Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Vorschaden, der unabhängig vom Wehrdienst eingetreten ist, ist die wehrdienstbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles zu bewerten (vergleiche BSG 1966-03-03 8 RV 815/64 = BSGE 24, 275).
Nach den in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (1965, 24) niedergelegten medizinischen Erfahrungssätzen ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung einer durch die frühere Schädigung bedingten besonderen Beeinträchtigung unter Umständen höher zu bewerten, als es bei einem bisher voll Erwerbsfähigen im gleichen Schadensfall zu geschehen hätte. Dies wird besonders beim Verlust des Augenlichts zu beachten sein. Denn eine hochgradige Kurzsichtigkeit, die noch mit Augengläsern ausgeglichen werden konnte, beeinträchtigt die Erwerbsfähigkeit wenig. Erlangt aber der Vorschaden durch wehrdienstbedingte Verschlimmerung eine Steigerung, so daß mit Brillen die Kurzsichtigkeit nicht mehr ausgeglichen werden kann, so ist durch diese Verschlimmerung der Beschädigte mehr beeinträchtigt als durch den Vorschaden, mag die Verschlimmerung auch weniger Dioptrien umfassen, als das anlagebedingte Leiden hatte.
2. Beruht die Rückforderung einer Leistung darauf, daß der Empfänger Tatsachen wissentlich falsch angegeben, also den Tatbestand einer unerlaubten Handlung iS des BGB erfüllt hat, so ist für die Verjährung einer derartigen Rückforderung nach KOV-VfG § 47 Abs 3 BGB § 852 entsprechend anwendbar, nachdem die Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der Verjährungsfristen ergänzend auf das BGB zurückgegriffen hat (vergleiche BSG 1963-04-09 10 RV 1059/60 = BSGE 19, 88).
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 Fassung: 1964-02-21; KOVVfG § 47 Abs. 3 Fassung: 1960-06-27; BGB § 852
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 1964 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Sehschärfe des ... 1921 geborenen Klägers wurde bei der Musterungsuntersuchung am 20. Juni 1940 mit minus 18.0 Dioptrien (rechts) = 6/18 und minus 15 Dioptrien (links) = 6/20 bestimmt, der Fehler mit L 25 - 2, die Tauglichkeit mit g. v. H. bezeichnet. Er hat 1941 bis 1946 Wehrdienst - einschließlich Gefangenschaft - geleistet. Auf seinen Antrag vom 29. Juli 1946 wurde er in Versehrtenstufe III eingestuft; auf Grund der Sozialversicherungs-Direktive (SVD) Nr. 27 bezog er zunächst Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v. H. Vom 1. November 1950 an erhielt er Rente nach einer MdE um 100 v. H. und Pflegegeld. Mit Umanerkennungsbescheid vom 11. April 1951 wurde praktische Blindheit beider Augen durch schwere Netzhautveränderungen bei Kurzsichtigkeit im Sinne der Entstehung festgestellt und Rente nach einer MdE um 100 v. H. vom 1. Oktober 1950 an sowie eine Pflegezulage von 100,- DM gewährt.
Am 26. Januar 1959 erhielt die Versorgungsverwaltung ein Krankenblatt aus dem Jahre 1945, wonach der Kläger wegen einer seit vier Wochen zunehmenden Verschlechterung der Sehschärfe vom 28. Februar bis 31. August 1945 lazarettbehandelt wurde. Wehrdienstbeschädigung (WDB) ist damals verneint worden. Der Kläger widerrief darauf seine frühere Angabe, daß die Sehverschlechterung Folge der Einwirkung einer Minenexplosion sei. Vielmehr führte er die Sehverschlechterung auf die ungünstigen Verhältnisse des Wehrdienstes in Norwegen und die außerordentlichen Belastungen und Entbehrungen in französischer Kriegsgefangenschaft sowie auf die unzureichende ärztliche Versorgung zurück. Prof. Dr. P (Oberarzt der Universitäts-Augenklinik K.) stellte mit Gutachten vom 7. April 1959 beim Kläger eine hochgradige Kurzsichtigkeit mit schwerer Entartung des hinteren Augenpols und entsprechender Schwachsichtigkeit fest; die Kurzsichtigkeit dürfte schicksalsmäßig fortgeschritten sein. Prof. Dr. J (E.) bezeichnete im Gutachten vom 22. Juli 1959 das Leiden als maligne Myopie, die sich schicksalsmäßig entwickle und auf die äußeren Einflüsse nicht nachweisbar einwirkten. Die Netzhautblutungen könnten nach körperlichen Anstrengungen ebenso wie während der Ruhe eintreten. Die Verschlimmerung der Kurzsichtigkeit beim Kläger von minus 19 Dioptrien rechts und minus 17 Dioptrien links auf minus 28 Dioptrien beiderseits im Jahre 1959 sei ungewöhnlich, liege aber nicht außerhalb der Regel, da sie zwischen dem 19. und 28. Lebensjahr - während des Marinedienstes zwischen 1941 und 1945 - eingetreten sei. Dieser zeitliche Zusammenhang mit dem Wehrdienst sei aber rein zufällig. Die MdE betrage 100 v. H., sie sei aber nicht Schädigungsfolge im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dr. B schloß im Gutachten vom 23. Dezember 1959 eine richtunggebende Verschlimmerung aus, hielt aber eine einmalige abgrenzbare Verschlimmerung durch die Einwirkung des Wehrdienstes für möglich. Darauf wurde ärztlicherseits die Möglichkeit des Fortschreitens des Augenleidens auf Grund der äußeren Einflüsse des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft bejaht und die wehrdienstbedingte MdE mit 30 v. H. bewertet (Stellungnahmen vom 2./17. März 1960).
Am 21. Juni 1960 erließ das Versorgungsamt (VersorgA) Lübeck mit Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) Schleswig-Holstein einen Berichtigungsbescheid nach § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG), wonach nur noch Schädigungsfolgen im Sinne der Verschlimmerung mit einer MdE um 30 v. H. vom 1. August 1946 an anerkannt blieben. Mit Bescheid vom 30. November 1961 hob das VersorgA Lübeck gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 und 9 VerwVG alle bisher erlassenen Bescheide auf und forderte die Versorgungsbezüge in Höhe von 50.343,- DM zurück. Schließlich wurde mit Bescheid vom 8. Februar 1962 das mit Bescheid vom 21. Juni 1960 anerkannt gebliebene Leiden (mit einer MdE um 30 v. H.) ebenfalls aberkannt. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 16. Juli 1962). Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG) Lübeck mit Urteil vom 26. Juni 1963 die Bescheide des Beklagten vom 30. November 1961, 8. Februar 1962 und 16. Juli 1962 auf; der Bescheid vom 21. Juni 1960 - MdE von 30 v. H. im Sinne der Verschlimmerung, und überzahlte Versorgungsbezüge 46.700,50 DM - blieb bestehen. Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein hat mit Urteil vom 23. Juli 1964 die Berufung des Klägers und des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Bescheid vom 16. Juli 1962 nur hinsichtlich des Widerspruchs gegen die Bescheide vom 30. November 1961 und 8. Februar 1962 aufgehoben wurde. Es hielt den Neuregelungsbescheid vom 30. November 1961 im Hinblick auf die Fünfjahresfrist des § 43 VerwVG für rechtswidrig. Der Bescheid vom 8. Februar 1962 sei deswegen zu Recht aufgehoben worden, weil der Bescheid vom 21. Juni 1960 rechtmäßig gewesen sei. Aus diesem Grunde wies es auch die Berufung des Klägers zurück. Das VersorgA habe die vorausgegangenen Bescheide nach § 41 VerwVG berichtigen können, und zwar für die Zeit vor dem Inkrafttreten des VerwVG am 1. April 1955 nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts. Alle früheren, 1960 abgeänderten Rentenbescheide seien unrichtig gewesen, weil der Kläger entgegen seinen Angaben nicht durch Minenexplosion verletzt worden ist. Zwar sei die von der Verwaltung mit dem Berichtigungsbescheid vom 21. Juni 1960 anerkannte wehrdienstbedingte Verschlimmerung so fernliegend, daß sie nicht mehr hätte berücksichtigt werden müssen; sämtliche Bescheide hätten daher in vollem Umfang zurückgenommen werden können. Die Verwaltung sei aber an den den Kläger begünstigenden Bescheid vom 21. Juni 1960 gebunden. Mit der vom Kläger behaupteten, nach den Unterlagen nicht nachzuweisenden Gehirn-Atrophie stehe die Erblindung nicht in Zusammenhang.
Die im Bescheid vom 21. Juni 1960 gleichzeitig ausgesprochene Rückforderung sei nach § 47 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. a VerwVG wie nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte berechtigt. Die Einrede der Verjährung greife nicht durch. Die Härtevorschrift des § 47 Abs. 4 VerwVG stehe nicht zur Entscheidung; über die Anwendung dieser Vorschrift habe die Verwaltung zu befinden.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger, der mit der Berichtigung für die Zukunft einverstanden ist, Verletzung des § 41 VerwVG und der entsprechenden Vorschriften, soweit die begünstigenden Bescheide ex tunc (und nicht nur ex nunc) zurückgenommen worden sind. Die Rücknahme wäre nur nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts möglich gewesen, weil die begünstigenden Verwaltungsakte (Anerkennung der Schädigungsfolge und Festsetzung der MdE) vor dem Inkrafttreten des VerwVG (1. April 1955) abgeschlossen gewesen seien. Daher sei auch § 47 Abs. 3 VerwVG verletzt, weil der Berichtigungsbescheid nicht auf § 41 VerwVG hätte gestützt werden können. Das sei aber eine Voraussetzung für die Anwendung des § 47 VerwVG.
Die Unrichtigkeit der - geänderten - Bescheide gehe nicht allein auf unzutreffende Angaben des Klägers zurück. Die Anerkennung des Augenleidens sei vielmehr in erster Linie Folge der unrichtigen und unvollständigen Auswertung der bei der Erstanerkennung vorliegenden ärztlichen Gutachten. Die Fachärzte Dr. K und Prof. Dr. B hätten übereinstimmend nur erörtert, ob und inwieweit das Augenleiden durch die Einflüsse wehrdienstlicher Eigentümlichkeiten verschlimmert worden sei. Prof. Dr. B habe deshalb auch nur die Anerkennung einer WDB im Sinne der Verschlimmerung eines bestehenden Leidens vorgeschlagen. Entgegen diesem Gutachten habe aber die Versorgungsverwaltung mit Umanerkennungsbescheid vom 11. April 1951 das Augenleiden im Sinne der Entstehung anerkannt. Die Verwaltung habe daher diese Gutachten unrichtig ausgewertet. Diese Fehler habe er nicht zu verantworten, die begünstigenden Verwaltungsakte könnten daher nicht ex tunc zurückgenommen werden. Im übrigen hätte sich die Verwaltung nicht auf § 41 VerwVG, sondern auf § 42 VerwVG gestützt; sie habe nicht beachtet, daß die Frist des § 43 VerwVG abgelaufen sei.
Die Feststellungen des LSG reichten auch nicht aus, um die Rechtmäßigkeit der Rückforderung nach § 47 Abs. 3 VerwVG zu begründen. Es fehle an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen den wissentlich falschen Angaben und der Unrichtigkeit der Bescheide. Objektiv unrichtig sei nur die Höhe der MdE und die Anerkennung im Sinne der Entstehung. Diese Umstände habe das LSG nicht gewürdigt. Außerdem seien die vor dem 1. Juni 1957 gezahlten Renten verjährt; denn für unerlaubte Handlungen gelte nur eine Verjährungsfrist von drei Jahren (so BSG 21, 27).
Hinsichtlich der Höhe der belassenen MdE um 30 v. H. hätte das LSG weiter aufklären müssen, ob dieser Grad der MdE seit 1946 ständig unverändert geblieben sei. Außerdem sei die MdE mit 30 v. H. unrichtig bewertet, weil das LSG § 30 Abs. 2 BVG nicht beachtet habe. Die MdE um 30 v. H. sei rein medizinisch bedingt. Der wehrdienstbedingte Verschlimmerungsanteil habe jedoch zur praktischen Blindheit geführt; er müsse entsprechend hoch festgesetzt werden.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Lübeck vom 26. Juni 1963 und den Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 1960 dahin abzuändern, daß die überzahlten Versorgungsbezüge nicht zurückverlangt werden, im übrigen das Urteil des LSG aufzuheben und an das LSG zurückzuverweisen, als es den Bescheid vom 21. Juni 1960 im Hinblick auf die Höhe der MdE bestätigt hat.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt; sie ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und zum Teil begründet.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides vom 21. Juni 1960, insbesondere die Frage, ob der wehrdienstbedingte Schädigungsanteil mit 30 v. H. zutreffend bewertet ist; ferner ist die Zulässigkeit der Rückforderung im Streit.
Das VerwVG ist am 1. April 1955 in Kraft getreten (§ 51 Abs. 1 VerwVG). Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltung zwar auch Bescheide, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, also vor dem 1. April 1955 ergangen sind, zurücknehmen, aber nur mit Wirkung vom 1. April 1955 (BSG 8, 11, 13, 14); für die Zeit vor dem Inkrafttreten des VerwVG kommen vorliegend, wie das angefochtene Urteil mit Recht ausgeführt hat, die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte in Frage. Diese Grundsätze gelten entsprechend für die teilweise Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts, wenn die zurückgenommenen Verwaltungsakte - wie vorliegend - nur teilweise unrichtig waren, weil das bestehende Augenleiden durch den Wehrdienst zwar nicht hervorgerufen, aber durch ihn verschlimmert worden ist (s. dazu SozR VerwVG § 41 Nr. 12). Da auch die übrigen Voraussetzungen eines Berichtigungsbescheides (Zustimmung des LVersorgA, tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit) gegeben sind, hat das LSG ohne Rechtsirrtum die Zulässigkeit der teilweisen Rücknahme bzw. Änderung der begünstigenden Verwaltungsakte vom 12. Februar 1947 bis zum Bescheid vom 16. Oktober 1956 bejaht. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, daß die der Anerkennung vorausgegangenen augenfachärztlichen Gutachten lediglich einen Verschlimmerungsanteil als wehrdienstbedingte Schädigungsfolge angenommen haben. Für die Feststellung der Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung war aber zweifelsfrei die Angabe des Klägers ausschlaggebend, daß seine Sehkraft infolge der Verletzungen durch die von ihm behauptete Minenexplosion vom 27. Februar 1945 plötzlich nachgelassen habe. Auf diesen - unzutreffenden und vom Kläger selbst später widerrufenen - Angaben über die Vorgeschichte der Schädigung beruhte in den begünstigenden Bescheiden die Anerkennung der "Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung". Mithin hat der Kläger durch seine unzutreffenden Angaben über die Entstehungsursache die - möglicherweise unrichtige - Auswertung der ärztlichen Gutachten durch die Verwaltung veranlaßt. Hierfür ist er voll verantwortlich; seine unzutreffenden Angaben haben zu den ihn begünstigenden Verwaltungsakten geführt. Die Verwaltung durfte sie teilweise zurücknehmen, und das LSG konnte diese teilweise Rücknahme als rechtmäßig bestätigen. Sie hat jedoch eine Verschlimmerung der anlagebedingten hochgradigen Kurzsichtigkeit durch wehrdienstliche Einflüsse bejaht und aus diesem Grunde die Rücknahme der begünstigenden Verwaltungsakte dahin eingeschränkt, daß dem Kläger vom 1. August 1947 an die Rente nach einer MdE um 30 v. H. verbleibt. Gegen die Höhe dieser noch anerkannten MdE wendet sich der Kläger. Nach seiner Auffassung reichten die Feststellungen des LSG nicht aus, um die ihm zu geringe MdE zu rechtfertigen. Das LSG hätte in dieser Richtung den Sachverhalt durch ärztliche Sachverständige weiter aufklären müssen. Das Berufungsgericht hat auf Grund der Gutachten, denen es gefolgt ist, festgestellt, daß auch eine Bewertung der MdE mit 20 v. H. noch von den Gutachtern gedeckt gewesen wäre. Damit ist es zu dem Ergebnis gekommen, daß die ärztlichen Sachverständigen, denen es gefolgt ist, einen höheren Verschlimmerungsanteil als 30 v. H. nicht für gerechtfertigt gehalten haben. Es ist zwar richtig, daß der leitende Arzt des VersorgA die wehrdienstbedingte MdE auf höchstens 30 v. H. geschätzt hat. Demgegenüber hat der Ärztliche Dienst des LVersorgA Schleswig-Holstein in seinem Aktenvermerk vom 29. August 1961 die der möglichen Verschlimmerung zur Last zu legende MdE, berechnet nach der Lohmüllerschen Formel, mit 60 v. H. angenommen. Mit der Schätzung des Ärztlichen Dienstes des LVersorgA Schleswig-Holstein vom 29. August 1961 hat sich das LSG aber nicht auseinandergesetzt. Dies wäre jedoch nötig gewesen, um zu einer unanfechtbaren Beweiswürdigung zu kommen. Dadurch, daß das Berufungsgericht es unterlassen hat, sich mit diesem Vorschlag des Ärztlichen Dienstes zu befassen, hat es die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten, weil es ohne wohlerwogene und stichhaltige Gründe über die Beurteilung dieses Sachverständigen hinweggegangen ist. In diesem Zusammenhang darf auch das Vorbringen des Klägers nicht unberücksichtigt bleiben, daß er trotz seiner hochgradigen Kurzsichtigkeit zum Kriegsdienst herangezogen worden ist, also die im Kriege charakteristischen Gefahren auf sich nehmen mußte und er einer ständigen augenärztlichen Betreuung entzogen wurde. Hinzu kommt, daß bei einem Vorschaden, der unabhängig vom Wehrdienst eingetreten ist, die wehrdienstbedingte MdE unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles zu bewerten ist (SozR BVG § 30 Nr. 21). Nach den in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (Neuausgabe 1965, Seite 24) niedergelegten medizinischen Erfahrungssätzen ist die MdE unter Berücksichtigung einer durch die frühere Schädigung bedingten besonderen Beeinträchtigung unter Umständen höher zu bewerten, als es bei einem bisher voll Erwerbsfähigen im gleichen Schadensfall zu geschehen hätte. Dies wird nach Auffassung des Senats besonders beim Verlust des Augenlichts zu beachten sein. Denn eine hochgradige Kurzsichtigkeit, welche noch mit Augengläsern ausgeglichen werden konnte, beeinträchtigt die Erwerbsfähigkeit wenig. Erlangt aber der Vorschaden durch wehrdienstbedingte Verschlimmerung eine Steigerung, so daß mit Brillen die Kurzsichtigkeit nicht mehr ausgeglichen werden kann, so ist durch diese Verschlimmerung der Beschädigte mehr beeinträchtigt als durch den Vorschaden, mag die Verschlimmerung auch weniger Dioptrien umfassen, als das anlagebedingte Leiden hatte. Hiernach ist die Möglichkeit eines höheren wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteils nicht auszuschließen; das LSG hat daher § 128 SGG verletzt.
Das LSG hat ferner unterlassen zu prüfen, ob die durch die praktische Blindheit des Klägers gegebene Hilflosigkeit (§ 35 BVG) eine Folge des bestehenden Verschlimmerungsanteils ist; denn die durch den Wehrdienst herbeigeführte Steigerung der Kurzsichtigkeit kann für die Entstehung der Hilflosigkeit mit entscheidend gewesen sein (s. BSG 13, 40). Auch insoweit ist § 128 SGG verletzt.
Was die Rückforderung der überzahlten Versorgungsrente betrifft, so beruft sich der Kläger zu Unrecht auf die Verjährung. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zwar bei Rückforderung gemäß § 47 Abs. 2 VerwVG eine Verjährung von vier Jahren vom Beginn des Jahres an gerechnet angenommen (BSG 21, 34). Danach wäre der Rückforderungsanspruch des Beklagten aus dem Berichtigungsbescheid vom 21. Juni 1960 für eine Zeit vor dem 1. Januar 1956 verjährt. Diese Entscheidung betraf jedoch einen Anspruch, der nicht auf unerlaubter Handlung beruhte, sondern auf einer Änderung und Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 47 Abs. 2 VerwVG). Im vorliegenden Fall aber beruht die Rückforderung darauf, daß der Empfänger Tatsachen wissentlich falsch angegeben, also den Tatbestand einer unerlaubten Handlung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erfüllt hat. Für die Verjährung einer derartigen Rückforderung nach § 47 Abs. 3 VerwVG ist § 852 BGB entsprechend anwendbar, nachdem die Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der Verjährungsfristen ergänzend auf das BGB zurückgegriffen hat (BSG 19, 88). Nach der bezeichneten Vorschrift verjährt die Rückforderung drei Jahre nach Kenntnis der unerlaubten Handlung, im übrigen aber erst in 30 Jahren. Der Rückforderungsanspruch des Beklagten ist daher noch zu keinem Teil verjährt, weil der Beklagte erst am 3. Oktober 1958 mit der Nachricht der Deutschen Dienststelle in Berlin-Wittenau die Krankenunterlagen erhalten hat. Der Rückforderungsanspruch des Beklagten kann aber in der Folge gemindert werden, falls die MdE für den Verschlimmerungsanteil erhöht werden und dem Kläger vom 1. November 1950 an wieder die einfache Pflegezulage gewährt werden sollte.
Wegen des von der Revision gerügten vorliegenden Verfahrensmangels in der Beweiswürdigung war das angefochtene Urteil aufzuheben. Es war auch insoweit aufzuheben, als es über die Rückforderung entschieden hat, weil die Höhe des Verschlimmerungsanteils die Höhe der Rückforderung des Beklagten beeinflußt. Die Sache war daher dem LSG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
In seiner künftigen Entscheidung wird sich das LSG mit dem Grad der MdE wegen des noch zu ermittelnden Verschlimmerungsanteils zu befassen und weiter zu prüfen haben, ob dem Kläger etwa eine Pflegezulage und gegebenenfalls welche Stufe der Pflegezulage zuzusprechen ist.
Die Kostenentscheidung war der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorzubehalten.
Fundstellen