Leitsatz (amtlich)
Betrifft der Rechtsstreit nur den Anspruch auf den Zuschlag zum Kindergeld, so ist die Berufung auch dann ausgeschlossen, wenn der Antragsteller den Zuschlag für einen längeren Zeitraum als das im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung bereits zurückliegende Leistungsjahr beansprucht.
Normenkette
BKGG § 27 Abs. 2 Hs. 1 Alt. 2, § 11a Abs. 1-2, 7
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 14.07.1988; Aktenzeichen V KgBf 1/87) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 14.11.1986; Aktenzeichen S 5 Kg 39/86) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger zu dem für sein einziges Kind Gabriele gewährten Kindergeld für 1986 den Zuschlag nach § 11a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) zu zahlen hat.
Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau in Hamburg. Er ist von ihr zum Kindergeldberechtigten bestimmt worden. Das Kind Gabriele besuchte von Januar 1983 bis Juli 1987 in Italien eine Internatsschule; es war jedoch auch während dieser Zeit in Hamburg polizeilich gemeldet.
Der Kläger ist seit Dezember 1984 arbeitsunfähig und bezog auch 1986 Kranken-, Übergangs- oder Arbeitslosengeld. Auf seiner Lohnsteuerkarte für 1986 ist ein Kinderfreibetrag von 1,0 eingetragen.
Der Kläger beantragte im Januar 1986, ihm den in § 11a BKGG bestimmten Zuschlag zum Kindergeld zu zahlen. Die Beklagte ist davon ausgegangen, daß es sich dabei um einen "Antrag auf laufende Zahlung des Kindergeldzuschusses" nach dem voraussichtlichen Einkommen im Jahr 1986 handelte. Sie lehnte durch Bescheid vom 27. Januar 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1986 diesen Antrag für das Jahr 1986 mit der Begründung ab, das Kind Gabriele habe seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland, es sei deshalb nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, so daß dem Kläger für seine Tochter auch kein Kinderfreibetrag iS des § 32 Abs 2, Abs 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zustehe.
Im ersten Rechtszuge hat der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt, ihm "ab 1. Januar 1986" Kindergeldzuschlag zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) ist davon ausgegangen, daß der Kläger den Kindergeldzuschlag für eine unbestimmte Zeit beanspruche; es hat durch Urteil vom 14. November 1986 die Klage abgewiesen und hat - in der Rechtsmittelbelehrung - die Berufung als statthaft angesehen.
Mit seiner am 2. Januar 1987 eingelegten Berufung beantragte der Kläger in der Sache selbst, ihm "ab 1. Januar 1986" Kindergeldzuschlag nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Er vertrat weiterhin die Auffassung, daß ihm das Kindergeld einschließlich des Zuschlages nach § 11a BKGG zustehe. Mit Schriftsatz vom 7. Juli 1988 beschränkte er sein Begehren auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1986. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung als unzulässig verworfen: Das Begehren des Klägers betreffe nur einen Anspruch auf eine Leistung für den zurückliegenden Zeitraum 1986, so daß die Berufung gemäß § 27 Abs 2 BKGG ausgeschlossen sei. Das Rechtsmittel sei auch nicht nach § 150 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft.
Der Kläger rügt zur Begründung seiner - vom LSG zugelassenen - Revision die Verletzung der Vorschriften der §§ 27 Abs 2, erster Halbsatz, BKGG, 123 SGG. Die Vorschrift des § 27 Abs 2 BKGG sei schlechthin unanwendbar, weil sie nur das Kindergeld und nicht auch den Kindergeldzuschuß iS des § 11a BKGG erfasse. Andernfalls wäre die Berufung im Hinblick auf den Bemessungszeitraum in § 11a Abs 8 BKGG stets ausgeschlossen; dies habe der Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Überdies komme es auch für die Zulässigkeit der Berufung nur auf das Begehren zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels an. Zu dieser Zeit sei der von ihm erhobene Klageanspruch zeitlich unbegrenzt gewesen, er habe insbesondere den Kindergeldzuschuß für unbestimmte Zeit beansprucht. Unerheblich sei, daß die Beklagte die Versagung nur für das Jahr 1986 ausgesprochen und er im Laufe des Berufungsverfahrens sein Leistungsbegehren zeitlich begrenzt habe. In der Sache selbst hält er daran fest, daß ihm der Zuschlag zum Kindergeld gemäß § 11a BKGG zustehe, weil es sich um eine Leistung handele, auf die die Vorschriften der Art 73, 74 EWG-VO 1408/71 Anwendung fänden. Unabhängig davon habe das LSG nicht berücksichtigt, daß die Versagung des Kindergeldzuschusses zumindest zu seiner indirekten Diskriminierung führe, weil der vollständige Ausschluß des Kindergeldzuschusses für Auslandskinder mit Art 7 Abs 2 EWG-VO 1612/68 iVm Art 48 Abs 2, Art 49 EWG-Vertrag nicht zu vereinbaren sei. Falls der Senat dieser rechtlichen Beurteilung nicht folge, sei es erforderlich, die Sache gemäß Art 177 Abs 1 EWG-Vertrag dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Hamburg vom 14. Juli 1988 und des SG Hamburg vom 14. November 1986 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit von Januar bis Dezember 1986 Kindergeldzuschlag in Höhe von 552,- DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint insbesondere, das LSG habe die Berufung zutreffend für nicht statthaft angesehen, weil sie nur einen Anspruch für zurückliegende Zeiten betreffe.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Seine Berufung ist gemäß § 27 Abs 2 BKGG ausgeschlossen, so daß das LSG sie zu Recht verworfen und nicht in der Sache selbst entschieden hat.
Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die Vorschrift des § 27 Abs 2 BKGG auch den vom Kläger mit der Berufung verfolgten Verfahrensgegenstand erfaßt. Der in dieser Vorschrift genannte Begriff "Kindergeld" bezieht sich nicht nur auf die Geldleistung iS der §§ 1, 10 BKGG, sondern auch auf Streitigkeiten über die Höhe des Kindergeldes. Hierher gehören auch die Streitigkeiten, die den Zuschlag zum Kindergeld für Berechtigte mit geringem Einkommen (§ 11a BKGG) betreffen. Das folgt bereits aus dem Wortlaut des § 11a Abs 1 Satz 1 BKGG; in dieser Vorschrift ist bestimmt, daß sich "das Kindergeld" um den dort näher geregelten Zuschlag "erhöht". § 11a BKGG regelt daher ebenfalls das Kindergeld iS des § 27 Abs 2 BKGG, so daß diese Vorschrift auf den Fall des Klägers Anwendung findet.
Das Rechtsmittel ist zunächst nicht schon deshalb statthaft, weil das SG die Berufung in der Rechtsmittelbelehrung seines Urteils als zulässig angesehen hat. Eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung stellt keine Zulassungsentscheidung iS des § 150 Nr 1 SGG dar und die irrige Annahme des SG, die Berufung sei zulässig, macht die - fehlende - Zulassungsentscheidung nicht entbehrlich (vgl dazu BSG SozR Nr 41 zu § 150 SGG und Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, RdNr 7 zu § 150 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Zwar kommt es entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht nicht darauf an, wie die Beklagte den Gegenstand des Begehrens in den von ihr erteilten Bescheiden abgrenzt, insbesondere, ob sie über den erhobenen Anspruch nur teilweise entscheidet. Der Leistungsträger hat über den Anspruch grundsätzlich in vollem Umfange zu entscheiden. Regelt er in seinen Bescheiden nur einen Teil des erhobenen Anspruches und wäre infolgedessen die Berufung gemäß §§ 143 ff SGG, § 27 Abs 2 BKGG ausgeschlossen, richtete sich die Zulässigkeit der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil gleichwohl nach dem erhobenen Gesamtanspruch. Es ist deshalb unerheblich, ob die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden über den vom Kläger erhobenen Anspruch eine Entscheidung nur für das Jahr 1986 getroffen hat, wenn diese Entscheidung nicht den Gesamtanspruch zum Gegenstand hatte, der aber Gegenstand des angefochtenen Urteils und der dagegen gerichteten Berufung ist.
Gleichwohl betraf der Gegenstand der Berufung entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels nur Kindergeld für einen abgelaufenen Zeitraum iS des § 27 Abs 2, 1. Halbsatz, 2. Alternative, BKGG. Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß der Kläger sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im ersten Rechtszuge und auch noch mit der Berufung im Zeitpunkt der Einlegung dieses Rechtsmittels Tatbestandsmerkmale des § 11a BKGG für unbestimmte Zeit, nämlich für die unbestimmte Dauer des Bezuges eines geringen Einkommens geltend gemacht hat. Das hat seinen Niederschlag auch in seinem erstinstanzlichen Antrag und in gleicher Weise in dem im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung noch geltend gemachten Klageantrag gefunden, da der Kläger noch zu diesem Zeitpunkt neben der Anfechtung der angefochtenen Bescheide und des erstinstanzlichen Urteils die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Zuschlages zum Kindergeld "ab 1. Januar 1986" und damit für unbestimmte Zeit beantragt hat.
Mit diesem Begehren hat der Kläger jedoch einen gesetzlich nicht vorgesehenen Anspruch erhoben. Der Zuschlag zum Kindergeld für Berechtigte mit geringem Einkommen ist einerseits zwar ein Teil des Kindergeldes, weil sich das "Regelkindergeld" iS der §§ 10, 11 BKGG nach § 11a Abs 1 Satz 1 BKGG erhöht. Dem steht aber nicht entgegen, daß der Zuschlag eine auf das Jahr, "für das er zu leisten ist", begrenzte Leistung ist; das folgt insbesondere aus § 11a Abs 7 und 8 BKGG. Nach § 11a Abs 7 BKGG ist für die Geltendmachung des Zuschlages ein - vom Kindergeldantrag iS des § 9 Abs 2 BKGG nicht umfaßter - besonderer Antrag erforderlich. Der Anspruch auf den Zuschlag zum Kindergeld ist nicht nur davon abhängig, daß die in §§ 1ff BKGG geregelten allgemeinen Leistungsvoraussetzungen vorliegen, sondern auch davon, daß die in § 11a Abs 1 und Abs 2 BKGG näher geregelten Steuermerkmale erfüllt sind und ein besonderer Antrag gestellt wird. Damit stellt sich der Zuschlag zum Kindergeld als rechtlich selbständiger Teil des Kindergeldes dar. Dieser Anspruch ist - anders als der Anspruch iS des § 9 Abs 1 BKGG - gesetzlich von vornherein auf ein Jahr befristet, weil die Anspruchsberechtigung von ebenfalls für ein Jahr geltenden Steuermerkmalen abhängig ist. Fordert nun der Antragsteller - wie hier der Kläger - den Zuschlag für einen längeren Zeitraum als das jeweilige Jahr, so erhebt er einen im Gesetz nicht vorgesehenen Anspruch. Das SG könnte nicht zur Gewährung des Zuschlags für einen in der Zukunft liegenden Zeitraum verurteilen. Für die Geltendmachung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs fehlt das Rechtsschutzbedürfnis auch dann, wenn - wie im Falle des Klägers - solche Rechtsfragen streitig sind, die nicht nur den Anspruch für das jeweilige Leistungsjahr betreffen, sondern in gleicher Weise auch für die in den Folgejahren möglicherweise zu beantragenden Ansprüche erheblich sein können. Deshalb ist auch die Schlußfolgerung der Revision zutreffend, daß bei dieser Natur des Anspruchs iS des § 11a BKGG in den Fällen der nachträglichen Beantragung des Zuschusses (§ 11a Abs 7 BKGG) immer der Ausschließungsgrund des § 27 Abs 2 BKGG anzuwenden ist und in den Fällen der Beanspruchung der Leistung für das laufende Leistungsjahr (§ 11a Abs 8 BKGG) die Berufung jedenfalls dann nach § 27 Abs 2 BKGG ausgeschlossen ist, wenn das Rechtsmittel jeweils in dem dem Leistungsjahr folgenden Jahr eingelegt wird.
Fehlte mithin für den Fall des Klägers das Rechtsschutzinteresse bereits für die Klage, soweit das Begehren über den gesetzlichen Anspruch hinausgeht, so gilt das in gleicher Weise für die Weiterverfolgung des Anspruches mit der Berufung. Denn wenn das Berufungsgericht dem Begehren mangels einer gesetzlichen Grundlage in keinem Fall entsprechen kann, ist bereits die Einlegung der durch § 27 Abs 2 BKGG ausgeschlossenen Berufung willkürlich. Dem hat der Kläger durch die zeitliche Begrenzung seines Antrages, die von vornherein geboten war, Rechnung getragen. Der Kläger macht dann mit der Berufung einen Anspruch geltend, der im Gesetz nicht vorgesehen ist und dessen Erhebung zwangsläufig zur Folge hat, daß die in § 27 Abs 2 BKGG vorgesehene gesetzliche Beschränkung des Rechtsmittels nicht eintritt (vgl BSG SozR 1500 § 146 Nr 7 mwN und für den Fall der künstlichen Herstellung des Beschwerdewertes für das Berufungsverfahren BGH NJW 1973, 370 mwN). Dementsprechend hat das LSG die Berufung im Ergebnis zutreffend als unzulässig verworfen.
Nicht zu entscheiden war, ob - soweit die streitigen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen auch für zukünftige Ansprüche entscheidungserheblich sein können - das Rechtsschutzinteresse für eine sogenannte Elementenfeststellungsklage zu bejahen wäre. Diese Klage kann zwar im sozialgerichtlichen Verfahren ausnahmsweise statt einer sonst gebotenen Leistungsklage zulässig sein (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, RdNr 9 zu § 55 mwN). Der Kläger hat jedoch eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen