Leitsatz (amtlich)

1. Wer Langfristig zum Luftschutzpolizeidienst herangezogen worden ist gehört - ohne Rücksicht auf die Form der Einberufung - zum Personenkreis der V Luftschutzdienstpflichtige SV § 2 Abs 1 vom 1939-11-11. Für die rentenversicherungsrechtliche Stellung eines solchen Luftschutzdienstpflichtigen gilt daher sinngemäß die WehrmachteinsatzV RV 1939 vom 1939-10-13 (V Luftschutz dienstpflichtige SV vom 1939-11-11 § 2 Abs 1 Nr 2).

2. War die Anwartschaft eines Versicherten in der Invalidenversicherung zu Beginn seines Luftschutzpolizeidienstes erloschen, ist sie aber während dieses Dienstes nach LeistungsverbesserungsG RV 1941 § 3 wieder aufgelebt, so ist die Luftschutzpolizeidienstzeit vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an 1941-08-01 rentensteigernd zu berücksichtigen (Anschluß BSG 1956-12-11 1 RA 139/55 = BSGE 4, 186).

3. Die Richtlinien des BMA über die Berechnung der Renten in der Invalidenversicherung bei vollständigem oder teilweisem Verlust der Versicherungsunterlagen vom 1952-11-03 (BABl F 1952, 650) sind keine Rechtsnormen. Sie können nur subsidiär zur Schätzung der Beitragsdichte und -höhe herangezogen werden, wenn Beweismittel, die eine Aufklärung des Sachverhalts mit einem höheren Grad der Wahrscheinlichkeit ermöglichen, nicht zur Verfügung stehen.

 

Normenkette

SGG § 103 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1268 Fassung: 1937-12-21; RVLeistungsVerbG § 3; RVLeistungsVerbG 1941 § 3; SVLuftschV § 2 Abs. 1 Nr. 2; RVWehrmV § 3; RVWehrmV 1939 § 3

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1955 aufgehoben, soweit es die Beklagte verurteilt, die vor dem 1. August 1941 liegende Tätigkeit des Klägers bei der Luftschutzpolizei rentensteigernd zu berücksichtigen. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Auf die Anschlußrevision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1955 aufgehoben, soweit es die Gewährung von Steigerungsbeträgen für Versicherungszeiten zwischen dem 1. April 1909 und dem Ende des Jahres 1927 sowie vom 1. August 1941 bis zum 10. April 1945 betrifft. Der Rechtsstreit wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der 1882 geborene Kläger, dessen Beitragsunterlagen vernichtet sind, beantragte im Dezember 1953 Altersinvalidenrente.

Mit Bescheid vom 12. April 1954 gewährte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA.) dem Kläger vom 1. Januar 1954 an die Invalidenrente. Dabei schätzte sie die Zahl und Höhe der Beiträge nach den Richtlinien des Bundesarbeitsministers vom 3. November 1952 (BArbBl. S. 650) und gewährte Steigerungsbeträge außer für die Dienstzeit als Soldat im ersten Weltkrieg für Versicherungszeiten bis einschließlich 1925.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger beim Sozialgericht (SG.) Dortmund Klage mit dem Antrag,

ihm für die Jahre 1900 bis 1909 je 52 statt 46 und für die Jahre 1909 bis 1925 je 52 statt 10 Wochenbeiträge der höchsten Lohnklasse anzurechnen und die Zeit seines Luftschutzpolizeidienstes während des zweiten Weltkrieges rentensteigernd zu berücksichtigen.

Das SG. wies die Klage durch Urteil vom 27. Januar 1955 ab. Es hielt die Schätzung der Beiträge durch die Beklagte für gerechtfertigt; die Dienstzeit des Klägers bei der Luftschutzpolizei sei nicht rentensteigernd zu berücksichtigen, da die Anwartschaft des Klägers bei Eintritt in diesen Dienst erloschen gewesen sei.

Mit der Berufung an das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen beantragte der Kläger,

die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur rentensteigernden Berücksichtigung seiner Luftschutzpolizei-Dienstzeit und zur Rentenberechnung nach folgenden Beiträgen zu verurteilen:

 für das Jahr 1899 52 Wochenbeiträge der Klasse III,

 vom 1.4.1900 bis 31.12.1902

 90 

  Wochenbeitr .

 d. 

 Klasse

 IV 

 vom 1.4.1903 bis 1.4.1909

 143

 "     

 "     

 "     

 IV,

 und 169

 "     

 "     

 "     

 V, 

 vom 1.4.1909 bis 16.3.1915

 310

 "     

 "     

 "     

 V, 

 von 1919 bis 1927

 351

 "     

 "     

 "     

 V. 

In Abänderung der angefochtenen Entscheidung verurteilte das LSG. die Beklagte (Urteil vom 15. Juni 1955), neben den im Rentenbescheid bereits berücksichtigten Beiträgen für die Jahre 1926 und 1927 je 10 Wochenbeiträge der Lohnklasse IV und für die Dienstzeit des Klägers bei der Luftschutzpolizei 52 Wochenbeiträge der Lohnklasse IV je Kalenderjahr rentensteigernd zu berücksichtigen. Im übrigen wies es die Berufung zurück. Zur Begründung führte das LSG. aus: Die Beklagte habe die Beiträge des Klägers mit Recht geschätzt; denn Nachweise, daß regelmäßig Beiträge in der von ihm behaupteten Höhe entrichtet worden seien, lägen nicht vor. Seine Arbeitszeugnisse ergäben nichts hierfür; die eidesstattlichen Versicherungen der früheren Angestellten des Klägers - S... und ... - seien nicht ausreichend, weil sie sich nur auf die Zeit vom 1. April bis 1. August 1914 sowie auf die Jahre 1924 bis 1927 bezögen und Rückschlüsse auf die übrige Zeit nicht zuließen. Die Tatsache, daß für den Kläger am 5. März 1925 die Quittungskarte Nr. 11 umgetauscht worden sei, spreche gegen die behauptete lückenlose Beitragsentrichtung; denn wenn der Kläger vom 1. Oktober 1898 an regelmäßig einen Betrag je Woche entrichtet habe, so seien hierfür bis zum 5. März 1925 21 Quittungskarten und selbst bei jeweiliger Verwendung von Zweiwochenmarken jedenfalls mehr als 11 Quittungskarten erforderlich gewesen. Glaubhaft sei dagegen, daß der Kläger in den Jahren 1926 und 1927 freiwillig Beiträge entrichtet habe, die zu schätzen seien, weil auch ihre Zahl und Höhe nicht ermittelt werden könne. Auch die Zeit des Luftschutzpolizeidienstes sei rentensteigernd zu berücksichtigen, wie sich aus § 2 der Verordnung über die Sozialversicherung der einberufenen Luftschutzdienstpflichtigen vom 11. November 1939 (RGBl. I S. 2181) - SozVersLuftschVO - in Verbindung mit § 3 der Verordnung über die Rentenversicherung während des besonderen Einsatzes der Wehrmacht vom 13. Oktober 1939 (RGBl. I S. 2030) - KriegsdienstVO - ergebe. Die Anwartschaft sei nach dem bei Eintritt des Versicherungsfalles geltenden Recht zu beurteilen und deshalb nach § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) erhalten.

Mit der - vom LSG. zugelassenen - Revision macht die beklagte LVA. geltend, der Kläger sei nicht gemäß § 9 der Ersten Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz in der Fassung vom 1. September 1939 (RGBl. I S. 1631) - Erste LuftschDurchfVO -, sondern auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RGBl. I S. 1441) zum Dienst in der Luftschutzpolizei verpflichtet worden. Deshalb sei auf ihn nicht § 2 Abs. 1 Nr. 2 der SozVersLuftschVO , sondern § 4 Nr. 1 der Zweiten DurchfVO zur Notdienstverordnung vom 10. Oktober 1939 (RGBl. I S. 2018) anzuwenden. Die Zeit seines Dienstes in der Luftschutzpolizei habe das LSG. demnach zu Unrecht als rentensteigernd angesehen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung insoweit zurückzuweisen, als sie zur Anrechnung der Luftschutzpolizeidienstzeit des Klägers verurteilt worden sei.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Ferner hat der Kläger Anschlußrevision eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es seinem Berufungsantrag wegen der Anrechnung von Monatsbeiträgen für die Zeit vom 1. April 1909 bis 30. September 1921 und vom 1. Januar 1924 an nicht entsprochen habe.

Die beklagte LVA. beantragt,

die Anschlußrevision zurückzuweisen.

II

1. Gegen die Zulässigkeit der von den Beteiligten eingelegten Rechtsmittel bestehen keine Bedenken. Insbesondere ist auch die unselbständige Anschlußrevision des Klägers zulässig. Wie in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG.) anerkannt ist, findet die Anschlußrevision auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach Maßgabe des § 556 der Zivilprozeßordnung (ZPO) statt (§ 202 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), da die grundsätzlichen Unterschiede beider Verfahrensarten die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift nicht ausschließen (vgl. Urteil des 1. Senats des BSG. vom 29.7.1958 - 1 RA 109/57 - mit Leitsatz in SozR. ZPO § 556 Bl. Da 1 Nr. 1 und - für die Anschlußberufung - BSG. Bd. 2 S. 229 [233]).

2. Die Revision der Beklagten ist nur zum Teil begründet. Das LSG. hat mit Recht § 2 Abs. 1 Nr. 2 der SozVersLuftschVO angewandt, da der Kläger zu dem von dieser Verordnung erfaßten Personenkreis gehörte. Nach § 2 des Luftschutzgesetzes vom 26. Juni 1935 (RGBl. I S. 827) waren alle Deutschen luftschutzpflichtig. Zu den Aufgaben des Luftschutzes gehörte auch die Luftschutzpolizei; nach § 1 Buchst. b der Ersten LuftschDurchfVO hatte der Sicherheits- und Hilfsdienst bei Personen- und Sachschäden Hilfe zu leisten und bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mitzuwirken, soweit sie durch Luftangriffe gestört oder gefährdet wurde. Hingegen diente der Notdienst der Bekämpfung öffentlicher Notstände und der Vorbereitung ihrer Bekämpfung. Das Verhältnis des Notdienstes zum Luftschutzdienst wurde durch § 1 Abs. 3 der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RGBl. I S. 1441) geregelt. Danach ging der Luftschutzsicherheits- und Hilfsdienst - ebenso wie der Wehrdienst - in jedem Falle den Notdienstleistungen vor, wobei allein auf die Art der Dienstleistung, nicht auf die Form der Einberufung abgestellt war. Im gleichen Sinn machte die SozVersLuftschVO ihren Geltungsbereich in persönlicher Hinsicht nur davon abhängig, daß es sich um "Angehörige des ... Sicherheits- und des Hilfsdienstes ..." handelte. Es würde auch jedes inneren Grundes entbehren, wenn sich die sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse der einberufenen Luftschutzdienstpflichtigen trotz gleicher Dienstleistung je nach der Art des Einberufungsbefehls unterschiedlich gestaltet hätten. Daher ist es unerheblich, ob der Kläger auf Grund der Ermächtigung des § 13 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit § 5 der Ersten LuftschDurchfVO durch den Ortspolizeiverwalter bzw. den staatlichen Polizeiverwalter als örtlichen Luftschutzleiter oder "auf Grund der Notdienstverordnung" - wie zwar vom Polizeipräsidenten in Bochum bescheinigt, aber nicht vom LSG. festgestellt worden ist - zum Luftschutzdienst einberufen worden ist.

Da der Kläger somit zu dem von § 2 Abs. 1 SozVersLuftschVO erfaßten Personenkreis gehört, ist auf sein Rentenversicherungsverhältnis die VO über die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie die knappschaftliche Pensionsversicherung während des besonderen Einsatzes der Wehrmacht vom 13. Oktober 1939 - KriegsdienstVO - (RGBl. I S. 2030) sinngemäß anzuwenden (§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 1. Abs. der SozVersLuftschVO ). Hiernach werden den Versicherten nach Eintritt des Versicherungsfalls für die Zeit des besonderen Einsatzes Steigerungsbeträge gewährt.

Allerdings ist der Kläger nicht bereits bei Beginn seines Luftschutzdienstes - 1. September 1939 - "Versicherter" im Sinne der genannten Bestimmung gewesen. Die Zeiten des besonderen Einsatzes können - entgegen der Auffassung des LSG. - nach § 3 der KriegsdienstVO nur dann rentensteigernd berücksichtigt werden, wenn das Versicherungsverhältnis vorher bestanden hat (vgl. BSG. Bd. 4 S. 186 [188 f.]). Für diese Auffassung spricht neben dem Wortlaut insbesondere die Erwägung, daß diese Bestimmung einen Ausgleich dafür schaffen wollte, daß Dienstpflichtige durch ihre Einberufung aus ihrem Arbeitsleben herausgerissen wurden; für sie wurden daher in der Regel keine Versicherungsbeiträge mehr entrichtet, oder es entfiel - bei freiwillig Versicherten - das Arbeitseinkommen, aus dem sie bisher ihre Versicherungsbeiträge gezahlt hatten. Allein diese Einbuße sollte durch die Gewährung von Steigerungsbeträgen für die Zeitendes besonderen Einsatzes ausgeglichen werden. Nicht im Sinne dieser Regelung hätte jedoch eine entsprechende Begünstigung nichtversicherter Dienstverpflichteter gelegen, weil sich bei ihnen die Einberufung auf ein bestehendes Versicherungsverhältnis überhaupt nicht auswirken konnte und daher auch sozialversicherungsrechtliche Maßnahmen des Staates erübrigten.

Der Kläger war bei Beginn seines Luftschutzpolizeidienstes nicht versichert. Nach § 1264 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 1937 (RGBl. I S. 1393) war für die Erhaltung der Anwartschaft und damit des Versicherungsverhältnisses die Entrichtung von mindestens 26 Wochenbeiträgen je Kalenderjahr erforderlich. Unterblieb sie, so erlosch die Anwartschaft mit Ablauf des Jahres, in dem sie zuletzt erhalten war, und begann mit der Entrichtung späterer Beiträge von neuem. Da der Kläger unstreitig seit dem Jahre 1927 keine Beiträge mehr entrichtet hat, war seine Anwartschaft aus den geleisteten Beiträgen bei Beginn seines Luftschutzpolizeidienstes erloschen; er hatte auch keine neue Anwartschaft erworben. Zwar galt die Anwartschaft nach § 1265 RVO in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 1937 als erhalten, wenn beim Eintritt des Versicherungsfalls die Zeit seit dem ersten Eintritt in die Versicherung zur Hälfte mit Beiträgen belegt war. Diese Vorschrift kann jedoch für die rechtliche Beurteilung der Versicherteneigenschaft des Klägers bei Beginn des Luftschutzpolizeidienstes nicht herangezogen werden, weil sie den Eintritt des Versicherungsfalls voraussetzt, der damals beim Kläger noch nicht gegeben war (vgl. GE. Nr. 5045 des RVA. in AN. 1937 S. 28 [29]). Der Kläger war jedoch ab 1. August 1941 wieder als Versicherter anzusehen. An diesem Tage lebte durch das Inkrafttreten des § 3 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 (RGBl. I S. 443) die Anwartschaft des Klägers aus allen Beiträgen, die für ihn nach dem 1. Januar 1924 entrichtet worden waren, wieder auf (vgl. BSG. Bd. 4 S. 186 [189]). Seine Luftschutzpolizeidienstzeit nach dem 1. August 1941 muß daher gemäß § 3 der KriegsdienstVO rentensteigernd berücksichtigt werden, so daß die Revision nur insoweit begründet ist, als es sich um die Luftschutzdienstzeit vor dem 1. August 1941 handelt.

3. Auch die Anschlußrevision des Klägers ist begründet. Das LSG. ist davon ausgegangen, die vom Kläger entrichteten Versicherungsbeiträge könnten sowohl der Anzahl als auch der Höhe nach nicht ermittelt werden, so daß die Richtlinien des Bundesarbeitsministers vom 3. November 1952 (BABl. S. 650) zur Anwendung kämen. Mit Recht rügt die Anschlußrevision, das LSG. habe insoweit, als es sich um die Beitragsentrichtung für die Versicherungszeiten nach dem 1. April 1909 handele, nicht seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts genügt (§ 103 SGG). Der Kläger hat eidesstattlich versichert, er habe nach dem 1. April 1909 mindestens bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst am 17. März 1915 freiwillig Invalidenversicherungsbeiträge - "fast ausschließlich als Doppelmarken" -, und zwar für jede Woche in derselben Höhe wie für die bei ihm beschäftigten Maurer entrichtet; nach dem ersten Weltkrieg seien gleichfalls Beiträge in der höchsten Lohnstufe entrichtet worden, wenngleich er nicht mit derselben Sicherheit wie für die Zeit bis 1915 sagen könne, ob dies auch für jede Woche geschehen sei. Mit dieser Darstellung decken sich weitgehend die eidesstattlichen Erklärungen des Architekten M... und des Bauunternehmers S... allerdings unter Beschränkung auf einen in diesem Zusammenhang immerhin beachtlichen Zeitraum von vier Jahren bzw. vier Monaten, für den sie aus eigenem Wissen Bekundungen zur Beitragsentrichtung des Klägers machen konnten. Zumindest diese Beweismöglichkeiten hätte das LSG. ausschöpfen müssen, bevor es nach den "Richtlinien" vom 3. November 1952 verfuhr. Diese "Richtlinien" sollen die Rekonstruktion eines Versicherungsverhältnisses ermöglichen, für das überhaupt keine Unterlagen mehr oder nur teilweise vorhanden sind, eine Beschäftigungsdauer aber glaubhaft nachgewiesen ist. Sie sind als Empfehlung an die Rentenversicherungsträger gerichtet, "bis zum Erlaß einer endgültigen gesetzlichen Regelung" - die nur für den Bereich des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (vgl. §§ 5 und 6 der Ersten DurchfVo vom 31.7.1954; BGBl. I S. 245) getroffen ist - hiernach zu verfahren. Als Verwaltungsrichtlinien haben sie keine normative Kraft. Allerdings wird den "Richtlinien" kraft des ihnen innewohnenden Erfahrungswertes unbedenklich gefolgt werden können, sofern nicht geeignete Beweismittel zur Verfügung stehen, die eine Aufklärung des Sachverhalts mit einem höheren Grad der Wahrscheinlichkeit ermöglichen. Diese Einschränkung wird jedoch umso mehr gelten, je weniger Erfahrungsgehalt den "Richtlinien" zugrunde liegt. Wenn sie den freiwillig Versicherten für Versicherungszeiten vor dem 1. August 1925 nur das nach dem damaligen Recht zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft erforderliche Minimum an Beitragsdichte und -höhe (10 Beiträge der Lohnklasse I im Jahre) für die Rekonstruktion des Versicherungsverhältnisses zugestehen, so gewinnt angesichts einer solchen schematischen, nur Mindestwerte einräumenden Regelung die Verpflichtung der zur Aufklärung des Sachverhalts berufenen Stellen, die "individuellen" Beweismöglichkeiten auszuschöpfen, besondere Bedeutung. Da das LSG. in dieser Hinsicht seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) nicht genügt hat, ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es sich um die Gewährung von Steigerungsbeträgen für die Zeiten freiwilliger Versicherung des Klägers handelt. Von dem Ergebnis der neuen Verhandlung und Entscheidung des LSG. hängt auch die Höhe der Steigerungsbeträge für die Zeit vom 1. August 1941 bis zum 10. April 1945 ab, weil deren Höhe sich nach § 1 der VO vom 8. Oktober 1941 (RGBl. I S. 634) nach derjenigen Klasse richtet, zu welcher der letzte Beitrag vor der Einberufung entrichtet worden ist. Daher muß das angefochtene Urteil auch insoweit aufgehoben werden.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2323939

BSGE, 43

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