Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinterbliebenenrente bei Ehescheidung in Ostberlin

 

Leitsatz (amtlich)

Die frühere Ehefrau eines Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten von einem Ostberliner Gericht im Dezember 1955 geschieden wurde, hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach RVO § 1265 S 1 Alternative 1, wenn beide Ehegatten zur Zeit der Scheidung und des Todes des Versicherten im Jahre 1967 ihren Wohnsitz in Ostberlin hatten.

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 14. November 1974 wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Es ist umstritten, ob die Klägerin zu Recht Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes beansprucht.

Die Ehe der 1904 geborenen Klägerin mit dem 1905 geborenen Versicherten wurde auf die Klage der Klägerin durch Urteil des Stadtbezirksgerichts Pankow in O. vom 21. Oktober 1955, rechtskräftig am 13. Dezember 1955, geschieden; im Urteilstenor ist die Schuld des Versicherten an der Scheidung festgestellt. Beide Ehegatten wohnten in Ostberlin. In Vergleichen, die 1956 und 1957 vor dem Stadtbezirksgericht Pankow abgeschlossen wurden, hatte sich der Versicherte verpflichtet, an die Klägerin bis Ende 1958 monatlich Unterhalt zu zahlen.

Der Versicherte ist am 3. April 1967 in Ostberlin gestorben. Die Klägerin ist am 24. November 1972 von dort nach Westberlin übergesiedelt. Weder sie noch der Versicherte sind eine neue Ehe eingegangen.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 17. Mai 1973 ab: Zur Zeit des Todes des Versicherten habe auch die Klägerin ihren Wohnsitz in Ostberlin gehabt. Sie habe daher zu dieser Zeit einen ehegesetzlichen Unterhaltsanspruch, wie er in der Bundesrepublik einschließlich des Landes Berlin normiert sei, gegen den Versicherten nicht geltend machen können. Infolgedessen sei das Tatbestandsmerkmal des § 1256 Reichsversicherungsordnung (RVO), daß der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG), das in der Bundesrepublik einschließlich des Landes Berlin gelte, zu leisten gehabt habe, nicht erfüllt.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. November 1973). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 14. November 1974).

Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, der Versicherte habe der Klägerin während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tod nicht Unterhalt nach den Vorschriften des EheG leisten müssen, weil er aufgrund seines Wohnsitzes in Ostberlin nicht der ehegesetzlichen Unterhaltspflicht unterworfen gewesen sei, wie sie in der Bundesrepublik einschließlich Westberlins normiert sei. Eine solche Möglichkeit habe der Bundesgerichtshof (BGH) nur bejaht, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte zur Zeit der Scheidung im Bundesgebiet ansässig gewesen sei. (Hinweis auf BGHZ 34, 151; NJW 1967, 772; 4 RJ 383/66 vom 29. Juni 1967). In Ostberlin habe im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung das EheG 1946 nicht mehr gegolten; es sei durch die Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung vom 24. November 1955 (EheVO 1955, GBl DDR I 849 Nr 102/55) mit Wirkung vom 29. November 1955 an ersetzt worden (§ 21 EheVO 1955). Auch aus sonstigem Grund sei der Versicherte nicht unterhaltspflichtig gewesen. Die Klägerin habe zur Zeit der Scheidung nur die zeitlich begrenzten Unterhaltsansprüche nach §§ 13, 14 EheVO 1955 gehabt; zur Zeit des Todes des Versicherten habe sie keinen Anspruch mehr gehabt. Ansprüche der Klägerin aus den Vergleichen hätten wegen deren Begrenzung bis Ende 1958 zur Zeit des Todes des Versicherten nicht mehr bestanden. Unstreitig habe der Versicherte der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tod keinen Unterhalt geleistet. - § 1265 Satz 2 RVO setze das Bestehen einer Unterhaltspflicht im Sinne des Satzes 1 voraus. Da eine solche nicht bestehe, bedürfe diese Vorschrift keiner weiteren Prüfung.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten aufzuheben und diese zur Gewährung von Hinterbliebenenrente seit 24. November 1972 zu verpflichten.

Sie trägt im wesentlichen vor, es sei an die Rechtsverhältnisse anzuknüpfen, die unmittelbar vor der Aufspaltung Deutschlands in Teile mit verschiedenen Rechtsordnungen einheitlich für beide Beteiligte gegolten hätten. Sie sei noch nach dem EheG 1946 geschieden worden, das in gleicher Weise für die Bundesrepublik und die DDR gegolten habe. Die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten beruhe auf dem nach diesem Gesetz festgestellten Schuldausspruch. Es müsse an die durch den Wohnsitz begründete Zugehörigkeit zum Rechtskreis eines der beiden deutschen Staaten angeknüpft werden. Sie verlange die Hinterbliebenenrente deshalb erst für die Zeit seit ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie führt aus, maßgeblich für die Beurteilung eines Anspruchs nach § 1265 RVO sei die zur Zeit des Todes des Versicherten geltende gesetzliche Regelung. Da beide geschiedenen Ehegatten ihren Wohnsitz sowohl zur Zeit der Scheidung als auch zur Zeit des Todes des Versicherten in der DDR gehabt hätten, sei das Recht der DDR, nämlich das Familiengesetzbuch vom 20. Dezember 1965 anzuwenden. Danach habe ein geschiedener Ehegatte nur für längstens zwei Jahre nach Rechtskraft der Scheidung unter bestimmten Voraussetzungen Unterhalt beanspruchen können.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Die Voraussetzungen des § 1265 RVO sind nicht erfüllt.

Nach § 1265 Satz 1 RVO wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dem Tod des Versicherten Hinterbliebenenrente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet hat.

Gegen die Wirksamkeit der Ehescheidung, dh gegen die Eigenschaft der Klägerin als frühere Ehefrau des Versicherten, bestehen keine Bedenken. Beide Ehegatten hatten zur Zeit der Scheidung ihren Wohnsitz in O. und unterlagen deshalb der Zuständigkeit der dortigen Gerichte und des dortigen Rechts. Es besteht deshalb kein Anknüpfungspunkt, der die entsprechende Heranziehung des Scheidungsrechts der Bundesrepublik rechtfertigen könnte. So hat der BGH bei Klagen auf Feststellung des Fortbestehens einer in der DDR geschiedenen Ehe die Schutzgedanken des § 328 Abs 1 Zivilprozeßordnung (ZPO) nur in solchen Fällen entsprechend herangezogen, in denen die klagende Partei zur Zeit des Erlasses des ostzonalen Scheidungsurteils ihren Wohnsitz oder dauernden gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder Westberlin hatte. (BGHZ 34, 134; 38, 1; 42, 99, 107).

Nach der ersten Alternative des § 1265 Satz 1 RVO mußte der Versicherte zur Zeit seines Todes verpflichtet gewesen sein, Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten. Dies ist hier nicht der Fall. Nach § 1265 RVO sind für die Frage der Unterhaltspflicht die Verhältnisse zur Zeit des Todes des Versicherten maßgeblich. Zu dieser Zeit hatte der Versicherte der Klägerin nicht Unterhalt nach dem in der Bundesrepublik geltenden EheG 1946 zu leisten. Das Scheidungsurteil enthält zwar gemäß dem zur Zeit seines Erlasses in der DDR noch gültig gewesenen EheG 1946 einen Schuldausspruch. Dies ist hier jedoch für die unterhaltsrechtlichen Folgen der Scheidung unbeachtlich, weil sich diese im maßgeblichen Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht nach dem EheG 1946, sondern nach dem Recht der DDR richteten. Da die Klägerin und der Versicherte zur Zeit seines Todes ihren Wohnsitz in Ostberlin hatten, besteht kein sich am Wohnortprinzip orientierender Anknüpfungspunkt, der die Anwendung unterhaltsrechtlicher Vorschriften des Bundesrechts begründen könnte. Die Klägerin und der Versicherte unterstanden hinsichtlich der Folgen der Scheidung ihrer Ehe dem an ihrem gemeinsamen Wohnsitz geltenden Eherecht der DDR. Auch vom materiellen Recht her besteht kein Rechtsgrund für die Anwendung des bundesrechtlichen Unterhaltsrechts; denn zur Zeit des Todes des Versicherten gab es kein in der Bundesrepublik und der DDR gemeinsam und gleichermaßen geltendes nacheheliches Unterhaltsrecht. Unterhaltsansprüche der Klägerin richteten sich deshalb nur nach dem Recht der DDR, und zwar bei Rechtskraft des Scheidungsurteils - 13. Dezember 1955 - nach der EheVO 1955, die am 29. November 1955 in Kraft getreten war, und zu dem hier entscheidenden Zeitpunkt des Todes des Versicherten nach dem Familiengesetzbuch der DDR vom 20. Dezember 1965 (GBl I 1966, 1), in Kraft getreten am 1. April 1966.

Es ist rechtlich nicht möglich, das nacheheliche Unterhaltsrecht der Bundesrepublik zugunsten der Klägerin entsprechend heranzuziehen. In den Entscheidungen des BGH kommt der allgemeine Gedanke zum Ausdruck, daß ein in der Bundesrepublik (oder Westberlin) wohnender Ehegatte nicht in seiner nach dem hier geltenden EheG bestehenden Rechtsposition beeinträchtigt werden soll, wenn der andere in der DDR (oder Ostberlin) wohnende Ehegatte dort eine gerichtliche Entscheidung zugunsten des in der Bundesrepublik lebenden Ehegatten erwirkt, die er hier nach Bundesrecht nicht hätte erlangen können. Da hier der Anknüpfungspunkt des Wohnsitzes des ansprucherhebenden Ehegatten in der Bundesrepublik im entscheidenden Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht gegeben ist, kann das Unterhaltsrecht des EheG 1946 nicht entsprechend angewendet werden.

Nach der zweiten Alternative des § 1265 Satz 1 RVO ist ein Rentenanspruch der Klägerin ebenfalls nicht begründet. Der Versicherte hatte ihr zur Zeit seines Todes nicht Unterhalt aus sonstigen Gründen zu leisten. Abgesehen davon, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Unterhaltsvergleich, den die Geschiedenen vor einem Gericht der DDR geschlossen haben, einen sonstigen Grund im Sinne des § 1265 Satz 1 RVO bilden kann, hatte hier die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten schon deshalb keinen auf einem Unterhaltsvergleich beruhenden Unterhaltsanspruch, weil die Begünstigung durch die Vergleiche von 1956 und 1957 nur bis Ende 1958 befristet war, also zur Zeit des Todes des Versicherten nicht mehr wirksam sein konnte.

Auch die dritte Alternative des § 1265 Satz 1 RVO, daß der Versicherte der früheren Ehefrau im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet hat, scheidet hier nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG aus.

Die Revision der Klägerin war somit zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1651108

IPRspr. 1975, 182

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