Entscheidungsstichwort (Thema)
Invalidenrente und Altersruhegeld
Leitsatz (amtlich)
1. Der Versicherungsträger hat, falls er auf Antrag oder von Amts wegen eine Neuüberprüfung eines bindend gewordenen Bescheides vornimmt, einen neuen Feststellungsbescheid nur zu erlassen, wenn er sich davon überzeugt, daß der alte Bescheid zu Ungunsten des Versicherten rechtswidrig ist. Ist ein Antrag auf Neuüberprüfung gestellt, so hat der Versicherungsträger, falls er sich nicht von der Rechtswidrigkeit des bindend gewordenen Bescheides überzeugt, lediglich durch einfachen Verwaltungsakt den Erlaß eines neuen Feststellungsbescheids abzulehnen. In diesem Falle steht dem Versicherten die Vornahmeklage auf Erlaß eines neuen Feststellungsbescheids, nicht aber eine zusammengefaßte Aufhebungs- und Leistungsklage zu. Dasselbe gilt, wenn der Versicherungsträger auf einen Neuüberprüfungsantrag hin weder einen neuen Feststellungsbescheid noch einen den Erlaß eines solchen Bescheides ablehnenden einfachen Verwaltungsakt erläßt.
2. ArVNG Art 2 § 44 S 2 gestattet die Durchbrechung der Bindungswirkung von Bescheiden, soweit es sich um einen der in Satz 1 dieser Vorschrift genannten Versicherungsfälle handelt und bei Anwendung der in Satz 1 genannten Vorschriften der in dem bindend gewordenen Bescheid festgestellte Sachverhalt zu einer für den Versicherten günstigeren Rechtsfolge führt.
3. Beantragt der Kläger, die Beklagte unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheids zur Zahlung von Altersruhegeld (RVO § 1248) zu verurteilen, so liegt darin auch der Hilfsantrag, sie zur Zahlung von Rente wegen Berufsunfähigkeit (RVO § 1246) oder Erwerbsunfähigkeit (RVO § 1247) zu verurteilen.
4. Hat ein Versicherungsträger den Antrag des Versicherten auf Gewährung von Altersruhegeld ablehnend beschieden, so kann das Gericht, falls es ebenfalls den Anspruch auf Altersruhegeld nicht als gegeben ansieht, über den Hilfsantrag des Klägers auf Verurteilung zur Zahlung von Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit auch dann entscheiden, wenn der Versicherungsträger über diesen Antrag seinerseits noch nicht entschieden hat.
Leitsatz (redaktionell)
Wenn die Altersrente in RVO § 1253 aF auch als "Invalidenrente" bezeichnet wurde, während sie heute in RVO § 1248 Abs 1 die Bezeichnung "Altersruhegeld" trägt, so handelt es sich doch trotz der unterschiedlichen Bezeichnung um denselben Anspruch.
Normenkette
RVO § 1300 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 44 S. 2 Fassung: 1957-02-23, S. 1 Fassung: 1957-02-23; SGG § 123 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1248 Fassung: 1957-02-23, § 1246 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Fassung: 1957-02-23, § 1253 Fassung: 1949-06-17
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. Oktober 1959 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin vom 1. Januar 1957 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die im Jahre 1886 geborene Klägerin war von 1906 bis zu ihrer Verheiratung im Jahre 1921 versicherungspflichtig beschäftigt. Ihre Versicherungsunterlagen sind bis auf die am 27. Oktober 1924 ausgestellte Aufrechnungsbescheinigung Nr. 16, in welcher 52 Wochenbeiträge der Klasse 1 vermerkt sind, durch Kriegseinwirkung verloren gegangen. Im November 1954 beantragte sie die Gewährung von Altersinvalidenrente mit der Behauptung, sich von 1921 bis 1945 freiwillig weiterversichert zu haben. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 4. Oktober 1955 mit der Begründung ab, die Anwartschaft aus den bis zum Jahre 1921 entrichteten Beiträgen sei erloschen, da für die Zeit nach dem 31. Dezember 1924 keine Beiträge nachgewiesen seien und die Berechnung der Halbdeckung nicht möglich sei, weil fast sämtliche Versicherungsunterlagen fehlten. Die Klägerin hat diesen Bescheid nicht angefochten.
Am 26. Mai 1957 stellte die Klägerin erneut Antrag auf Gewährung von Altersrente. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 25. Juni 1957 ab. Der Bescheid vom 4. Oktober 1955 sei bindend geworden. Auch Art. 2 § 44 Satz 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) führe nicht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis, da auch nach § 1249 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die vor dem 1. Januar 1924 entrichteten Beiträge nur dann berücksichtigt werden könnten, wenn in der Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum 30. November 1948 mindestens ein Beitrag entrichtet worden sei. Auch die Halbdeckung sei nicht erreicht, da höchstens 83 Wochenbeiträge entrichtet, zur Halbdeckung aber 1118 Wochenbeiträge erforderlich seien.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Sozialgericht Berlin durch Urteil vom 14. Februar 1958 ab. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Das Berufungsgericht verurteilte die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts vom 14. Februar 1958 und des Bescheids der Beklagten vom 25. Januar 1957, ihren Bescheid vom 4. Oktober 1955 dahingehend zu ändern, daß der Klägerin vom 1. Januar 1957 an Rente gewährt wird.
Aus Art. 44 Satz 2 ArVNG ergebe sich zwar keine Rechtfertigung für eine zu Gunsten der Klägerin von dem bindend gewordenen Bescheid vom 4. Oktober 1955 abweichende Entscheidung, da die seit dem 1. Januar 1957 in Kraft getretenen Vorschriften für den Anspruch der Klägerin nicht günstiger seien als die vorher geltenden Vorschriften. Dagegen lägen die Voraussetzungen für eine Neufeststellung der Rente nach § 1300 RVO vor. Die Beklagte habe, wie sich aus den Gründen des angefochtenen Bescheides ergebe, geprüft, ob sie nicht mit ihrem Bescheid vom 4. Oktober 1955 den Antrag der Klägerin zu Unrecht abgelehnt habe. Auch ein nach § 1300 RVO ergehender Bescheid könne auf Aufhebungs- und Leistungsklage hin, ohne daß es eines Vorverfahrens bedürfe, in vollem Umfange von den Gerichten nachgeprüft werden, da es sich bei der nach § 1300 RVO zu treffenden Entscheidung des Versicherungsträgers nicht um eine Ermessensentscheidung handele. Diese Überprüfung aber ergebe, daß der Klägerin entgegen der Ansicht der Beklagten ein Rentenanspruch zustehe. Der Versicherungsfall des Alters sei mit ihrer Antragstellung im November 1954 eingetreten, da sie bereits vorher das 65. Lebensjahr vollendet habe. Sie sei zu dieser Zeit auch schon erwerbsunfähig im Sinne des § 22 des Rentenversicherungs-Überleitungsgesetzes ( RVÜG ) gewesen; diese Erwerbsbeschränkung habe andererseits aber vor 1946 noch nicht vorgelegen. Inzwischen sei sie sogar außerstande, irgendeiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Anwartschaft sei nach Art. 19 der Ersten Vereinfachungsverordnung (VereinfVO) vom 17. März 1945 aus allen Beiträgen erhalten, da der Versicherungsfall nicht vor dem 1. April 1945 eingetreten sei und die Klägerin für die Zeit von 1922 bis 1944 freiwillige Beiträge entrichtet habe. Später hätten zur Erhaltung der Anwartschaft keine Beiträge mehr entrichtet zu werden brauchen, da inzwischen der Versicherungsfall eingetreten sei. Insgesamt seien wenigstens 60 Beitragsmonate zurückgelegt, so daß die Wartezeit erfüllt sei. Der Klägerin stehe daher Anspruch auf Rente zu.
Gegen dieses ihr am 2. November 1959 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch Schriftsatz vom 20. November 1959, eingegangen am 26. November 1959, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Sie habe keinen Bescheid nach § 1300 RVO erlassen. Selbst wenn man aber annehmen wolle, daß die Klägerin auch eine Neuüberprüfung des Bescheids vom 4. Oktober 1955 nach § 1300 RVO beantragt habe, stünde ihr, da aus dem Bescheid vom 25. Juni 1957 allenfalls entnommen werden könne, daß sie eine Neuüberprüfung ablehne, nur eine Vornahmeklage, nicht aber eine zusammengefaßte Aufhebungs- und Leistungsklage zur Verfügung. Das Berufungsgericht hätte daher allenfalls eine Verurteilung zum Erlaß eines Bescheides nach § 1300 RVO aussprechen dürfen, zumal § 1300 RVO der Verwaltung ein Ermessen einräume. Im übrigen könne dahingestellt bleiben, ob die erhobenen Beweise für die Annahme ausreichten, daß die Klägerin bis 1944 freiwillige Beiträge entrichtet habe. Das Gericht hätte zudem, selbst von seinem Rechtsstandpunkt aus gesehen, allenfalls zur Zahlung der Rente ab 1. Juni 1956 verurteilen dürfen.
Sie hat beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Berlin zurückzuverweisen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da das Landessozialgericht sie zugelassen hat, ist sie auch statthaft. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.
Die Klägerin hat am 26. Mai 1957 Antrag auf Gewährung von "Altersrente" gestellt. Zu Recht hat die Beklagte die Gewährung dieser Rente abgelehnt, da bereits durch bindend gewordenen Bescheid vom 4. Oktober 1955 festgestellt ist, daß ein Anspruch auf Altersrente nicht besteht. Wenn die Altersrente in § 1253 RVO a. F. auch als "Invalidenrente" bezeichnet wurde, während sie heute in § 1248 Abs. 1 RVO die Bezeichnung "Altersruhegeld" trägt, so handelt es sich trotz der unterschiedlichen Bezeichnung doch um denselben Anspruch, über den bereits bindend entschieden worden ist, da die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Rente im wesentlichen dieselben geblieben sind. Die Bindungswirkung des Bescheids vom 4. Oktober 1953 steht daher einer abweichenden Feststellung grundsätzlich entgegen. Zu Recht hat allerdings das Berufungsgericht geprüft, ob hier nicht kraft gesetzlicher Ermächtigung ausnahmsweise eine Durchbrechung dieser Bindungswirkung statthaft ist. In Betracht kommen die Ermächtigungen in § 1300 RVO und Art. 2 § 44 Satz 2 ArVNG. Während nach § 1300 RVO zu prüfen ist, ob eine frühere Feststellung nach damaligem Recht zum Nachteil des Versicherten unrichtig ist, ist nach Art. 2 § 44 Satz 2 ArVNG in den angegebenen Grenzen eine Durchbrechung der Bindungswirkung möglich, soweit das seit dem 1. Januar 1957 geltende Recht für den Versicherten günstiger ist.
Das Berufungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid auch eine Überprüfung nach § 1300 RVO vorgenommen habe. Manches spricht für diese Auffassung. Das Berufungsgericht verkennt jedoch, daß damit, selbst wenn man dies annimmt, noch kein Feststellungsbescheid nach § 1300 RVO vorliegt. Ein solcher hat nur zu ergehen, wenn sich der Versicherungsträger überzeugt hat, daß der frühere Feststellungsbescheid rechtswidrig ist. Da der Versicherungsträger hier aber zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Bescheid vom 4. Oktober 1955 nicht rechtswidrig ist, kam der Erlaß eines neuen Feststellungsbescheids überhaupt nicht in Betracht, so daß der angefochtene Bescheid, soweit er sich mit der Neuüberprüfung des alten Bescheids befaßt, nur dahin verstanden werden kann, daß der Erlaß eines neuen, für den Kläger günstigeren Feststellungsbescheids abgelehnt wird. Insoweit handelt es sich also nicht um einen Feststellungsbescheid, sondern um einen den Erlaß eines Feststellungsbescheids ablehnenden einfachen Verwaltungsakt. Der Erlaß eines neuen Feststellungsbescheides wäre bei der Rechtsauffassung der Beklagten ja auch überflüssig, da in ihm nur das wiederholt würde, was bereits in dem ursprünglichen Feststellungsbescheid entschieden ist. Dem Versicherten steht in einem solchen Falle nur die Klage auf Aufhebung dieses Verwaltungsaktes und auf Erlaß eines neuen Feststellungsbescheides, nicht aber Klage auf Verurteilung zur Leistung zu. Dies gilt, gleichgültig, ob man der Auffassung ist, daß dem Versicherungsträger in § 1300 RVO ein Ermessen eingeräumt ist, oder ob man dies verneint. Das Berufungsgericht hat verkannt, daß selbst bei Ansprüchen, auf die ihrer Art nach ein Rechtsanspruch besteht, grundsätzlich zunächst ein Feststellungsbescheid des Versicherungsträgers ergehen muß, bevor eine zusammengefaßte Aufhebungs- und Leistungsklage erhoben werden kann. Solange ein neuer Feststellungsbescheid also nicht vorliegt, sei es wie hier, daß der Versicherungsträger es ausdrücklich abgelehnt hat, ihn zu erlassen, sei es, daß er lediglich verabsäumt, ihn zu erlassen, steht dem Versicherten schon aus diesem Grunde nur die Vornahmeklage auf Erlaß eines Feststellungsbescheides nach § 1300 RVO zu. Die hier erhobene Aufhebungs- und Leistungsklage ist also, soweit sie sich gegen den Teil des angefochtenen Bescheides richtet, durch welchen der Erlaß eines neuen Feststellungsbescheides nach § 1300 RVO abgelehnt wird, unzulässig.
Zu Recht hat dagegen das Berufungsgericht entschieden, daß Art. 2 § 44 ArVNG eine Durchbrechung der Bindungswirkung des Bescheides vom 4. Oktober 1955 zu Gunsten der Klägerin nicht gestattet. Nach allgemeinen Grundsätzen kann neues Recht, selbst wenn es infolge einer gesetzlichen Rückwirkungsanordnung auch auf alte Versicherungsfälle anzuwenden ist, nicht zu einer günstigeren Entscheidung führen, wenn über den geltend gemachten Anspruch bereits durch rechtskräftig gewordenes Urteil oder bindend gewordenen Bescheid entschieden worden ist, da deren Rechtskraft- und Bindungswirkung einer neuen abweichenden Entscheidung entgegensteht. Es bedarf schon einer besonderen Ermächtigung des Gesetzgebers, daß diese Rechtskraft- und Bindungswirkung durchbrochen werden kann. Eine solche Ermächtigung enthält Art. 2 § 44 Satz 2 ArVNG. Allerdings gesteht diese Vorschrift keine uneingeschränkte Durchbrechung der Rechtskraft- und Bindungswirkung alter Bescheide zu, sondern eröffnet diese Möglichkeit nur für die in Art. 2 § 44 Satz 1 ArVNG aufgezählten Versicherungsfälle. Die Fälle des Art. 2 §§ 17 bis 19 ArVNG scheiden hier zwar aus, da sie Hinterbliebenenrenten betreffen, es liegt aber ein Fall des Art. 2 § 8 a. a. O. vor. Da der Versicherungsfall hier nach dem 31. März 1945 eingetreten ist, und die Klägerin nicht vor dem 1. April 1945 invalide im Sinne des § 1254 RVO in der am 31. Mai 1949 geltenden Fassung geworden ist, kann trotz der Bindungswirkung des alten Bescheids grundsätzlich neu über den Anspruch auf Altersrente entschieden werden. Die Ermächtigung zur Durchbrechung der Bindungswirkung eines Bescheids ist in Art. 2 § 44 Satz 2 ArVNG jedoch auch selbst in diesen Fällen nicht unbeschränkt gestattet. Diese Bindungswirkung kann nur zu Gunsten, nicht aber zu Ungunsten des Versicherten durchbrochen werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Vorschriften, allgemein gesehen, für den Versicherten günstiger sind, sondern nur, ob sie für den vom Versicherten im konkreten Einzelfall geltend gemachten Anspruch, über den durch den rechtskräftig gewordenen Bescheid entschieden worden ist, günstiger sind. Ob dies aber der Fall ist, hängt davon ab, ob sich durch Anwendung der neuen Vorschriften auf den dem rechtskräftig gewordenen Urteil oder dem bindend gewordenen Bescheid zugrunde liegenden Sachverhalt eine für den Versicherten günstigere Rechtsfolge als bisher ergibt. Dies aber ist im vorliegenden Fall zu verneinen. In dem Bescheid vom 4. Oktober 1955 ist festgestellt, daß die Klägerin nach dem 31. Dezember 1923 keinen Beitrag mehr entrichtet hat. Von diesem Sachverhalt ausgehend, muß der Anspruch der Klägerin auch nach neuem Recht abgelehnt werden; denn auch nach § 1249 RVO können die vor dem 1. Januar 1924 entrichteten Beiträge nur berücksichtigt werden, wenn in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. November 1948 wenigstens ein Beitrag entrichtet worden ist. Dem Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld kann daher auch unter Anwendung des Art. 2 § 44 ArVNG nicht stattgegeben werden. Insoweit ist die Aufhebungs- und Leistungsklage zwar zulässig, aber unbegründet.
Wenn somit der Anspruch der Klägerin auf Altersruhegeld auch nach Neuüberprüfung nicht anerkannt werden kann, so war doch, da die Klägerin nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bereits voll erwerbsunfähig ist, weiter zu prüfen, ob ihr nicht vom 1. Januar 1957 an ein Rentenanspruch nach § 1247 RVO zusteht. Die Klägerin hat zwar ausdrücklich nur die Gewährung von Altersrente beantragt. Hierin liegt jedoch stillschweigend auch der Hilfsantrag auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit, falls der in erster Linie gestellte Antrag nicht durchgreift. Wie den Versicherungsträgern und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bekannt ist, geht der Wille eines Versicherten, der einen Rentenantrag stellt, in der Regel ganz allgemein dahin, eine Rente aus seiner Rentenversicherung, und zwar die für ihn günstigste Rente zu erhalten, soweit dies im Einzelfall nicht mit sonstigen Nachteilen für ihn verbunden ist. Nun hat die Klägerin im vorliegenden Fall allerdings vor Gericht hilfsweise ausdrücklich beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Rente wegen Berufsunfähigkeit zu verurteilen. Trotzdem kann man hierin nicht etwa eine Beschränkung auf diese Rentenart sehen, vielmehr handelt es sich lediglich um einen etwas verunglückten Ausdruck des Willens der Klägerin, hilfsweise die für sie günstigste wegen Erwerbsbeschränkung in Frage kommende Rente zugesprochen zu erhalten, falls das Altersruhegeld nicht gewährt werden kann. Hinsichtlich dieses Anspruchs ist die zusammengefaßte Aufhebungs- und Leistungsklage zulässig, da es sich insoweit um eine Leistung handelt, auf die ihrer Art nach ein Rechtsanspruch besteht; auch ist ein Vorverfahren nicht erforderlich.
Die Bindungswirkung des Bescheids vom 4. Oktober 1955 steht der Entscheidung über diesen Anspruch nicht entgegen, da hier über einen anderen Anspruch entschieden wird.
Es könnten allerdings Bedenken gegen eine Entscheidung über diesen Anspruch deshalb erhoben werden, weil die Beklagte in ihrem Bescheid vom 25. Juni 1957 nur über den Anspruch auf "Altersrente", nicht aber über den auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entschieden hat und eine unmittelbare Entscheidung des Gerichts über diesen letzteren Anspruch dem Grundsatz widersprechen würde, daß zunächst die Verwaltung entscheiden muß, bevor eine gerichtliche Entscheidung getroffen werden kann. In Fällen der vorliegenden Art kann jedoch von dem Erfordernis einer solchen vorhergehenden Verwaltungsentscheidung ausnahmsweise abgesehen werden. Es darf nämlich nicht verkannt werden, daß die verschiedenen Rentenansprüche aus der Arbeiterrentenversicherung, wenn es sich auch um getrennte Ansprüche handelt, doch aus demselben Versicherungsverhältnis entspringen und nicht nebeneinander, sondern nur alternativ gewährt werden können und jedenfalls zum Teil auch an übereinstimmende oder sich zumindest zum Teil deckende Voraussetzungen geknüpft sind. Es würde eine Überspannung des Grundsatzes, daß die Verwaltung vorab entscheiden muß, bedeuten, wenn auch in diesen Fällen den Gerichten eine unmittelbare Entscheidung verwehrt sein sollte, da der Versicherungsträger bei der von ihm getroffenen Entscheidung zumindest zum Teil dieselben Feststellungen und rechtlichen Prüfungen vorgenommen hat, die auch für die Entscheidung des anderen Anspruchs erforderlich sind, zumal er auch genügend Gelegenheit hatte, zu den darüber hinausgehenden Fragen Stellung zu nehmen. Allerdings kann dies nur gelten, wenn es sich um Leistungen handelt, auf die ihrer Art nach ein Rechtsanspruch besteht, bei denen also nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung die Streitentscheidung den Gerichten und nicht der Verwaltung zusteht und letzterer nur aus Zweckmäßigkeitsgründen - u. a. auch, um die Gerichte möglichst nicht unnötig zu belasten - eine Art Vorentscheidung, gegen die aber uneingeschränkt die Gerichte angerufen werden können, übertragen ist. Ist ein solcher Rechtsstreit in diesen Fällen ohnehin bei Gericht anhängig, so erfordert es der Zweck dieser Regelung nicht, die Sache noch einmal der Verwaltung zur Entscheidung zu übertragen.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu. Die Voraussetzungen des § 1247 RVO liegen vor. Die Versicherte ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die von der Beklagten nicht angefochten sind, infolge Krankheiten und Gebrechen nicht mehr in der Lage, irgendeine Erwerbstätigkeit auszuüben. Da der Versicherungsfall nach dem 31. März 1945 eingetreten ist und die Voraussetzung des Satzes 2 dieser Vorschrift nicht gegeben ist, ist für die Frage, ob die Wartezeit erfüllt ist, § 1249 RVO maßgebend. Zwar werden auch nach § 1249 RVO die vor dem 1. Januar 1924 zurückgelegten Versicherungszeiten nur angerechnet, wenn zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. November 1948 mindestens ein Beitrag für die Zeit nach dem 31. Dezember 1923 entrichtet worden ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin aber in den Jahren 1923 und 1924 und noch darüber hinaus freiwillige Beiträge entrichtet. Die Beklagte hat diese Feststellungen, obwohl sie während des früheren Verfahrens insoweit anderer Ansicht war, nicht angegriffen, sondern hat es in ihrer Revisionsbegründung lediglich dahingestellt sein lassen, ob diese Feststellungen zutreffen, so daß der erkennende Senat nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an sie gebunden ist. Danach muß die Wartezeit nunmehr als erfüllt angesehen werden.
Da es sich hier um einen Übergangsfall handelt, richtet sich der Beginn der Rente nach Art. 2 § 25 ArVNG, und zwar, da erst durch das ArVNG ein Anspruch auf diese Rente begründet worden ist, nach Abs. 2 dieser Vorschrift. Danach kommt es auf den Zeitpunkt der Antragstellung nicht an.
Da das Urteil des Berufungsgerichts somit im Ergebnis zutreffend ist, war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen