Oktober 1987 – 1 RA 57/85 – SozR 1500 § 164 Nr 33). Der Ausspruch im Urteilstenor entspricht nicht dem Inhalt der Urteilsbegründung. Daraus ergibt sich, daß das SG im genannten Zeitraum eine Beschäftigung als glaubhaft gemacht angesehen und dies zusammen mit anderen Voraussetzungen – richtigerweise (s unten B.1.a) – als glaubhaft gemachte Beitragszeit versicherungsrechtlich gewertet hat. Eine solche offenbare Unrichtigkeit konnte der Senat von Amts wegen berichtigen (Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 5. Aufl 1993, § 138 RdNrn 3 und 4).
B. Der Anspruch der Klägerin auf Altersruhegeld richtet sich noch nach der RVO in der am 31. Dezember 1991 gültigen Fassung, weil der Rentenantrag bereits im Januar 1991 gestellt worden ist und sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Gemäß § 1248 Abs 5 RVO erhält Altersruhegeld der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs 7 Satz 3 der Vorschrift erfüllt hat. Die Wartezeit ist erfüllt, wenn eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt ist. Die Klägerin hat mehr als 60 Kalendermonate Versicherungszeit zurückgelegt.
1. Gemäß § 1250 Abs 1 Buchst a und b RVO sind anrechnungsfähige Versicherungszeiten ua Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten (Beitragszeiten) sowie Zeiten ohne Beitragsleistung nach § 1251 RVO (Ersatzzeiten). Im Gebiet von Lodz ist das Recht der RVO durch die Ostgebiete-VO vom 22. Dezember 1941 eingeführt worden. Auf die Beschäftigung der Klägerin von Januar 1942 bis August 1944 ist daher als frühere Vorschrift der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO in der damals gültigen Fassung (aF) anzuwenden. Denn die Klägerin stand während dieser Zeit in einem die Rentenversicherungspflicht begründenden Arbeits- bzw Beschäftigungsverhältnis (s unten a). Für die Zeit von April 1941 bis zum 31. Dezember 1941 ist die Arbeits- und Beitragsleistung der Klägerin nach §§ 15, 17 Abs 1 Buchst b FRG zu beurteilen. Hiernach stehen die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich (s unten b).
a) Gemäß § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF wurden in der Arbeiterrentenversicherung (Invalidenversicherung) insbesondere Arbeiter versichert. Unter „Arbeiter” war nach dem damaligen Recht eine Person zu verstehen, die in derselben Bedeutung beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung pflichtversichert war wie eine Person, die iS der Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO (in der bis Ende 1991 geltenden Fassung – nF) „als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt” war, dh „nichtselbständige Arbeit” verrichtete, § 7 Abs 1 SGB IV. Damit war die Arbeit bzw Beschäftigung Voraussetzung für die Entstehung des Rechtsverhältnisses zwischen Versichertem und Rentenversicherungsträger, das Grundlage und Abgrenzungskriterium für die in §§ 1250 ff RVO aF bzw §§ 1235 ff RVO nF genannten bzw geregelten Leistungen ist. Arbeit ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete planmäßige Tätigkeit eines Menschen, gleichviel, ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden (vgl zB Kasseler Komm-Seewald, Sozialversicherungsrecht, Stand Oktober 1996, § 7 SGB IV RdNr 10). Nichtselbständig ist die Arbeit, wenn sie in dem Sinne fremdbestimmt ist, daß sie vom Arbeitnehmer hinsichtlich Ort, Zeit, Gegenstand und Art der Erbringung nach den Anordnungen des Arbeitgebers vorzunehmen ist.
Rechtsgrundlage für Arbeit in diesem Sinne ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zustande kommt das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Typisch ist mithin, daß auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluß geäußert werden. Nach seinem unmittelbaren Zweck und dem daran ausgerichteten Inhalt ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis ein Austausch wirtschaftlicher Werte iS einer Gegenseitigkeitsbeziehung. Auszutauschende Werte sind die Arbeit einerseits sowie das dafür zu zahlende Arbeitsentgelt – der Lohn – andererseits. Das Arbeitsentgelt kann in Geld oder Gegenständen, insbesondere körperlichen Gegenständen „Sachen”, § 90 BGB) bestehen, dh Bar- oder Sachlohn sein, § 160 Abs 1 RVO aF. Eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit „Äquivalenz”) der Leistungen braucht nicht gegeben zu sein; das Arbeitsentgelt muß allerdings einen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht entsteht (vgl § 1226 Abs 2 iVm § 160 RVO aF bzw § 1228 Abs 1 Nr 4 Halbsatz 1 RVO nF iVm § 8 Abs 1 SGB IV).
Aus der Zusammenstellung der Begriffsmerkmale ergibt sich zum einen, daß die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen (etwa Bedarfsdeckung, Gewinn- bzw Einkommensmaximierung, Selbstverwirklichung), keine Rolle für die Frage spielen, ob eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt oder nicht. Zum anderen bleiben allgemeine sonstige Lebensumstände des Versicherten außer Betracht, die nicht die Arbeit und das Arbeitsentgelt als solche, sondern sein häusliches, familiäres, wohn- und aufenthaltsmäßiges Umfeld betreffen. Sie können lediglich für die Motivation zur Beschäftigungsaufnahme bedeutsam sein. Entsprechend hat die Rechtsprechung des BSG stets die Frage, in welchem Rahmen selbst „unfreie” Personen Leistungen aus der Sozialversicherung erhalten können, nicht vornehmlich nach ihrer allgemeinen Lebenssituation beantwortet (vgl Urteile vom 17. März 1993 – 8 RKnU 1/91 – SozR 3-5050 § 5 Nr 1 und vom 6. April 1960 – 2 RU 40/58 – SozR Nr 18 zu § 537). Vielmehr sind die Sphären „Lebensbereich” (mit Freiheitsentziehung oder -beschränkung) und „Beschäftigungsverhältnis” grundsätzlich zu trennen und die Umstände und Bedingungen des Beschäftigungsverhältnisses für sich zu bewerten. Demgemäß ist nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind (BSG, Urteil vom 17. März 1993 – 8 RKnU 1/91 – SozR 3-5050 § 5 Nr 1). Auch der erkennende Senat geht davon aus, daß die Frage, ob im Einzelfall ein freies oder ein unfreies Beschäftigungsverhältnis begründet worden ist, nicht nach den sonstigen Lebensumständen, unter denen der Beschäftigte leben mußte, zu beantworten ist. Vielmehr ist das Beschäftigungsverhältnis selbst daraufhin zu untersuchen, ob es „frei” im oben bezeichneten Sinn eines aus eigenem Antrieb begründeten Vertragsschlusses war.
Wie das SG bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, arbeitete die Klägerin von April 1941 bis August 1944 im Ghetto Lodz als Näherin in einer Kleiderfabrik. Von der tatsächlichen Erbringung einer Arbeitsleistung geht ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 21. Juli 1995 auch die Beklagte aus. Nach den Feststellungen des SG handelte es sich bei der Beschäftigung in der Kleiderfabrik um Arbeit iS eines zweckgerichteten Einsatzes der körperlichen oder geistigen Kräfte und Fähigkeiten. Der Arbeitsplatz wurde der Klägerin durch den Judenrat, der einer eigenen Stadtverwaltung mit umfangreicher Verwaltungsbürokratie entsprach, vermittelt. Die Klägerin ging das Arbeitsverhältnis aus eigenem Willensentschluß ein. Für ihre Beschäftigung erhielt sie nach den Feststellungen des SG Entgelt in Form von Mark-Quittungen. Aufgrund der vorhandenen Unterlagen hat auch die Beklagte ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 21. Juli 1995 keine Bedenken gegen die Annahme, daß die Klägerin Mark-Quittungen in Höhe von über einem Drittel des damals maßgeblichen Ortslohnes erhielt. Dieses sog Ghettogeld bildete eine iS des Rentenversicherungsrechts ausreichende Gegenleistung für die Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers. Die Klägerin übte im Ghetto Lodz mithin eine Beschäftigung aus, die die Kriterien eines rentenversicherungspflichtigen Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses erfüllte.
Die Beklagte hält eine Rentenversicherungspflicht der Klägerin in der streitigen Zeit allein deshalb nicht für gegeben, weil das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis nicht auf „freiwilliger Basis” bestanden habe, die gesamte Arbeitsleistung vielmehr aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses erbracht worden sei. Indes gibt es – wie oben ausgeführt – keine rechtliche Handhabe, bei Erfüllung der vorgenannten Voraussetzungen für die Bestimmung eines sozialversicherungspflichtigen Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses die Versicherungspflicht allein deshalb zu negieren, weil die Arbeitsleistung in einem räumlich begrenzten Bereich erbracht worden ist, dessen Verlassen den Bewohnern wegen drastischer Strafandrohungen praktisch unmöglich war.
Bei der von der Klägerin im Ghetto Lodz ausgeübten Beschäftigung handelt es sich nicht um Arbeit, die aufgrund obrigkeitlichen bzw gesetzlichen Zwanges verrichtet wurde. Insbesondere ist die Situation der Klägerin nicht mit den von der Beklagten angeführten Strafgefangenen, Fürsorgezöglingen, Kriegsgefangenen oder im Inland zurückgehaltenen Angehörigen feindlicher Staaten vergleichbar. Wie die Beklagte selbst ausführt, bestand ein „Ghetto-Arbeitsmarkt”, der in erster Linie von den ins Ghetto hereinkommenden Aufträgen bestimmt war. Dementsprechend sei die Nachfrage nach den jeweiligen Arbeitskräften aufgrund der branchenspezifischen Anforderungen entstanden. Arbeiter seien je nach Arbeitsmarktlage im Ghetto in verschiedene Betriebe vermittelt worden.
Zu Recht hat es das SG offengelassen, ob Sozialversicherungsbeiträge nach der Ostgebiete-VO zu einem deutschen Träger der Rentenversicherung für die Zeit ab Januar 1942 bis August 1944 tatsächlich abgeführt worden sind. Denn die Beiträge sind gemäß § 14 Abs 2 WGSVG zu fingieren, weil sie – wenn die Beitragsentrichtung unterblieben ist – aus verfolgungsbedingten Gründen nicht entrichtet wurden. Die Klägerin ist anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus und erfüllt damit die Voraussetzungen des § 1 WGSVG. Da die Klägerin ein dem Grunde nach sozialversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis im Ghetto Lodz ausgeübt hat, zwischen den Beteiligten insbesondere unstreitig ist, daß sie ein über der Geringfügigkeitsgrenze des Drittels des Ortslohnes liegendes Entgelt bezogen hat und das (mögliche) Unterbleiben einer Beitragsentrichtung auf Verfolgungsmaßnahmen beruhte, erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 14 Abs 2 WGSVG. Dies entspricht dem Ziel des Gesetzgebers bei Erlaß des WGSVG, das Recht der Wiedergutmachung so zu verbessern, daß den Sozialversicherten ein voller Ausgleich des Schadens ermöglicht wird, den sie durch Verfolgungsmaßnahmen in ihren Ansprüchen und Anwartschaften aus der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung erlitten haben (Schriftlicher Bericht des 10. Ausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung, BR-Drucks VI/1449, S 1).
b) Zutreffend hat das SG auch die Zeiten von April 1941 bis 31. Dezember 1941 gemäß § 17 Abs 1 Buchst b iVm Abs 4, § 15 FRG, § 14 Abs 2 WGSVG als (fiktive) Beitragszeiten berücksichtigt. Zwar konnte die Klägerin nach den den Senat bindenden Feststellungen des SG (§ 163 SGG) nicht glaubhaft machen (§ 4 FRG), daß tatsächlich Beiträge an einen polnischen Versicherungsträger abgeführt worden sind. Auch scheitert eine unmittelbare Berücksichtigung von Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten nach §§ 15, 16 FRG daran, daß die Klägerin nicht zum Personenkreis des § 1 Buchst a bis d FRG iVm dem BVG gehört. Denn die Klägerin ist weder Vertriebene iS des § 1 BVG oder Spätaussiedlerin noch Deutsche iS des Art 116 Abs 1 und 2 GG oder eine ihnen gleichgestellte heimatlose Ausländerin. Sie ist über § 14 Abs 2 WGSVG aber so zu behandeln, als seien Beiträge an einen nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden, die ein deutscher Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalls wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln hatte.
Zutreffend hat das SG im angefochtenen Urteil ausgeführt, daß auf die Klägerin § 17 Abs 1 Buchst b FRG idF des RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 anzuwenden ist. Nach dem letzten Halbsatz von § 17 Abs 1 Buchst b FRG in dieser Fassung gilt die Verweisung auf § 15 FRG auch für Beiträge von Personen, deren Ansprüche nach der sog Ostgebiete-VO ausgeschlossen waren. Diese Entscheidung ist im Zusammenhang mit mehreren Urteilen des BSG (vgl Urteile vom 26. August 1987 – 11a RA 34/86 – BSGE 62, 109 = SozR 5050 § 17 Nr 11 und vom 15. Oktober 1987 – 1 RA 41/86 – SozSich 1988, 189) zu sehen, wonach Versicherungsverhältnisse und damit die Beiträge von damals sog Schutzangehörigen polnischen oder jüdischen Volkstums, die zum polnischen Versicherungsträger entrichtet worden waren, nicht in die reichsdeutsche Versicherungslast übergegangen sein sollten. Dies hatte zur Folge, daß vor allem frühere Beitragszeiten von polnischen Juden in den besetzten Gebieten, die verfolgungsbedingt oder nach der Verfolgung in die USA oder nach Israel emigriert waren, unberücksichtigt blieben. Die Gesetzesergänzung sollte gewährleisten, daß die Personen, die von der Anwendung der Ostgebiete-VO ausgeschlossen waren, nach § 17 Abs 1 FRG Rentenleistungen für die an den polnischen Versicherungsträger entrichteten Beiträge erhalten können. Die Klägerin gehört – wie das SG zutreffend ausgeführt hat – als frühere polnische Staatsangehörige zu dem von der Gesetzesergänzung begünstigten Personenkreis.
Daß die Klägerin – wie für die Zeiten ab Januar 1942 – eine tatsächliche Beitragsentrichtung nicht glaubhaft machen konnte, steht der Anrechnung der Zeiten von April 1941 bis Dezember 1941 als Beitragszeiten nicht entgegen. Denn auch für diese Zeiten sind über § 14 Abs 2 WGSVG Beiträge zu fingieren, weil sie aus verfolgungsbedingten Gründen nicht entrichtet worden sind. Auch die Beklagte geht ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 21. Juli 1995 davon aus, daß nach polnischem Recht Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 5,5 % zum polnischen Versicherungsträger hätten entrichtet werden müssen, die Abführung der Beiträge aber aus konkreten verfolgungsbedingten Gründen unterblieben ist. Zwar setzt § 14 WGSVG grundsätzlich eine bestehende Versicherungspflicht in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung voraus (vgl VerbandsKomm zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung, Stand Januar 1996, § 14 WGSVG RdNr 6). § 14 Abs 2 WGSVG ist aber auch iVm Beitragszeiten nach § 17 Abs 1 Buchst b, § 15 Abs 1 FRG anzuwenden, wenn – wie im vorliegenden Fall durch die sog Ostgebiete-VO – bestehende Versicherungsverhältnisse auf den deutschen Versicherungsträger übergegangen sind und die bisher nach polnischem Recht erworbenen Versicherungszeiten als von vornherein nach den Reichsversicherungsgesetzen zurückgelegte Zeiten behandelt werden (so ausdrücklich BSG im Urteil vom 15. Oktober 1987 – 1 RA 41/86 – SozSich 1988, 189). Entsprechend wurden die in der ehemaligen polnischen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten gemäß § 20 Abs 1 Buchst a Ostgebiete-VO von den deutschen Versicherungsträgern übernommen, wenn der Versicherte die letzten polnischen Pflichtbeiträge vor dem Stichtag aufgrund einer Beschäftigung in den eingegliederten Ostgebieten entrichtet hatte. Zutreffend hat das SG daher entschieden, daß auch das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis der Klägerin im Ghetto Lodz so zu behandeln ist, als ob es von vornherein nach den Reichsversicherungsgesetzen zurückgelegt worden wäre. Da eine Beitragsentrichtung aus den persönlichen Beschränkungen der Klägerin unterblieben ist, richtet sich die rechtliche Bewertung der unterbliebenen Beitragsentrichtung nach § 14 Abs 2 WGSVG.
Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit gehabt hätte, die fiktive Beitragsentrichtung in den Wortlaut des § 17 Abs 1 Buchst b FRG einzubringen, wenn er gewollt hätte, daß auch fingierte Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten wie bei einem deutschen Rentenversicherungsträger zurückgelegte Beitragszeiten berücksichtigt werden sollten. Nach §§ 15, 17 Abs 1 FRG soll zwar der Verlust von Zeiten entschädigt werden, die nach fremdem Recht eine Rentenanwartschaft begründet haben. Dies aber nur dann, wenn ein deutscher Träger der gesetzlichen Rentenversicherung die Zeiten bei Eintritt des Versicherungsfalls wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln hatte. Damit stellt § 17 Abs 1 Buchst b FRG in der hier anzuwendenden Fassung des RRG 1992 bereits auf das Eingliederungsprinzip ab, das auch dem späteren deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen (DPSVA) zugrunde lag. Dies bedeutet aber, daß Art der Anrechnung, Berücksichtigung und Bewertung rentenversicherungsrechtlich relevanter Zeiten nach den Rechtsvorschriften des Wohnlandes zu erfolgen hat. Die Eingliederung der Ostgebiete in das deutsche Reich hat mithin zur Folge, daß alle innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit – die heutigen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland – auf die Beurteilung des Sozialversicherungsrechtsverhältnisses der Klägerin Anwendung finden.
2. Zutreffend – und von der Revision auch nicht angegriffen – hat das SG entschieden, daß die Zeiten von November 1939 bis April 1941 und von September 1944 bis August 1945 als Verfolgungsersatzzeiten gemäß § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO Anrechnung finden.
3. Unter Berücksichtigung ihrer Beitrags- und Ersatzzeiten hat die Klägerin eine Versicherungszeit von mehr als 60 Kalendermonaten zurückgelegt.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen